Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin etwas erstaunt über die Art und Weise, wie die Debatte hier geführt wird.
Ich bin deshalb erstaunt, weil ein Problem, das alle Menschen in diesem Land existenziell betrifft und für das niemand von uns eine Patentlösung hat, eigentlich, meine ich, eine ernsthafte Debatte verdient hätte und keinen Schlagabtausch über die Frage, wer woran denn nun schuld ist.
Es geht dabei nicht um den Austausch von Sachargumenten, sondern darum, wer angeblich die moralisch bessere Position bei der Formulierung von Lösungsvorschlägen hat.
Aber meine Kinder beispielsweise, meine Töchter, die inzwischen 30 Jahre alt sind, sind in einem Europa aufgewachsen, wie sie es gar nicht mehr anders kennen, nämlich einem Europa ohne Grenzen, einem Europa, in dem man keine Grenzkontrollen mehr passieren muss. Sie leben in einem Raum, in dem man in einer einheitlichen Währung bezahlen kann, sie leben in einem Raum, in dem es selbstverständlich ist - so, wie es für mich selbstverständlich war, von Braunschweig nach Hannover zu fahren -, von Kiel nach Rom, von Kiel nach Paris oder von Kiel nach London zu reisen und sich in diesem gesamten Raum zu Hause zu fühlen. Sie haben ein ganz anderes Empfinden als beispielsweise Vertreter meiner Generation oder ich selbst, die wir ja noch die Grenzen innerhalb Europas kennen und die wir uns noch gut an den Eisernen Vorhang erinnern. Wir kannten ja noch Distanzen über Blöcke hinweg.
Ein Teil der Debatte, die wir momentan führen, wird von diesen jüngeren Menschen gar nicht mehr verstanden. Denn für sie ist Europa eine Selbstver
Deshalb weigere ich mich auch zu akzeptieren, dass wir so tun, als wäre Europa nur der Euroraum. Europa ist auch Großbritannien, ein Land, das dem Euroraum nicht angehört. Dasselbe gilt für Dänemark.
- Für mich ist Europa auch die Türkei, Herr Habeck. Da gibt es kein Vertun, obwohl die Türkei noch einige Kriterien erfüllen muss, insbesondere was die Rechtsstaatlichkeit angeht, bevor ich akzeptieren würde, dass wir dieses Land nicht nur als Partner, sondern auch als Teil unserer europäischen Familie ansehen.
Aber unabhängig davon ist doch die Frage: Wie gehen wir mit einem Problem um, das die Menschen mittlerweile nicht nur beschäftigt, sondern das an die Grundfesten unserer eigenen wirtschaftlichen und fiskalischen Existenz geht? Das ist eine Kardinalfrage, die nicht damit beantwortet werden kann, Herr Kollege Stegner, dass man sagt: „Das eine ist gut, und das andere ist schlecht. Leute, die Fragen stellen, sind die Schlimmen, Leute, die schweigen wollen, sind die Guten.“
Ich habe mich heute wirklich gewundert, Herr Kollege Stegner - ich komme deshalb auch noch einmal darauf zurück -, dass ausgerechnet die Sozialdemokraten mit Ihnen an der Spitze die Renditeerwartungen von Großbanken verteidigen. Sie müssen einmal überlegen, was Sie gerade gesagt haben. Die Banken nehmen griechische Staatsanleihen in ihr Portefeuille, mit einer Verzinsung, die deshalb so hoch ist, weil ein Ausfallrisiko besteht. Jetzt kommen Sie und sagen: Wir garantieren als Staat, dass es kein Ausfallrisiko gibt. Das nehmen wir ihnen ab. Die Leute wären ja blöd, wenn sie jetzt nicht wie wild griechische Staatsanleihen kauften. Denn damit bekommen sie eine Verzinsung, die sie bei deutschen Staatsanleihen nicht bekommen und zwar deshalb, weil der deutsche Steuerzahler garantiert, dass auf jeden Fall kein Ausfallrisiko besteht. Wie blöd ist das denn? Wenn Sie von Spekulation reden, dann treiben Sie damit die Spekulationen wirklich in die Höhe.
Selbstverständlich. Denn ich gehe davon aus, dass das eine Sachfrage ist und nicht wieder ein polemischer Einwurf.
Ich habe eine Doppelfrage an Sie, Herr Kollege Kubicki. Zum einen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass ich darauf hingewiesen habe, dass Deutschland selbst in der Krise mit Blick auf das, was die deutschen Banken tun, davon profitiert, und dass ich mitnichten die Renditeerwartungen verteidigt habe?
Zum anderen: Teilen Sie die Einschätzung des Landesvorsitzenden der FDP aus Schleswig-Holstein, der formuliert hat, Griechenland sei wie „ein Alkoholiker, den man auffordert, das Trinken einzustellen, und ihm gleichzeitig eine Kiste Schnaps gibt“?
- Ich fange mit der letzten Frage an, Herr Kollege Dr. Stegner. Der Kollege Koppelin ist in meiner Partei für seine tiefgreifenden Analysen und auch für seine blumige Sprache bekannt.
Aber in der Tat teile ich aus ökonomischen Gründen seine Auffassung, dass die Erklärung: „Wir retten Griechenland auf jeden Fall“, die Anstrengungen der dortigen Regierung, des dortigen Parlaments mit Sicherheit nicht beflügelt, die notwendigen Sparmaßnahmen zu ergreifen, um mit der Krise fertig zu werden. So einfach ist das.
Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Stegner, erklären, dass, egal was dort passiert, Deutschland Griechenland auf jeden Fall retten wird, werden die Anstrengungen dort nicht intensiviert, sondern eher erlahmen wofür ich ein gewisses Verständnis habe. Auch ich hätte als Parlamentarier äußerst ungern Demonstrationen von Hunderttausenden von Menschen vor meinem Parlament für Maßnahmen, die ich ergreifen muss, wenn in Deutschland bereits erklärt wird: Egal was ihr tut, wir retten euch auf jeden Fall.
Deshalb sage ich, Herr Dr. Stegner, die Diskussion „auf jeden Fall“ ist vielleicht eine moralisch nette, eine persönlich nette, aber ökonomisch ist sie fatal.
Die erste Frage war die - - Sie müssen mir noch einmal helfen. Ich bin, wie gesagt, schon etwas älter.
Ich helfe Ihnen gern noch einmal und verbinde das mit einer weiteren Frage, wenn ich darf. Ich hatte Sie gefragt, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass ich nicht die Renditeerwartungen der deutschen Banken verteidigt habe, sondern dass ich darauf hingewiesen habe, dass auch in dieser Lage die deutschen Banken daran verdienen? Deshalb machen sie ja ihr Geschäft.
Meine zweite Frage ist: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass ich mitnichten gesagt habe, Leistung erfolgt ohne Gegenleistung, sondern im Gegenteil gesagt habe, wir erwarten natürlich auch, dass dort zum Beispiel Steuern eingetrieben werden, und ein paar Vorschläge gemacht habe, die der Kollege Callsen etwa mit Blick auf Rüstungsexporte diskreditiert hat?
- Herr Dr. Stegner, Deutschland profitiert immer so oder so -, weil wir die stärkste Wirtschaftsnation sind. Die spannende Frage ist nur: Helfen wir den Griechen mit den Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben? Das glaube ich nicht. Wenn Sie feststellen, dass Griechenland unter einer sozialistischen Führung nicht in der Lage ist, 40 Milliarden € Steuerschulden einzutreiben, die bereits festgesetzt sind, dann ist die Erklärung: „Erhöht die Steuern und treibt mehr ein“, eine nette, aber in kurzer Zeit wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt.
Insofern glaube ich, dass diese Vorschläge von Ihnen nett gemeint sind, aber nicht weiterhelfen werden.
Herr Dr. Stegner, ich will damit nur sagen: Niemand von uns hat ein Patentrezept. Es wäre fatal, so zu tun, als wäre das so.
Wenn das Institut für Weltwirtschaft gestern erklärte, dass all die Maßnahmen, die beschlossen worden sind, nicht ausreichen werden, um Griechenland zu retten, muss man sich einmal die Frage stellen: Was dann?
Die Frage, ob nicht ein Schuldenschnitt, ein Haircut - übrigens unter Beteiligung der Banken -, nicht auch eine Maßnahme sein kann, die Griechenland
- Ich weiß nicht, ob Sie den Begriff Insolvenz kennen, Herr Schippels. Aber ein Haircut, ein Schuldenschnitt, ist nichts anderes als eine geordnete Insolvenz, weil sie den Gläubigern nur einen Teil der Forderungen zurückzahlen - was im Insolvenzverfahren übrigens auch so ist. Im Insolvenzverfahren wird eine Quote errechnet. Aufgrund der Quote werden die Gläubiger befriedigt.
Noch einmal: So zu tun, als dürften wir darüber nicht debattieren, als dürfte das Parlament nicht darüber diskutieren, als dürfte die deutsche Öffentlichkeit nicht darüber debattieren, bedeutet ja, Herr Dr. Stegner, dass Sie den Märkten hinterherlaufen, statt den Primat der Politik umzusetzen.
Wir müssen das offen und ehrlich auch mit unseren griechischen Freunden diskutieren. Gerade weil wir Freunde Europas und Freunde Griechenlands sind, müssen wir das mit ihnen gemeinsam diskutieren und nach Lösungswegen suchen, die dauerhaft den Griechen und anderen helfen, mit dem Problem fertig zu werden, vor dem sie stehen.