Protocol of the Session on November 14, 2018

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich dachte schon beim vorletzten Punkt, dass wir die Debatte gar nicht mehr führen müssten, als der Kollege Magnus Jung so schön sagte, wir brauchen unser Wahlrecht nicht zu ändern, wir haben ein gutes Wahlrecht. Dem stimme ich grundsätzlich zu, dennoch gestatten Sie mir, dass ich zum Wahlrecht insgesamt einige Anmerkungen mache.

Wir haben heute den Antrag „100 Jahre Frauenwahlrecht - Gleichberechtigung bleibt wichtige Aufgabe“ eingebracht. Der 12. November 1918 wird allgemein als Geburtsstunde des Frauenwahlrechts bezeichnet. An diesem Tag hieß es im Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Das war die Geburtsstunde des aktiven und passiven Wahlrechts für die Frauen. Die Historikerin Dr. Kerstin Wolff hat aber in der Veranstaltung, die in diesem Hohen Haus in der letzten Woche auf Einladung des Landtagspräsidenten stattfand, ausgeführt, es war auch die Geburtsstunde unserer Demokratie und nicht nur die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts. Ich glaube, das hat sie zu Recht so dargestellt. Die Wahlen waren gleich, geheim, direkt und allgemein. Das ist der Beginn unserer Demokratie gewesen. Das Reichswahlgesetz trat am 30.11.1918 in Kraft. Die ersten Wahlen fanden zu Beginn des Jahres 1919 statt - unter großer Beteiligung von Frauen als Wähler und genauso als Kandidatinnen.

Wir hatten in den letzten Tagen verschiedene Möglichkeiten, diesen Geburtstag zu feiern und das Ereignis zu würdigen. Es waren alles sehr gute, treffende, aber auch unterschiedliche Veranstaltungen, die aber alle eines im Sinn hatten. Ich glaube, es war - insbesondere auch der Sonntagabend in der Alten Feuerwache - eine sehr gelungene Feierserie zu diesem Anlass.

In vielen Gesprächsrunden haben sich von den Professionen her unterschiedlichste Frauen geäußert. Alle sind sich einig darüber, dass Frauen in Bezug auf Gleichberechtigung viel erreicht haben. Das ist auch gut so. Aber genauso ist einmütig angenommen beziehungsweise geäußert worden, es bleibe noch viel zu tun, um wirklich Gleichberechtigung zu erreichen.

In Sachen Bildung haben Mädchen mittlerweile aufgeschlossen und haben in manchen Bereichen die Jungs überholt. Doch ist auch festzustellen, dass sich diese Entwicklung in den beruflichen Karrieren

(Abg. Theobald (CDU) )

nicht fortsetzt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist immer noch nicht erreicht. Jedes Jahr am Equal Pay Day werden wir daran erinnert. In diesem Jahr 2018 war der 18. März der Tag, an dem Frauen durchschnittlich genauso viel verdient haben wie die Männer bereits zum Jahresende 2017.

Als Änderung gibt es jetzt das Entgelttransparenzgesetz. Es untermauert das Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Viele Frauenverbände äußern aber immer noch Kritik daran. Es geht in die richtige Richtung, allerdings kann der Anspruch für viele Frauen dadurch, dass Betriebe mit einer Größe von unter 200 Beschäftigten ausgeschlossen sind, nicht realisiert werden, weil ganz viele Frauen in kleineren Betrieben beschäftigt sind.

Frauen sind in Vorständen, Aufsichtsräten, Geschäftsführungen und allgemein in gesellschaftlichen Führungspositionen in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Kunst und Kultur nach wie vor unterrepräsentiert. Wir haben das in unserem Antrag aufgegriffen und stellen es nicht nur fest. Wir sprechen uns vielmehr, wie das bei ganz vielen Diskussionsrunden in den letzten Tagen der Fall war, für die Parität aus. Wir sprechen uns dafür aus, dass Frauen in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Kunst und Kultur und Politik paritätisch vertreten sind. Parität mit den Männern - das ist für uns das Ziel. Das stellen wir in unserem Antrag fest.

Lassen Sie mich jetzt nur auf die Politik schauen, weil das unser Bereich ist, in dem wir Verantwortung haben. Wie erreichen wir die Parität in der Politik? Es gibt verschiedene Diskussionen. Wir haben das auch schon im Landtag mit dem Frauenrat diskutiert. Dort geht es um das Parité-Gesetz, wie es in Frankreich umgesetzt ist. Ist das die Lösung? Das ist die Umsetzung einer Quote 50:50. Bei Quoten ist grundsätzlich immer die Frage zu stellen: Für wen ist die Quote und für wen ist sie nicht?

Es gibt Vorschläge und Überlegungen für das Wahlrecht des Bundes, die wir in den letzten Tagen auch aus Berlin gehört haben. Es geht darum, größere Wahlkreise mit zwei direkt gewählten Abgeordneten verschiedenen Geschlechts auf den Weg zu bringen. Ich frage mich dabei: Haben die Wähler dann zwei Stimmen? Sind diese beiden Stimmen gebunden - eine für den Mann, eine für die Frau? Wie frei ist dann noch die Wahl? Von daher ist das ein Vorschlag, der mir derzeit nicht belegt erscheint. Wir sollten aber die Diskussion offen führen, gerade im Hinblick darauf, dass es in Berlin eine Kommission über Änderungen im Wahlrecht geben wird. Sie wird durch den Bundestagspräsidenten Schäuble geleitet. Wir sollten eine solche ergebnisoffene Diskussion führen. Wir müssen aber im Blick haben, dass die Parität nur im Sinn unserer Demokratie umsetzbar sein kann.

Entscheidend für den Wähler oder die Wählerin ist doch, dass die Frau oder der Mann, die Kandidatin oder der Kandidat glaubhaft ist. Es ist doch entscheidend für den Wähler oder die Wählerin, Vertrauen in die Person zu haben, die kandidiert, und ob der Kandidat oder die Kandidatin den Menschen zuhört, die Anliegen ernst nimmt und letztendlich umsetzt, also Politik gestaltet. Wird das durch eine abwechselnde Reihenfolge gewährleistet oder durch einen zweiten Direktkandidaten oder eine Direktkandidatin, die daneben stehen? Meine Damen und Herren, das sind Fragen, die für mich nicht beantwortet werden.

Wenn ich das weiterdenke und in die Runde schaue, so hat jede oder jeder von uns ein eigenes Profil, eigene Verwurzelungen in der Gesellschaft und ein eigenes Charisma, das die Wähler überzeugt. Das alles wird eigentlich infrage gestellt, indem ich sage, die Reihenfolge ist entscheidend und nicht das, was die Person mitbringt.

Es ist für mich zu kurz gesprungen, wenn ich Parität nur für Parlamente ins Auge fasse. Ich möchte Parität in der gesamten Politik. Wie gehen wir um zum Beispiel mit Bürgermeisterwahlen? Wir haben die Direktwahl bei den Bürgermeistern! Gerade bei den Rathäusern - so ist in dieser Woche gesagt worden ist die Repräsentanz bundesweit unter 10 Prozent, wo Frauen in den Chefsesseln sitzen. Es ist wichtig, dort anzusetzen und Parität herzustellen. Aber dazu, dort Parität umzusetzen, gibt es keine Vorschläge, so erscheint es mir. Und wenn, dann muss man das meines Erachtens gemeinsam machen.

Was wir brauchen, sind genügend Frauen wie auch Männer, die sich für die Politik und die politische Arbeit interessieren und unser Miteinander gestalten wollen. Das wissen wir alle. Sie fallen nicht ein paar Wochen vor den Listenaufstellungen vom Himmel. Das ist natürlich eine Herausforderung, die wir alle haben. Ich gewinne diese Kandidatinnen und Kandidaten für unsere Listen oder für Direktmandate nur, wenn ich an 365 Tagen im Jahr mit ihnen gemeinsam Politik gestalte.

Meine Damen und Herren, das sind Gedanken, die heute Morgen in der Aussprache zur Regierungserklärung angeklungen sind, als wir über den Saarland-Pakt gesprochen haben. Genau diese Gedanken haben sich darin widergespiegelt, wie ich Menschen dafür interessieren kann, dass sie Kommunalpolitik oder andere Politik gestalten wollen. Man muss interessante Politik machen. Man muss ihnen Möglichkeiten geben, gestalten zu können. Das können wir nur gemeinsam tun.

Ich glaube, man muss nicht überall zwingend alle Verbände und alle Vorstände mit Doppelspitzen besetzen. Aber ich kann Ausschüsse und Fachgremien paritätisch besetzen. Wir machen das in der CDU.

(Abg. Heib (CDU) )

Auf der Ebene der Bundesfachausschüsse geschieht das. Aber wir sollten das herunterbrechen. Wir müssen das bis in die kleinsten Gliederungen aufnehmen und sie gleichmäßig mit Männern und Frauen besetzen. Dadurch gewinnen wir neue Perspektiven, Impulse und Chancen. Insbesondere Frauen gebe ich damit neue Chancen, sich politisch zu betätigen und die politische Arbeit kennenzulernen und sie in anderen Gremien umzusetzen.

Ich gewinne die Menschen aber auch, wenn ich die richtigen Rahmenbedingungen habe, damit Beruf und Mandat, Familie und Mandat, Freizeit und Mandat vereinbar sind. Da müssen wir ran. Wir müssen familienverträgliche Sitzungszeiten einführen. Auch die Sitzungsdauer muss uns ein Wink sein. Ausnahmen sollen möglich sein, aber die Regel darf es nicht sein. Ich muss Bedarfe ermitteln. Wo sind Betreuungen notwendig? Wenn ich eine Klausurtagung habe, muss ich nicht nur überlegen, ob das Haus genug Parkplätze hat, sondern auch, ob es ein Spielzimmer gibt, ob man Kinder mitbringen kann. Dieses Denken brauchen wir. Wenn die Politik gemeinsam mit den Frauen und Männern gleichermaßen gestaltet wird, bin ich mir sicher, finden wir auch genügend Kandidatinnen und Kandidaten.

Ich mache das. Wo ich das gestalten kann, setze ich das um, und ich muss sagen, es gelingt mir auch. Manchmal ist mir auch lieber - wir befinden uns ja alle gerade in den Vorbereitungen zu den Kommunalwahlen -, dass ich auch einmal Vorschläge machen kann, wo ich zwei Frauen oder auch zwei Männer hintereinander auf Listen setze. Das gibt einen Spielraum, der immerhin auch Gestaltungsmöglichkeiten gibt.

Es liegt an uns allen, den Parteien, den Vereinen, den Verbänden, mehr Frauen für gesellschaftliches und politisches Engagement zu begeistern. Mit uns Kolleginnen hat das ja auch funktioniert. Von daher sage ich „Weiter so“ - auch und gerade an die Kollegen -, die Parteien sollten weiter so arbeiten. Wenn wir dann einmal auf einen Kollegen stoßen, den man nicht so bewegen kann, schlage ich vor, ihn zu der Kampagne HeForShe von der Frauenvereinigung der Vereinten Nationen zu schicken. Dort gibt es zum Beispiel einen Herrn Robert Franken, der ist im Alltag Unternehmensberater. Er ist einer von vier ehrenamtlichen Botschaftern dieser Solidaritätskampagne in Deutschland. Ich darf ihn einmal zitieren, er sagt: Männer und Jungen spielen eine wichtige Rolle dabei, bestehende Strukturen und Geschlechterrollen infrage zu stellen, denn nur im Schulterschluss mit den Frauen können wir eine gerechte Zukunft gestalten und Veränderungen voranbringen. Wir alle müssen uns für die Gleichstellung und die Beendigung aller Formen von Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen und Mädchen einsetzen. Jeder Mensch hat in seinem oder ihrem unmittelba

ren Umfeld die Möglichkeit, etwas zur Chancengleichheit beizutragen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Frauen weniger Geld verdienen als Männer. Da sage ich nur: Auf, schließen wir uns dieser Kampagne an!

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Frau zitieren, die in den letzten Tagen über sich selbst sagte: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden.“ Das war unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die diesen Spruch in Berlin zur Feier zu 100 Jahre Frauenwahlrecht geäußert hat. Das war vor zwei Tagen. Ich möchte sie auch noch in einem anderen Fall zitieren, sie ist nämlich davon überzeugt, um die Gleichberechtigung voranzubringen, müsse man Frauen und Männer gleichermaßen im Blick behalten. Das sehe ich genauso. Sie sagte: „Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, dass Männer und Frauen Erwerbs-, Erziehungs- und Hausarbeit gleichberechtigt aufteilen und niemand aufgrund seines Geschlechts in eine bestimmte Rolle oder Aufgabenverteilung gedrängt wird.“ Den Wunsch teile ich ebenfalls seit Jahren. Ich wünsche mir auch, dass Frauen, wenn sie wollen, in allen Bereichen der Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Ich denke, es ist wichtig, sie hat sich auch für die Parität ausgesprochen, um das zu erreichen.

Meine Herren und Damen, am 12.11.1918 wurde den Frauen das gegeben, was ihnen zu Unrecht bis dahin vorenthalten worden war. Da hatte Marie Juchacz völlig Recht mit dieser Äußerung, die sie in der konstituierenden Sitzung damals brachte: Es ist müßig, ob es jetzt fünf vor zwölf ist oder ob es fünf nach zwölf ist in der Frage, wie wir weiterkommen in der Gleichberechtigung und Parität. - Ich habe einige Anhaltspunkte gegeben. Ich denke, wenn wir uns alle gemeinsam, Frauen wie Männer, daranmachen und das umsetzen, dann können wir das auch ohne gesetzliche Regelung erreichen. Aber ich sage auch eines: Wenn wir es nicht schaffen - wir alle haben es in der Hand -, dann kommen wir irgendwann an gesetzlichen Regelungen nicht vorbei. Und dann hoffe ich, dass wir gute gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Danke für die Begründung des Antrages. - Ich rufe auf für die DIE LINKE-Landtagsfraktion Frau Abgeordnete Barbara Spaniol.

Herr Präsident! Liebe Kollegin Heib! Ja, meine Herren und Damen, so hat sie ihre Rede begonnen, die Marie Juchacz, als erste Frau der Weimarer Nationalversammlung am 19.02.1919. Die ungewöhnliche Anrede löste laut Protokoll Heiterkeit im Hohen

(Abg. Heib (CDU) )

Hause aus. Das ist klar. Danach war aber doch eher eine ernstere Stimmung, denn sie sagte, es sei das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf. Weiter sagte sie ganz selbstbewusst, die Frauen seien der Regierung keinen Dank schuldig. Was diese Regierung getan hat, war eine Selbstverständlichkeit, sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. Marie Juchhaz meinte damit das Wahlrecht.

Meine Damen und Herren, diese Rede von ihr bringt es auf den Punkt, und das alles ist jetzt fast 100 Jahre her. Das Frauenwahlrecht ist letzten Endes auch das Ergebnis eines breiten Bündnisses von Frauen, und zwar von Bürgerlichen, von Proletarierinnen und Sozialistinnen. Alle gingen gemeinsam auf die Straße und haben hart für das Ziel gekämpft, nämlich endlich das Wahlrecht für Frauen durchzusetzen. Das war auch kein Privileg, den Frauen wurden ihre Rechte als Staatsbürgerinnen nicht geschenkt. Sie haben dafür gekämpft, endlos lange Jahre. Sie haben damit auch neue Weichen mit Blick auf die moderne Demokratie gestellt. Staaten, die generell Frauen von der Macht ausschließen, gelten heutzutage nicht als Demokratien, und das ist gut so.

Ein Fazit erlaube ich mir zu ziehen: Politische Errungenschaften, politische Ziele umzusetzen im Sinne der betroffenen Menschen, das hat immer viel mit kämpfen und mit politischem Druck von der Straße aus zu tun. Aber nach 100 Jahren stellen wir doch ernüchtert fest, dass der Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter, um gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen noch lange nicht vorbei ist. Und wenn sich aktuelle Trends fortsetzen, so eine relativ neue Studie des Weltwirtschaftsforums zum Gendergap, zur Geschlechterlücke, dann dauert das global nochmals 100 Jahre, bis dieser Weg gegangen ist. Das wollen wir nicht zulassen, wir wollen alles daran setzen, dass es nicht so lange dauert, aber es ist eben sehr schwierig, wir wissen das alle.

Meine Damen und Herren, noch einmal der Blick zurück zu den Heldinnen der Revolution. Die werden aus meiner Sicht viel zu oft vergessen. Ich finde, die Kämpferinnen für Frauenrechte gehören mehr als bisher in den Mittelpunkt der Lehrpläne, in den Mittelpunkt der Dokumentationen, der Literatur, damit endlich in allen Köpfen, vor allen den männlichen, ankommt, wofür die gestritten haben.

(Beifall von der LINKEN und den Regierungsfrak- tionen.)

Es bedarf leider immer wieder dieser Aufklärung, das spüren wir immer wieder. Die MeToo-Debatte zeigt auch, dass 100 Jahre später Frauen oft immer noch - auch latent - unterdrückt und bevormundet

werden, in vielen Bereichen quer durch die Gesellschaft. Es ist alles ein Kampf mit Rückschlägen, auch wenn wir in die Parlamente hineinschauen. Seit 1919 gab es wohl kein einziges Parlament, in dem Frauen gleichberechtigt vertreten waren oder es heute sind. Im Bundestag ist der Frauenanteil aktuell auf rund 31 Prozent zurückgegangen, das entspricht dem Stand von 1998. Und auch hier in unserem Parlament ist das ähnlich, nur noch rund 35 Prozent im Hohen Hause sind Frauen. Das war schon einmal viel besser. Aus meiner Sicht - das kann ich mir jetzt nicht verkneifen - hat das auch einen Grund. Bei der AfD ist das wie bei einigen anderen ehemaligen Fraktionen hier im Hause: keine Frauen ins Parlament, das ist Männerdomäne. Frauen in der Mitarbeiterriege, das geht.

Aber, meine Damen und Herren, es geht hier um einen ganz entscheidenden Punkt, nämlich um das formale Recht, sich als Kandidatin aufstellen zu lassen. Das spielt auch eine große Rolle, wenn wir über Frauenwahlrecht diskutieren. Dieses formale Recht klingt zwar gut, nutzt aber oft wenig, vor allem ohne Mehrheiten im politischen Geschäft. Ein typischer Fall - das darf ich vielleicht so nennen, mit einem gewissen Augenzwinkern -: Gewinnt ein Mann einen aussichtsreichen Platz bei einer Listenaufstellung zum Parlament, dann heißt es, der war einfach stark, an dem kam niemand vorbei, er ist so kompetent, er war so gut. Erringt eine Frau einen exponierten Platz, dann wird oft schon relativiert. Wie konnte das passieren? Oder: Wer war der Mann im Hintergrund? Sie kennen alle diese Fragen und das soll auch nur ein überspitztes Beispiel für manche Schere im Kopf sein, wenn Kandidatinnen und Kandidaten gewählt werden.

Ich will damit sagen: Der Zugang zur politischen Arena ist für Frauen immer noch sehr schwer. Auf Freiwilligkeit zu hoffen, ist hier fast schon naiv. Abhilfe kann eigentlich nur - der Meinung bin ich wirklich - ein paritätisches Wahlrecht schaffen, also die Verpflichtung der Parteien, Wahllisten mit Frauen und Männern gleich zu besetzen, wie das die Kollegin Heib eben am Beispiel des Parité-Gesetzes in Frankreich skizziert hat. Das ist umstritten, wird heiß diskutiert, schwarz-weiß mit Für und Wider. Wir kennen das alles. Wir haben das hier in den Räumen des Hauses schon mehrmals und immer sehr engagiert diskutiert, auch vor der letzten Landtagswahl, aber wir Frauen waren dabei unter uns. Das ist klar. Wenn man sich aber die Entwicklung in Frankreich genau anschaut, muss man sagen, dass der Anteil der Frauen in den dortigen Kommunalparlamenten dadurch - quasi per Gesetz - enorm angestiegen ist. Es ist also umsetzbar. Es funktioniert. Es lohnt sich auf jeden Fall, darüber zu diskutieren.

Wagen wir mal einen Ausblick. Wären vielleicht nicht mit einem höheren Frauenanteil in den Parlamenten

(Abg. Spaniol (DIE LINKE) )

politische Forderungen für Frauen - wie in dem vorliegenden Antrag richtig formuliert - schneller umgesetzt, damit eine echte Gleichstellung schneller erreicht werden kann? Wie gesagt, ich wage diesen Ausblick. Ungleiche Löhne für gleiche und gleichwertige Arbeit etwa - diese Ungleichheit wäre vielleicht schneller vom Tisch. Niedriglohnarbeit, Kindererziehungszeiten und Pflege wären vielleicht eher aufgewertet. Eine echte Frauenquote in Führungspositionen in der Privatwirtschaft wäre vielleicht eher selbstverständlich.

Blicken wir auf unser LGG. Wir haben es gemeinsam sehr engagiert weiterentwickelt. Aber wir wissen auch, dass die Umsetzung mit Blick auf Leitungspositionen in unserer Landesverwaltung oft hinterherhinkt. Vielleicht wäre das mit einem ParitéGesetz und einem höheren Frauenanteil hier im Parlament schneller umgesetzt. Das ist jedenfalls ein interessanter Ausblick. So will ich es heute einmal stehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist völlig klar, worum es wirklich geht. Das Ziel muss Parität sein, und zwar in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Verwaltung.

Zum Schluss noch etwas zu den Veranstaltungen. Die Kollegin Heib hat eben auch eine zu Recht lobend erwähnt. Die Veranstaltung zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ hier im Hohen Hause vor ein paar Tagen - wir waren da gemeinsam im Orgateam war eine sehr gelungene Veranstaltung mit der großartigen Alice Hoffmann und vielen Frauen, Multiplikatorinnen und Frauenbeauftragten, die im Namen unseres Landtagspräsidenten Stephan Toscani von unserer Landtagsverwaltung organisiert wurde. So sollte es sein, ein angemessener Rahmen.

Auch die Veranstaltung zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“, die am Sonntag in der Alten Feuerwache mit der Schauspielerin und Sängerin Dagmar Manzel gefeiert wurde, war wunderbar. Kompliment an Ihr Haus, Frau Ministerin!

(Zuruf.)

Ich habe Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versprochen, dass ich das hier sage. Es war wirklich klasse. So soll es sein. Das ist eigentlich ein kollektives Kompliment an alle engagierten Frauen. Lassen Sie uns so weitermachen! - Vielen Dank.

(Ministerin Bachmann: Danke schön.)

Ich rufe für die SPD-Landtagsfraktion Frau Kollegin Martina Holzner auf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Frau Ende 30, verheiratet mit Kind, inter

essiert sich für ein politisches Amt. Normal? Gibt es nicht immer noch Vorurteile? Sprüche wie „Oh je, hoffentlich kann die das mit Kind!“ oder „Weißt du eigentlich, was du dir da antust?“ oder - auch sehr schön - „Wird dir dann auch noch Mittagessen gekocht?“ Weit hergeholt? Nein. Mir selbst ist das passiert. Natürlich ist es nicht einfach, aber Hand aufs Herz: Können wir Frauen das nicht mindestens genauso gut wie unsere männlichen Kollegen? Ich glaube es nicht nur, ich weiß es mittlerweile. Ja, das können wir. Ich ermuntere alle Frauen, den Schritt in die Politik zu machen und sich für ihren Ort, ihre Stadt, ihr Land und die Belange der Menschen einzusetzen.