Protocol of the Session on July 16, 2008

Man kann beim Thema Atomenergie eines gut erkennen: Wir alle leben unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. Dann kann man auch konsequenterweise die Schilder an der Autobahn entfernen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So, wie es hier im Landtag aussieht, ist nur die CDU der Meinung, dass man Atomkraftwerke weiterlaufen lassen sollte oder möglicherweise sogar neue bauen sollte.

Auf Bundesebene ist das leider anders. Im Parteiprogramm der FDP auf Bundesebene steht: „Insbesondere vor dem Hintergrund der von der FDP un

terstützten ehrgeizigen internationalen und nationalen Klimaschutzziele ist der vereinbarte Abschied von der Kernenergie der falsche Weg.“

(Beifall bei der CDU)

Im Hinblick auf die Frage, was nächstes Jahr passiert, halte ich es für ausgesprochen dringend, dass die FDP in Schleswig-Holstein einen entsprechenden Antrag auf dem Bundesparteitag einbringt, um diesen Beschluss zu kippen.

(Beifall bei der FDP - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das machen wir regelmäßig!)

Ich wünsche Ihnen Erfolg. Das meine ich ganz ehrlich. Ich möchte auch dazu beitragen, dass Sie Erfolg haben. Von daher möchte ich noch ein paar Argumente bringen, die noch nicht gefallen sind.

Meine Damen und Herren, die zentrale Frage, die sich stellt, ist, ob wir um 2020 die letzten Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein abschalten können, ohne zusätzliche Kohlekraftwerke zu bauen, die das Klima belasten. Haben wir dann genug Strom? Das ist die zentrale Frage, die wir in dieser Debatte beantworten müssen. Das ist meine feste Überzeugung. Die Auskunft der Wissenschaftler, die ich zu diesem Thema kenne, ist: Ja, es geht. Wir können abschalten, ohne zusätzliche Kohlekraftwerke zu bauen.

Erstens. Es sind erhebliche Energieeinsparungen möglich. Die sind bei allen Szenarien dargestellt, nicht nur bei der Isolierung der Häuser und im Verkehr, sondern auch beim elektrischen Strom. Dagegen rechnet die Lobby der Atom- und Kohleindustrie immer noch mit wachsenden Stromverbräuchen.

Zweitens. Die Universität Kassel hat durchgerechnet, wie eine Stromerzeugung Europas nur durch erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung in Zukunft aussehen kann. Es gibt ein Mix aus Windkraftwerken an den Küsten, thermischen Solarkraftwerken mit großen Wärmespeichern, die Tag und Nacht durchlaufen können, also nicht nur tagsüber, wie unsere Solarzellen. Solche Kraftwerke wird es in Südeuropa und vielleicht auch in Nordafrika geben. In Spanien ist das erste Großkraftwerk im Bau. Wasserkraftwerke in Skandinavien, in den Alpen und anderen Gebirgen sowie die konsequente Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung, das ist der Mix, der schrittweise gebaut werden muss. Dieser Mix kann, so die Rechnung, eine sichere Versorgung Europas ermöglichen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Zu welchem Preis?)

(Dr. Ralf Stegner)

Drittens. Das Spannende an dieser Untersuchung ist, dass eine Kosten-Nutzen-Rechnung sowohl für den konventionellen als auch für den alternativen Weg gemacht wurde. Sie kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Kohle-, Öl-, Atomenergie werden in den kommenden Jahren immer teurer. Wind-, Sonne- und Wasserenergie werden immer billiger werden. Es ist absehbar, dass bereits im nächsten Jahrzehnt die regenerativen Energien günstiger sein werden als die konventionellen Energien des letzten Jahrhunderts.

(Zuruf von der CDU: Kann ja gar nicht sein!)

Das Ergebnis ist, dass wir mit einem Strompreis hinkommen, der nicht wesentlich höher, sondern möglicherweise auf dem gleichen Level liegt, wie wir ihn heute haben, wenn wir konsequent auf energiesparende und alternative Energien setzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines der zentralen Probleme - das sagt uns die Wissenschaft - ist das Problem der Netze. Denn ein Austausch von Windenergie, Sonnenenergie und Wasserstrom erfordert ein stärkeres Netz, als wir es heute haben. Deswegen ist ein Ausbau des transeuropäischen Hochspannungsgleichstromnetzes wichtig. Ein solches Netz ist deswegen wichtig, weil die Verluste wesentlich geringer und die Transportleistungen größer sind. Ein solches Backbone Grid muss ausgebaut werden. Das ist eine zentrale Aufgabe, die wir leisten müssen, um die regenerative Versorgung Europas sicherzustellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in dieser Situation, in der wir stehen, fahren die großen Energiekonzerne eine millionenschwere Kampagne und versuchen, mit dem Argument der Strompreise den Ausstieg aus der Atomenergie zu Fall zu bringen. Atomenergie ist eine Risikotechnologie. Daran hat sich nichts geändert. Ein Unfall wie in Tschernobyl würde in Deutschland Millionen Menschen das Leben kosten und ganze Landstriche unbewohnbar machen. Das ist nicht verantwortbar. Je früher wir aus diesem Weg aussteigen, je früher wir damit Schluss machen, desto sicherer leben wir in Deutschland.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wir brauchen weder Atom noch Kohle. Energiesparende und erneuerbare Energien schaffen schon heute zehnmal so viele Arbeitsplätze in SchleswigHolstein wie Atom und Kohle. Atom und Kohle sind die Dinosauriertechnologien des vorigen Jahrhunderts. Wind, Sonne und Wasser sind die Zukunft. Packen wir die Zukunft an!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Kollege Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf dem G8-Gipfel wurde vereinbart, dass die Treibhausgase bis 2050 mindestens zu halbieren sind. Das ist ein Fortschritt, denn in Heiligendamm wurde seinerzeit gesagt, man wolle ernsthaft prüfen, ob man das machen kann. Inzwischen ist man einen minimalen Schritt weitergekommen. Allerdings schweigt man sich darüber aus, wie das konkret umgesetzt werden soll. Da ist man sich nicht einig geworden. Stattdessen hat man wieder eine Nebelkerze in Form einer Kernenergiedebatte geworfen, indem man gesagt hat: Das wäre etwas, was man machen könnte. Ich finde, da hat sich Frau Merkel recht gut ins Zeug gelegt für uns, indem Sie als einzige Ruferin in der Wüste gesagt hat, dass man das nicht wolle. Die CDU im Schleswig-Holsteinischen Landtag sollte sich an ihrer Kanzlerin ein Beispiel nehmen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Denn Kernenergie ist definitiv keine Lösung für den Klimaschutz und ist auch keine Lösung für unsere Energieprobleme.

(Zuruf von der CDU: Hat auch keiner ge- sagt!)

Die Kernenergie an sich ist ein Problem, das wir abwickeln müssen. Das Problem der Lagerung und Entsorgung von den Brennelementen ist völlig ungelöst. Es gibt bis zum heutigen Tage keine Endlagerstätten. Kein Mensch weiß, wie man den Atommüll los wird. Kein Mensch weiß, wie man ihn sicher bewachen kann, wie man ihn sicher lagern kann. Das ist nicht zu verantworten.

(Karl-Martin Hentschel)

Uran ist eine endliche Ressource. Der Kollege Garg hat darauf hingewiesen, dass solche endlichen Ressourcen, wenn man entsprechend ausbaut, natürlich teurer werden. Das heißt, wir wissen genau, dass Kernenergie teuer wird und erneuerbare Energien billiger werden. Deshalb ist es verkehrt, auf das falsche Pferd zu setzen, sondern wir müssen auf erneuerbare Energien setzen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben aber schon zum heutigen Zeitpunkt eine Schieflage des Marktes, wenn man es so nennen will, denn die Gefahrenpotenziale, die die Kernenergie beinhaltet, müssten ja eigentlich versicherungstechnisch abgesichert werden. Genau das geschieht nicht im ausreichenden Maße, sondern genau diese Leistung wird den Anlagenbetreibern vom Staat ferngehalten. Wenn man das auch für Wind- und Solarenergieanlagen machen würde, dass man diese praktisch nicht mehr versichern müsste, dann wären sie noch konkurrenzfähiger, als sie ohnehin heute schon sind. Ich persönlich finde es nicht in Ordnung, dass man solche Subventionen immer noch aufrechterhält, denn Subventionen haben auf dem Energiemarkt nichts zu suchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Fälle in Frankreich sowie die Abschaltung unserer Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein - das möge man nicht vergessen - zeigen, dass diese Energieform nicht beherrschbar ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Atomenergie ein Ökosiegel aufdrücken will, der verkauft die Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes für dumm.

Was würden wir erreichen, wenn wir die Laufzeiten verlängern würden? - Der Kollege Stegner hat dies eben deutlich gemacht: Ein Haushalt würde zwischen 30 und 50 ct sparen, also den Wert einer neuen Glühbirne. Vielleicht ist es auch nur eine Kugel Eis. Auf jeden Fall bringt es die Menschen vor Ort nicht weiter. Der Quatsch, der erzählt wird, dass dann alles viel billiger würde, ist definitiv barer Unsinn. Das Einzige, was passiert, ist, dass die Kunden nichts haben, aber die Stromkonzerne wesentlich mehr haben. Die machen Milliardengewinne. Genau das soll nämlich nicht Ziel unserer Energiepolitik sein, und es ist wichtiger, dass wir nachhaltige Energiequellen entdecken, erforschen und nicht auf alte Pferde setzen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Atomausstiegskompromiss führt zum Druck auf die Energiekonzerne. Wir haben bereits in den letzten Jahren gemerkt, wie sehr sie sich darum bemüht haben, neue Energieformen, auch Einsparen von Energie, zu forcieren. Wenn wir das jetzt wegfallen lassen, dann fällt dieser Druck weg. Dann werden sich die Unternehmen nichts besseres einfallen lassen. Dann werden erneuerbare Energien schwierigere Marktchancen haben. Es müsste eigentlich genau umgedreht sein. Wir müssen weiterhin Geld in die Forschung stecken. Die AKWs kann inzwischen jeder bauen, wie wir wissen. Sie werden ja auch weltweit propagiert, manchmal auch gebaut. Viel wichtiger ist es gerade für uns als Land Schleswig-Holstein, dass wir auf die Energiequellen setzen, in denen wir als Schleswig-Holsteiner führend sind. Das ist tatsächlich Wind- und Solarenergie, und das werden vielleicht noch viele andere Energieformen sein. Genau das müsste eigentlich doch unser Ziel sein, auch aus wirtschaftspolitischer Sicht. Hier hoffe ich auf den Wirtschaftsminister, dass er genau diese Einsicht hat.

(Zurufe)

- Hoffnung darf man ja haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn mehrere sagen, sie wollten in diese Richtung gehen - wie auf dem G8-Gipfel geschehen -, und nur einer die Wahrheit beziehungsweise Erkenntnis gepachtet hat, nämlich die deutsche Bundesregierung, die gesagt hat, man halte am Atomausstieg fest, sollte man standhaft sein und Mut haben. Denn wenn viele aus dem Fenster springen, muss nicht auch noch der Letzte hinterherspringen. Da sollte man einen kühlen Kopf behalten und das nicht auch tun.

Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Ja, Herr Präsident. - Für uns ist es wichtig, dass wir weiter erneuerbare Energien fördern sowie Energieeffizienz und Energiesparung voranbringen. Hier müssen wir forschen und entwickeln und nicht in alte Technologien.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erteile für einen weiteren Fünfminutenbeitrag Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

(Lars Harms)

(Zurufe von der CDU)