Protocol of the Session on February 27, 2008

Schon die Beratungen des Bundesverfassungsgerichts im Herbst hatten deutlich gemacht, dass inhaltlich sehr viel für die Aufhebung der Fünfprozentklausel und sehr wenig dagegen spricht, weil diese Klausel eben ein sehr zentraler Einschnitt in das demokratische Recht der Wählerinnen und Wähler ist, der wohl begründet sein muss. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass der Anwalt des Landtages hauptsächlich formelle Einwände vorbrachte, also dafür argumentierte, dass das Bundesverfassungsgericht die Klage der Grünen und der Linken als unzulässig ablehnen sollte.

Die immer wieder insbesondere von den großen Parteien heraufbeschworene Handlungsunfähigkeit der Gemeinden wird nach Ansicht des Bundesfassungsgerichts nicht eintreten. Das zeigen die Erfahrungen in vielen anderen Bundesländern, wo es schon seit Jahren die Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen nicht mehr gibt.

Auch die oftmals angeführte Furcht vor der NPD oder anderen rechtsradikalen Parteien bei einer Aufhebung der Sperrklausel hatte vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. Zum einen zeigen eben die vorhin genannten Erfahrungen, dass diese extremistischen Gruppierungen trotz der Aufhebung der Fünfprozenthürde nur sehr selten in die kommunalen Parlamente kommen.

Am Rande möchte ich hinzufügen: Immer wieder wird der Vergleich mit Weimar angeführt. In diesem Jahr, also 75 Jahre nach der Machtergreifung, sollten wir betonen, dass damals eigentlich nicht von einer Machtergreifung die Rede sein konnte, sondern dass damals vielmehr eine Machtübergabe von der politischen Elite an Hitler stattfand. Insofern sollten wir endlich damit aufhören, immer wieder diesen Vergleich quasi gebetsmühlenartig heranzuziehen.

Zum anderen sollten gerade die demokratischen Parteien selbstbewusst die inhaltliche Auseinander

setzung mit den Nazis suchen und sie aktiv bekämpfen, anstatt sie mit rechtlichen Hürden aus den kommunalen Parlamenten herauszuhalten.

Aus Sicht des SSW weist unser oberstes Gericht also zu Recht darauf hin, dass dieser Punkt, dass durch die Aufhebung der Sperrklausel der Gefahr von rechts Tür und Tor geöffnet wird, in einem historischen Kontext gesehen werden muss. Was 1949 ein reales Problem war, stellt heute in einem Abwägungsprozess eine eher theoretische Gefährdung dar; so drückt es das Bundesverfassungsgericht aus.

Losgelöst von dieser Diskussion wird es in den Gremien der kommunalen Selbstverwaltung mehr denn je darauf ankommen, dass durch Argumentation Überzeugungsarbeit geleistet wird. Wenn künftig Bürgerinitiativen in Stadt- und Gemeinderäte einziehen, dann wird es auch darum gehen, deutlich zu machen, was der Unterschied zwischen seriöser politischer Arbeit und politischem Protest ist. Das aber ist keine Schwächung unserer Demokratie, sondern eine Stärkung.

Der einzige Nutzen einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen bestand also eigentlich darin, dass CDU und SPD damit kleine Parteien von der demokratischen Mitsprache in den Kommunen fernhalten konnten. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass das Bundesverfassungsgericht den Weg frei gemacht hat für eine Modernisierung der kommunalen Demokratie. Mit dieser Entscheidung haben der Pluralismus und die größtmögliche Chancengleichheit der Stimmen gesiegt.

Insofern - das wurde eben schon gesagt - ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch eine schallende Ohrfeige für die Rechtsexperten von CDU und der SPD, die den kleinen Parteien allerlei Übel bis hin zur Wahlrechtsmanipulation unterstellt haben, weil wir die Sperrklausel abschaffen wollten.

Allerdings muss man auch die Grenzen der heutigen Entscheidung sehen. Sie wird nur praktische Bedeutung bei Kreistagswahlen, in den kreisfreien Städten und in wenigen großen Gemeinden haben. Denn in einer Gemeinde mit beispielsweise 1.000 Einwohnern und elf Sitzen benötigt man auch nach dieser Entscheidung rund 10 % für einen Sitz. Von daher sage ich: Der heutige Beschluss wird erst dann wirklich zum Tragen kommen, wenn eine Gemeindegebietsreform die Zahl von über 1.100 Gemeinden in Schleswig-Holstein deutlich reduziert, um zu größeren kommunalen Einheiten mit größeren Kommunalparlamenten zu gelangen.

(Beifall beim SSW)

Das würde zu einer echten Stärkung der kommunalen Demokratie führen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine letzte versöhnliche Bemerkung:

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit!

Ich will nur noch etwas Nettes sagen.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns darüber, dass wir in dieser Sitzung diesen gemeinsamen Antrag verabschieden werden.

(Beifall beim SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass ich die Beratung schließe. Der Antrag Drucksache 16/1879 soll an den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen werden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit haben wir einstimmig so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23, 30, 40 und 41 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Antrag der Abgeordneten des SSW und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1878

b) Ärztliche Begutachtung von traumatisierten ausreisepflichtigen Personen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1892 (neu)

c) Durchführung der Abschiebungshaft

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1419 (neu)

Bericht und Beschlussempfehlung des Innenund Rechtsausschusses Drucksache 16/1860

d) Staatsangehörigkeitsrecht überarbeiten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1485 (neu)

Bericht und Beschlussempfehlung des Innenund Rechtsausschusses Drucksache 16/1861

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Dann erteile ich zunächst dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit dem ihm durch Plenarbeschluss vom 12. Juli 2007 überwiesenen Antrag zum Thema „Durchführung der Abschiebungshaft“, Drucksache 16/1419 (neu), in seiner Sitzung am 6. Februar 2008 befasst. In der Sitzung legte die antragstellende Fraktion der FDP eine aktualisierte Fassung des Antrages vor.

Mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfiehlt der Ausschuss dem Landtag, den Antrag der FDP abzulehnen.

Des Weiteren hat sich der Innen- und Rechtsausschuss am mit dem Antrag „Staatsangehörigkeitsrecht überarbeiten“ befasst. Er hat sich in zwei Sitzungen, zuletzt in seiner Sitzung am 6. Februar 2008, mit diesem Thema beschäftigt und unter anderem eine schriftliche Anhörung durchgeführt.

Mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfiehlt er dem Landtag die Ablehnung des Antrages.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

(Anke Spoorendonk)

Vor Eröffnung der Aussprache darf ich darauf hinweisen, dass zu Tagesordnungspunkt 41 namentliche Abstimmung beantragt worden ist.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Abgeordneten des SSW dem Kollegen Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Ausschuss über den Bericht der Landesregierung zu den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine eingehende Beratung durchgeführt. In den Beratungen und der dazugehörigen Anhörung wurden mehrere Punkte deutlich, die in unserem Land im Argen liegen.

Da ist zum einen die sehr unterschiedliche Datenlage. Während die Landesregierung im Bericht nicht vollständig angeben konnte, wie groß der betroffene Kreis von Menschen ist und in welchem Status sie derzeit leben, konnten die Flüchtlingsorganisationen sehr genaue Daten liefern. Dies ist dabei aber nicht unbedingt der Landesregierung anzulasten, sondern die Kreise scheinen nicht immer gesicherte Daten nennen zu können.

(Holger Astrup [SPD]: So ist es!)

Was der Hintergrund hierfür ist, darüber kann man nur spekulieren. Ich allerdings glaube nicht, dass die Kreise die Daten nicht liefern können. Vielmehr muss man doch davon ausgehen, dass Menschen, die in einem verwaltungsmäßigen Verfahren stecken, auch von den Verwaltungen erfasst werden, die Daten weiterleiten können.

Betrachtet man, dass die zuständigen Behörden oft der Meinung sind, hier nach vernünftigen Prinzipien zu handeln, dann kann man erahnen, warum man möglicherweise nicht so freigiebig mit den Daten ist, wie wir es uns als Landtag erhofft hatten. Es besteht nämlich eine große Diskrepanz zwischen dem, was von den Verwaltungen als angemessen angesehen wird, und dem, was die Flüchtlingsorganisationen und der Flüchtlingsbeauftragte als sinnvoll erachten. Die Landesregierung hat in diesem Bereich im Übrigen nicht die Fachaufsicht über die kommunale Ebene. Man ist vor Ort völlig eigenständig und vielleicht auch allein gelassen. Deshalb sind wir gemeinsam mit FDP und Grünen der Meinung, dass der Landtag hier deutlich machen muss, wie die Behandlung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge landesweit einheitlich zu erfolgen hat.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Flüchtlingsbeauftragte hat in der schriftlichen Anhörung zum Bericht deutlich gemacht, dass die jugendrechtliche Bestimmung des § 42 SGB VIII zwingend anzuwenden ist. Dies bedeutet, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge grundsätzlich in Obhut genommen werden müssen und Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe haben. Das heißt zum Beispiel auch, dass eine Aufnahme in eine Aufnahmeeinrichtung, die für erwachsene Flüchtlinge ausgerichtet ist, ausgeschlossen ist. Ebenso ist natürlich die Abschiebungshaft in einer Jugendstrafanstalt für diese Jugendlichen völlig unangemessen. Vielmehr geht es darum, dass die Jugendlichen durch Leistungen der Jugendhilfe zunächst wieder stabilisiert werden. Und das geht nur durch Inobhutnahme und Nutzung aller Möglichkeiten, die die Jugendhilfe bietet. Entsprechend dieser Sichtweise haben wir den ersten Absatz unseres gemeinsamen Antrages formuliert.

Im zweiten Absatz fordern wir ein Clearingverfahren, um den Hilfebedarf der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge festzustellen. Der Bericht und die Anhörung im Ausschuss haben gezeigt, dass in Schleswig-Holstein sehr unterschiedlich und uneinheitlich gehandelt wird.