Protocol of the Session on November 19, 2010

(Bernd Heinemann)

hilft die Diskussion zum Bundesentwurf des Therapieunterbringungsgesetzes. Aber ich bin schon jetzt überzeugt, dass das Problem nicht mit privat angestellten Leiharbeitern geregelt werden kann, so wie wir dies in Neustadt zurzeit erleben.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ein Landespsychiatriebeirat kann in vielen Bereichen helfen und möglicherweise selbst zum Motor eines stets aktuellen landesweiten Psychiatrieplans werden. Dieser lebende Plan kann uns auch bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention oder eines landesweit koordinierten Konzepts der Aus- und Fortbildungsangebote helfen und die Verwaltung des Gesundheitsministeriums schließlich trotzdem entlasten.

Wir freuen uns auf die konstruktive Diskussion im Ausschuss. Das Gesundheitsland Schleswig-Holstein wartet auf diesen wichtigen fraktionsübergreifenden Schritt der Hilfe für immer mehr psychisch belastete Bürger, der nach zehn Jahren nunmehr erfolgen sollte.

(Beifall bei SPD und SSW)

Herr Kollege, ich habe Sie eineinhalb Minuten länger reden lassen. Das war die Wiedergutmachung für gestern.

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Ursula Sassen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD zur Fortschreibung des Psychiatrieplans ist derart umfassend, dass man sich fragen muss, ob solch detaillierte Vorgaben für die Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch kranke und behinderte Mitbürgerinnen und Mitbürger wirklich förderlich sind. Ich bin mir auch nicht sicher, ob eine Fortschreibung des Psychiatrieplans 2000 erforderlich und zeitgemäß ist.

Im Psychiatrieplan 2000 steht, er solle als Handlungsanweisung für die Landesregierung, die Kommunen, die Wohlfahrtsverbände und andere Beteiligte gelten. Darin wird auf die rasante psychiatrische und psychosoziale Entwicklung seit 1990 hingewiesen, die sicherlich für die Jahre von 2000 bis 2010 ebenso gilt. Nach meinem Eindruck ist der Psychiatrieplan 2000 noch immer ein geeigneter

Rahmenplan und Leitfaden für alle Beteiligten. Als Handlungsanweisung möchte ich ihn heute nicht mehr verstanden wissen und auch durch eine Fortschreibung keine weiteren Handlungsweisen vorschreiben wollen.

Ich denke, wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir mit den neuen Erkenntnissen die Themenfelder herausgreifen sollten, die vorrangig zu überarbeiten sind. Dabei wäre es wert, über einen Präventionsleitfaden oder über ein Präventionskonzept nachzudenken. Auch die unter Ziffer 3 des Antrags geforderte Beschreibung der Versorgungssituation allgemeiner psychotherapeutischer Angebote und die Beschreibung des zu erwartenden Bedarfs als Fachplan erscheint mir sinnvoll.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Psychiatrieplanung im Krankenhausbereich gerade erst mit dem neuen Krankenhausplan verabschiedet wurde. Erst im Jahr 2007 wurde im Auftrag der Gesundheitsministerkonferenz ein umfassender Bericht über die Psychiatrie in Deutschland erstellt, sodass auch insoweit für unser Land interessantes Vergleichmaterial vorliegt.

Die unendlich lange Liste bis zu Ziffer 22 halte ich für eine überzogene Regulierung im Zusammenspiel der Selbstverantwortung aller Hilfeanbieter, Kostenträger und Leistungserbringer. Meine Fraktion möchte daher Antwort auf die Frage erhalten, ob eine derart umfangreiche Dokumentation wirklich erforderlich und ob der damit verbundene bürokratische Aufwand für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden und Verbänden gerechtfertigt ist. Wenn man den Sparprozessen Glauben schenken darf - das lässt sich ja anhand der Zahlen nachprüfen -, war im Jahr 1990 oder vor zehn Jahren vielleicht auch noch eine größere personelle Stärke vorhanden.

Ungeachtet dessen teile ich die Auffassung des Kollegen Heinemann, dass etwas geschehen muss. Ich selbst bin keine Fachfrau auf diesem Gebiet und möchte mir deswegen auch keine abschließenden Anmerkungen hierzu erlauben. Aber ich bezweifle, dass die Fortschreibung des Psychiatrieplans in der von der SPD geforderten Form wirklich Abhilfe schaffen kann.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Anita Klahn das Wort.

(Bernd Heinemann)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Heinemann, ganz allgemein betrachtet kann man Ihr Anliegen zur Fortschreibung des Psychiatrieplans unterstützen. Auch mir sind die Klagen der Fachleute, der Patienten, der betroffenen Angehörigen bekannt, dass man unendlich lange auf einen Termin warten muss, gleich, ob ambulant oder stationär. Es sind zu wenig Kapazitäten vorhanden, es gibt zu wenig niedergelassene Fachärzte. Sie haben das ausführlich und auch sehr engagiert dargestellt, und wir haben auch außerhalb der Sitzungen schon des Öfteren darüber gesprochen.

Ich frage mich nur, ob Ihr Antrag an dieser Stelle richtig gesetzt ist. Wenn ich mir den von Ihnen vorgelegten Antrag ansehe, kann ich Ihnen eine gewisse Liebe zum Detail nicht absprechen. Sie fordern die Neuschreibung eines Plans. Ihre vorgeschlagenen Schwerpunkte haben für mich eher Berichtscharakter. Sie fordern Detaillisten, Beschreibungen, Sachstände, Darstellungen an. Wenn Sie einen Bericht möchten, so stellen Sie schlicht und einfach einen Berichtsantrag. Machen Sie eine Kleine oder auch eine Große Anfrage. Dann bekommen Sie auch die Antworten.

Ich halte es für absolut richtig, dass Sie auf bestehende Missstände und Probleme hinweisen und dass Sie, wenn Sie welche erkennen, diese auch offen aufzeigen. Aber warum benennen Sie die Probleme nicht direkt? Es gibt im ambulanten Bereich Probleme bei der Nachbesetzung von frei gewordenen Arztsitzen. Im psychotherapeutischen Bereich gibt es zwar ausreichend Therapeuten, aber die regionale Verteilung ist wohl suboptimal.

Dies sind Probleme, die wir sehen. Entsprechend haben wir auch das Thema Bedarfsplanung und flächendeckende Versorgung aufgenommen. Das haben Sie im Ausschuss sicherlich mitbekommen. Wenn Sie Nachsteuerungsbedarf beim Psychiatrieplan sehen, so hätte ich mir gewünscht, dass Sie dies ganz konkret beschrieben hätten.

Aus meiner Sicht dürfen wir bei diesem Thema einen weiteren Aspekt nicht außer Acht lassen. Wir müssen uns immer fragen, mit welchem Verwaltungsaufwand und mit welchen Kosten eine mögliche Umsetzung verbunden ist und welcher Nutzen konkret daraus entsteht. Ich habe das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Antrag in einigen Punkten über das Ziel hinausgeschossen sind.

Unser grundsätzlicher Ansatz ist, das Land von unnötigen Bürokratieaufgaben zu entlasten und zu be

freien. Es ist also genau zu prüfen, welchen Mehrwert ihre Forderung nach weiteren regelmäßigen Berichtspflichten hat. Es ist zu klären, ob gewisse Forderungen, wie zum Beispiel die Auflistung aller in Schleswig-Holstein vorhandenen Angebote für Menschen mit psychischem Hilfebedarf, überhaupt in angemessenem Aufwand umsetzbar sind. Für reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die Verwaltung sind wir nicht zu haben.

Dringend zu klären ist auch die Einbindung der kommunalen Ebene. Es ist daran zu erinnern, dass die ambulante psychiatrische Versorgung kommunalisiert wurde. Der stationäre, der Krankenhausbereich, fällt in die Krankenhausplanung. Hier wurde Anfang des Jahres ein neuer Plan aufgelegt. Der Psychiatriebereich war da natürlich Bestandteil. All diese Verflechtungen sind zu berücksichtigen.

Herr Heinemann, ganz schlicht und einfach: Der Staat kann nicht alles regeln. Ich denke, eine weitere Diskussion im Ausschuss ist ratsam. Ich rege heute schon an, dazu eine Anhörung durchzuführen, um die Stellungnahmen der Fachleute einzubinden, denn auch die haben auf meine Nachfrage hin den vorliegenden Antrag in dieser Form doch auch als etwas ausufernd angesehen und gesagt, es gibt andere Stellschrauben, an den wir drehen müssen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Kollegin Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der diagnostizierten psychischen Erkrankungen nimmt stetig zu, in den letzten zehn Jahren um 40 %. Das machen die offiziellen Zahlen der Krankenkassen deutlich. Laut Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse ist die Verordnung von Antidepressiva bei Frauen um 100 %, bei Männern um 120 % und bei arbeitslosen Männern um 2.000 % gestiegen. Psychische Erkrankungen sind in erster Linie individuell ein schweres Schicksal, an dem soziale Beziehungen und Familien zerbrechen können und Arbeitsplätze verloren gehen. Psychische Erkrankungen sind allerdings auch - und das zunehmend - ein volkswirtschaftlicher Faktor, der für Arbeitgeber und Krankenkassen zunehmend relevant wird. Und neben

den offiziellen Zahlen gibt es eine hohe Dunkelziffer. Darauf weisen Fachleute immer wieder hin.

Im Umgang mit psychischen Erkrankungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren glücklicherweise einiges getan. Damit meine ich zum Bespiel die Anerkennung von Burn-out als Krankheit. Durch wissenschaftliche Forschung wissen wir inzwischen, dass zum Teil auch endogene Faktoren zum Beispiel das Fehlen von Botenstoffen im Gehirnstoffwechsel - verantwortlich sind für psychische Erkrankungen. Vor etwas mehr als einem Jahr - der Kollege hat das eben schon ausgeführt - hat sich unser Fußball-Nationalwart Robert Enke das Leben genommen. Es gab es eine große öffentliche Anteilnahme und eine breite Diskussion. Aber wie geht es danach weiter? Was müssen wir auch von hieraus tun, um die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen weiter zu verringern?

Was hat sich in den letzten zehn Jahren getan? Gerade in Schleswig-Holstein sind die Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen deutlich erweitert worden. Das ist auch gut, weil es dort einen großen Bedarf gibt.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Robert Ha- beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das war das Ziel, und das ist die Folge des Psychiatrieplans 2000. Dieser wurde ebenso wie der Fachplan Gerontopsychiatrie unter Sozialministerin Heide Moser auf den Weg gebracht. Das ist ohne Zweifel ein großes Verdienst, und hieran möchte die SPD mit ihrem aktuellen Antrag anknüpfen. Wir Grüne freuen uns über diese Initiative und werden sie selbstverständlich unterstützen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Diese Initiative ist fachlich richtig und zeigt, dass die vorhandenen Strukturen in Schleswig-Holstein weiterentwickelt werden müssen. Und wir unterstützen auch das Ziel, die Psychiatrieplanung in gemeinsamer Verantwortung von Land und Kommunen fortzuschreiben. Genauso wie die SPD halten wir Teilplanungen für sinnvoll, zum Beispiel in den Bereichen Gerontopsychiatrie. Uns Grünen ist auch der Bereich der Prävention in diesem Zusammenhang ein besonderes Anliegen. Wichtig ist für uns, auf regionale Planung zu setzen, möglichst wohnortnah, und wenn es irgendwie geht, ambulant vor stationär.

Ich freue mich über die Vielzahl der Themen und Aspekte, die die SPD in ihrem Antrag vorgebracht hat. Besonders für Alleinerziehende mit psychi

schen Problemen, Kinder mit psychischen Erkrankungen - auch diese nehmen in dramatischer Weise zu; die Praxen der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sind leider voll, und auch dort gibt es lange Wartelisten - und auch für Menschen mit Suchtund psychiatrischer Erkrankung, den sogenannten Doppeldiagnosen, haben wir einen steigenden Bedarf. Auch dort müssen wir sehen, wie die vorhanden Strukturen verbessert werden können.

Gerade die offenen Hilfen sind in diesem Zusammenhang wichtig. Sie sind erste Anlaufstelle und oft der erste Schritt zur Therapie. Ganz wichtig bei psychischen Erkrankungen ist: Je früher die Therapie beginnt, desto besser ist das Ergebnis der Behandlung. Deshalb halte ich die von der Landesregierung angekündigten Kürzungen im Bereich der offenen Hilfe auch für falsch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Patienten müssen viel zu lange auf einen Therapieplatz warten. Auch das haben wir eben schon ausführlich gehört. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen dringend sehen, ob der echte Bedarf an Psychotherapeutinnen und -therapeuten nicht deutlich über dem liegt, was derzeit vorgehalten wird.

Im Übrigen gilt das, was wir zum Hausärztemangel in der Anhörung gehört haben inzwischen auch zunehmend für Fachärzte, gerade im Bereich der Psychiatrie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich freuen, wenn wir alle uns dafür einsetzen würden, dass psychische Erkrankungen nicht länger stigmatisiert werden, und freue mich auf eine weitere Beratung im Sozialausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und vereinzelt beim SSW)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Antje Jansen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Psychiatrieplan 2000 war eine entscheidende Weichenstellung für eine zeitgemäße Planung zur Versorgung psychisch erkrankter Bürgerinnen und Bürger. Aber der Reformprozess ist längst nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, unsere Gesellschaft wird dabei vor immer neue Herausforderungen gestellt.

(Dr. Marret Bohn)

Wir unterstützen die Forderung nach Fortschreibung des Psychiatrieplans, weil er in verschiedenen Bereichen überarbeitet werden muss.

Im Gegensatz zu Frau Klahn und Frau Sassen sind wir der Meinung, dass der Psychiatrieplan in der Verantwortung von Land und Kommunen auch eine Verpflichtung beinhaltet, ihn immer weiterzuentwickeln. Man darf nicht stehen bleiben und sagen: „Jetzt haben wir nichts mehr damit zu tun“, sondern der Psychiatrieplan sagt es selber in seinen Inhalten.

In unseren Augen hätte die Fortschreibung aber schon in der vergangenen Legislaturperiode erfolgen müssen. Doch nachdem die SPD das während ihrer Amtszeit anscheinend versäumt hat - das muss ich hier einmal sagen -, ist es gut, dass es jetzt zumindest mit dem vorliegenden Antrag einen Impuls gibt, über den Psychiatrieplan zu sprechen.