Protocol of the Session on September 9, 2010

Wenn Sie gute Sachen machen, haben Sie natürlich auch unsere Unterstützung. Wir sagen aber gleichzeitig auch, man muss das Ganze vor dem Hintergrund der Sozialkürzungen sehen, die auf Bundesebene und auf Landesebene stattfinden. Natürlich sind von diesen sozialen Kürzungen vor allen Dingen auch Empfängerinnen und Empfänger von

(Rasmus Andresen)

Hartz IV betroffen, die dann darunter leiden. Aus dieser Verantwortung können und werden wir Sie auch nicht entlassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Für die Fraktion des SSW rufe ich den Herrn Abgeordnete Flemming Meyer auf.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das grundlegende Prinzip der HartzIV-Gesetze, die Arbeitsuchenden zu aktivieren und dadurch zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Komponenten Fordern und Fördern zu kommen, wurde vom SSW ausdrücklich unterstützt. So wird der Hilfesuchende im Idealfall nicht nur beschäftigungsfähig erhalten, sondern auch weitergebildet und in seinen Fähigkeiten gestärkt. Dieser Ansatz nach skandinavischem Vorbild ist nach unserer Auffassung ebenso begrüßenswert wie die erfolgte Zusammenführung von Arbeitslosenund Sozialhilfe. Mit der Einführung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Januar 2005 wurde dann aber sehr deutlich, dass dieses zentrale Ziel nicht erreicht, sondern verfehlt wurde. Dieses Gesetz war stümperhaft, es hat das Fordern stärker gewichtet als das Fördern. Deshalb hat der SSW dies auch abgelehnt.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Leider bestätigt auch der vorliegende Bericht der Landesregierung unsere damalige Einschätzung. Die Realität sieht aus Sicht des SSW schlimmer aus als im Bericht geschildert. Vor allem die Situation der Langzeitarbeitslosen ist eine andere. Denn in vielen Fällen wird ihnen nicht effektiv genug dabei geholfen, eine wirklich bedarfsdeckende Arbeit aufzunehmen und so den Ausstieg aus Hartz IV zu schaffen. Sie werden ganz einfach mit der Verantwortung für den Eingliederungserfolg alleingelassen.

Durch die Abschaffung der Zumutbarkeitsregeln werden die Hilfebedürftigen in vielen Fällen leider nur in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse vermittelt. Über die Erbringung der passiven Leistungen hinaus wird also nach wie vor zu wenig für sie getan. Bei Zeit- und Leiharbeit haben wir in den vergangenen Jahren einen enormen Zuwachs zu verzeichnen. Auch der DGB hat diesen bedenklichen Trend kürzlich angemahnt. Die damit verbun

denen Probleme dürften allen bekannt sein. Das Einkommen reicht meistens nicht aus, um den tatsächlichen Bedarf zu decken, und die Vermittelten bleiben Empfänger von Transferleistungen. Der SSW sieht daher die Landesregierung in der Pflicht, sich für bessere Vermittlungschancen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzusetzen.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Beginn dieses Jahres hat uns doch eindrucksvoll vor Augen geführt, wie notwendig Verbesserungen am System Hartz IV sind. Und neben den anzuhebenden Regelsätzen gibt es natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Baustellen. Die Zahl der Hartz-IV-Fälle vor den Sozialgerichten hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt und zeigt, dass noch sehr vieles verbesserungsbedürftig ist. Auch der aktuelle Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten bestätigt diesen Eindruck und macht deutlich, wie viel in diesem Bereich getan werden muss. Denn die Zahl der bearbeiteten Petitionen hat sich völlig gegenläufig zu den im Bericht genannten Beschwerden entwickelt. Allein 1.320 Eingaben, und damit weit mehr als ein Drittel aller bearbeiteten Fälle, gehen auf das SGB II zurück.

Doch anstatt die Vielzahl von Änderungsbedarfen am System Hartz IV und an anderen Regelungen und Bestimmungen der Arbeitsmarktpolitik tatsächlich darzulegen und zu begründen, berichtet die Landesregierung lieber über die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur und kommunalen Trägern. Dabei wurde aber gerade eine Darlegung und Begründung im Berichtsantrag der Linken gefordert. Die Aussage, Schleswig-Holstein befinde sich bei der SGB-IIUmsetzung auf einem guten Weg, kann der SSW jedenfalls nicht teilen. Für uns ist klar, dass wir auch fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV noch sehr weit von einer wirklich ausgewogenen Kultur des Forderns und Förderns entfernt sind. Doch nur dieser Ansatz kann den Hilfesuchenden echte berufliche Chancen eröffnen.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Bis wir den Menschen aber diese neuen Möglichkeiten tatsächlich auch in vollem Umfang bieten können, gibt es noch einiges zu tun. Vor allem der Eingliederungsprozess muss dringend systematisiert und die einzelnen Schritte müssen klar definiert sowie verbindlich durchgeführt werden. Hierfür brauchen wir nicht zuletzt auch gut ausgebildete

(Rasmus Andresen)

und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich umfassend fortzubilden, um anspruchsvolle Vermittlungsarbeit auch erfolgreich durchführen zu können. Hier sind dann ganz besonders die Träger in der Pflicht.

Es gibt in der Tat noch unheimlich viel zu tun, bevor wir behaupten können, dass Schleswig-Holstein hier auf einem guten Weg ist.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich der Herr Abgeordnete Ulrich Schippels gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kalinka, wir haben offensichtlich eine unterschiedliche Sicht der Realität. Ich bin der Meinung, Hartz IV ist und bleibt ein schlechtes Gesetz, es ist vor allen Dingen schlecht gemacht. Es wird auch nicht dadurch besser, dass es vielleicht dann nicht mehr Hartz IV heißt, sondern Kalinka V - obwohl das schon besser klingen würde, das möchte ich gern zugestehen. Es ist schlecht gemacht. Das haben Sie auch gesagt. Die Prozesslawine wurde angesprochen. Leider ist es auch so, dass die ganzen Fehler, die Rot-Grün verursacht hat, bisher nicht behoben worden sind. Es wird sogar immer noch schlimmer. Das wurde schon gesagt, da bedarf es noch Änderungen.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, warum Hartz IV gemacht worden ist. Die Idee der damaligen Schröder-Regierung - die irrige Idee - war, durch Repressionen, durch Fördern und Fordern, die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu halbieren. Das Problem dabei ist, dass Arbeitslosigkeit kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches Problem ist. Schauen Sie sich doch die Zahlen der Arbeitslosen an, schauen Sie sich die Zahl der vielen Arbeitsuchenden an. Trotz aller Spitzfindigkeiten und trotz aller Tricks bei den Statistiken wird doch deutlich, dass Arbeitslosigkeit ein gesellschaftliches Problem ist. Das löst man nicht, indem man Leute repressiven Handlungen aussetzt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt beim SSW)

Wenn es dann doch Arbeit gibt - auch in Schleswig-Holstein -, dann ist es meist Arbeit im Niedrig

lohnsektor. Das ist übrigens das Kombilohnmodell der CDU mit anderen Mitteln. Das lehnen wir ab. Deshalb brauchen wir, Herr Kalinka - da sind wir uns wahrscheinlich auch einig -, einen Mindestlohn, um nicht Hartz IV dafür nutzen zu müssen, dass die Unternehmen billige Arbeitskräfte bekommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Vogt, Sie haben gesagt, Hartz IV ist Hilfe aus einer Hand. Hartz IV ist in unseren Augen eher ein Knüppel aus einer Hand.

(Beifall des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Wenn man nämlich nicht spurt, dann werden die kargen Mittel, die es gibt, auch noch gekürzt.

Zu den Grünen: Danke für den Beitrag. Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen. Sie haben Ihre damaligen Vorstellungen der Individualisierung von Hilfeleistungen durch Hartz IV ad absurdum geführt. Diese Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft ist eindeutig gegen die Emanzipation der Frauen gerichtet. Das ist quasi die Fortführung der Familie mit den Mitteln der Grünen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir finden, auch das ist ein Skandal. Niemand sagt, dass das alte System gut war. Niemand sagt das. Tatsächlich kann man auch die Leistungen zusammenlegen, aber was man nicht darf, ist zum einen Leute, die in Arbeitslosigkeit kommen, gleich herunterfallen zu lassen. Jetzt wird es ja noch schlimmer. Man darf sie nicht gleich herunterfallen lassen in das soziale Netz. Das ist nicht besonders gut ausgeprägt. Sie dürfen dann ihr Häuschen verkaufen, beziehungsweise sie fallen gleich in Armut.

(Zuruf des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

- Ja, aber gucken Sie sich doch einmal die Gesetzgebung auf Bundesebene an. Wie ist das mit dem Übergang von Arbeitslosengeld 1 in Arbeitslosengeld 2? Wird das verbessert, werden die Regelungen für die Menschen vereinfacht, oder wird da wieder mit einem Knüppel draufgehauen? - Da wird wieder mit dem Knüppel draufgehauen.

Ich möchte noch ein Letztes sagen, auch wenn meine Redezeit jetzt schon zu Ende ist. Eine Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit den Ärmsten, den am schlechtesten Versorgten, in ihr umgeht.

(Flemming Meyer)

Wir fordern drei Dinge bei der Neuorientierung: Wir fordern die Individualisierung des Rechtsanspruchs, wir fordern die Repressionsfreiheit, und wir fordern, dass die Höhe der Unterstützung für die Menschen, die hier leben, so hoch ist, dass sie am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können, denn das ist ein Menschenrecht.

(Beifall bei der LINKEN sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat sich der Herr Abgeordnete Dr. Garg gemeldet. - Was möchtest du, Heiner? Als Minister oder als Abgeordneter?

(Zuruf von Minister Dr. Heiner Garg)

- Reden.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich glaube, man muss nicht unbedingt dem vorherigen Redner das letzte Wort lassen.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Wolfgang Baasch [SPD])

Ich glaube auch, dass ich nicht im Verdacht stehe, rot-grüne Regierungspolitik aus den Jahren 2000 bis 2005 verteidigen zu wollen oder zu müssen. Aber ich glaube auch, dass es notwendig ist, bestimmten Legendenbildungen entgegenzuwirken.

Die Arbeitsmarktreformpolitik, die in dieser Zeit erarbeitet wurde - die übrigens durch entsprechende Beteiligung der Länder, durch entsprechende Beteiligung der Gremien, auch des Bundesrates, also auch meiner Fraktion und der Fraktion der Union, entsprechend begleitet wurde -, ist in keinster Weise mit dem Ziel verabschiedet worden, Repressalien für sieben Millionen arbeitsuchende Menschen zu verabschieden, sondern mit dem klaren und nach wie vor richtigen Ziel, zwei völlig parallel laufende steuerfinanzierte Transfersysteme endlich zu einem System zusammenzufügen, um Verwaltungseffizienten zu erzielen, die in diesem völlig unsinnigen Nebeneinander dieser beiden Systeme nicht ausgeschöpft werden konnten. Punkt eins.

(Beifall bei FDP, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Punkt zwei. Man mag heute eine Bilanz ziehen, wie immer man dazu steht, ob es bislang gelungen ist, das Prinzip Fördern und Fordern schon zu leben. Da mag man unterschiedlicher Meinung sein. Aber das Prinzip Fördern und Fordern gleichzusetzen mit Repressalien und Keulen, die gegen Arbeitsuchende geschwungen werden, ist billigste Polemik.

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wird auch nicht dem Anspruch gerecht, den der damalige Gesetzgeber gesetzt hat.

Arbeit ist mehr als nur Beschäftigung. Arbeit ist auch mehr als nur Broterwerb. Dass Menschen, insbesondere Menschen, die lange arbeitslos waren, sich wieder als Bestandteil unserer Gesellschaft fühlen können, dass sie sich wertgeschätzt fühlen, dass sie sich als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft, die sich in unsere Gesellschaft einbringen, fühlen können, das sie sich angenommen fühlen können - auch darum ging es dabei. Der Grundsatz Fördern und Fordern ist nach wie vor richtig, muss verbessert werden, muss ausgebaut werden. Es müssen Chancen geschaffen werden. Das in Bausch und Bogen in einem polemischen Beitrag in Abrede stellen zu wollen, haben diese Arbeitsmarktreformen nicht verdient. Nein, sie haben verdient, dass sie weiterentwickelt werden, dass sie bürgerfreundlicher gemacht werden. Sie haben es mit Sicherheit nicht verdient, in dieser polemischen Art und Weise falsch dargestellt zu werden.

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei der SPD)