Herr Kollege Hinschberger, wenn Sie mich schon herausfordern, in theologische Debatten einzusteigen, dann nehme ich das gerne an. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass das alttestamentarische Gebot „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ein Prohibitivgebot war, das dafür Sorge tragen sollte, dass man dem anderen nicht mehr als ein Auge und nicht mehr als einen Zahn auszuschlagen habe? Das ist im Neuen Testament überwunden worden durch das Gebot der Nächstenliebe, das Jesus verkündet hat.
Ich bin in einem evangelischen Pfarrhaus groß geworden, von daher können Sie mir glauben: Rache ist mir sehr fremd. Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
Ich möchte aber hinzufügen: Immerhin gibt es ein Höchstgebot der Besteuerung, das sollten wir auch beachten. Vielleicht müssen wir in diesem Zusam
menhang auch einmal über Steuersätze reden. Das können wir gerne tun. Nach heutigem Erkenntnisstand ist keiner der Betroffenen mit Sicherheit auf einer der CDs genannt. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen.
Glauben Sie, auch nur einer der Betroffenen, die jetzt eine Selbstanzeige erstattet haben, hätte in dem Bewusstsein eines Strafverfahrens diesen Weg gewählt, der nach Schätzungen der Landesfinanzverwaltung dem Fiskus mindestens 15 Millionen Euro einbringen wird? Im Übrigen gehen viele europäischen Länder ähnliche Wege, die den Betroffenen den Weg zurück in die Steuerehrlichkeit leicht machen. Dies ist auch ganz im Sinne unseres Strafrechts, das auch in anderen Bereichen, zum Beispiel beim strafbefreienden Rücktritt von einer Tat, versucht, dem Täter eine Brücke zurück in die Legalität zu bauen. Diese Brücke wollen Sie nun einreißen. Wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, soll es auch dort bleiben. Das ist eine Wertung, die dem Gedanken unseres Strafrechtssystems zuwiderläuft.
Ein Weiteres sollten Sie auch bedenken: Man sollte eine Krankheit immer möglichst in ihren Ursachen bekämpfen und nicht erst bei den Symptomen ansetzen. Der eigentliche Patient ist unser unnötig komplexes, viel zu umfangreiches und undurchsichtiges Steuersystem. Seien Sie doch mal ehrlich: Da blickt doch kein normaler Bürger mehr durch! Ein stark vereinfachtes dreistufiges Steuersystem, das nicht ständig geändert wird, wäre sicherlich geeignet, die Zahl der Steuerhinterzieher weiter herunterzuschrauben. Die Frage einer Selbstanzeige, ob strafbewehrt oder straffrei, stellt sich dann in den meisten Fällen gar nicht mehr. Im Übrigen würde man dadurch auch gleichzeitig die enorme Zahl der Schwarzarbeiter reduzieren, die ebenfalls einen beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden für unseren Staat anrichten. Die Schwarzarbeit ist letztlich das Schweizer Bankkonto des kleinen Mannes. Ich fordere Sie daher auf, sich von Ihrem Vergeltungsgedanken zu lösen, und werde Ihnen dazu mit Erlaubnis des Präsidenten zwei Zitate vortragen, die Sie anregen sollen Ihre Positionen zu überdenken. Der Franziskanerpater Peter Amendt lehrt uns: „Verzeihung ist das Geschenk, neu beginnen zu dürfen.“ Und Erhard Blanck, der deutsche Schriftsteller und Maler sagt: „Verzeihen ist auch Verzicht auf Rachegedanken.“ In diesem Sinne werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir GRÜNE waren immer für eine verstärkte Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Und dennoch ist bei diesem Thema, bei dem es auch um Straffreiheit geht, unsere Position auch bundesweit nicht ganz einheitlich. Sie ist aber einheitlicher, als dies in anderen Parteien der Fall ist. Wir haben zum einen die Position, dass die Straffreiheit abgeschafft werden muss - dies ist auch im Sinne dieses Antrages - und dass bei den Selbstanzeigen für Steuerhinterziehung die üblichen Regeln im Strafrecht für Selbstanzeigen anzuwenden sind. Wir haben andererseits aber auch die Position, die besagt, dass man die Betragsgrenzen neu fixieren muss, und das ist teilweise auch im Antrag der SPD enthalten, obwohl dort die untere Betragsgrenze nicht angesprochen wird, sondern nur die Höchstgrenze. Es gibt aber auch Stimmen, die sich dafür aussprechen, dass wir bei der derzeitigen Regelung bleiben sollten; schon allein aus fiskalischen Gründen und weil es erhebliche Mitnahmeeffekte gibt.
Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass schon ein geringer Anlass genügt, um eine richtige Welle von Selbstanzeigen auszulösen. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es sich - wenn wir über diese Fragestellung sprechen - um eine Gerechtigkeitsdebatte handelt. Es geht darum den Vergleich zu ziehen, wie wir mit anderen Straftaten umgehen und wie wir damit umgehen, wenn bei anderen Straftaten Selbstanzeigen gemacht werden. Steuerhinterziehung ist zu Recht eine Straftat. Ich glaube, dass es für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft unerlässlich ist, dass wir nicht den Eindruck erwecken, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt. Das ist auch Teil dieser Gerechtigkeitsdebatte. Wir sind aber nicht der Auffassung, wie das der Kollege Bierbaum vorhin gesagt hat, dass sich der Staat bei der Beschaffung dieser Steuer-CDs in einer Art Halbweltmilieu bewegt. Wir denken vielmehr, dass die Ermittlungsbehörden seit Jahrzehnten völlig legal zu diesen Mittel greifen. Und dazu gehört auch, dass für Informationen oder Beweise Geld angeboten wird, um Straftaten aufzuklären. Hier ist eine absolut differenzierte Betrachtung notwendig. Es ist ganz klar, dass bestimmte Wege bei der Beschaffung von Informationen nicht gegangen werden dürfen, weil dies ausnahmslos zur Unverwertbarkeit führen würde. Das ist aber bei dieser CD nicht der Fall. Hier sieht die Sache aus unserer Sicht vollkommen anders aus.
Wann erfolgen diese Selbstanzeigen? Das ist die Fragestellung, der wir uns zu stellen haben. Wie hoch ist bereits der Druck, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unmittelbar bevorsteht? Ist die Motivation bei diesen Selbstanzeigen der persönliche Wunsch, die eigenen Finanzen zu bereinigen? Geht es tatsächlich um einen Neustart unter
legalen Verhältnissen oder ist es der persönliche Vorteil, den man ziehen möchte, nachdem man alles ausgereizt hat bis zum Letzten und ein persönlich ganz genau berechnetes Risikokalkül eingeht? Dies wird quer durch die Parteien sehr unterschiedlich eingeschätzt. Und es ist keineswegs so, dass innerhalb der SPD hierzu eine klare Position vorherrschen würde und dass das, was im Antrag der SPD als Fakt beschrieben wird, von unterschiedlichen Einschätzungen wirklich frei wäre, dass nämlich der Weg, wie er jetzt gegangen wird, absolut grundfalsch ist, dass er von Naivität zeugt und dass hier Gerechtigkeit verhöhnt wird. Ich denke, so wie Sie das formuliert haben, ist das auch innerhalb ihrer eigenen Partei nicht ganz unumstritten.
Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil aus unserer Sicht eine gemeinsame Bundesratsinitiative nicht möglich ist. Wir haben dazu keine einheitliche Haltung - nicht einmal innerhalb unserer eigenen Partei. Wir haben aber auch unter den Koalitionspartnern innerhalb des Jamaika-Bündnisses keine einheitliche Haltung. Von daher werden wir diesem Antrag nicht zustimmen und ihn ablehnen, weil das, was Sie fordern, nämlich eine Bundesratsinitiative, aus unserer Sicht nicht möglich ist. Dabei geht es ganz klar nicht um die Bewertung von Steuerhinterziehung. Was vorhin hier noch einmal gesagt worden ist, als der Ministerpräsident und der Finanzminister zitiert worden sind, das sind Dinge, denen wir uns durchaus anschließen können. Die unterschiedlichen Bewertungen habe ich Ihnen dargelegt. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will bei dem jetzigen Debattenstand ein paar Überlegungen vorbringen, die ihren Ausgangspunkt in Gesprächen auf der Ebene der Finanzminister haben, und zwar parteiübergreifend in ganz unterschiedlichen politischen Zuordnungen. - Ich glaube, dass die jetzige Situation unzuträglich ist. Sie ist in zweifacher Hinsicht unzuträglich. Erstens. Die rechtlichen Grundlagen für den Ankauf solcher Informationen - Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Bierbaum - sind nicht klar. Zum Zweiten ist die Frage nicht überzeugend geregelt, wie wir damit umgehen, wenn wir wie in diesen Tagen massenhaft mit Selbstanzeigen konfrontiert sind. Beide Positionen rufen danach, bearbeitet zu werden. Jetzt muss man allerdings vorsichtig sein, und da beginnt das Problem auch in der Debatte. Eine Agitation aus der ganzen Angelegenheit zu machen, wäre verfehlt. Und das Kind mit dem Bade auszuschütten und in dem Zusammenhang sogar fiskalisches Interesse
Ich wurde genauso wie der Ministerpräsident in der Öffentlichkeit zitiert. Ich hatte am 22. Februar gesagt, ich wollte mich in der Finanzministerkonferenz dafür einsetzen, dass die bisherigen Regelungen überwunden werden. Ich habe dann gesagt - und so bin ich zitiert worden: „Strafnachlass bei Selbstanzeige solle nur noch im Rahmen dessen gewährt werden, was auch bei anderen Delikten rechtsstaatliche Praxis sei. Die derzeitige Welle der Selbstanzeigen beruhe wohl nicht auf Reue, sondern auf Angst vor Strafverfolgung (...). ‚Das pervertiert das System.’ Auch bei Sozialbetrug gebe es keine völlige Straffreiheit bei Selbstanzeige. ‚Hier tut sich eine krasse Gerechtigkeitslücke auf’ (...).“ Das habe ich selbst gesagt.
Ich will aber hinzufügen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meiner Steuerabteilung haben - und auch das hat mit parteipolitischer Zuordnung gar nichts zu tun - bei mir vorgesprochen und gesagt: Du musst dir darüber im Klaren sein, was das natürlich auch bedeutet mit Blick auf das, was Fiskal-Interesse des Staates ist und auf der Basis der jetzigen Regelung erfolgt. - Trotzdem ist der jetzige Zustand nicht überzeugend.
Noch einmal: Bitte nicht irgendeine Agitation in die Debatte bringen und bitte schon gar nicht den Eindruck erwecken, man würde sozusagen mit unterschiedlichem Gewissen agieren und operieren!
Bei der Gelegenheit will ich ein Weiteres sagen: Herr Kollege Bierbaum, Sie machen es einem auch schwer, wenn Sie die Frage erörtern, ob mehr Betriebsprüfer und mehr Außendienste gebraucht werden, und dabei nicht in Rechnung stellen, dass gerade wir im Saarland ein Paradebeispiel für einschlägige Verstärkungen sind. Wir haben eben diese Verstärkungen vorgenommen und das Ergebnis erreicht, einen Höchststand an Rückstandsquote zu einem historischen Tiefstand abgearbeitet zu haben. Indem Sie das nicht in Rechnung stellen, bekommt die Debatte eine Schieflage. Es fällt dann natürlich schwer, die Dinge hier zusammenzuführen.
Angesichts des aktuellen Sachstands ist zu sagen: Mit Schnellschüssen ist einer Lösung der Gesamtproblematik ganz offensichtlich nicht gedient. Will man die rechtlichen Konsequenzen allgemeinverbindlich regeln, so muss das ja in ganz Deutschland geschehen; das ist ja keine landespolitische Initiative.
Schon jetzt aber kann man sich Gedanken über die Terminologie machen, und diesbezüglich sind wir wieder alle gefordert. Ich las dieser Tage einen interessanten Artikel mit der Überschrift „Steuersünder
sind keine Sünder“: „Kein Mensch sagt ‚Urkundensünder’ über den, der Urkunden fälscht. Kein Mensch würde sich trauen, einen Kindsmissbraucher ‚Sexualsünder’ zu nennen. Und kein Mensch spricht von demjenigen, der klaut oder unterschlägt, als einem ‚Eigentumssünder’. Wer falsche eidesstattliche Versicherungen abgibt, ist kein ‚Wahrheitssünder’, sondern Straftäter. Und wer besoffen einen Menschen totfährt, ist kein Verkehrssünder, sondern der fahrlässigen Tötung schuldig. Nur derjenige, der Steuern hinterzieht, wird gern ‚Steuersünder’ genannt - so, als handele es sich um einen, der falsch geparkt hat oder zu schnell gefahren ist.“ Diesen Gedanken könnte man noch fortentwickeln. Das war der Ausgangspunkt des Ministerpräsidenten, das ist im Grunde auch mein und unser aller Ausgangspunkt: Unser Umgang mit der Thematik muss schon bei der Frage der Bewusstseinsbildung und bei der Sprache anfangen.
Nichtsdestotrotz bleibt es dabei: Nun dem Antrag der SPD zu folgen, das hieße, dem sachverständigen Einwand all derjenigen, die in Fragen der Steuerpolitik, in Fragen der Außenprüfung, in Fragen des Eintreibens unmittelbar Erfahrung gesammelt haben, nicht Rechnung zu tragen. Das Kind mit dem Bade auszuschütten, das kann auch nicht die Lösung bringen. Zur Wahrheit in dieser Debatte gehört die Feststellung, dass die aktuelle Situation nicht überzeugend ist, dass sie bearbeitet und verändert werden muss, dass es aber trotzdem um einen schwierigen Abwägungsprozess geht, der sich nicht dafür eignet, parteipolitisch instrumentalisiert zu werden. - Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrages Drucksache 14/116 ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/116 mit Stimmenmehrheit abgelehnt ist. Zugestimmt haben die SPD-Fraktion und die Fraktion DIE LINKE, abgelehnt haben die Fraktionen von CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche unsere Sitzung bis um 13.00 Uhr und wünsche allen einen guten Appetit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort und kommen zu den Punkten 8, 11 und 12 der Tagesordnung:
Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion, der FDP-Landtagsfraktion und der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Fördern und Fordern - Realitäts-, sach- und bedarfsgerechte Regelleistungen nach SGB II - Wichtiges Ziel bleibt, Menschen in Arbeit zu bringen (Drucksache 14/122)
Beschlussfassung über den von der SPDLandtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Arbeitsmarktpolitik absichern - Mittelsperren rückgängig machen (Drucksache 14/128)
Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Hartz 4 überwinden - Für eine bedarfsdeckende Mindestsicherung ohne Sanktionen - Armut trotz Arbeit verhindern (Druck- sache 14/129)
Zur Begründung des Antrages der Koalitionsfraktionen erteile ich Herrn Abgeordneten Hermann Scharf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09. Februar 2010 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, die Vorschriften zur Berechnung der Hartz-4-Regelsätze bis zum Ende des Jahres 2010 in einem transparenten und bedarfsgerecht angewandten Verfahren neu zu fassen. Für außergewöhnliche Bedarfssituationen wird zudem vom Bundesverfassungsgericht eine Härtefallregelung angemahnt, die sofort Gültigkeit hat. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet für alle an politisch verantwortlicher Stelle Tätigen, mit Bedacht und Augenmaß das Urteil zu analysieren und dann Veränderungen vorzunehmen, die der Intention der Verfassungsrichter und den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Sozialpolitik gerecht werden.
Was sich infolge dieses viel diskutierten Urteils in unserem Lande abgespielt hat, war alles andere als verantwortungsvolle Politik. Grenzenloser Populismus und Opportunismus durchzog die öffentlich zur Schau gestellten politischen Diskussionen. Anstatt sich mit dem Anliegen der Verfassungsrichter verantwortungsvoll auseinanderzusetzen, wurden öffentliche Diskriminierung und Diskreditierung Andersdenkender die Haupttriebfeder der oft mehr als unsachlichen Einlassungen. Damit kommen wir aber in der Sache keinen Schritt weiter. Ich fordere daher alle Parteien auf, sich sachlich und in Toleranz gegenüber Andersdenkenden mit diesem sehr wichti
gen Bereich der Sozialpolitik zu beschäftigen und Lösungen zu erarbeiten, die in ein Gesetz einmünden, das von allen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes nachvollzogen und getragen werden kann.
Unser Antrag wird diesen von mir formulierten Ansprüchen gerecht und ist ein wichtiger Meilenstein, der zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion beitragen kann und gleichzeitig Forderungen an die Bundesregierung und die Landesregierung beinhaltet.
Meine Damen und Herren, in der gebotenen Kürze möchte ich auf einige Aspekte der Thematik eingehen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Höhe der Regelsätze beanstandet, wohl aber deren Berechnungsgrundlage. Es wurden die Regelsätze in nicht verfassungsgemäßer Weise ermittelt. Insbesondere wurden sie nicht individuell genug für die jeweilige Situation von Familien mit Kindern berechnet. Um es nochmals unmissverständlich deutlich zu machen: Der Staat ist in der Pflicht, allen Bürgerinnen und Bürgern ein grundsätzliches Existenzminimum zu sichern. Dazu gehören ein fester Wohnsitz und die Sicherung existenzieller physischer Bedürfnisse. Auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zählt zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein. Das Urteil der Bundesverfassungsrichter bedeutet nicht, dass die Regelsätze zukünftig auf jeden Fall höher ausfallen. Sie sind aber verfassungskonform festzulegen, auch mit Blick auf das Lohnabstandsgebot.
Wie viel Geld zur Gewährleistung einer würdevollen menschlichen Existenz im Einzelnen benötigt wird, muss vom Gesetzgeber durch die Festlegung der Regelsatzhöhe ermittelt werden, wobei das Gericht dazu keine Vorgaben und Entscheidungshilfen liefert. Es würde nur dann tätig werden, wenn die Regelsätze evident zu niedrig sind oder wenn der Gesetzgeber eine untaugliche Berechnungsmethode gewählt hat oder wenn eine Methode, die grundsätzlich zwar geeignet ist, intransparent und fehlerhaft angewandt wurde. Genau auf diesen Punkt beruft sich das Karlsruher Urteil.
Unzulässig ist in den Augen der Verfassungsrichter auf besonders drastische Weise die Berechnung der Regelsätze für Kinder auf der Grundlage des Erwachsenensatzes. Kinder sind keine Erwachsene in Prozent, lautet die Aussage des Bundesverfassungsgerichts. Es sei eine freihändige Schätzung, wenn die Kinderregelsätze durch Bezifferung eines prozentualen Abschlages ermittelt würden. Niemand hatte genau berechnet, wie hoch die Kosten für Essen, Trinken, Kleider, Schuhe und Schulbedarf für die Kinder tatsächlich sind. Die Richter sprechen in diesem Kontext von einem Ermittlungsausfall. Be
Die Regelleistungen für Kinder müssen daher auf der Basis von Ermittlungen zum kinderspezifischen Bedarf eigenständig berechnet werden. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, was für die optimale Persönlichkeitsentfaltung des Kindes erforderlich ist. Gerade in Familien, die auf Leistungen des SBG II angewiesen sind, muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen ebenfalls eine Chance auf soziale Teilhabe und Vorankommen haben. Es muss gewährleistet sein, dass die betroffenen Kinder am gesellschaftlichen Leben und an den Bildungsangeboten so teilhaben können, dass sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Interessen eine qualifizierte Bildung absolvieren können. Sie dürfen keinesfalls gegenüber Kindern aus Familien, die keine Leistungen aus SBG II beziehen, benachteiligt werden.