Protocol of the Session on September 9, 2010

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei der SPD)

Der Herr Abgeordnete Wolfgang Baasch hat sich zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag gemeldet.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur, weil es nicht richtig wäre, der Regierung das letzte Wort zu überlassen, sondern auch, weil ich glaube, dass es richtig ist, an noch mehr Punkten nachzuweisen, dass wir bei Arbeitsmarktpolitik immer von aktiver Arbeitsmarktpolitik ausgehen müssen und im politischen wie im gesellschaftlichen Wettstreit darum ringen müssen, die besten und vernünftigsten Lösungen hinzubekommen, will ich Folgendes sagen. Einfach zu behaupten, Hartz IV müsse weg, ist völliger Quatsch. Es ist alternativlos. Was würde denn passieren? Was wäre der richtige Weg?

(Ulrich Schippels)

Ich will versuchen, deutlich zu machen, warum die Arbeitsmarktreform - mit verschiedenen Stellschrauben im Sozialgesetzbesuch II verankert - der richtige Weg war. Es war nicht nur so, dass wir zu Zeiten der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein System hatten, das individuell nicht gerecht war. Nein, es war auch ein riesiger Verschiebebahnhof zulasten der Kommunen. Da sind Millionen von Sozialhilfeempfänger in den Kommunen geparkt und dort unterhalten worden, ohne dass der Bund auch nur einen kleinen Finger gekrümmt hat, um genau das, was angeprangert worden ist, nämlich die Arbeitslosigkeit, zu beseitigen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Man hat die Kommunen mit diesem Problem alleingelassen. Die Menschen waren betroffen; das war schlimm genug. Aber man hat auch die Kommunen damit alleingelassen.

Es war reiner Zufall, ob jemand in Lübeck gelebt hat, wo es eine hervorragende Beschäftigungsgesellschaft gegeben hat, die sich Mühe gegeben hat, dem entgegenzuwirken, oder ob man ein einem anderen Landkreis gelebt hat, wo der Landrat gesagt hat: „Das interessiert mich alles nicht. Die kriegen Sozialhilfe, und dann sollen sie ruhig sein.“ Genau deswegen war es notwendig, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Genau das ist auch geschehen, auch mit all den Fehlern und mit all den Schwächen, die in dieser Arbeitsmarktreform vorhanden sind. Es war der richtige Weg, und es ist auch heute der richtige Weg, weiter darüber zu diskutieren, wie man das besser und vernünftiger gestalten kann, als es vielleicht in einigen Bereichen der Fall ist.

Das angesprochene Repressionsmoratorium ist richtig, und ich halte es auch für notwendig, dass wir dieses angehen. Man muss den Betroffenen auch sagen, es geht nicht darum, Bestrafung, Repression auszuüben, sondern der erste Ansatz ist, das Fördern und das Gerechtigkeitsgefühl zu stärken, dass man auch mit den individuellen Bedürfnissen der Menschen vernünftig umgeht.

(Beifall des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist auch richtig, sich über höhere Regelsätze zu unterhalten, aber ich bin dagegen, dass hier ein Überbietungswettbewerb einsetzt: 420 €, 450 €, der Held ist derjenige, der 500 € fordert. Nein, ich bin dafür, dass wir das ernst nehmen, dass es eine Kommission gibt, die das unabhängig von jemandem, der das einfach einmal so behauptet, erarbeitet. Sie sollte das aber auf einer vernünftigen

Grundlage erarbeiten. Dafür sind wir aufgefordert, deutlich zu machen, was alles in diese Regelsätze hineingehört. Das hat uns auch das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, indem es gesagt hat, was zum Beispiel bei eigenständigen Kinderregelsätzen fehlt. Deswegen wäre es gut gewesen, wenn in dem Bericht auch dazu etwas gestanden hätte. Als letzten Satz - ich habe schon 10 Sekunden überzogen - sage ich, dass Fördern und Fordern natürlich ein höherer Anspruch ist. Wir alle wissen, dass das Fördern bisher nicht so geklappt hat, wie wir es haben wollten. Da müssen wir vor allem ansetzen. Da können wir auch mit eigenen Mitteln ansetzen. Deswegen ist es grundfalsch, wenn wir bei der Arbeitsmarktpolitik in diesem Land streichen. Projekte wie Frau & Beruf zu streichen ist falsch,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

weil es dafür sorgt, dass aktive Arbeitsmarktpolitik unterlaufen wird, so wie wir sie uns zum Beispiel auch mit dem SGB II vorstellen. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Daran können wir auch in den Haushaltsberatungen arbeiten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Frau Abgeordnete Antje Jansen hat sich zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Garg, ich widerspreche Ihnen, wenn Sie sagen, dass es reine Polemik ist, die von meinem Kollegen Ulrich Schippels gekommen ist.

Die Frage ist: Wieso hat dieses Fördern und Fordern solche Auswirkungen? Wieso empfinden die Menschen das als Schikane? Gehen Sie einmal in die Arbeitslosenberatungsstellen, in die Sozialberatungsstellen, gehen Sie einmal auf die Flure der ARGEn und fragen Sie die Menschen, die sich dort hilfesuchend aufhalten, wie sie die Beratung, das Fördern und Fordern, empfinden.

(Minister Dr. Heiner Garg: Ich sehe das je- den Morgen!)

- Ja, aber dann müssen Sie doch als der Vertreter unseres Landes auf der Bundesebene einfordern, dass sich das Fördern und Fordern verändert, dass die Menschen auch wirklich Hilfe und Unter

(Wolfgang Baasch)

stützung bekommen. Es besteht nicht nur der Eindruck, sondern es ist auch tatsächlich so, dass Drangsalierung bei der Ausführung von Fördern und Fordern mitgefördert wird. Es ist nicht so, dass wir sagen, das haben wir uns aus der Tasche gezogen, und wir sagen das einmal, weil wir Hartz IV weghaben wollen. Nein, es geht um Gesetzesauswirkungen. Herr Kalinka, es ist nicht nur der Name. Man kann auch sagen - wie gesagt wurde -, dass es eine Grundsicherung ist. Es heißt ja eigentlich auch Grundsicherung.

Viele in diesem Haus haben das Gesetz kritisiert, und ich frage mich, warum dieses Gesetz letztendlich dann noch so bestehen kann, wenn es so, so viele Fehler in der Umsetzung hat. Das ist doch keine Hilfe für die Betroffenen. Einige wenige haben vielleicht etwas davon.

Aber die Langzeitarbeitslosen, die große Schwierigkeiten haben und nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln sind, werden von einer Maßnahme in die andere geschoben, ein Ein-Euro-Job und noch ein Ein-Euro-Job. Wenn man jetzt sieht, dass das neue Gesetz auf Bundesebene vorsieht, dass jetzt auch die Gelder für die Weiterbildung und die Fortbildung gekürzt werden, dann müssen die Arbeitslosen auf der Strecke bleiben.

Herr Baasch, ich habe in meinem Redebeitrag nicht nur gesagt: dass Hartz IV weg muss. Wir wollen einen Mindestlohn in Höhe von 10 €, wir wollen hier auch endlich einen öffentlichen Beschäftigungssektor, und wir wollen eine existenzsichernde Grundsicherung. Das sind unsere Ideen, die wir einbringen wollen, und wir wollen auch, dass sie umgesetzt werden. Das sind nicht nur leere Hüllen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil mich diese Debatte doch etwas ärgert. Ich habe sieben Jahre in einem Kreistag in Nordfriesland gesessen, wo wir uns mit dieser Thematik sehr intensiv beschäftigt haben. Wir haben uns mit der Frage auseinandergesetzt: Wie schaffen wir es, Menschen

erfolgreich zu machen, dass sie wieder in Arbeit kommen? Dies ist eine sehr ernsthafte Aufgabe.

Ich kann ja verstehen, dass DIE LINKE ihre Existenzberechtigung und ihren Gründungsimpuls aus der Hartz-IV-Gesetzgebung hat, liebe Antje. Aber man muss dann auch die Fähigkeit haben, genau hinzusehen, was eigentlich bei den verschiedenen Modellen geschieht. Ich denke, wenn man sich einmal diese Mühe macht, dann wird man genau das feststellen, was Herr Minister Garg hier ausgeführt hat: Es gibt natürlich gute und schlechte Modelle, aber es gibt vor allem gute und erfolgreiche Arbeit. Wenn man sich das Modell der Hilfen aus einer Hand anschaut, dann wird man erkennen, dass die kommunale Präjudizierung zumindest dafür sorgt, dass die Akteure in einer Verantwortungsgemeinschaft stehen, um die Probleme zu lösen. Das sind eben die kleinen und mittelständischen Unternehmen, das ist der gesamte soziale Raum, der sich engagiert für dieses Ziel, Menschen erfolgreich zu machen. Wenn dieses Ziel stimmt und sich alle Akteure auf Augenhöhe begegnen und dieses organisieren, dann wird das auch erfolgreich. Das möchte ich an dieser Stelle betonen.

Schauen wir uns doch die Zahlen an, wie viele erfolgreiche Vermittlungen wir haben. Denken wir das doch vom Ende her. Schauen wir doch hin, was erfolgreiche Arbeit ist. Dann ist es natürlich auch entscheidend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie viele persönliche Ressourcen ich in ein Fallmanagement hineingebe, ob ein Fallmanager 100 oder 800 Fälle zu bearbeiten hat. Die Qualität des Fallmanagements hängt sehr stark davon ab, wie viel ich da investiere.

Wenn wir zum Beispiel über das Thema Sanktionen reden, dann müssen wir auch bedenken: Es gibt Computerprogramme, bei denen in einer Spalte steht: Der entsprechende Bewerber muss 30 Bewerbungen in einer Woche ableisten. Da schaut keiner hin, wie qualitätsvoll diese Bewerbungen sind. Da wird nur gezählt. Wenn er dann 29 Bewerbungen hat, dann bekommt er eine Sanktion. Das ist völlig absurd. Wir sollten doch lieber fragen: Was steht darin? Wie hat er sich profilmäßig entwickelt, und hat er damit eine Chance auf dem Arbeitsmarkt und kann dort erfolgreich sein? Das ist Qualitätsfallmanagement, und das ist unter anderem das, was wir in Nordfriesland seit sieben Jahren in dieser sehr engen Zusammenarbeit entwickelt haben.

Ich finde, das gehört dazu, wenn man heute darüber redet, und es gehört auch dazu, wenn man sich heute im Landtag politisch damit auseinandersetzt, dass wir hier nicht alles schlechtreden. Wir wissen, das

(Antje Jansen)

Glas kann immer halb leer oder halb voll sein. Aber in dieser Frage müssen wir, glaube ich, zumindest feststellen: Es gibt gute Ansätze in diesem Land, übrigens nicht nur bei den Sozialraumkommunen, sondern auch in den ARGEn, wenn ich zum Beispiel an Kiel denke.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei CDU und SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Kalinka das Wort für einen Dreiminutenbeitrag.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Worte Schikane und Repression dürfen in der Tat nicht das letzte Wort beim Thema Hartz IV sein.

Ich habe am Wochenende mit Handwerksmeistern im Malerbereich gesprochen. Sie erzählten, dass sie Gesellen haben, die aus Greifswald gekommen sind. Der Lohn ist dort nicht allzu hoch. Sie müssen noch 15 € am Tag für die Pension ausgeben, aber es ist ihnen wichtig, ein unbefristetes und ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis zu erhalten und in Arbeit zu kommen.

Ich glaube, das, was diesen Mitarbeitern abverlangt wird, darf man auch in anderen Bereichen wie beispielsweise Hartz IV verlangen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das ist nichts Unbotmäßiges, im Gegenteil.

Sie interpretieren mich zum Thema Mindestlohn im Prinzip schon richtig. Diese Haltung habe ich auch mehrfach deutlich gemacht. Aber es ist natürlich schon ein Thema, wenn eine Familie durch diese Leistungen 1.500 bis 1.700 € bekommt und ein Arbeitender knapp bei diesem Betrag oder gar darunter liegt. Diese Psychologie dürfen Sie nicht unterschätzen.

Deswegen möchte ich hier auch einen zweiten Punkt positiv hervorheben. Ich empfinde Hartz IV nicht als so belastend. Ich glaube, dass es jetzt sogar einen Korridor gibt und dass anerkannt wird: Arbeitslosigkeit ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern sie war zeitweilig auch mit anderen Problemen verknüpft. Ich empfinde es als positiv, dass man von einer bestimmten Position weggekommen ist. Die Wirtschaft leistet dazu auch einen positiven Beitrag.

Dritte Bemerkung. Man kann doch nicht ignorieren, dass, wenn Menschen längere Zeit aus einem Prozess ausgeschieden sind, wenn sie nicht bestimmte Dinge in einer gewissen Regelmäßigkeit gemacht haben, sich dann auch ihre Verhaltensweise zum Teil ändert. Das ist doch völlig klar. Das weiß jeder. Wenn man solche Menschen dann durch einen „sanften Druck“, durch eine Anleitung, wieder an den Arbeitsprozess heranführt, kann das doch nicht falsch sein.

(Beifall bei der CDU)

Ich kenne Menschen, die vereinsamt sind und Probleme haben. Sie sind dankbar, dass sich jemand ihrer angenommen hat und sie dadurch eine Chance bekommen haben. Wir können uns natürlich die Welt immer in einer bestimmten Weise darstellen, aber wir können sie auch realistisch sehen. Deshalb sage ich das hier.

Letzte Bemerkung: Um eines kommen Sie nicht herum, nämlich dass die Hartz-IV-Bilanz jedenfalls in Zahlen eine positive ist, auch auf dem Arbeitsmarkt. Da können Sie über Clement, über Schröder und über andere streiten, aber die materielle, die zahlenmäßige Bilanz ist positiv. Damit ist mehr erreicht worden als in den Jahren vorher. Die Frage „Was hilft den Menschen?“, orientiert sich auch daran: Wo haben sie mehr Arbeitschancen, mehr Arbeitsgelegenheit, wo haben sie mehr Tätigkeit? Deswegen sollte man, glaube ich, auch unter diesem Gesichtspunkt am Ende ein positives Fazit ziehen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist Ausschussüberweisung beantragt. Es beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 17/785, dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.