Wir weisen das zurück. Ich glaube, wir sollten vernünftig die in den Kommunalparlamenten vorhandene Meinungsvielfalt hinnehmen. Ich halte dies nicht für eine Bedrohung.
Auch das Fünfparteiensystem ist angesprochen worden. Das ist kein Naturgesetz. Im Übrigen empfinde ich die Tatsache, dass wir in Schleswig-Holstein mit dem SSW ein Fünfparteiensystem haben, als eine Bereicherung und nicht als ein Problem. Dass es dauerhaft ein Sechsparteiensystem geben wird, dazu können wir mit klarem Profil beitragen, um dies zu verhindern. Wenn dies aber nicht so kommt, dann sind wir in der Demokratie dazu verpflichtet, damit umzugehen, und zwar vernünftig, ohne sich davor zu fürchten.
Wenn das jede Partei für sich tut, dann haben wir einen guten Dienst für die Demokratie erwiesen. Jetzt werden erst einmal die Voraussetzungen geschaffen, damit die Kommunalpolitiker wissen, woran sie sind. Wir sollten das heute einvernehmlich tun und nicht so klagen und jammern, sondern mit dem umgehen, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 13. Februar dieses Jahres war ein guter Tag für die Demokratie in Schleswig-Holstein. An diesem Tag erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass die Aufrechterhaltung der Fünfprozenthürde im kommunalen Wahlrecht ein durch die Verfassung nicht gerechtfertigter Eingriff in die Chancengleichheit von Parteien, Wählergruppen, aber auch - das ist vielleicht noch viel wesentlicher - von Wählerinnen und Wählern ist. Das Bundesverfassungsgericht musste es den großen Parteien hier im Lande leider ins Stammbuch schreiben, dass das Abendland in den kommunalen Vertretungen und Verwaltungen nicht untergeht, wenn die Fünfprozenthürde fällt. Unsere Kommunalvertretungen und -verwaltungen sind gefestigt genug, auch mal den einen oder anderen Exoten in der kommunalen Vertretung zu ertragen, ohne dass die Arbeitsfähigkeit dieser Institution gleich gefährdet ist oder wird. Insbesondere nach der Einführung der Direktwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten ist dies der Fall. Es wird Sie nicht wundern, dass wir eine gewisse Genugtuung empfinden, dass dies nun höchstrichterlich festgestellt wurde.
Die Bedeutung dieser Entscheidung über die Zusammensetzung der kommunalen Parlamente kann auch nicht dadurch heruntergespielt werden, dass 95 % unserer Gemeindevertretungen davon faktisch nicht betroffen sind. Durch unsere kleinteilige Gemeindestruktur mit zum Teil geringen Einwohnerzahlen sind in den meisten Gemeindvertretungen nämlich denen mit weniger als 20 Mandaten - rein rechnerisch mehr als 5 % der Wählerstimmen für
das erste Mandat notwendig. Wenn in einer Vertretung beispielsweise nur 13 Abgeordnete sind, braucht man schon 7 oder 8 %, um überhaupt in eine Gemeindevertretung einziehen zu können.
In den Mittelzentren und den kreisfreien Städten wie beispielsweise Kiel und Lübeck, in denen ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wohnen, hat diese Entscheidung natürlich erhebliche Auswirkungen. So erringt man in Kiel bereits mit circa 2 % einen Sitz in der Ratsversammlung und ab 4 % hat man schon Fraktionsstatus, ohne einen Wähleranteil, der vormals nicht gereicht hat, um überhaupt ein Mandat zu erringen. Gleiches gilt für sämtliche Wahlkreise.
Das hat übrigens den begrüßenswerten Nebeneffekt, dass eine höhere Qualität in die Diskussionen um politische Lösungen auf kommunaler Ebene einziehen wird.
Es reicht eben nicht mehr aus, sich an den Wahlkampfstand zu stellen und neue oder kleinere Gruppierungen mit der Aussage zu diskreditieren, diese schafften die Fünfprozenthürde sowieso nicht. Es wird notwendig sein, sich mit den Wählerinnen und Wählern inhaltlich auseinanderzusetzen. Der Anspruch an unsere Kommunalvertreter wird also größer.
Das haben wir immer prophezeit. Wir haben nicht umsonst 1995 und 2001 entsprechende parlamentarische Initiativen zum Kommunalwahlrecht gestartet, die im Parlament aber leider keine Mehrheit fanden.
Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert - bei aller Unterschiedlichkeit der beiden großen Parteien, die wir im täglichen Geschäft hier immer wieder feststellen -: Wenn es darum geht, die Macht der großen Parteien zulasten der kleineren zu sichern, sind sie sich beide einig. Herr Dr. Wadephul, Sie sprachen davon, dass die Fünfprozenthürde jetzt fallen könnte, weil wir die Direktwahl haben. Unser Antrag stammt aus dem Jahr 2001, während die Direktwahl schon 1995 eingeführt wurde. Auch hier hätten sich die Parteien wesentlich früher unserem Antrag anschließen können.
Unser Antrag zur Abschaffung der Fünfprozenthürde wurde in der letzten Legislaturperiode auch von den Grünen abgelehnt. Herr Kollege Hentschel, man muss Ihnen aber zugutehalten, dass Sie immer darauf hingewiesen haben, dass sich die Grünen
hier dem Druck des damaligen Koalitionspartners SPD gebeugt haben. Mit Ihrem Gesetzentwurf, der unserem aus dem Jahr 2001 in diesem Punkt gleicht, für ein neues Kommunalwahlrecht sowie ihrer erfolgreichen Klage haben die Grünen nachgewiesen, dass Ihre Kritik am damaligen Koalitionspartner in dieser Frage keine hohlen Worte waren. Dafür erweisen wir unseren Respekt.
Wir machen heute und Freitag einen ersten Schritt für ein besseres Wahlrecht. Dieser Weg ist damit aber noch nicht zu Ende gegangen; so findet auch heute in der Sitzverteilung nach d’Hondt immer noch eine Ungleichbehandlung von Fraktionen statt.
Ein lobendes Wort zum Abschluss an die beiden großen Fraktionen in diesem Haus: Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben die Kollegen von CDU und SPD wirklich keine Sekunde gezögert und konstruktiv daran mitgewirkt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so schnell ins Kommunalwahlrecht umgesetzt wird, dass wir bereits zur Kommunalwahl im Mai die Mandatsvergabe ohne die Fünfprozenthürde vornehmen können. Dafür danke ich ausdrücklich. Allerdings muss man aber auch sagen: Sie hatten im Prinzip keine andere Wahl.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn KarlMartin Hentschel, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle auch meine Landesvorsitzende grüßen, weil sie es schließlich ist, die die Klage eingereicht hat und der wir es zu verdanken haben, dass wir heute diese Debatte führen. Also noch einmal vielen Dank!
Entscheidungen von Verfassungsgerichten in anderen Bundesländern haben schon seit mindestens zehn Jahren klargemacht, dass die Fünfprozentklausel bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein verfassungswidrig ist. Es ist nicht neu, dass
das entschieden ist; es ist nur neu, dass es auch in Schleswig-Holstein noch einmal extra entschieden werden musste.
Es gab in diesem Parlament immer wieder Initiativen, das kommunale Wahlrecht den Entwicklungen und Erfahrungen anderer Länder anzupassen. Das gelang nicht, weder in der Enquetekommission in der 13. Wahlperiode noch in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen, in denen wir das mehrmals versucht haben. Der Kollege von der FDP hat darauf bereits hingewiesen. Anträge der FDP und zuletzt unser Antrag wurden abgelehnt. Immer wieder scheiterten wir an der Arroganz beider großen Parteien.
Es brauchte erst ein einstimmiges Votum des Bundesverfassungsgerichts, um die verfassungsrechtlich verankerte Gleichheit des Erfolgswertes der Wählerstimmen im kommunalen Wahlrecht zu verankern. Das Gericht bemerkte dazu in seiner Urteilsbegründung - das finde ich bemerkenswert -:
„Gerade bei der Wahlgesetzgebung besteht die Gefahr, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt. Die im Landesparlament vertretenen Parteien könnten an der Sperrklausel festhalten, um die Konkurrenz durch kleinere Parteien und kommunale Wählergemeinschaften möglichst klein zu halten.“
Es ist zwar bedauerlich, dass wir erst das Bundesverfassungsgericht brauchten, aber es ist erfreulich, dass CDU und SPD nun schnell reagieren und wir bereits heute das Änderungsgesetz im Landtag einbringen können.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen Punkt eingehen, der in der Diskussion eine große Rolle gespielt hat, die Befürchtung, dass die Demokratie durch den Einzug von rechtsextremen Parteien in die kommunalen Vertretungen Schaden nehmen könnte. Ich möchte dazu vier Argumente nennen.
Erstens: Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu unmissverständlich geäußert: Für die Bekämpfung verfassungswidriger Parteien darf das Wahl
recht nicht verwendet werden, weil es alle Vereinigungen gleichermaßen trifft und sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten würde. Wir dürfen im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht die Demokratie selbst beschädigen.
Zweitens: Das Problem des Rechtsextremismus besteht nicht in den Rathäusern, sondern in den Köpfen. Nach soziologischen Studien haben zwischen 5 bis 10 % der Bevölkerung ein mehr oder weniger gefestigtes rechtsextremes Weltbild. Dieser Umstand ist besorgniserregend, nicht die Tatsache, dass ein paar davon in den Gemeindevertretungen mit der Dauerproduktion von dumpfnationalen Anträgen den anderen auf die Nerven gehen.
Drittens: Die rechtsextremen Parteien haben programmatisch nichts zu bieten. Sie spielen nur dort eine Rolle, wo sie clevere Demagogen vor Ort haben. Dann aber nützt in der Regel auch eine Fünfprozentklausel nicht.
Viertens - das finde ich das Entscheidende -: Rechtsextreme Gegenwelten gedeihen nicht im öffentlichen Diskurs. Sie gedeihen in der Abschottung in Parallelgesellschaften. Diese Abschottung zu durchbrechen und sie zu zwingen, sich in demokratischen Diskurs zu integrieren, ist überhaupt das wirksamste Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus.
Meine Damen und Herren, die Abschaffung der Fünfprozentklausel ermöglicht nicht nur kleineren Parteien, sondern auch Wählergemeinschaften und Bürgerinitiativen den Sprung in die Kreistage und Stadtparlamente. Nicht die Grünen werden die Hauptprofiteure sein, sondern andere kleine Gruppen und Wählergemeinschaften. Wo viele Parteien und Interessengruppen vertreten sind, kann der demokratische Diskurs gedeihen.
Wenn engagierte Demokraten im öffentlichen Raum frei argumentieren und kontroverse Meinungen ausdiskutieren können, dann ist das für die Demokratie gut.
Für die Gruppe des SSW erteile ich deren Vorsitzender, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Fünfprozentsperrklausel bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein für verfassungswidrig zu erklären, stärkt die Gleichheit der Wählerinnen und Wähler und wird daher vom SSW ausdrücklich begrüßt. Durch die Aufhebung der Sperrklausel werden die Wählerstimmen der kleinen Parteien endlich den Stimmen der großen Parteien gleichgestellt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, stärkt wiederum die demokratische Vielfalt in den Kommunen.
Schon die Beratungen des Bundesverfassungsgerichts im Herbst hatten deutlich gemacht, dass inhaltlich sehr viel für die Aufhebung der Fünfprozentklausel und sehr wenig dagegen spricht, weil diese Klausel eben ein sehr zentraler Einschnitt in das demokratische Recht der Wählerinnen und Wähler ist, der wohl begründet sein muss. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass der Anwalt des Landtages hauptsächlich formelle Einwände vorbrachte, also dafür argumentierte, dass das Bundesverfassungsgericht die Klage der Grünen und der Linken als unzulässig ablehnen sollte.