Protocol of the Session on September 11, 2008

setzgeber eine ebenso gerechte Verteilung der Sitze in den Gremien der Kommunalvertretungen sichern kann. Auch in diesem Bereich muss es Regeln geben, die kommunaler Willkür entgegenwirken. Ich halte es immer noch - ich glaube, ich habe es bereits in der letzten Debatte angesprochen - für eine deutliche Verfälschung des Wählerwillens. Ich habe das Verteilungsverfahren für Ausschüsse und Gremien am Beispiel Husum genannt, wo der SSW praktisch aus den Ausschüssen herausgedrängt wurde. Er ist dort mit 10,5 % der Stimmen nur in zwei Ausschüssen vertreten. Wenn die FDP und die Grünen trotz 4,3 % beziehungsweise 2,8 % weniger Stimmen jeder für sich mehr Ausschusssitze erlangen konnten als der SSW, und wenn die CDU mit rund dreimal so vielen Stimmen wie der SSW zwölfmal so viele Sitze in den Ausschüssen hat, dann ist der Wurm darin.

(Beifall beim SSW)

Da die demokratische Kultur vor Ort derlei Verzerrungen des Wahlergebnisses offensichtlich nicht vorbeugen kann, muss auch für diesen Bereich eine bessere rechtliche Regelung der Sitzverteilung gefunden werden. Alles andere kann man niemandem vermitteln. Ich werde dies in die Ausschussberatungen einbringen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2201 an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen worden.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe, begrüße ich auf der Tribüne zunächst sehr herzlich die Damen des Landfrauenvereins Nordstrand und die Besten des Abschlussjahrgangs 2008 der Steuerverwaltung des Landes Schleswig-Holstein. - Seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Geschäftsleitend weise ich darauf hin, dass sich die Fraktionen darauf geeinigt haben, den Tagesordnungspunkt 17 a heute ohne Aussprache zu behandeln. Um 13 Uhr wird der Tagesordnungspunkt 17 c, Künstlersozialversicherung, aufgerufen, und zwar mit jeweils Drei-Minuten-Beiträgen.

(Anke Spoorendonk)

Nunmehr rufe ich Tagesordnungspunkt 12 auf:

Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2202

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Herzlichen Dank für die Rücksichtnahme auf mein Zeitversäumnis. Ich dachte, der Minister hätte noch das Wort. - Ich möchte Sie auf ein Thema aufmerksam machen, das auch heute in der „Welt“ aufgegriffen wurde. Das sehen Sie, wenn Sie in den „Pressespiegel“ schauen. Ich habe es übertitelt mit dem Titel: „Putzfrau mit Doktortitel“.

Nach Schätzungen der Universität Oldenburg leben heute in Deutschland zurzeit rund 500.000 zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker, deren Abschluss nicht anerkannt wurde und die deshalb unqualifiziert oder in nicht ausbildungsadäquaten Tätigkeiten tätig sind. Diese Nichtanerkennung beruflicher Qualifikation erschwert und verhindert nicht nur individuell die Aufnahme einer dem Bildungsstand entsprechenden Erwerbstätigkeit, sondern bedeutet in volkswirtschaftlicher Hinsicht, dass erhebliche Qualifikationsressourcen im Erwerbssystem brachliegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese langjährige Fehlentwicklung untergräbt gleichzeitig die von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützten Versuche, gezielt technische und akademische Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern für Mangelberufe zu gewinnen. Hier verweise ich auf den Artikel vom 11. September 2008 in der „Welt“. Danach mahnt die OECD erneut an, dass sich Schleswig-Holstein leider in „guter Gesellschaft“ befindet. Deutschlandweit nämlich ist es so, dass ausländische Fachkräfte unser Land meiden, weniger häufig zu uns als in andere Länder kommen. Offensichtlich hat sich inzwischen herumgesprochen, wie sehr die Qualifikationen der schon früher nach Deutschland Eingewanderten oder nach Deutschland Geflüchteten hierzulande mit Füßen getreten werden.

Wir Grünen haben uns seit Jahren für offensive, humane und realistische Zuwanderungsstrategien und auch für eine vernünftige Greencard-Lösung stark gemacht. Wir haben aber immer wieder darauf hingewiesen, dass diejenigen, die schon hier sind, von Behörden, Kammern und Arbeitsagenturen ermutigt werden sollten. Stattdessen haben sie sich mit Behinderungen und Ausgrenzungen herumzuschlagen.

Im Dezember 2007 stellte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, fest, dass Migrantinnen und Migranten in dieser Gesellschaft nach wie vor abgehängt sind. Sie belegte dies mit einem Zahlenpaket. Es heißt eben nach wie vor: Geldbeutel und Herkunft entscheiden über die Bildungskarrieren und den weiteren Lebensweg. Das wollen wir ändern.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Rückzug in die sogenannten Parallelgesellschaften, der immer wieder vorgeworfen wird, hat seine Ursache aber auch darin, dass die ausländischen Bildungswege und Diplome in Deutschland zu selten anerkannt werden. Auf diese Weise kann sich keine bürgerliche Elite unter den Migranten herausbilden, die Vorbild für andere sein könnte. Uns selber sind zwar einige wenige Namen im Gedächtnis. Ich nenne hier beispielweise den Regisseur Fatih Akin und verweise auf Schauspielerinnen oder den großen Unternehmer von Öger Tours. Diese wenigen Blumen reichen aber noch nicht, um tatsächlich einen grünen Garten zu bauen, der es vielen Migrantinnen und Migranten erlaubt, sich daran zu orientieren und auch selber Erfolg zu haben. Dies gilt auch für die technischen Berufe. Es kann nicht angehen, dass Bautechniker zu Anstreichern dequalifiziert werden und Ingenieurinnen und Ingenieure oder Lehrerinnen und Lehrer sich als Reinigungskräfte und Haushaltshilfen durchschlagen müssen.

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeitslosenquote. Das brauche ich nicht näher auszuführen.

Ich möchte jetzt auf den aktuellen Debattenstand eingehen. Erfreulicherweise ist es so gewesen, dass sich die Kultusministerkonferenz im letzten Dezember mit den Migrantenorganisationen geeinigt hat, zu neuen Verfahren zu kommen und die Qualifikationen aufzuwerten. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den ausgezeichneten Leitfaden des Aktionszusammenschlusses „access“ erwäh

(Präsident Martin Kayenburg)

nen, der deutlich macht, wie der Anerkennungsprozess derzeit in Schleswig-Holstein funktioniert, und der damit zugleich deutlich macht, wie viel noch zu tun ist. Nicht zufällig kommt ein solcher Leitfaden von einer Nichtregierungsorganisation.

Ich möchte Sie dafür gewinnen, dass Sie gemeinsam mit uns unserem Antrag zustimmen. Wir wollen endlich Taten sehen. Ich möchte Sie dafür gewinnen, dass wir uns auf realistische Ergebnisse und Zielvereinbahrungen konzentrieren, damit wir in fünf Jahren dieselbe Debatte nicht noch einmal führen müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern richte ich meinen Appell an das ganze Haus, nicht zuzulassen, dass Migrantinnen und Migranten unterqualifiziert arbeiten. Tun Sie etwas für wirkliche Integration!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Angelika Birk. Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Wilfried Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schleswig-Holstein besitzt eine lange und prägende Migrationstradition mit zahlreichen Beispielen erfolgreicher Integration. Integration kann nicht verordnet werden. Sie erfordert Anstrengungen von allen, vom Staat und der Gesellschaft. Maßgebend ist zudem die Bereitschaft der Zuwanderer, sich auf ein Leben in unserer Gesellschaft einzulassen.

Angesichts des demografischen Wandels und des globalen Wettbewerbs um die besten Köpfe sind wir zunehmend auf einen positiven und pragmatischen Umgang mit Zuwanderung und Integration angewiesen. Dafür ist eine nachhaltige Integrationspolitik dringend erforderlich. Im Zusammenhang von Globalisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung ist nicht nur die Wirtschaft immer stärker auf differenzierte sprachliche und interkulturelle Kenntnisse von Beschäftigten angewiesen, sondern auch der öffentliche Dienst, der mit seinen Angeboten einer zunehmend differenzierten Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen Rechnung zu tragen hat. Vor diesem Hintergrund haben sich die Bundesregierung und die Länder im Integrationsplan verpflichtet, ihre Einstellungspraxis zu überprüfen und eine gezieltere Personalrekrutierung zu betreiben.

Das Anerkennungswesen in Bezug auf im Ausland erworbene Berufs- und Hochschulabschlüsse in Deutschland ist noch unübersichtlich. Auf EUEbene wird im Rahmen des Bologna-Prozesses die Vergleichbarkeit von Hochschulabschlüssen vorangetrieben, und zwar auch für den Bereich der beruflichen Abschlüsse. Mit der Einführung eines Europäischen Qualifikationsrahmens, EQR, sollen unter anderem die Vergleichbarkeit erreicht und ein Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung erstellt und umgesetzt werden.

Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen im Sekretariat der Kultusministerkonferenz ist die zuständige Stelle für Angelegenheiten der Bewertung und Einstufung ausländischer Bildungsnachweise. Sie erbringt beratende und informatorische Dienstleistungen für die mit der Anerkennung ausländischer Bildungsnachweise befassten Stellen in Deutschland, zum Beispiel für Ministerien, Behörden, Hochschulen und Gerichte. Sie hat selbst keine Entscheidungsbefugnisse. Die Empfehlungen der ZAB können gelegentlich den Charakter verbindlicher Regelungen erhalten, wenn sie durch eine gemeinsame Entschließung der Kultusministerkonferenz gebilligt werden.

Gesetzliche Vorgaben zu den Anerkennungsverfahren in Bezug beruflicher Abschlüsse gibt es nur für Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen, die einen Rechtsanspruch auf Anerkennungsverfahren in allen Berufen haben, sowie hinsichtlich bestimmter Berufe auch für Unionsbürger und Unionsbürgerinnen. In weiten Teilen sind Zuwanderer bezüglich der Anerkennung ihrer Qualifikationen auf den freien Markt und damit auf die Bereitschaft und Fähigkeit individueller Arbeitgeber verwiesen, fremdsprachige Zeugnisse zu akzeptieren und ausländische Ausbildungen zu bewerten. Dies ist angesichts Hunderter von Ausbildungsberufen im dualen System insbesondere bei Berufsausbildungen und Meisterabschlüssen problematisch. Die formale Vergleichbarkeit von Berufsausbildungen und die gegenseitige Anerkennung beruflicher Zeugnisse ist bilateral zurzeit nur mit Österreich und Frankreich sowie der Schweiz - in letzterem Fall jedoch nur für das Handwerk - geregelt. Die Kammern bieten allerdings in vielen Fällen informelle Hilfestellungen und Anerkennungsmöglichkeiten an. Hier wird mit Hilfe der Einführung des schon erwähnten Europäischen Qualifikationsrahmens - EQR - nachgebessert.

Bund, Länder und die Wirtschaft haben sich im Nationalen Integrationsplan verpflichtet, Anerken

(Angelika Birk)

nungsverfahren und Maßnahmen zu optimieren. Die Länder betonen, dass im Ausland erworbene Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüsse volkswirtschaftlich besser genutzt werden müssen und in diesem Zusammenhang auch Teilanerkennungen und gezielte Nachqualifizierungen sinnvoll wären.

Eine deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund ist sowohl aus sozial- und gesellschaftspolitischen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen geboten. Auch angesichts der demografischen Entwicklung und des Rückgangs des Arbeitskräfteangebots in Deutschland ist es ein wichtiges Anliegen von Politik und Wirtschaft, die Erwerbsbeteiligung der Migrantenbevölkerung gezielt zu erhöhen.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss. - Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung beschlossen, im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie bei der Umsetzung des Bundesprogramms zum Europäischen Sozialfonds für die Förderperiode von 2007 bis 2013 ein besonderes Augenmerk auf migrationspolitische Aspekte zu richten und den Nationalen Integrationsplan durch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen besonders zu unterstützen. Wir sind also auf einem guten Weg, aber es bleibt noch viel zu tun. Ich beantrage daher die weitere Beratung des vorliegenden Antrags im Innen- und Rechtsausschuss sowie im Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Wengler. - Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Anette Langner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei einem sich abzeichnenden Fachkräftemangel in Deutschland muss es natürlich grundsätzlich in unserem Interesse sein, einerseits die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften zu fördern und andererseits das fachliche und berufliche Potenzial von in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu nutzen. Ein entscheidendes Hindernis dabei - darauf ist hingewiesen worden - ist in der Tat die Anerkennung der

im Ausland erworbenen Abschlüsse. Deswegen greift der Antrag der Grünen eine Problematik auf, mit der wir uns auf jeden Fall ernsthaft beschäftigen sollten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Anzahl der Anträge auf Anerkennung im Ausland erworbener beruflicher Qualifikationen ist in Deutschland relativ gering. Gründe hierfür können meines Erachtens die hohen Zugangsschwellen sein. Herr Wengler hat ausführlich berichtet, wie viele schwierige Prozesse notwendig sind, um zu einer Anerkennung des Abschlusses zu kommen. Die Vergleichbarkeitsprüfung eines ausländischen Aus- oder Weiterbildungsabschlusses wird von den IHK und Handwerkskammern durchgeführt. Wenn eine Gleichwertigkeit besteht, darf die deutsche Berufsbezeichnung geführt werden. Allerdings ist die vollständige Gleichwertigkeit selten gegeben. Daher nehmen die Kammern Einstufungen vor. Diese führen aber in der Regel nicht zur Anerkennung des Berufes und in der Regel auch nicht zu der gewünschten tariflichen Einstufung bei einer Beschäftigung.

Ein weiterer wichtiger Problempunkt ist meines Erachtens, dass die Bedeutung informellen Wissens und informell erworbener Kompetenzen im Berufsleben zunimmt. Wir alle haben oft über das Stichwort „lebenslanges Lernen“ diskutiert. In Deutschland erfahren aber das lebenslange Lernen und die informellen Kompetenzen leider nicht dieselbe Wertschätzung wie formale Abschlüsse. Um eine Anerkennung informeller Qualifikationen zu erlangen, gibt es bislang nur das Instrument der Externenprüfung. Und das ist für Bereiche wie soziale Kompetenz oder interkulturelle Kompetenz, glaube ich, ein sehr schwieriges Verfahren.

Soweit in Kürze noch einmal die Situation. Was sollte man meiner Meinung nach also tun?

Wegen der besonderen Stellung der Kammern wird eine Zentralisierung in der Praxis der Anerkennung kaum möglich sein. Möglich ist jedoch der Zugang zu mehr Informationen, zu mehr Transparenz. Frau Birk hat dafür wichtige und gute Beispiele genannt.