Protocol of the Session on June 17, 2020

Es geht um nichts weniger - Frau Sütterlin-Waack hat darauf hingewiesen - als um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, vereinzelt CDU und Beifall Lars Harms [SSW])

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Christopher Vogt das Wort.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Koch! Wenn Liberale, Konservative und Grüne sich gemeinsam auf den Weg machen, um eine Polizeirechtsreform anzustoßen, darf man mit Recht gespannt sein, was dabei herauskommt - übrigens nicht nur als Beobachter, sondern auch als Beteiligter.

Es war nie ein Geheimnis, dass die Ansichten und Ansätze der drei Koalitionspartner ziemlich unterschiedlich gelagert sind. Für meine Partei gilt bei der inneren Sicherheit seit jeher das Credo: Freiheit braucht auch Sicherheit. Aber nicht in der fortwährenden Verschärfung von Gesetzen liegt der entscheidende Schlüssel zu mehr Sicherheit, sondern in der effektiven Durchsetzung des geltenden Rechts.

(Beifall FDP)

Dieser Prämisse folgend hat sich die Jamaika-Koalition in der ersten Hälfte dieser Wahlperiode zunächst umfangreich um die Polizei selbst und nicht sofort um das Polizeirecht gekümmert. Die wichtigsten drei Punkte dabei waren: die Schaffung von mehr Stellen für die Polizei - das ist nicht selbstverständlich, wie wir in den vergangenen Jahren gesehen haben - und die Besetzung mit geeigneten Persönlichkeiten, eine bessere Ausstattung für unsere Polizei in materieller Hinsicht und das Verbleiben der Polizei mit Stationen im ländlichen Raum. Es ist eben mehr als nur ein Signal, wenn der Sheriff vor Ort weiterhin bekannt ist und sich dort auskennt und wenn sich der Rechtsstaat ausdrücklich nicht aus der Fläche zurückzieht, auch wenn die Hotspots der Kriminalitätsstatistik in der Regel woanders liegen. Die Landespolizei hat zudem viele Großeinsätze zu bewältigen, wofür man ebenfalls mehr Personal und eine bessere Ausstattung benötigt. Deshalb war diese Schrittfolge der richtige Weg in dieser Wahlperiode.

(Beifall FDP, Tim Brockmann [CDU] und Tobias Koch [CDU])

Wir haben es schon angedeutet bekommen: Es gibt viele Ideen, wie man unsere Sicherheitsgesetze immer weiter verschärfen könnte. Uns geht es aber nicht um die Überwachung unbescholtener Bürger, wir wollen eine effektive Bekämpfung der Kriminalität. In Schleswig-Holstein können wir konstatieren: Die Kriminalität sinkt seit Jahren, die Aufklärungsquoten steigen. Allerdings ist auch da immer noch Luft nach oben.

Übertriebene Polizeigesetze, Herr Kollege Peters, wie zum Beispiel in Bayern oder Niedersachsen das dritte Land lasse ich jetzt einmal weg - waren und sind für uns nicht vorstellbar. Wir haben uns strikt daran orientiert, was unsere Polizei tatsächlich braucht, um ihren Auftrag optimal erledigen zu können, ohne dabei die Bürgerrechte zu schleifen. Wir haben großes Vertrauen in unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Aber deshalb müssen wir ihnen nicht alle denkbaren Instrumente an die Hand geben, die sie in Wirklichkeit gar nicht brauchen, um ihren Job effektiv zu erledigen. Unsere Polizei ist gut ausgebildet und organisiert, aber sie kann natürlich immer noch besser werden.

Es gibt - Kollege Brockmann hat es angesprochen neue Herausforderungen für unsere Polizei wie zum Beispiel neue Formen des Terrorismus, die zunehmende Cyberkriminalität oder leider auch eine zum Teil erschütternde Gewalttätigkeit gegen unsere Beamten, auf die wir mit geeigneten Maßnahmen reagieren müssen, da uns nicht nur unser Rechtsstaat,

(Burkhard Peters)

sondern auch der Schutz seiner Repräsentanten sehr wichtig ist. Die Zahlen, die der Kollege Hansen Jahr für Jahr abfragt, sind wirklich erschütternd. Das sind Zahlen, mit denen wir uns nicht abfinden dürfen. Deshalb müssen wir auch an dieser Stelle darauf reagieren.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es sind in der Tat zu viele Punkte im Gesetzentwurf, um das in fünf Minuten anzusprechen. Zu nennen ist aber zum Beispiel die Rechtsgrundlage zur Aufzeichnung von Notrufen. Menschen, die sich an die Notrufzentrale beziehungsweise an die Polizei wenden, sind oft mit Ausnahmesituationen konfrontiert. Ihre Anrufe sind daher nicht selten missverständlich oder eben schwer zu verstehen. Diese Anrufe noch einmal nachhören zu können, ist schlichtweg vernünftig, die Rechtsgrundlage dafür fehlte aber leider bislang. Das wollen wir nun korrigieren.

Zu den sinnvollen Neuerungen gehört auch die Einführung von sogenannten präventiven Blutproben. Dahinter steckt das Szenario, dass eine Person - zumeist eine Polizistin oder ein Polizist - angegriffen wurde und befürchten muss, sich dabei mit einer Krankheit angesteckt zu haben, etwa durch einen Biss oder durch Spucken. Das ist gerade in der aktuellen Phase auch in anderen Ländern - beispielsweise in Großbritannien - ein großes Thema. Das sind leider Szenarien, die für viele Polizeibeamte auch in Schleswig-Holstein traurige Realität sind. Durch eine Untersuchung von Tätern können Risiken ausgeschlossen und identifiziert werden. So wird eine schnelle medizinische Reaktion beim Angegriffenen ermöglicht und dieser nicht unnötig in quälender Ungewissheit gelassen.

(Beifall FDP)

Ich hoffe, dass dort Einigkeit besteht: Wer für unsere Gesellschaft den Kopf hinhält, der muss auch vom Parlament und vom Gesetzgeber unterstützt werden.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, vereinzelt CDU, Beifall Jörg Nobis [AfD] und Lars Harms [SSW])

Dann gibt es Maßnahmen, auf die wir uns nicht einigen konnten: die Online-Durchsuchung und die Quellen-TKÜ. Beides sind Maßnahmen, bei denen Endgeräte mit staatlicher Schadsoftware infiltriert und ausgespäht werden. Beide Instrumente halten wir für den Bereich der Gefahrenabwehr nicht für

erforderlich und lehnen sie daher ab. Das gilt auch für den Zugriff auf Vorratsdaten.

(Beifall FDP, Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Thema Schusswaffengebrauch hat der Kollege Peters völlig richtig angesprochen: Real sind es die gleichen Hürden wie vorher, nur wird jetzt eine rechtliche Grundlage für etwas geschaffen, die Polizeibeamten auch an der Stelle in dieser Ausnahmesituation nicht alleinzulassen. Das ist ein wichtiger Punkt, der klargestellt werden muss.

Abschließend möchte ich sagen: Ich war beim Thema Bodycams anfangs sehr skeptisch, habe mir das aber einmal im Zweiten Polizeirevier in Lübeck angeschaut. Dort hat man gesehen, dass es mit klaren und sinnvollen Regeln ausgestattet wird. Es kann in besonderen Situationen deeskalierend wirken, es kann Beamte und andere Beteiligte schützen. Auch das ist ein wichtiger Punkt, den wir beachten sollten.

Zu den Tasern schaffen wir erst einmal eine vorübergehende Regelung, das wollen wir uns genauer ansehen.

Es gibt aber viele Maßnahmen. Wir haben ein Gesetz mit Maß und Mitte vorgelegt. Für die gute Diskussionsgrundlage danke ich den Koalitionspartnern, der Polizei, aber auch Staatssekretär Geerdts, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Der islamistische Terror ist in Deutschland angekommen. - Diese Erkenntnis stammt von Horst Seehofer aus dem Juli 2016, nachdem es zu zwei islamistisch motivierten Anschlägen in Deutschland gekommen war. Damals ahnte noch niemand, dass Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen weiteren islamistisch motivierten Anschlag begehen würde. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin forderte damals zwölf Todesopfer.

(Christopher Vogt)

Als Reaktion auf den islamistischen Terror hat der Bundestag die Maßnahmen zur Terrorabwehr verschärft. Die meisten Bundesländer haben ihre jeweiligen Polizeigesetze angepasst, um sich auf die geänderte Gefahrenlage einzustellen und die Länderpolizeien einsatzfähig zu halten. Schleswig-Holstein gehört leider zu den letzten Bundesländern, die ein entsprechendes Gesetzesvorhaben in Angriff nehmen. Viel zu viel Zeit hat Jamaika hier vertan. Eine Reform des Polizeirechts in Schleswig-Holstein ist längst überfällig.

Die vorliegende Novellierung weist Licht und Schatten auf. Unseren Polizeibeamten werden nun Instrumente an die Hand gegeben, die diese dringend benötigen, um unsere Bürger vor schwerer Kriminalität und vor Terrorismus besser schützen zu können. Da ist zum Beispiel der Einsatz von GPS-Ortungsgeräten, die Unterbrechung der Telekommunikation zur Terrorismusabwehr oder auch die Einführung körpernah getragener Aufnahmegeräte, die sogenannten Bodycams. Diese Kameras sind tatsächlich geeignet, kritische Situationen im Streifendienst zu entschärfen, denn ihr Einsatz wirkt nachweislich deeskalierend.

Unsere Polizeibeamten werden so besser vor Übergriffen geschützt, Bodycams können der Gewalt gegen Beamte - auch in geschlossenen Räumen - sehr wohl entgegenwirken, und sie verbessern auch die Beweislage. Das bedeutet gerade auch in Zeiten wachsenden Misstrauens gegen die Polizei - wie dies gerade die SPD bundesweit und hierzulande vorantreibt - für die Menschen in der Polizei einen zusätzlichen Schutz.

Auch die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, der sogenannten elektronischen Fußfessel, im Gesetzentwurf halten wir für eine gute Sache. Extremistische Straftäter können nun besser überwacht werden. Wir erfahren nun, wo sich Gefährder aufhalten und wohin sie sich bewegen. Die elektronische Fußfessel allein kann aber terroristische Anschläge nicht verhindern; sie ist kein Allheilmittel, wie uns der Vorfall aus dem letzten Jahr mit einem Gefährder gezeigt hat. Aus unserer Sicht gibt es bessere Lösungen. Gefährder und Terroristen ausländischer Herkunft können konsequent abgeschoben werden, und das sollten sie auch. Im Falle Anis Amri hätte das auf jeden Fall geholfen. Das geht auch heute schon, ohne legislative Novellierung.

Zwei sicherheitspolitische Forderungen der AfD sind in das neue Gesetz aufgenommen worden. Das Distanz-Elektroimpulsgerät - Taser genannt - wird in den Katalog der zulässigen Waffen aufgenom

men. Dass die Nutzung des Tasers im polizeilichen Einsatz unabdingbar ist, scheint die Regierungskoalition nun endlich erkannt zu haben. Ich erklärte Ihnen bereits im Oktober 2018 zu unserem Gesetzentwurf, dass der Taser ein notwendiges Einsatzmittel ist und die Lücke zwischen Schlagstock und Pfefferspray auf der einen Seite und der Dienstpistole auf der anderen Seite schließen und so Leben retten kann.

Die „Kieler Nachrichten“ vom 3. November 2018 berichteten unter der Überschrift „Polizei soll Taser bekommen“ über Gespräche von Staatssekretär Geerdts mit Polizeibeamten. Darin hieß es:

„Übereinstimmend äußerten sie den Wunsch, in Schleswig-Holstein den Taser in den Einsatz zu bringen.“

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Hört, hört!)

Staatssekretär Geerdts erklärte auf dem Landesdelegiertentag der Deutschen Polizeigewerkschaft in Kiel:

„Die Landespolizei braucht den Taser.“

Auch ich war dabei und habe mich über Ihre Worte gefreut. Der Antrag der AfD-Fraktion entsprach schon damals dem Willen der Polizei in SchleswigHolstein und auch dem des Staatssekretärs. Daraus musste doch etwas zu machen sein, sollte man meinen.

Liebe Jamaikaner, Ihnen aber war Ihr eigenes Werk lieber als die Sicherheit von Polizei und Bürgern, denn nur vier Tage später wurde unser Antrag an diesem Ort abgelehnt. Aber nun, fast zwei Jahre später, haben Sie es endlich begriffen - aber nicht so ganz, denn noch immer wird ein Pilotprojekt angekündigt, das lange dauern wird, obwohl es längst bundesweite Erfahrungen mit Pilotprojekten gibt, die problemlos auf Schleswig-Holstein zu übertragen sind. Die Polizei braucht den Taser jetzt; Sie haben bereits viel zu lange gewartet.

(Beifall AfD)

Ähnlich verhält es sich mit unserem Antrag zum polizeilichen Rettungsschuss aus Januar 2018. Über zwei Jahre sind seitdem vergangen. Schwups ist im Gesetzentwurf der polizeiliche Rettungsschuss enthalten. Sie haben trotz einer Vorlage mehr als zwei Jahre für etwas gebraucht, das in fast allen Bundesländern längst gutes Recht ist, zwei Jahre, in denen es in Schleswig-Holstein zu mehreren tödlichen Polizeischüssen gekommen ist, bei denen die Beamten ein gutes Recht auf ihrer Seite gebraucht hätten.

(Claus Schaffer)

Der Gesetzentwurf ist von Ihnen vollmundig als Schwachstellenanalyse angekündigt worden. Allein die immense Zeitdauer hat dies bereits zur Schwachstelle für polizeiliches Handeln in unserem Land werden lassen.

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. Wir werden dort viele weitere Punkte besprechen und vielleicht auch viele Falschbehauptungen ausräumen können. - Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Reform des Polizeirechts beschäftigt uns schon eine ganze Weile. Unsere Beamtinnen und Beamten mit Polizeibefugnissen leisten tagtäglich einen ungemein wertvollen Dienst für unsere Gesellschaft. Ihnen kommt eine entscheidende Rolle zu beim Schutz des Rechts auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Sie verdienen daher einen umfassenden Eigenschutz, gleichzeitig müssen aber auch Polizeibefugnisse im Spannungsverhältnis zu den Grundund Freiheitsrechten stets eng ausgelegt und interpretiert werden.