Protocol of the Session on September 22, 2017

Das sind keine schlimmen Orte, die nicht lebenswert sind. Ich selber habe meine Schulzeit dort sehr gern verbracht.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW])

- Ja. Ich habe erlebt, dass Schule dort auch Spaß macht, man eine Gemeinschaft entwickelt und die vermeintlichen Schwächen dieser Quartiere oft auch Stärken sind.

Wir als Politik stehen vor der Herausforderung, diese Bereiche zu unterstützen, das heißt, dort, wo es Schwächen gibt, zum Beispiel bei Kinderarmut, Konzepte zu entwickeln, um das zu überwinden.

Da ist der Bildungsbonus, den wir in der JamaikaKoalition vereinbart haben, ein Element. Ich sage bewusst: ein Element. Man kann auch über andere Maßnahmen sprechen. „Kein Kind ohne Mahlzeit“ ist zum Beispiel so eine Maßnahme.

Wir diskutieren dieses Thema heute zum ersten Mal im Landtag. Wir bitten die Landesregierung darum, ein Konzept zu erstellen.

Der Antrag der AfD greift aus meiner Sicht zu kurz, weil er nur eine Erhöhung der Personalausstattung fordert.

(Jörg Nobis [AfD]: Das haben wir uns nicht anders gedacht!)

Ich glaube, da braucht man am Ende mehr Maßnahmen.

Ich freue mich, dass wir wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte 2018 über ein Konzept diskutieren werden. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Ines Strehlau.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp einem Jahr hatten wir Cordula Heckmann, die Schulleiterin der Berliner Rütli-Schule, im Rahmen unserer „plietsch!“-Veranstaltunsreihe hier im Plenarsaal zu Gast. Sie erinnern sich vielleicht: Vor rund zehn Jahren hatte ein Brandbrief des Kollegiums der Rütli-Schule für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. Das Kollegium hatte sich damals mit einem Hilferuf an den Berliner Senat gewandt, weil sie die Gewalt an ihrer Schule nicht mehr in den Griff bekommen haben.

Seit dem Brandbrief ist viel passiert, und die RütliSchule hat sich zu einer echten Vorzeigeschule entwickelt: durch viel Engagement des Kollegiums, aber auch, weil der Berliner Senat beschlossen hat, Ungleiches ungleich zu behandeln und Schulen in Sozialräumen mit besonderen Herausforderungen besonders zu unterstützen. Die Frage, wie wir Schulen an prekären Standorten unterstützen können, beschäftigt uns Grüne also schon länger und nicht erst seit der Berichterstattung der „Kieler Nachrichten“ über die ,,Schulen am Wind“.

Wir haben vor der Landtagswahl verschiedene Runden hierzu gedreht, die Forderung in unser Landtagswahlprogramm aufgenommen und uns in den Koalitionsverhandlungen mit unseren Regierungspartnern darauf verständigt, dass wir Schulen an prekären Standorten mit einem sogenannten Bildungsbonus besonders unterstützen wollen.

Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob, sondern wie wir diese Schulen gezielt fördern können. So ganz einfach, wie es sich die AfD-Fraktion vorstellt, geht es leider nicht. Die AfD-Fraktion möchte den Klassenteiler an den Brennpunktschulen auf 18 Schülerinnen und Schüler reduzieren.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Das ist ein Punkt!)

Das klingt für den Laien erst einmal plausibel, erfordert aber nicht nur vergleichsweise viele Lehrerstellen, sondern ist auch nicht wirksam. Das ist das Entscheidende.

(Jörg Nobis [AfD]: Sie haben uns doch bil- dungsmäßig abgewirtschaftet!)

Bei wenigen bildungspolitischen Fragestellungen ist die wissenschaftliche Grundlage so eindeutig

wie in der Frage des Einflusses der Klassengröße auf Schülerleistungen. Wir werden den Antrag der AfD deshalb ablehnen.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Jörg Nobis [AfD]: Das haben wir uns gedacht!)

Die Frage, wie Brennpunktschulen gezielt unterstützt werden können, ist komplexer. Damit der Bildungsbonus nicht verpufft, bedarf es einer gründlichen Vorbereitung. Wir bitten die Landesregierung deshalb, uns ein Konzept zur Umsetzung des Bildungsbonus vorzulegen. Dabei sind in meinen Augen vor allem drei Fragen zu klären.

Erstens: Mit welchen Indikatoren können die Schulen, die den größten Bedarf für das Unterstützungssystem haben, am besten identifiziert werden?

Zweitens: Welche Unterstützungsmaßnahmen sind für diese Schulen am wirkungsvollsten?

Drittens: Wie können wir dafür sorgen, dass die Schulen mit Bildungsbonus positiv gelabelt und nicht negativ stigmatisiert werden?

Wir haben unter anderem mit der Christian-Albrechts-Universität, dem IQSH und den Verbänden kompetente Ansprechpartner zur Beantwortung dieser Fragen. Es lohnt sich auch der Blick über die Landesgrenze. Hamburg benutzt bereits seit 2005 die amtlichen Sozialraumdaten, um die Personalressourcen gezielt zu verteilen.

Auch die betroffenen Schulen selbst werden sicherlich gute Hinweise geben können - wie die Schulleiter, die sich jetzt im Verein ,,Schulen am Wind“ zusammengeschlossen haben. Ich werde mich, wie sicherlich auch andere von Ihnen, demnächst mit dem Verein treffen.

Ansonsten bin ich auf das Konzept der Landesregierung gespannt.

Ich bitte zum Zustimmung zu unserem Antrag und um Überweisung des SPD-Antrages an den Bildungsausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Für die FDP-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Jahren bürdet die Politik unseren Schulen und Lehrkräften zunehmend Erziehungsund Sozialisationsaufgaben auf, anstatt Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich Lehrkräfte auf ihre eigentliche Aufgabe, die Wissensvermittlung, konzentrieren können.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Wir diskutieren diese Problematik seit Langem. Inklusion mit ihrer Vielfalt erfordert besonderes Detailwissen und stellt für die Regelschullehrkräfte eine besondere Herausforderung dar. Auch die aktuelle Integration von Flüchtlingskindern ist keine leichte Aufgabe. Das ist uns allen aus Gesprächen mit Eltern, Lehrern und Schülern bekannt. Uns ist auch bekannt, dass die Zahl der Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten zunimmt.

Ich erinnere daran, dass wir Anfang des Jahres im Bildungsausschuss sehr intensiv über Gewalteskalation an einer Neumünsteraner Schule diskutiert haben. Wir mussten damals leider feststellen, dass es ein Problem mit der Meldung von Gewalttaten und Delikten gibt. Auch weitere Deliktfelder wie Drogenmissbrauch und Mobbing ziehen sich durch alle Schularten und betreffen alle gesellschaftlichen Schichten.

An dieser Stelle hilft ehrlicherweise nur eine Nulltoleranzpolitik und konsequentes Handeln der Schulen. Das bedeutet aber auch, dass die Präventionsarbeit an den Schulen in Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern, der Polizei und den Justizbehörden besser werden muss.

Erkennbar ist leider ein Fokus bei den Gemeinschaftsschulen, aber auch bei den beruflichen Schulen. Erfolgreiche Prävention beginnt nun einmal in der Grundschule. Mit diesen Überlegungen sind wir in den Koalitionsverhandlungen zu unserem Text gekommen.

Um dieses Problem zu lösen, gibt es leider keinen Königsweg und kein Allheilmittel. Stattdessen müssen wir an verschiedenen Schrauben drehen. Ob wir es wie die AfD Sozialfaktor nennen, oder wie die SPD Sozialindex, oder wie wir Bildungsbonus: Im Kern geht es darum, das gleiche Problem zu lösen.

(Beifall AfD)

Ein wichtiges Instrument ist dabei die Verbesserung der Schulsozialarbeit. Hier möchte ich daran

erinnern, dass es die schwarz-gelbe Koalition 2009 bis 2012 war, die dafür erstmalig Landesmittel zur Verfügung gestellt hat.

(Beifall FDP - Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Schulsozialarbeit hat eine wichtige Funktion im Bereich von Krisenbewältigung und Prävention. Es ist nur richtig und konsequent, dass das Land die Kommunen in diesem wichtigen Bereich weiterhin unterstützt. Das wäre im Übrigen auch eindeutig ein Feld, bei dem das Land von der angestrebten Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern profitieren könnte.

(Beifall Martin Habersaat [SPD])

Außerdem könnte die Schulsozialarbeit sehr gut aus dem Europäischen Sozialfonds Unterstützung erfahren - wir werden uns das ansehen.

Die Koalition schlägt vor, ein umfassendes wissenschaftliches Konzept zu erarbeiten, wie Schulen mit besonderen Herausforderungen unterstützt werden können. Wie gesagt: Die Schulsozialarbeit spielt eine wichtige Rolle. Die Koalition hat sich aber richtigerweise auch vorgenommen, die vorhandenen Unterstützungssysteme auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu ordnen. Hier brauchen wir bessere Qualitätsstandards und neue Ansatzpunkte. Wir brauchen nicht immer noch etwas Neues on top, und für mich gehört, ehrlich gesagt, die Schulassistenz dazu.

(Beifall Dr. Frank Brodehl [AfD])

Für uns Liberale gehört aber auch die Stärkung der Förderzentren dazu, die wir als starke eigenständige Schulform brauchen. Es wäre zu prüfen, inwieweit wir mit Poolstunden an diesen Schulen weiter unterstützen können. Auch das haben wir uns vorgenommen.

Wir müssen uns darüber unterhalten, ob Schulen durch gesonderte Personalzuweisungen gestärkt werden können. Das ist keine einfache Entscheidung, da wir immer noch keine 100-prozentige Unterrichtsversorgung haben. Es ist in der Tat schwierig, einer Schule etwas wegzunehmen, um es einer anderen zu geben. Jetzt mal so eben eine aus dem Ärmel geschüttelte Klassengröße festzusetzen, ist ohne wirkliche Konzepte sehr schwierig.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Das kam von den Schulleitern!)