Wir stimmen dann über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Sache ab. Wer dem Antrag in der Sache zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Damit ist der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU, der FDP und des SSW abgelehnt.
Ich erteile das Wort der Frau Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Dr. Gitta Trauernicht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bericht der Landesregierung ist das Ergebnis umfangreicher Erhebungen. Wir haben die Einrichtungen der Behindertenhilfe gefragt. Wir haben Kommunen gefragt. Das ist in dieser Form bundesweit einmalig gewesen. Deswegen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit heute auf das lenken, was mir an diesem Bericht besonders wichtig ist, nämlich die Befragung der Menschen mit Behinderung selbst. Sie haben ihre momentane Lebenssituation bewertet, und sie haben ihre Vorstellungen für die Zeit des Ruhestandes konkret genannt.
Die Gespräche haben gezeigt: Die Wünsche und Sorgen von älteren Menschen mit Behinderung beim Übergang in den Ruhestand unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen anderer älterer Menschen. Auch älteren Menschen mit Behinderung geht es um Anerkennung als gleichberechtigte und gleichwertige Mitmenschen, es geht ihnen um die Teilhabe an einem vielfältigen, an einem selbstbestimmten Leben, an Nachbarschaft und Freundschaften. Auch ältere Menschen mit Behinderung wünschen sich einen gelungenen Übergang in den wohlverdienten Ruhestand und erleben dies auch so. Dabei freuen sie sich einerseits auf mehr freie, auf selbstbestimmte Zeit, um etwas für sich selbst zu tun. Andererseits haben viele aber auch Angst vor Isolation, vor Einsamkeit, fürchten den Abbruch bisheriger Kontakte. Letzteres gilt im Übrigen vor allem für Menschen, die in ihrer eigenen Wohnung wohnen.
In diesem Zusammenhang habe ich die Aussagen von zwei befragten älteren Menschen mit Behinderung im Gedächtnis, die beide im Ruhestand sind und jeweils in eigener Wohnung leben. Sie hatten anfänglich Probleme mit der vielen freien Zeit, die sie zunächst völlig eigenständig verbracht haben. Ihnen sei regelrecht die Decke auf den Kopf gefallen, berichten sie. Inzwischen besuchen beide an einigen Tagen der Woche eine Tageseinrichtung für ältere Menschen mit Behinderung und sind nun zufriedener. - Alles das leuchtet ein.
Diese Beispiele zeigen, wie problematisch auch für Menschen mit Behinderung abrupte Übergänge nach jahrelanger, insbesondere auch institutioneller Betreuung sein können und wie wichtig eine gute Vorbereitung auf die nachberufliche Phase gerade für diese Menschen ist. Sie zeigen auch, wie hilfreich die Strukturierung des Alltages ist, sei es durch spezifische Angebote der Eingliederungshilfe, sei es durch Sport und andere Freizeitangebote. Jedenfalls sollte dies den Menschen selbst überlassen sein und in jedem Fall muss es Angebote geben, aus denen sie wählen können.
Die Befragung hat aber auch deutlich gemacht, dass insbesondere diejenigen, die teilweise jahrzehntelang in einer Einrichtung betreut wurden, häufig nur sehr vage Vorstellungen über die Gestaltung ihres Lebens im Alter haben. Auch das leuchtet unmittelbar ein. Sie möchten zwar, so sagen sie, Freizeitangebote auch außerhalb des Wohnraums wahrnehmen, aber damit verbinden sie häufig nichts Konkretes, haben keine Vorstellung.
Diese Menschen wiederum können erwarten, dass sie noch während ihrer aktiven Phase frühzeitig und intensiv auf das Leben im Ruhestand vorbereitet
werden. Viele müssen erst wieder lernen, eigene Wünsche und Vorstellungen über ein selbstbestimmtes Leben zu entwickeln. Hierbei müssen sie Unterstützung erhalten. Natürlich wünsche ich mir, dass dies im Rahmen der Entwicklung der Eingliederungshilfe hin zu mehr ambulanten selbstbestimmten Wohnformen künftig selbstverständlicher wird, sodass der abrupte Übergang nicht so organisiert und gestaltet sein muss.
Für Menschen, die bisher in Einrichtungen gelebt haben, gibt es einige gute Beispiele, wie es gelingt, die Übergänge rechtzeitig und sanft zu begleiten. Das zeigt dieser Bericht auch. Ich möchte exemplarisch den Holländerhof in Flensburg mit seinem Motto „Auch im Alter nie allein und immer dabei (zu) sein“, und das Tagesangebot im Seniorenhaus der Stiftung Drachensee nennen. Es gibt sie also, diese Angebote. Wir lassen die älteren Menschen nicht allein. Das ist auch das Prinzip der Träger.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ergebnisse der Befragung bestärken die bisherige Position der Landregierung, dass es nicht darum gehen kann, auf die wachsende Zahl älterer Menschen mit Behinderung lediglich mit einer Vervielfachung und Ausweitung der stationären Plätze zu reagieren. Das wäre zu einfach. Vielmehr kommt es darauf an, auch älteren Menschen mit Behinderung Wohn- und Unterstützungsangebote anzubieten, die ihnen eine weitgehend selbstbestimmte Lebensplanung ermöglichen. Ihnen muss also die gesamte Spannbreite der Wohnformen offenstehen und es müssen mit ihnen zusammen Möglichkeiten der Tagesgestaltung außerhalb von Institutionen erarbeitet werden. Erst dann, wenn wir mit diesem Ansatz arbeiten, haben wir das erreicht, was man heute „Community Living“ nennt, und das wollen wir auch mit unserem Konzept der Inklusion erreichen.
Dies entspricht nicht nur den behindertenpolitischen Vorstellungen der Landesregierung, sondern auch denen der kommunalen Ebene, wie ich angesichts der Verlagerung der Eingliederungshilfe mit Freude zur Kenntnis nehme. Es entspricht auch dem eigenen Wunsch der befragten älteren Menschen nach einer Balance zwischen Normalität und Selbstbestimmung einerseits sowie Begleitung und notwendiger Unterstützung andererseits.
Der vorliegende Bericht gibt uns viele Anregungen und bietet damit eine gute Grundlage für die weitere Arbeit mit und für ältere Menschen mit Behinderung. Ich denke, dass wir auf dieser Basis zu gesamtkonzeptionellen Vorstellungen kommen müssen. Das sind wir den älteren Menschen mit Behinderung auch schuldig.
Ich danke der Frau Ministerin für ihren Bericht und eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns in Deutschland immer wieder vor Augen führen: Erstmals seit der nationalsozialistischen Zeit werden Menschen mit Behinderung in diesem Land wirklich alt. Deswegen ist es auch sehr gut gewesen, dass in SchleswigHolstein der Anfang gemacht und alle Beteiligten, sowohl jene, die alt werden, als auch jene, die für sie sorgen sollen, gründlich befragt wurden und dass dies exemplarisch geschehen ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dies auf der Grundlage unseres Berichtsantrags geschehen ist.
Wir hatten im Jahr 2001 auf Antrag der CDU erstmals eine ausführliche Debatte zum Thema der älteren Menschen mit Behinderung geführt. Seither hat sich bundesrechtlich eine ganze Menge getan. Neue Möglichkeiten auch der Finanzierung sind geschaffen worden, um für einen guten Lebensabend zu sorgen. - Das gilt natürlich auch für die gesamte restliche Zeit der Menschen mit Behinderung. Aber eigentlich haben sich die Grundlagen verbessert. Allerdings haben wir noch nicht das erreicht, was wir eigentlich brauchen, nämlich eine unabhängige, selbstständige Unterstützungsleistung für Menschen mit Behinderung als eigenes Leistungsgesetz. Aber mit der jetzigen Eingliederungshilfe und insbesondere mit der Flexibilisierung zum persönlichen Budget lässt sich einiges anfangen.
Die große Mehrheit der Menschen mit Behinderung ist zwischen 40 und 60 Jahr alt. Diese Menschen stehen jetzt vor einer neuen Lebenslösung. Wie das auch bei anderen Erwerbstätigen der Fall ist, so ist es auch bei diesen Menschen nicht für alle das Richtige, bis zum 60. oder 65. Lebensjahr mit dem Ruhestand zu warten. Einige arbeiten dagegen über dieses offizielle Rentenalter hinaus. Es ist genau, wie Sie, Frau Ministerin, es gesagt haben: Sowohl was die Erwartungen angeht, als auch was die reale Erwerbsarbeitsbeteilung angeht, ist das ähnlich wie bei Menschen ohne Handicaps.
Ähnlich ist allerdings auch, dass sehr wenig Gespräche seitens der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und anderer bezüglich der Vorbereitung auf diese Ruhestandsituation vorbereitend stattfindet. Das
ist auch bei herkömmlichen Arbeitgebern so. Warum sollte dies bei Behindertenwerkstätten anders sein? Vielleicht, weil wir politisch hier etwas anderes erwarten. Einige tun dies schon vorbildlich; aber der Bericht zeigt durchaus noch Handlungsbedarf auf. Ich erhoffe mir, dass durch die große Befragung jetzt Bewegung in die Szene gekommen ist.
Ein Weiteres ist mir ganz wichtig. Ich habe oft die Bemerkung gehört: Menschen über 60 erhalten doch keine Eingliederungshilfe mehr. Sie haben Pflege und Hilfe zur Pflege und damit ist es gut. Wenn sie wirklich schwer pflegebedürftig sind, kommen sie eben in eine Pflegeeinrichtung. - Diese Meinung ist leider bei jenen noch weit verbreitet, die sich nicht näher mit der Thematik beschäftigt haben oder noch in alten Vorstellungen stecken.
Dem möchten wir entschieden entgegentreten. Menschen haben, wenn sie behindert sind, bis zu ihrem Lebensende das Anrecht auf Leistungen aus der Eingliederungshilfe, ergänzend sicherlich auch Anspruch auf Pflegeleistungen; aber dies bösartig miteinander zu verrechnen und zu sagen: Entweder bekommst du das eine oder das andere, wie es zum großen Teil auch noch vertraglich gesichert geschieht, lehnen wir ab.
Wir möchten deswegen die jetzige Situation, dass die Kommunen für alle Menschen mit Behinderung zuständig sind, nutzen, um in einen Dialog darüber einzutreten, wie das Alter gestaltet werden kann. Wir haben die kommunalen Spitzenverbände in eine der nächsten Sitzungen des Sozialausschusses eingeladen, weil wir auch an anderer Stelle noch nicht ganz damit zufrieden sind, wie sie ihre neue Aufgabe wahrnehmen. Wir haben festgestellt, dass diese Einladung unter den handelnden Akteuren schon etwas Bewegung erzeugt hat, und wir hoffen, dass wir auch zu diesem Thema in einen konstruktiven Dialog treten können.
Da die CDU offensichtlich mit einer Großen Anfrage das Thema noch am Kochen hält, ist mir nicht bange, dass wir tatsächlich zu guten Lösungen kommen werden.
Ich danke der Frau Abgeordneten Birk und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Heike Franzen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei der Landesregierung, aber auch bei allen Beteiligten wie den Trägern und Einrichtungen und insbesondere bei den befragten Menschen herzlich bedanken. Denn ohne ihr Zutun hätte der Bericht so nicht erstellt werden können. An dieser Stelle darf man, glaube ich, ruhig einmal applaudieren.
Wenn man sich die Antworten der befragten Personen anschaut, stellt man fest, dass, wie bei uns allen, der Übergang in den Ruhestand mit den unterschiedlichsten Vorstellungen verbunden ist, je nach Ausgangslage des einzelnen Menschen. Die einen möchten gern einen strukturierten Tagesablauf, die anderen lieber nicht, und wiederum andere haben sich darüber keine Gedanken gemacht. Einige betrachten den Ruhestand allerdings auch mit Sorge und sogar Ängsten, was insbesondere bei älteren Menschen mit einer geistigen Behinderung ausgeprägt zu sein scheint. Hier spielen die Werkstatt und das Wohnheim eine große Rolle, in denen sie viele Tage ihres Lebens verbracht haben und zufrieden damit waren, wie sich übrigens die meisten der Befragten durchaus zufrieden mit ihrer Situation äußerten. Werkstatt und Wohnheim sind für diese Menschen ihr Zuhause, in dem sie weiterhin leben wollen. Das sollte auch selbstverständlich sein. Schließlich zieht auch von uns niemand von zu Hause aus, nur weil er in den Ruhestand geht.
Manche Sorge ist wohl auch nicht unberechtigt. Behinderungen im Alter haben manchmal auch Folgen, die vermieden werden sollten, wie beispielsweise Vereinsamung aus Mangel an sozialen Kontakten. Hier müssen wir uns alle Gedanken machen, wie wir Menschen mit Behinderung ganz konkret mehr Möglichkeiten einräumen, um sie am gesellschaftlichen Leben in Vereinen, in der Nachbarschaft oder in Altentagesstätten teilhaben zu lassen.
Für die Zukunft wird das Thema „Ältere Menschen mit Behinderung“ zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die demografische Entwicklung ist auch hier deutlich: Immer mehr Menschen werden immer älter, unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht.
So sehen auch alle Kommunen Handlungsbedarf, um auf die Situation von älteren Menschen mit Behinderung in der Zukunft individuell reagieren zu können. Die eigene Einschätzung der Kommunen, ob die Angebote den Bedarfen gegenüber quantitativ und qualitativ entsprechen, kann man wohl als sehr ehrlich bezeichnen. Im überwiegenden Bereich
Sie sehen zusätzliche Bedarfe an Angeboten für Menschen, die aus Altersgründen aus der Werkstatt ausscheiden, für eine alltagsgerechte Tagesgestaltung, für ambulant betreutes Wohnen mit Leistungen der Pflege und der Eingliederungshilfe, für die Betreuung von älteren Menschen mit seelischer Behinderung und für pflegebedürftig gewordene langjährige Wohnheimbewohnerinnen und -bewohner.
Die ersten Kommunen haben sich bereits auf den Weg gemacht, um diese Angebote auszuweiten. Die anderen werden hoffentlich in der nächsten Zeit diesen guten Beispielen folgen. Das kann mit Sicherheit zu einer Verbesserung der Situation von älteren Menschen insgesamt führen.
Es gibt allerdings noch weitere Handlungsfelder, meine Damen und Herren, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. - So hat die Befragung ergeben, dass eine längerfristige Vorbereitung des Einzelnen auf den Ruhestand notwendig ist, und zwar sowohl für die individuelle Teilhabeplanung des Leistungsträgers als auch für die Einrichtungen. Dabei müssen die Vorstellungen und Wünsche ebenso wie die Sorgen und Ängste der Menschen berücksichtigt werden, sodass der Ruhestand nicht als Bedrohung empfunden wird, sondern als eine weitere Lebensphase, die man auch genießen kann.
Dazu gehört insbesondere die Entwicklung von Alternativen zur Arbeit und eine Begleitung bei der Übergangsphase, die individuell auf den Menschen abgestimmt werden sollte. Gerade Menschen mit einer geistigen Behinderung verstehen oftmals nicht, warum sie nun auf einmal nicht mehr arbeiten sollen.
Den unterschiedlichen Ansprüchen an die Wohnsituation von älteren Menschen müssen wir Rechnung tragen: vom Wohnheim über die Wohngemeinschaft über das betreute Wohnen in der eigenen Wohnung bis hin zum eigenständigen Wohnen unter Inanspruchnahme des persönlichen Budgets.
Das alles kann uns aber nur gelingen, wenn Leistungsträger, Leistungserbringer und die Verbände der Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Ich danke der Frau Abgeordneten Heike Franzen und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort.