Protocol of the Session on July 16, 2008

Des Weiteren sprechen Sie immer von 440 Kernkraftwerken. Nein, es sind 440 Kernreaktoren. Es gibt weltweit 210 Kernkraftwerke mit 440 Kernreaktoren. Das ist ein Unterschied.

Meine Damen und Herren, was war das Problem? Das Ergebnis dieses G8-Gipfels war, dass sich die G8-Staaten dazu verpflichtet haben, bis 2050 den CO2-Ausstoß weltweit um 50 % zu reduzieren. Das ist aus unserer Sicht und auch aus der Sicht der Bundeskanzlerin ein Riesenfortschritt gewesen. Einige sagen, es fehlt der Zwischenschritt. Das ist richtig. Auch mir wäre es lieber gewesen, wir hätten sagen können, bis zum Jahr 2020 sind 20 % oder 30 % einzusparen. Die Europäische Union hat ja die CO2-Reduzierung um 20 % als Ziel angegeben. Wir in Deutschland verpflichten uns zu 30 %. Das ist ein Ziel, das wir erreichen wollen. Insofern war dieser G8-Gipfel ein großer Erfolg auch deshalb, weil sich erstmalig auch die entscheidenden Schwellenländer an den Gesprächen beteiligt haben.

Diese 17 Länder, die acht G8-Länder und die neuen Schwellenländer, verursachen täglich 80 % des CO2-Ausstoßes in der Welt, die G8-Staaten etwa 40 %. Deshalb ist es doch richtig, dass sich die Re

(Dr. Heiner Garg)

gierungschefs dieser Länder wirklich die Köpfe darüber heiß reden, wie man den CO2-Ausstoß reduzieren kann. Dabei ist die Kernenergie ein ganz wesentlicher Faktor, weil sie CO2-neutral ist. Sie muss in dem gesamten Energiemix mit herangezogen werden, um an der Lösung des Klimaschutzproblems mitzuwirken.

(Beifall bei der CDU)

Was bedeutet das: CO2-Ausstoß? - Die Amerikaner haben heute pro Kopf - legen wir mal die Pro-KopfZahl zugrunde - 21 t pro Jahr CO2-Ausstoß, Deutschland etwas 10 t, die Europäische Union auch etwa 10 t pro Jahr, die Chinesen knapp 4 t jährlich, die Inder knapp 2 t pro Jahr. Die bedeutenden Schwellenländer sagen natürlich: Wir müssen unsere Volkswirtschaft, unser Niveau im Lande erst einmal entwickeln und dort hinkommen, wo die Industrieländer bereits angekommen sind, und zwar auf Kosten der Probleme mit dem Klimaschutz. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass alle Länder daran teilnehmen müssen, das Ziel, den CO2-Ausstoß weltweit bis 2050 um 50 % zu reduzieren, zu erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Kommen wir zu den Kernkraftwerken. Wir haben in Deutschland 17 Kernkraftwerke, in SchleswigHolstein drei. Diese 17 Kernkraftwerke in Deutschland vermeiden 160 Millionen t CO2-Ausstoß. Die drei Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein vermeiden circa 7 Millionen t CO2-Ausstoß. Alle Kernkraftwerke der Welt zusammen vermeiden circa 2,8 Milliarden t Ausstoß von CO2. 2,8 Milliarden t sind 10 % des gesamten CO2-Ausstoßes in der Welt.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es doch schlüssig, die Kernkraftwerke laufen zu lassen und in Deutschland und in Schleswig-Holstein die Laufzeiten zu verlängern, weil wir mithelfen müssen, erstens etwa 20, 25 Jahre zu überbrücken, in denen wir keine ausreichenden regenerativen Energien zur Verfügung haben, und zweitens mitzuhelfen, das Klimaziel zu erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Ritzek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Ja, bitte!

Herr Kollege Ritzek, haben Sie einen Erkenntnisstand, wie viel CO2 uns in den vergangenen Monaten die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel eingespart haben?

(Heiterkeit bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

- Wahrscheinlich wird das mit einer Zeitverzögerung von einem Tag nachgeliefert; denn wir sprechen ja morgen über die Energieleitlinien der Regierung.

Ich möchte noch einmal betonen: Wir müssen mit unseren Kernkraftwerken daran mitwirken, die Klimaschutzproblematik zu lösen.

Die Kernkraftwerksbetreiber sind bei Verlängerung der Laufzeiten bereit, die Windfall Profits von etwa 1 Million € am Tag weiterzugeben an die Konsumenten, etwa durch Strompreisreduzierung. Man rechnet bei einer Laufzeitverlängerung von 25 Jahren, dass circa 250 Milliarden € zusätzliches Geld erwirtschaftet wird. Das würde bedeuten, dass in 25 Jahren pro Kopf der Bevölkerung 3.000 € und pro Jahr 120 € pro Kopf weitergegeben werden könnten. Für eine vierköpfige Familie wäre das ein glatter Fünfhunderter. Es ist doch interessant, auch darüber einmal zu reden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir setzen uns dafür ein, im Land Schleswig-Holstein aktiv an dem Klimaschutzproblem zu arbeiten, weiterhin einen attraktiven Energiemix zu verfolgen und die Kernkraftenergie durch die Verlängerung der Laufzeiten als einen wesentlichen Bestandteil des Energiemixes zu betrachten.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist ein ernstes Problem. Wir müssen bis 2020 die Emissionen um 40 % und bis 2050 um 80 % senken, wenn wir wirklich das machen, was nötig ist. Da hat der G8-Gipfel deutlich zu kurz gegriffen. Deshalb muss da noch vieles passieren, insbesondere eine entscheidende Energiewende. Wir werden morgen

(Manfred Ritzek)

darüber sprechen. Die Atomenergie ist allerdings keine Zukunftstechnologie, sondern ein gefährlicher, ein teurer, ein unverantwortbarer Irrweg!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich will das kurz begründen.

Erstens. Atomenergie ist lebensgefährlich. Das sehen wir im Betrieb. Tschernobyl, Harrisburg und andere Bereiche zeigen das. In Krümmel brennt es, Risse. Das Einzige, was an Atomkraftwerken sicher ist, sind die Störfälle. Die passieren nämlich ständig.

Zweitens. Die Entsorgung ist weltweit ungeklärt. Jahrtausende lang wird strahlender Atommüll unseren Kindern und Enkeln und deren Nachfahren hinterlassen.

Drittens. Wir haben Gefahren durch Terrorismus und Proliferation - ein ganz schwieriges Thema und Erdbeben. Die Gefahr für Kinder, an Leukämie zu erkranken, wächst mit der Nähe des Wohnortes zu Atomkraftwerken. Weltweite Studien zeigen es. Und wenn sich Kinder aus Tschernobyl hier in Schleswig-Holstein von den Folgen des dortigen Unfalls erholen, ist das wahrlich kein Grund, die Sozialministerin dafür zu rüffeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Viertens. Atomenergie ist die teuerste Energieform, hat Subventionen in Milliardenhöhe bekommen, muss für Jahrtausende bewacht werden, hat reale Kosten, die niemand einrechnet. Ich will manches nicht wiederholen, weil der sehr seriöse Beitrag des Kollegen Dr. Garg deutlich gemacht hat, wie das mit den Ressourcen ist.

(Lachen bei der CDU)

Sicher ist das Profitinteresse großer Atomkonzerne.

Verehrter Kollege Ritzek, was die Einsparungen bei verlängerten Restlaufzeiten angeht: Seriöse Institute sagen, wenn man das macht, spart eine vierköpfige Familie ungefähr 50 ct im Monat. Da ist es billiger, eine Glühlampe auszuwechseln, oder das ist die Tropfmenge, die beim Tanken rausgeht, verehrter Herr Ritzek. Das hat überhaupt nicht mit billiger zu tun. Das Einzige, was passiert, ist, es wird immer teurer. Im Übrigen stecken sich die Atomkonzerne das Geld in die Tasche. Die denken überhaupt nicht an die Verbraucher, die wollen möglichst viel Strom verkaufen und nicht wenig, verehrter Herr Ritzek.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Fünftens. Atomenergie schafft keine Energiesicherheit. Das können Sie in Krümmel und Brunsbüttel sehen. Im Übrigen geht es um Grundstrommengen und nicht um Schwankungsausgleiche. Übrigens, Uran kommt in Deutschland so gut wie nicht vor. Wie ist das also eigentlich mit der Importsicherheit?

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heimische Energiequelle!)

Sechstens. Atomenergie schließt keine Stromlücken. Wir brauchen eine tiefgreifende Energiewende. Sie ist machbar. Die ist für die Volkswirtschaft beherrschbar. Man muss es nur wollen. Ich zitiere Klaus Töpfer von der CDU: Man brauchte mehr als tausend AKWs, um 10 % weltweit zu erzeugen.- Insoweit beantwortet sich das von selbst.

Siebtens. Atomenergie ist nicht klimafreundlich. Die gesamte Ökobilanz einschließlich der Förderung und Produktion von Uran spricht dagegen. Die gleichen Konzerne, die die Atomkraftwerke betreiben, betreiben auch andere fossile Großkraftwerke und verdienen daran, mehr Strom zu erzeugen. Sie wollen keine Konkurrenz, sie wollen keine heimische Energieerzeugung, sie wollen keine dezentrale Energieerzeugung. Das heißt, es kommt das Gegenteil heraus.

Achtens. Atomenergie verhindert die dringend erforderliche Energiewende mit den Stichworten Einsparung, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Aus- und Umbau der Strom- und Gasnetze. Es geht also nicht darum, die Dinge zu maximieren, sondern sie zu optimieren. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Wer, wenn nicht das Land Schleswig-Holstein zwischen den Meeren, sollte eigentlich diese Energiewende beginnen, meine sehr verehrten Damen und Herren? - Das ist doch geradezu grotesk.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Neuntens. Nicht wer gegen die Atomenergie ist, isoliert, sondern umgekehrt. Herr Bush hat vieles angekündigt, passiert ist fast nichts. Neubauten sind irrsinnig teuer; siehe Finnland. Wenn Sie den Satz hören, niemand hat die Absicht, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, dann sollten Sie flüchten; denn wir kennen die Konsequenz solcher Ankündigungen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im Kontext mit der Atomenergie gilt: Die häufigsten Versager sind nicht die Neinsager, sondern die Jasager!

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zehntens. Atomenergie ist nicht mehrheitsfähig. Sie können das erkennen. Jetzt will man Biblis länger stillhalten, weil man auf andere Mehrheiten setzt. Die Atomlobby ist mächtig und hat viele Freunde. Aussagen wie „Ich bin kein Lobbyist der Kernenergie“, sprechen ja Bände, wenn man so etwas formulieren muss. Die Atomlobby setzt auf Politikwechsel. Ich finde, wir sollten die nächsten Wahlen in Deutschland und in Schleswig-Holstein zu einer Volksabstimmung über die Atomenergie machen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Elftens. Atomenergie spaltet nicht nur Atomkerne, sondern die Gesellschaft. Gewinner ist die Atomlobby, Verlierer sind die Menschen heute und morgen. Wenn wir das umdrehen, sind die Gewinner der Klimaschutz, unsere mittelständische Wirtschaft, Millionen von Verbrauchern, unser Innovationsstandort und die Verlierer die großen Atomkonzerne, die nur ihre Profite maximieren wollen.

Zwölftens. Die SPD ist der Garant für den Atomausstieg. Das gilt für diese Koalition, wo andere Dinge mit uns nicht machbar sind, und das gilt für alle weiteren Koalitionen, weil wir das für nicht verhandelbar halten.

Man kann beim Thema Atomenergie eines gut erkennen: Wir alle leben unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. Dann kann man auch konsequenterweise die Schilder an der Autobahn entfernen.