Protocol of the Session on January 27, 2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren missbrauchen rechtsextreme Parteien und Organisationen in ganz Deutschland historische Daten aus der dunkelsten Zeit unserer Geschichte. Sie relativieren, sie leugnen und sie deuten um. Mit Kranzniederlegungen, Gedenkund Trauermärschen verhüllen sie die Geschichte und damit auch die Geschichte der Opfer des Zweiten Weltkriegs. Mit ihren Demonstrationen, in denen sie - ich zitiere:

„… den Opfern des alliierten Bombenterrors gedenken …“,

in denen sie vom Bombenholocaust gegen die deutsche Zivilbevölkerung sprechen, versuchen sie die Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren und die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu leugnen. Seit 1996 marschieren Neonazis durch Lübeck, verbreiten in der Innenstadt ihre Lügen und deuten unsere Geschichte um. Auf ihrer Website schreiben sie - ich zitiere -:

„Ihre Bomben ‚brennen’ noch! Mit verbrecherischem Bombenterror zermürbten sie uns einst und diktierten dann die Nachkriegspolitik, die bis heute nicht zu Ende ist. Seit über sechzig Jahren sind wir in der BRD einer alliiertenhörigen Politik ausgeliefert, die uns umerzieht, ausbeutet, unsere Kultur zersetzt und mit Überfremdung die Zukunft unseres Volkes bedroht.“

Das steht in dem Aufruf, der im Internet für die Demonstration zu finden ist, die nun kommt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen. So denken sie. Das ist das, was sie seit Jahren in die Öffentlichkeit brüllen. Das sind keine neuen Erkenntnisse. Das ist das, was Nazis denken und wonach sie handeln. Das ist einfach unerträglich und widerlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, der LINKEN, SSW und verein- zelt bei der CDU)

Niemand von uns will, dass am 31. März in Lübeck Nazis auf der Straße stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Innenminister Erkenntnisse hat, die ein Demonstrationsverbot rechtfertigen, wenn der Innenminister Erkenntnisse hat, die belegen, dass dieser konkrete Naziaufmarsch eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt, wenn die rechtlichen Grundlagen gegeben sind, dann gibt es gar keine Frage nach einem Verbot. Darin sind wir uns alle einig. Dann ist das oberste Gebot der Stunde eine Selbstverständlichkeit, diese Demonstration zu verbieten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, der LINKEN und SSW)

Das ist im Prinzip auch das Problem, das wir mit dem Antrag, der von der Fraktion DIE LINKE vorlag, hatten. Das ist nicht das, worum es ihnen geht. In dem Antrag steht kein Wort. Sie fordern ein Verbot einer Demonstration, obwohl Sie wissen, dass es keine politische, sondern eine juristische Entscheidung ist. Sie wollen, dass der Landtag darüber beschließt, obwohl wir die Kompetenz gar nicht haben. Und als wäre dies nicht genug, führen Sie noch nicht einmal an, wie dieses Verbot funktionieren soll. Ich freue mich, dass Sie von dieser Position offensichtlich abgerückt sind. Ich glaube, das ist an dieser Stelle genau das Richtige.

Wir in Schleswig-Holstein haben jetzt die konkrete Situation und auch das Problem, dass der Lübecker Bürgermeister Saxe sagt, dass er keine Informationen habe. Herr Schlie sagt, dass er Informationen liefert. Für uns ist dies ein bisschen schwierig zu

(Gerrit Koch)

bewerten. Es ist an dieser Stelle einfach problematisch, denn der Informationsfluss muss jetzt gewährleistet sein. Dies greift auch der erste Punkt in unserem Antrag auf. Wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt, dann kann ich ja davon ausgehen, dass Herr Schlie die Tatsachen weitergeben wird. Wenn ihm solche Tatsachen vorliegen würden, dann kann ich davon ausgehen, dass er eine ihm unterstehende Behörde anweisen würde, entsprechend zu handeln. Das sage ich zu dem Disput, der sich hier aufgetan hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich nehme ebenso an, dass es diese ausreichenden Erkenntnisse derzeit nicht gibt. Genau das ist das Problem, das Bürgermeister Saxe momentan hat. Daher unser Antrag mit der Forderung in einem Punkt, dass der Informationsfluss dringend gewährleistet werden muss, damit wir an dieser Stelle richtig und bedacht und vor allem im Rahmen der Verfassung handeln.

Ich möchte noch einmal mit Nachdruck etwas zu unserer Position sagen, was sozusagen ebenfalls Hintergrund der Debatte ist. Mit einem Verbot ohne rechtliche Grundlage schießen wir der Demokratie ins Knie. Das ist eine riesige Gefahr, und das ist ein Themenfeld, mit dem man äußerst sensibel umgehen muss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW, der Abgeordneten Sandra Red- mann [SPD] und vereinzelt bei der CDU - Zurufe)

- Ich habe nicht gesagt, dass der Kollege Koch nur etwas Falsches gesagt hat. Wir Grünen sind eine Bürgerrechtspartei und stehen hinter unserer Verfassung. Wir werden sie mutig verteidigen. Ich kann dies sicher auch für viele andere hier im Parlament sagen: Meine Fraktion und meine Freunde und Bekannten werden den Nazis gegenüberstehen. Wir werden ihnen zeigen, dass sie unsere Demokratie nicht in die Knie zwingen werden.

Ich möchte mit einem Wort zu Herrn Minister Schlie enden. Ich bin ein bisschen enttäuscht darüber, wie die Auseinandersetzung in den Zeitungen in den vergangenen Wochen gelaufen ist. Das hat die Debatte einfach verschärft. Dies hat Hoffnungen geweckt und vielleicht auch unnötig Wut ausgelöst und vor allen Dingen Streit. Das hat wiederum bei mir keine guten Gefühle ausgelöst. Man kann Ihnen durchaus vorwerfen, dass Sie am Ende gesagt haben, dass es eine floskelhafte politische Auseinandersetzung war. An dieser Stelle möchte

ich sagen, dass mich das verärgert hat. Floskeln sind an dieser Stelle und bei so einem Thema echt nicht mehr angebracht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Ich weiß sehr wohl, dass dies nicht auf mich gemünzt war. Diese Auseinandersetzung hat aber eine Debatte verschärft, die so nicht hätte verschärft werden müssen. Herr Minister Schlie, aber auch wenn ich verärgert darüber war, dieses Vorgehen können Sie auf jeden Fall bei mir wiedergutmachen, wenn Sie mit mir am 31. März Seite an Seite vor dem Holstentor stehen und gemeinsam mit uns gegen Nazis in Schleswig-Holstein demonstrieren. Wir wissen, dass wir dieses Problem haben. Wir haben diesen Naziladen in Glinde, der gerade aufgemacht hat. Wir hatten die Situation in Bredstedt mit der Nazilehrerin. Wir habe eine ziemlich dunkle und traurige Geschichte, was die Brandanschläge auf Synagogen und Asylbewerberheime angeht. Ich glaube, ich spreche hier im Namen des ganzen Hauses: Wir sollten am 31. März in Lübeck stehen, und zwar gemeinsam.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei CDU und FDP)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass sich die Fraktion DIE LINKE nach der letzten Innen- und Rechtsausschusssitzung nicht dazu hat durchringen können, den vorliegenden Antrag auf die Februar-Tagung des Landtags zu verlegen. Nun stehen Sie vielleicht als die besseren Antifaschisten da, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, der Sache helfen Sie damit nicht.

(Beifall bei SSW, SPD, vereinzelt bei CDU und FDP sowie Beifall der Abgeordneten El- len Streitbörger [DIE LINKE])

Den gleichen Vorwurf könnte man dem Innenminister auch machen, der Anfang des Jahres überraschenderweise in den „Lübecker Nachrichten“ verlauten ließ, er fordere Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe auf, die für Ende März von Nazis geplante Demonstration zu verbieten. Diese Aufforderung entspricht der Position, die in Lübeck nicht nur von der Kirche, sondern auch vom DGB und

(Luise Amtsberg)

von der Mehrheit der Bürgerschaft - bestehend aus SPD, Grünen und Linken - vertreten wird. Der Bürgermeister hat indes immer wieder darauf hingewiesen, dass er keine Möglichkeit sehe, die Demonstration mit rechtsstaatlichen Mitteln zu verbieten. Die Reaktion des Innenministers hört sich in den „Lübecker Nachrichten“ folgendermaßen an:

„Aus Angst vor einem juristischen Scheitern den Versuch eines Verbots gar nicht erst zu unternehmen, wäre jedoch fatal für die Glaubwürdigkeit des Kampfes aller Demokraten gegen ihre Feinde.“

Den Innen- und Rechtsausschuss versuchte der Innenminister nunmehr davon zu überzeugen, dass es Gründe gibt, die zu einem Verbot der Demonstration führen könnten. Zuständig sei aber die Stadt Lübeck als Versammlungsbehörde. Er selbst werde als Innenminister von seiner Weisungsbefugnis keinen Gebrauch machen.

Für den SSW stelle ich vor diesem Hintergrund fest, dass es dem Innenminister anscheinend wichtiger war, als handlungsstarker Minister in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden - ein Image, das er auch schon in anderen Zusammenhängen gepflegt hat - als die Stadt Lübeck direkt und vertraulich darüber zu unterrichten, wie ein Demonstrationsverbot zu bewerkstelligen ist.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher die Forderung in unserem Antrag, dass dies unverzüglich geschehen muss. Fakt ist doch, dass bisher nichts dergleichen geschehen ist. Daran ändert auch die Aussage des Ministers nichts, man habe eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die am Montag letzter Woche das erste Mal getagt habe.

Versammlungs- und Meinungsfreiheit gelten als unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens. Das befand 1985 das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Brokdorf-Urteil. Daher sage ich: Geben wir die Grundrechte preis, haben uns die Nazis genau da, wo sie uns haben wollen. Auf der anderen Seite ist natürlich für uns alle hier völlig klar, dass rassistische und menschenverachtende Parolen nicht in unsere Gesellschaft gehören. Wir müssen sie argumentativ bekämpfen und strafrechtlich verfolgen. Der SSW hat immer davor gewarnt, Lunte an das braune Fass zu legen, also selbst dafür zu sorgen, dass das braune Gesocks Punkte machen kann. Das gescheiterte Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat der NPD damals viel falsche Bewunderung eingebracht. Es war falsch

von der Bundesregierung, im Wissen um die zahlreichen V-Leute in der Nazi-Szene, die teilweise sogar in Vorständen agierten, überhaupt ein Verbotsverfahren einzuleiten. Genauso falsch wäre es, einen Verbotsantrag gegen den Aufmarsch in Lübeck zu beantragen, ohne über neue Erkenntnisse bezüglich der Gefährdung zu verfügen. Ein abschlägiges Urteil wird die Nazis triumphieren lassen. Respekt vor dem Rechtsstaat haben sie damit noch lange nicht.

Der Ruf nach einem Verbot sollte die Auseinandersetzung mit dem rechten Gedankengut nicht ersetzen. Das wäre zu einfach. Daher sage ich: Statt Jahr für Jahr im Landtag die gleiche Resolution gegen den rechten Aufmarsch in Lübeck zu verabschieden, sollten wir das zivilgesellschaftliche Engagement verstärkt unterstützen, wenn es darum geht, Konzepte gegen Rechts zu entwickeln. Der SSW ist nach wie vor davon überzeugt, dass die aktive Auseinandersetzung nachhaltiger ist als Kundgebungen allein.

Ich will nicht missverstanden werden: Ich finde diese Kundgebung gegen Rechts in Lübeck wichtig. Sie ist wichtig, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Geschichte in Schleswig-Holstein. Ich rufe in Erinnerung, dass Schleswig-Holstein vor 1933 die höchste Beteiligung und die höchste Zustimmung für die NSDAP aufwies. Ich rufe in Erinnerung, dass es nach 1945 eine weitere starke Renazifizierung unserer Gesellschaft gegeben hat, und dass wir erst Mitte der 80er-Jahre in SchleswigHolstein anfingen, uns mit unser braunen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das gehört dazu. Darum ist es natürlich wichtig, in Lübeck Flagge zu zeigen.

Ich möchte aber auch daran erinnern - gerade vor dem Hintergrund des Naziterrors -, dass wir weiterkommen müssen. Darum bleibe ich bei meiner Aussage: Wir müssen verstärkt diejenigen unterstützen, die gegen Rechts im Alltag antreten. Wir müssen Konzepte für Schulen und für unsere Gesellschaft insgesamt entwickeln.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei CDU und FDP)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Anke Spoorendonk)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Amtsberg, im Zusammenhang mit der Weisung möchte ich daran erinnern, dass es auch in Lübeck Grüne in Verwaltungsverantwortung gibt, die nach der Weisung gefragt haben. Da gab es offensichtlich noch einen E-Mail-Verkehr. Ich möchte deswegen sagen, dass es mit der Weisung in unseren Augen schon richtig ist. Gleichwohl haben wir an der Stelle gesagt: Wir machen eine Konzession und übernehmen die Forderung, die in Ihrem Ursprungsantrag enthalten war. Trotzdem wäre eine Weisung meiner Meinung nach durchaus sinnvoll gewesen.

Das Zweite, Herr Koch: Ich wusste nicht, dass kalte Krieger so jung sein können. Das, was Sie hier auch an Diffamierungen geleistet haben, ist in meinen Augen wirklich unerträglich. Ich möchte Ihnen sagen: Nicht wir, nicht DIE LINKE, war es, die zuerst das Verbot der Faschisten-Demo gefordert hat, sondern wer war es? - Es war der Innenminister, der aufgrund seiner Erkenntnisse Herrn Saxe aufgefordert hat, entsprechend tätig zu werden. Es war nicht, weil er es politisch motiviert wollte, sondern weil es aufgrund der neuen Situation in Deutschland - unter anderem verbunden mit diesen Rechtsterroristen - einfach neue Erkenntnisse gibt und deswegen die Gefahr von Rechts anders bewertet werden muss - übrigens auch aufgrund der Geschichten, die in Ratzeburg passiert sind.

Was ich heute formuliert habe mit diesen WerbeT-Shirts mit „NSU Schleswig-Holstein“ setzt dem Ganzen wohl noch die Krone auf! Und dann sagen Sie und werfen uns, die wir eine Initiative des Innenministers aufnehmen - übrigens hat auch Herr Kalinka das Verbot gefordert, so wie ich es verstanden habe; ich habe aber die Pressemitteilung nicht mehr gesehen -, und ihm vor, dass er politisch motiviert - aus welchem Grund auch immer - so etwas fordert. - Das ist doch Quatsch. Was Sie hier an Demagogie und Diffamierung geleistet haben, finde ich

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unerhört!)

- unerhört. Genau, Herr Kubicki, Sie haben es richtig gesagt. Das ist unerhört.

Ich möchte an der Stelle nur noch sagen: Es gibt jetzt einen Änderungsantrag von uns - nur damit Sie Bescheid wissen -, der wortgleich ist mit dem ursprünglichen Antrag von SPD, SSW und Grünen, den wir zur Abstimmung stellen. Ich bitte um alternative Abstimmung.

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner, das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten im Haus wissen, dass ich ein sehr leidenschaftlicher Parteipolitiker bin. Aber ich finde, dass sich dieses Thema - ich habe das schon häufiger gesagt - für parteipolitische Feldgewinne in gar keiner Weise eignet.