Protocol of the Session on July 12, 2007

(Anhaltende Unruhe)

Das neue Gesetz ist eine Chance, den Jugendstrafvollzug in dieser Hinsicht neu zu ordnen. Dazu ist es absolut notwendig, eingetretene Pfade zu verlassen. Die Mindeststandards der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte beinhalten die Verpflichtung zur Motivationsarbeit. Sie muss selbstverständlicher Teil sozialer Arbeit sein, auch im Vollzug. Wer nur mit den schon Kooperationsbereiten und Kooperationsfähigen arbeiten will, verschenkt fruchtbare Einflusschancen und gibt die anderen auf. Werden Behandlungsmaßnahmen und Vollzugslockerungen nur den Gefangenen gewährt, die von sich aus kooperationsbereit sind, wird der erzieherische Auftrag des modernen Jugendstrafvollzugs vernachlässigt. Ein solcher sogenannter Chancenvollzug bietet keine Chancen, sondern ist Ausgrenzungs- und Sparvollzug.

(Anhaltende Unruhe)

Ein neuer Weg im Jugendstrafvollzug wäre die Vermittlung von Qualifikationen für alle im Jugendstrafvollzug in Neumünster und Schleswig. Jugendliche ohne Schulabschluss haben auf dem Arbeitsmarkt keine Chance; eine Bewerbung erübrigt sich meistens von selbst. Die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls sinkt dramatisch mit den Vermittlungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Für die berufliche Bildung sind im Vollzug zukunftsweisende und zeitgemäße Angebote zu schaffen, die den Gefangenen reale Beschäftigungschancen vermitteln. Im Vollzug begonnene Ausbildungen sollten auch nach der Entlassung fortgesetzt werden können. Der SSW begrüßt ausdrücklich, dass im vorliegenden Entwurf Schule und Berufsbildung Vorrang vor Arbeit haben.

Die Landesregierung wird im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz die Evaluierung des Jugendstrafvollzugs verbessern, sodass wir bereits in einigen Jahren einen besseren Einblick in die Zusammenhänge von Haftbedingungen und Haftmaßnahmen und Rückfallwahrscheinlichkeit erhalten können.

(Anhaltende Unruhe - Glocke der Präsiden- tin)

Ich würde etwas mehr Aufmerksamkeit durchaus als freundlichen Akt werten.

Frau Präsidentin, ich war sowieso am Ende meiner Rede. Ich möchte nur noch einmal deutlich machen, dass die Evaluierung aus unserer Sicht ein gutes In

(Anke Spoorendonk)

strument ist, wenn es darum geht, den Jugendstrafvollzug weiterzuentwickeln. Alles Weitere werden wir im Ausschuss beraten.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1454 dem Innenund Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen!

Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz- LVerfGG)

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1497

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne damit die Grundsatzberatung und erteile Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich will auch eine regierungstragende Koalition der Opposition entgegenkommen, insbesondere der Person des Oppositionsführers. Ich kann meine Redezeit allerdings nicht dafür verschwenden - ich habe nur fünf Minuten -, zum besseren Verständnis für den Herrn Oppositionsführer zunächst das Inhaltsverzeichnis vorzulesen. Herr Kollege Kubicki, ich verweise deswegen auf die erste Seite der Drucksache 16/1497.

Der jetzt zu behandelnde Tagesordnungspunkt ist zentral wichtig. Wir haben ein Landesverfassungsgericht in unserer Verfassung verankert; wir haben gemeinsam im Haus die Einleitung eines Verfahrens besprochen, nachdem Schleswig-Holstein als letztes Land in der Bundesrepublik ein eigenes Landesverfassungsgericht erhalten soll. Darüber gab es lange Zeit Streit; es gab ein Dafür und ein Dagegen. Das ist normal. Die Frage ist entschieden. Deswe

gen halte ich die Gemeinsamkeit für wichtig und will sie ins Zentrum meiner Rede stellen.

Wir haben es bei der Ergänzung unserer Verfassung erlebt, es gab einen einstimmigen Beschluss des Hauses. Ich finde es gut, dass es gelungen ist, über die Grenzen der Fraktionen hinweg gemeinsam den Entwurf eines entsprechenden Einrichtungs- und Ausführungsgesetzes für ein Landesverfassungsgericht zu erarbeiten - mithilfe des Ministeriums, wie der Minister vermuten mag, und diese Vermutung stimmt.

Ich möchte mich hier nicht über Einzelheiten verbreiten. Das entscheidende Signal ist: Wir ziehen gemeinsam an einem Strang. Es ist für ein solches Gericht, das über die Auslegung unserer Verfassung und die Vereinbarkeit von Rechtsregelungen in unserer Landesverfassung entscheiden soll, eine zentral wichtige Grundlage, dass es außerhalb des Streits der Parteien steht.

Ich darf die gesamte politische Situation so einschätzen, dass sowohl die Landesregierung als auch das Landesparlament - und das fraktionsübergreifend - die Arbeit will, die Arbeit mitträgt und damit zu erkennen gibt, dass es sich auch bei streitigen Entscheidungen - es geht hier auch um Fragen, die dieser Landtag zu entscheiden hat - im Ergebnis über streitige Urteilssprüche mit einfindet, das heißt, es akzeptiert, wenn das Landverfassungsgericht Dinge vielleicht anders beurteilt, als der Landesgesetzgeber selbst sie gemeint hat.

Insofern stellen wir uns hier zeitnah einer Kontrolle. Ich freue mich, dass es uns im Rahmen dieses Geistes der Einigkeit gelungen ist, unter anderem in zwei zentralen Punkten, die uns wichtig sind, in den Beratungen Einigkeit zu finden. Der eine ist, dass zwingende Voraussetzung für die Wahl zum Landesverfassungsrichter die Befähigung zum Richteramt ist, also das zweite juristische Staatsexamen. Das halte ich gerade bei einem Gericht, das ehrenamtlich tätig sein soll, für wichtig. Ich finde auch den Vorschlag richtig, mindestens drei Berufsrichterinnen oder Berufsrichter in dem Spruchkörper zu verankern. Auch das trägt der notwendigen Verfahrenssicherheit und Tiefe der Erörterung Rechnung.

Ich finde es auch gut, dass es gelungen ist, über den Sitz - die Geschäftsstelle - des neuen Landesverfassungsgerichts - wenngleich die Ausschussberatung noch aussteht, vorab eine Verständigung gefunden zu haben. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, das Landesverfassungsgericht nach Schleswig zu geben, denn Schleswig ist der Sitz des Oberverwaltungsgerichts und des Oberlandesgerichts. Das Lan

(Anke Spoorendonk)

desverfassungsgericht wird dort eine gute Beherbergung finden, wie es auch die Auswertung des Justizministers nach einer entsprechenden Befragung auch des wohl in Betracht kommenden Standortes Lübeck ergeben hat.

Alles in allem finde ich den Gesetzentwurf gelungen, der sich durch die gemeinsame Überzeugung über die Grenzen der Fraktionen hinweg auszeichnet. Dieses gute Omen sollten wir stärken und nicht zerreden. In diesem Sinne schließe ich meine Ausführungen.

(Beifall)

Ich danke Herrn Abgeordneten Stritzl und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten KlausPeter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die langjährige Diskussion über das Ob eines schleswig-holsteinischen Landesverfassungsgerichts ist mit dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD nach der Landtagswahl 2005 beendet worden. Mit dem Einvernehmen der beiden großen Regierungsfraktionen war die im Landtag erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung gewährleistet.

Mit verfassungsänderndem Gesetz vom 17. Oktober 2006 haben wir dann beschlossen, in Schleswig-Holstein ein ehrenamtlich besetztes Landsverfassungsgericht mit bestimmten Zuständigkeiten zur Klärung verfassungsrechtlicher Streitfälle und Meinungsverschiedenheiten zu errichten und das Nähere durch ein konkretes weiteres Gesetz zu regeln. Dieses weitere Gesetz bringen wir heute auf den parlamentarischen Weg und ich finde es genauso gut wie der Kollege Stritzl, dass wir alle, also alle fünf Fraktionen des Hauses, das gemeinsam tun.

Wir danken dem Justizminister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die inhaltliche und gesetzestechnische Vorarbeit.

Der Gesetzentwurf enthält die für das Verfassungsgericht erforderlichen Zuständigkeits-, Organisations- und Verfahrenseinzelregelungen sowie einen einvernehmlichen Standortvorschlag der fünf Landtagsfraktionen. Wir schlagen vor, das Landesverfassungsgericht in Schleswig zu errichten.

Wir beraten den Gesetzentwurf heute in erster Lesung. Wir streben an, das Gesetz in zweiter Lesung im Landtag so rechtzeitig zu verabschieden, dass das Gericht am 1. Januar 2008 seine Arbeit aufneh

men kann. Zwischen erster und zweiter Lesung das will ich noch einmal genauso deutlich sagen wie der Kollege Stritzl - werden wir im Fachausschuss das übliche parlamentarische Anhörungsverfahren zu allen Punkten des Gesetzentwurfs durchführen und den fachlich interessierten Beteiligten und möglicherweise so oder so Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Es kann also nicht die Rede davon sein - so hört man es aus dem Lübecker Raum insbesondere hinsichtlich des Gerichtsstandorts gelegentlich grummeln -, dass es kein geordnetes parlamentarisches Verfahren geben werde. Das Gegenteil ist der Fall.

Richtig ist allerdings, dass der Standortvorschlag Schleswig nicht zufällig, sondern wohl begründet ist. Es sind in der Tat die beiden in Betracht kommenden Standorte Schleswig und Lübeck anhand eines justizfachlichen Kriterienkatalogs mithilfe einer Nutzwertanalyse untersucht und bewertet worden. Die Nutzwertanalyse beruht auf konkreten Befragungen der Gerichtspräsidenten, nicht nur in Schleswig, sondern auch in Lübeck. Im Ergebnis der vergleichenden Untersuchung hat Schleswig besser abgeschnitten, weil es insbesondere beim Oberverwaltungsgericht möglich ist, bereits vorhandene räumliche und personelle Gerichtsinfrastruktur optimal und kostengünstig mit zu nutzen.

Es mag richtig sein, dass Lübeck mit seinen traditionsreichen Räumlichkeiten und seiner rechtshistorischen Bedeutung als repräsentativer Standort besser geeignet wäre. Ausschlaggebend für unseren Standortvorschlag waren indessen nicht vorrangig Repräsentations- und Traditionsgesichtspunkte, sondern Gerichtsstruktur- und Funktionskriterien. Auch dazu kann selbstverständlich im parlamentarischen Anhörungsverfahren noch Stellung genommen werden. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass Schleswig-Holstein als letztes der 16 Bundesländer zeitnah endlich überhaupt ein eigenes Landesverfassungsgericht erhält.

Ich danke Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jahrelang war Schleswig-Holstein das einzige Bundesland ohne eigenes Landesverfassungsgericht. Mit der Verfassungsänderung im Oktober letzten Jahres hat sich dieser Zustand geändert und wenn alles gut klappt - davon gehe ich aus -, werden wir die

(Thomas Stritzl)

Insellage zum 1. Januar 2008 endgültig beendet haben.

Besonders freue ich mich, dass sich in der Diskussion um das Landesverfassungsgericht die Idee der FDP-Fraktion durchsetzen konnte, als Sitz des Gerichts den Standort Schleswig festzulegen.

(Beifall bei der FDP)

Unser Antrag, den wir bereits im Januar dieses Jahres gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten des SSW in den Landtag eingebracht hatten, hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf über das schleswig-holsteinische Landesverfassungsgericht diskutieren, der unter anderem genau das beinhaltet.

Geredet wurde schließlich auch genug, erst über die Frage, ob wir überhaupt ein Landesverfassungsgericht wollen. Die Argumente sind Ihnen sicherlich aus diversen Diskussionen in Enquetekommissionen und Ausschusssitzungen noch bekannt.

Nachdem dann die Entscheidung für zeitnahe, raumnahe und sachnahe Entscheidungen im Land gefallen war, ging der Streit um den Standort los. Wochenlang bestimmten Schlagzeilen wie „Lübeck gegen Schleswig: Duell um das Verfassungsgericht“ das Zeitungsgeschehen. Auch die Fraktionsvorsitzenden der regierungstragenden Fraktionen haben sich dazu geäußert und ich kann nur sehr hoffen, dass wir nach so vielen und heftigen Wortgefechten jetzt endlich wieder einen friedlicheren Umgangston finden. Den fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf werte ich dafür jedenfalls als ein gutes Zeichen.

(Beifall bei der FDP)

Er wurde übrigens nicht zuletzt durch die durch unseren Antrag ausgelöste Nutzwertanalyse zum Sitz des Landesverfassungsgerichts möglich. Diese Analyse klärte abseits von aller emotionalen Begeisterung für den einen oder anderen Standort sehr sachlich die zwei Fragen, auf die es bei der Entscheidung für den Sitz des Landesverfassungsgerichts ankommt: Erstens. Wo ist die Anbindung aus fachlichen, aus justizpolitischen Gründen am sinnvollsten? Zweitens. Wo kostet was wie viel?

Die Entscheidung fiel knapp, aber eindeutig aus: Von 1.000 maximal zu erzielenden Punkten erreichten das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht und das schleswig-holsteinische Oberverwaltungsgericht - beide ansässig in Schleswig - die Höchstpunktzahl. Das Sozialgericht und das Landgericht - jeweils in Lübeck ansässig - erreichten 965 und 958 Punkte. Lübeck bleibt deshalb ohne

Frage ein wichtiger Gerichtsstandort, aber aus fachlicher Sicht ist Schleswig eindeutig der bessere Standort für unser Landesverfassungsgericht. Kollege Sauter, ich bin mir auch sicher, dass sich die Justizpolitiker aus Lübeck auch in Zukunft immer ausreichend Gehör verschaffen werden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

(Beifall bei der FDP - Heiterkeit)