Im zweiten Absatz fordern wir ein Clearingverfahren, um den Hilfebedarf der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge festzustellen. Der Bericht und die Anhörung im Ausschuss haben gezeigt, dass in Schleswig-Holstein sehr unterschiedlich und uneinheitlich gehandelt wird.
Der Vormundschaftsverein Lifeline hat an einigen exemplarischen Fällen deutlich gemacht, wo die Probleme liegen. Insbesondere liegen die Probleme darin begründet, dass wir in Schleswig-Holstein nicht einheitlich und gemäß § 42 SGB VIII vorgehen. Dies wollen wir ändern.
Am einfachsten wäre es, wenn wir eine zentrale Clearingstelle einrichteten, die beim Eintreffen eines unbegleiteten jugendlichen Flüchtlings alle Folgemaßnahmen festlegt, die dann in den Kreisen und kreisfreien Städten umgesetzt werden. Solche Clearingstellen gibt es in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Man kann also sehen, dass die Einrichtung einer solchen Clearingstelle und die Durchführung eines einheitlichen Verfahrens nichts mit der politischen Farbenlehre zu tun haben. Vom rot-roten Berlin bis zum tiefschwarzen Bayern ist man sich da einig. Wir schlagen in unserem Antrag deshalb vor, dass zumindest ein einheitliches Clearingverfahren angewandt wird. Das heißt, dass man landesweit nach einheitlichen Kriterien und in einem transparenten
Verfahren vorgeht und dass in dieser drei- bis sechsmonatigen Phase der Hilfebedarf des Einzelnen im Vordergrund steht.
Eng mit der Problematik der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist die Frage der Abschiebungshaft verbunden. Der Flüchtlingsbeauftragte schlägt hierzu vor, dass der Innenminister in seinem Erlass zur Abschiebungshaft regelt, dass eine Inhaftierung von Jugendlichen nicht durchgeführt wird. Das deckt sich auch mit dem Antrag der FDP zur Abschiebungshaft, der natürlich über den engen Kreis der Jugendlichen hinausgeht.
Im Antrag der FDP wird gefordert, dass die Abschiebungshaft nur unter engen gesetzlichen Begrenzungen durchgeführt werden darf. Hierzu soll die Landesregierung eine Bundesratsinitiative starten. Wir meinen, dass dies ein richtiger und wichtiger Schritt wäre. Bevor Menschen der Freiheitsentzug droht, muss man hohe Hürden überspringen. Dies muss auch für ausländische Mitmenschen gelten, die - aus welchen Gründen auch immer - in unser Land eingereist sind.
Klare rechtsstaatliche Regelungen mit entsprechend hohen Hürden müssen dafür sorgen, dass die Abschiebungshaft die Ausnahme und nicht die Regel ist. Deshalb ist es sinnvoll festzulegen, dass man nur dann in Sicherungshaft genommen werden kann, wenn durch belegbare Tatsachen der Verdacht begründet ist, dass man sich der Abschiebung entziehen will.
Ein weiteres Problem bei ausreisepflichtigen Personen wurde uns letztens im Ausschuss geschildert. Dabei ging es um ärztliche Untersuchungen bei traumatisierten Flüchtlingen. Im geschilderten Fall wurde die Anwesenheit einer weiteren Person während der Untersuchung nicht zugelassen. Man kann sich vorstellen, dass es Fälle gibt, in denen eine traumatisierte Person den Beistand und die Unterstützung einer Vertrauensperson benötigt.
Ein Arzt muss zwar seine Tätigkeit frei ausüben können; dennoch muss es möglich sein, als traumatisierte Person eine Person seines Vertrauens zur Untersuchung mitzunehmen. Ich bin mir nicht sicher, wie oft die Mitnahme einer Person verweigert wird, aber jeder einzelne Fall ist eigentlich schon ein Fall zu viel.
Deshalb kann es uns nur darum gehen, so schnell wie möglich zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, die sowohl die Freiheit der Ausübung des Ärzteberufes als auch die Interessen der Betroffenen im Auge hat. Wir schlagen deshalb vor, dass die Betroffenen in Zukunft die Möglichkeit haben, zu einem anderen Facharzt zu gehen, wenn so die Anwesenheit einer Vertrauensperson ermöglicht werden kann. Dies wäre eine einfache und vor allem schnelle Lösung des Problems, der sich eigentlich niemand verschließen kann.
Gleiches gilt für den ersten Absatz unseres gemeinsamen Antrags mit FDP und Grünen. Bevor aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen werden, muss sichergestellt sein, dass traumatisierte Personen ärztlich untersucht worden sind. Sollte sich nämlich herausstellen, dass eine betroffene Person wirklich traumatisiert ist oder anderweitig unter den Folgen der Flucht leidet, darf diese Person nicht ausgewiesen werden.
Auch hier müssen - wie zuvor bei den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen - der Mensch und seine persönlichen Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Es ist unsere Aufgabe, als Staat und Gesellschaft dafür zu sorgen, dass traumatisierte Menschen die Hilfe von uns bekommen, die sie benötigen.
Ich komme nun zum letzten Antrag, den wir unter diesem Tagesordnungspunkt behandeln. Auch wir sind der Auffassung, dass das Staatsangehörigkeitsrecht überarbeitet werden muss. Es ist klar, dass die Staatsangehörigkeit nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen beinhaltet. Jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit annimmt oder erwirbt, hat automatisch die Rechte und Pflichten, die mit dieser Staatsangehörigkeit verbunden sind. Insofern muss man sich als Person sicherlich genau überlegen, ob und welche Staatsbürgerschaft man annehmen will. Ich glaube deshalb, dass sich jeder Einzelne genau diese Gedanken auch macht und niemand quasi nebenher noch schnell eine Staatsbürgerschaft annimmt.
Wenn wir davon ausgehen, dass man sehr genau überlegt was man tut, dann können wir auch davon ausgehen, dass sich die betroffenen Menschen sehr bewusst und aus Überzeugung zum Beispiel für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben. Einen besseren Beweis für Integration gibt es eigentlich nicht. Deshalb ist es unverständlich, dass die rechtlichen Grundlagen im Staatsangehörigkeitsrecht noch nicht liberalisiert worden sind. Wer
dauerhaft Menschen mit Migrationshintergrund auch in dieser Frage ausschließt, leistet gerade keinen Beitrag zur Integration.
Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus, als es sich vielleicht der eine oder andere vorstellt. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass die Menschen in ihrem Leben nicht mehr an einem Ort verharren, sondern in vielen Ländern Station machen. Das betrifft im Übrigen nicht nur Ausländer hier bei uns, sondern auch viele Deutsche, die sich im Ausland aufhalten. Diese Menschen erwerben praktisch eine neue Kultur und fühlen sich mit ihr verbunden. Daher ist es nur ein logischer Schritt, diese Verbundenheit auch durch die Annahme der jeweiligen Staatsbürgerschaft mit ihren Rechten und Pflichten zu dokumentieren.
Noch einleuchtender ist dies, wenn man ausländische Eltern hat, aber in Deutschland aufgewachsen ist. Man kennt die Sprache und Kultur, will aber gleichzeitig seine eigenen Wurzeln nicht kappen. Wenn jemand Eltern aus zwei unterschiedlichen Staaten hat, dann kann man sich auch lebhaft vorstellen, dass dieser an beiden Wurzeln festhalten will. Wer sich also die Lebenswirklichkeit ansieht, der kommt an einer Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts nicht vorbei.
Zum Abschluss möchte ich sagen: Ich gehe nicht davon aus, dass wir noch etwas an den Anträgen ändern können, die bereits in den Ausschüssen beraten wurden. Wir haben aber aufgrund der Ausschussberatungen zwei neue Anträge eingebracht, weil uns von den beiden Parteien der Großen Koalition signalisiert wurde: Stellt einmal den Antrag; dann werden wir uns inhaltlich auch darüber unterhalten. Ich erwarte jetzt aber auch in den Ausschussberatungen, die angekündigt worden sind, dass bezüglich der unbegleiteten Flüchtlingen und zudem traumatisierten Personen wirklich Lösungen gesucht werden und dass es nicht wieder heißt: Wir lehnen die Anträge ab, nur weil sie von der Opposition kommen.
Es gibt einen Antragsteller zu Tagesordnungspunkt 30. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden KarlMartin Hentschel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute vier Anträge mit ganz unterschiedlichen Themen in einer gemeinsamen Aussprache. Das ist ungewöhnlich. Eines haben diese Tagesordnungspunkte allerdings gemeinsam: In allen vier Punkten geht es darum, wie wir mit Menschen in unserem Lande umgehen, die nicht deutsche Staatsbürger sind. Wir reden also über Ausländer, über Fremde.
Ich finde es gut, dass wir diese Punkte zusammen behandeln, denn im Umgang mit Fremden - so hat uns schon mancher Philosoph gesagt - entscheidet sich erst, wie human, wie zivilisiert eine Gesellschaft ist.
Der erste Antrag thematisiert die Praxis bei der Abschiebung von traumatisierten Flüchtlingen. Es gibt immer wieder Fälle, in denen kranke, traumatisierte oder suizidgefährdete Ausländer trotz medizinischer Gutachten, die ihnen ihre schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bescheinigen, abgeschoben werden.
Es wird immer darauf hingewiesen, dass die sogenannten zielstaatbezogenen Abschiebungshindernisse aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft werden. Wenn dieses Bundesamt das Vorliegen solcher Abschiebungshindernisse verneint, kann Schleswig-Holstein daran nichts ändern. Das ist richtig. Es ist aber nur die halbe Wahrheit. Vor der Abschiebung muss auch geprüft werden, ob der Flüchtling überhaupt flugtauglich ist. Um diese Untersuchung geht es. Traumatisierte Flüchtlinge müssen wegen der Suizidgefahr durch qualifizierte Fachleute untersucht werden, und zwar, wenn nötig, mit Dolmetscher und in einer angstfreien Atmosphäre.
Der Kreis Pinneberg führt bei solchen Flüchtlingen - so ist jedenfalls berichtet worden, auch vom Ausländerbeauftragten - zwar eine fachärztliche Untersuchung durch, wobei diese Aufgabe aber einer Ärztin obliegt, die lediglich die allgemeine physische Fluguntauglichkeit prüft. Diese Praxis kann dramatische Reaktionen bei den verängstigten, traumatisierten Personen hervorrufen. Unserer Meinung nach verstößt der Kreis dabei gegen elementare Grundrechte wie zum Beispiel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Wir wollen, dass die Landesregierung diese faktische Umgehung ihres Erlasses nicht mehr akzeptiert und Verfahren durchsetzt, die den Schutz der betroffenen Menschen auch im Konfliktfall sicherstellen.
Im zweiten Absatz des Antrages geht es darum, ob es zulässig ist, dass Flüchtlingen, die abgeschoben werden, verweigert wird, dass sie bei der ärztlichen Untersuchung von einer Begleitperson begleitet werden. Man muss sich vor Augen führen, dass diese Menschen in der Regel Angst haben. Sie wissen nicht, was mit ihnen geschieht. Die Frage der Begleitung ist insofern eine humanitäre Frage, zugleich aber auch eine Frage danach, ob die Rechte eines Flüchtlings überhaupt gewährleistet werden. Das Ministerium sagt, es gäbe eine ärztliche Therapiefreiheit und die Entscheidung liege beim Arzt. Das ist nicht nachzuvollziehen, denn es handelt sich ja überhaupt nicht um eine Therapie. Es handelt sich lediglich um eine Untersuchung. Außerdem kann ein Begleiter die Untersuchung eher erleichtern, wenn er beziehungsweise sie das Vertrauen des Patienten besitzt. Wenn der Arzt aber tatsächlich eine Untersuchung in Begleitung ablehnt, muss der Betroffene die Möglichkeit haben, einen anderen Arzt zu wählen.
In dem zweiten Antrag geht es um den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Sowohl internationales Recht und europäisches Recht als auch § 42 des SGB VIII schreiben verpflichtend vor, dass unbegleitete jugendliche Flüchtlinge vom Jugendamt in Obhut genommen werden müssen und das Jugendamt für das Wohl des oder der Jugendlichen zu sorgen hat. Obhut bedeutet, dass die Jugendlichen in einer jugendgerechten Umgebung untergebracht werden und dass sie einen rechtlichen Beistand bekommen. Kindeswohl ist ein Rechtsgut mit Verfassungsrang. Deswegen fordern wir, dass die Landesregierung ein Konzept für ein Clearingverfahren erarbeitet, wie es in anderen Bundesländern üblich ist.
Bei einem solchen Clearingverfahren sollen alle Beteiligten vom Jugendamt und Ausländeramt und alle anderen gemeinsam festlegen, was mit dem Jugendlichen geschieht.
In dem Beitrag der FDP zur Abschiebungshaft wird eine Bundesratsinitiative gefordert, weil die jetzi
ge Rechtslage und Praxis bei der Festnahme und Unterbringung von Ausländern in der Abschiebungshaft mit dem Grundgesetz nicht in Übereinstimmung steht. Wer in einem Gefängnis oder einer Abschiebungseinrichtung eingesperrt wird, erleidet einen Freiheitsentzug. Freiheitsentzug ist der schwerste Eingriff in die Rechte von Betroffenen, den unsere Rechtsordnung vorsieht. Ein solcher massiver staatlicher Eingriff in Grund- und Menschenrechte darf in einem Rechtsstaat nur unter genau bestimmten engen Voraussetzungen stattfinden.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Spontanfestnahme. Dafür gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine rechtliche Grundlage. Deswegen unterstützen wir den Antrag der FDP, die Gründe für eine Abschiebungshaft rechtstaatlich zu normieren.
In unserem vierten Antrag geht es um eine Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Nach der jetzigen Rechtslage müssen Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind, sich mit Erreichung des 18. Lebensjahres entscheiden, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft oder die des Abstammungslandes ihrer Eltern annehmen wollen. Eine doppelte Staatsbürgerschaft wird ausgeschlossen. Für die Jugendlichen stellt es sich häufig so dar, dass Sie eine solche Entscheidung kaum treffen können. Die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft kann zu einer Entscheidung gegen ihre eigene Abstammung und Familie werden. Es besteht die Gefahr, dass sie sich dagegen entscheiden und der unsinnige Zustand, dass Hunderttausende von Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, keine Deutschen sind, perpetuiert wird. Der Integrationsprozess wird auf diese Weise massiv behindert.
Es ist auch unsinnig, eine solche Entscheidung zu verlangen. Aus unterschiedlichen Gründen hat schon heute ein Drittel der Einwanderer, die die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, anschließend eine doppelte Staatsbürgerschaft. In einer globalisierten Welt, in der von den Menschen immer mehr Flexibilität eingefordert wird, ist die Entscheidung gegen die Herkunftsstaatsbürgerschaft kontraproduktiv und anachronistisch.
(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Heiner Garg [FDP] und Lars Harms [SSW])
Ich wende mich nun noch einmal an die Union. Ihre Haltung zu den vorliegenden Anträgen macht eines deutlich. Sie müssen sich endlich entscheiden, welchen Weg Sie in dieser Republik gehen wollen. Wollen Sie wirklich Integration mit Integrationsgipfeln oder wollen Sie weiterhin populistische Kampagnen führen, wie wir sie im hessischen Wahlkampf erleben haben? Man mag mit Populismus die eine oder andere Wahl gewinnen, aber die Bemühungen um Integration sollten im Vordergrund stehen. Der Integrationsgipfel hat ja eine überaus positive Resonanz gehabt. Sie aber bauen am Sonntag mit Integrationsgipfeln etwas auf, was Sie anschließend am Montag wieder einreißen. Dadurch wird Vertrauen zerstört. Unserem Land und unserer Demokratie wird damit bleibender Schaden zugefügt.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Lars Harms [SSW])