Die Einrichtung einer sozialtherapeutischen Anstalt, wie sie in § 14 des Entwurfs vorgesehen ist, gehört ganz ohne Frage zu den Pluspunkten des Gesetzentwurfs - übrigens ebenso das Sportangebot, das sicherlich einen positiven Beitrag im Vollzugsalltag der jungen Strafgefangenen leisten kann.
Gleichwohl ist dieser Ansatz ausbaufähig, aber das gilt ebenso für die bisherigen Vorschläge im Entwurf zur Mitwirkungspflicht der jungen Gefangenen, ihren gesundheitlichen Schutz, insbesondere der Suchttherapie, der Beteiligung der Eltern oder der Konkretisierung der erzieherischen Maßnahmen - um abschließend nur noch einige weitere Knackpunkte zu benennen.
Um mit den Worten eines großen Liberalen, Dr. Heiner Garg, zu schließen: Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
Ich danke Herrn Abgeordneten Kubicki. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage, mit der wir uns heute hier beschäftigen, lautet aus meiner Sicht: Wie übt man Freiheit im Knast?
Mit dem behandlungsorientierten und an Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzug erfüllt Deutschland eine Vorreiterfunktion, auf die wir stolz sein können, die wir aber auch immer wieder verteidigen müssen. Gerade im Jugendstrafvollzug ist der Resozialisierungsgedanke verankert. Es geht also vorrangig nicht um Bestrafung, sondern darum, aus den jungen Menschen, die straffällig geworden sind, Menschen zu machen, die hinterher in der Lage sind, in Freiheit zu leben, ohne wieder straffällig zu werden. Der Jugendstrafvollzug knüpft an die Hoffnung an, dass man einen jungen Menschen noch positiv prägen kann und seine negativen Erfahrungen durch neue, andere Erfahrungen und neue, eingeübte Verhaltensmuster ändern kann.
Wenn man das ernst nimmt, ist natürlich unser auf Resozialisierung ausgerichteter Strafvollzug ein Paradox. Wir wollen, dass der Umgang der Jugendlichen mit der Freiheit neu gelernt wird, und wir sperren sie ein.
Zur Vorbereitung dieses Gesetzes habe ich einen Besuch in der Jugendvollzugsanstalt in Schleswig gemacht. Für jemanden, der sich mit diesem Gebiet neu beschäftigt, ist es immer wieder überraschend, sich eine Strafvollzugsanstalt anzuschauen. Bei dieser Jugendstrafvollzugsanstalt ist das natürlich besonders extrem. Jeder, der Krimis gesehen hat, der sich mit Kriminalität als Laie beschäftigt, hat die Erwartung: Man kommt in eine Anstalt und trifft dort die „harten Knackis“ mit den entsprechenden Tätowierungen, die sich gegenseitig fertigmachen und so weiter. Was man dann vor Ort trifft, sind meistens gescheiterte Existenzen, hilflos, orientierungslos. Der große Teil wirkt wie kleine Jungs, die nicht wissen, was sie wollen. Aber sie sind alle schon einmal erheblich kriminell geworden, denn sonst wären sie dort nicht gelandet.
Häufig sind sie sprachlos und kennen keine andere Reaktion, wenn sie mit jemand anderem zu tun haben, als ihm eins draufzugeben. Sie können nicht regelmäßig arbeiten. Häufig hat man mit Jugendlichen zu tun, die erst ganz vorsichtig herangeführt werden müssen, damit sie überhaupt zwei oder drei Stunden hintereinander kontinuierlich arbeiten können. Das kennen sie überhaupt nicht. Deshalb sind sie auch nicht in der Lage, irgendeinem normalen Beruf nachzugehen. Und was machen sie? - Sie ziehen los und klauen. Es war für mich hochinteressant, als die Leiterin der Anstalt mir erklärte, dass die Jugendlichen überhaupt erst einmal die Grundregeln des normalen zivilisierten Lebens lernen müssen, zum Beispiel sich an einen Tisch zu setzen und zu essen.
- Das ist nichts Neues, aber das ist ein völlig anderes Bild, als es jeder Fernsehkonsument normalerweise durch Krimis von der Kriminalität im Lande gezeichnet bekommt. Wenn ich Politik mache, muss ich mich mit der öffentlichen Debatte und dem, was es da gibt, auseinandersetzen, und wenn ich Gesetze mache, muss ich mich mit solchen Fragen auseinandersetzen.
Diese Jugendlichen, die dort in der Anstalt sind, die ein geregeltes Leben beigebracht bekommen, werden anschließend in die Freiheit entlassen und sollen sich dann, hoffentlich geläutert, strafunauffällig verhalten. Ich habe gefragt: Was passiert dann? Werden sie darauf vorbereitet? Wie werden sie darauf vorbereitet? - Das Problem ist doch - Herr Kubicki hat es gesagt -: 3 % sind im offenen Vollzug. Das heißt, man traut den Jugendlichen nicht zu, im offenen Vollzug auf die Freiheit vorbereitet zu werden, weil die Anstalt Angst hat, dass etwas passieren könnte.
Man traut ihnen nicht zu, sich auf die Freiheit einzustellen, weil man Angst hat, dass etwas passieren könnte. So ist es doch. Natürlich kann ich das verstehen. Jeder Justizminister muss befürchten, dass es entsprechende Probleme gibt, wenn ein Mensch, der in der Anstalt im offenen Vollzug ist, einen neuen Bruch begeht. Natürlich ist das ein Problem; das kann ich gut verstehen. Aber genau das ist das Dilemma, vor dem wir stehen. Diesem Dilemma müssen wir uns als Politiker im Parlament stellen. Wenn wirklich das gemacht wird, was wir fordern, nämlich Resozialisierung, und wenn tatsächlich of
fener Vollzug praktiziert würde, und dann etwas passieren würde, dann stellt sich doch die Frage: Wie werden sich die Parlamentarier hier im Lande verhalten? Werden sie sich hinter den Justizminister stellen und sagen, es ist notwendig, dass man diese Risiken eingeht, denn wir haben hinterher den gesellschaftlichen Nutzen davon? Oder ist es so, dass man anschließend sagt: Der Justizminister hat nicht genügend für die Sicherheit gesorgt? Es muss jetzt wieder alles eingesperrt werden.
Meine Damen und Herren, wir haben bereits von dem Urteil vom 31. Mai 2006 gehört, in dem darauf hingewiesen wird, dass jugendliche Straftäter in verhältnismäßig jungen Jahren statistisch betrachtet in einem immer noch vergleichsweise hoch kriminalitätsanfälligen Alter wieder in die Freiheit entlassen werden. Das Urteil fährt fort: „Die erfolgreiche Wiedereingliederung ist deshalb sowohl im Hinblick auf das weitere Leben des Betroffenen als auch im Hinblick auf den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten von besonderer Bedeutung.“
Ich bin der Auffassung, Herr Minister, dass wir deswegen die Eingliederung in die Gesellschaft als eigentliches Vollzugsziel in das Gesetz aufnehmen und anstatt eines Vollzugsplanes einen Vollzugsund Eingliederungsplan vorsehen sollten. Die Bewährungshilfe sollte unbedingt in diese Vollzugsund Eingliederungsplanung einbezogen werden. Wenn wir wollen, dass die Jugendlichen im Knast auf das Leben danach vorbereitet werden, und wenn wir wollen, dass sie hinterher auch entsprechend betreut werden, dann halte ich es für ausgesprochen sinnvoll, dass es eine kontinuierliche Betreuung gibt, die bereits im Knast beginnt und die hinterher fortgesetzt wird. Ich halte das für ganz entscheidend. Das wird ja teilweise schon in den Vollzugsanstalten für Erwachsene durch die soziale Betreuung praktiziert. Das gibt es in den Jugendhaftanstalten zurzeit noch nicht; das muss man wissen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns auch im Ausschuss mit diesen Fragen beschäftigen.
Wir müssen uns aber auch mit der Frage beschäftigen: Was kann dabei helfen, während des Knastes eigenverantwortliches Leben einzuüben? Das wird geübt wie Fahrradfahren. Dazu gehört die Frage der Freizeitgestaltung, die schon angesprochen worden ist. Das ist eine ganz entscheidende Frage. Dazu gehört auch die Frage des Sports. Es wurde von zwei Stunden Sport gesprochen. Ich meine, es muss unbedingt darüber nachgedacht werden, mehr Möglichkeiten zu schaffen, damit die Jugendlichen mehr Sport machen können, gerade in ihrer Freizeit, aber
auch darüber hinaus Sport zu treiben. Zwei Stunden sind ja nicht gerade viel, wenn man die ganze Woche über im Knast sitzt.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie doch, den Begriff, den Sie ständig wiederholen, in diesem Zusammenhang nicht wieder zu verwenden.
Ich habe kein Problem damit, Dinge so anzusprechen, wie sie auch im Volksmund genannt werden. Ich muss auch ehrlich sagen, ich weiß nicht, was anstößig daran ist. Ich glaube auch nicht, dass sich dadurch irgendjemand belästigt fühlt. Ich weiß, dass die Mitarbeiter eine sehr gute Arbeit machen. Das ist jedenfalls mein Eindruck, eine ausgesprochen gute Arbeit. Aber es bleibt dabei, dass eine Vollzugsanstalt ein Gefängnis ist. Die Menschen sind dort eingesperrt. Es ändert sich nichts an der Realität, wenn wir es anders nennen.
Ein besonders wichtiger Punkt sind die Wochenenden. Es ist sehr schwierig, wenn die Jugendlichen am Wochenende ohne Beschäftigung und ohne entsprechende Anleitung bleiben. Das bringt Probleme mit sich, die entsprechende Auswirkungen haben.
Ich meine, wir sollten uns in den anstehenden Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss intensiv mit Praktikern und Wissenschaftlern auseinandersetzen. Ich finde es auch wichtig, die Entwürfe anderer Länder zu betrachten, insbesondere derjenigen, die in stärkerer Weise als Schleswig-Holstein offenen Vollzug als Regelvollzug einführen wollen. Wir sollten die Chance, dass die Länder jetzt zuständig sind, nutzen, um in einen kreativen Wettbewerb über Konzepte einzutreten.
Justiz ist teuer und Haftanstalten sind besonders teuer. Jeder Jugendliche, der nicht wieder rückfällig wird, ist ein Sicherheitsgewinn für die Gesellschaft. Er erspart der Gesellschaft aber auch Geld.
im Sinne einer geringen Rückfallquote und eines effektiven Schutzes vor Kriminalität. Ich beantrage ebenfalls die Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erhält die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Föderalismusreform stellt die Länder vor die Aufgabe, den Jugendstrafvollzug neu zu regeln. Die Zusammenarbeit Schleswig-Holsteins mit anderen Bundesländern begrüßt der SSW dabei ausdrücklich; denn schließlich muss nicht jedes Bundesland das Rad neu erfinden.
Im Jugendstrafvollzug sind die Zusammenhänge zwischen Haftbedingungen und Resozialisierungschancen bekannt. Sie gelten bundesweit. Da ist es nur konsequent, wenn dies dann auch länderübergreifend umgesetzt wird. Wie allerdings die erzieherische Ausgestaltung des Vollzuges in den Anstalten umgesetzt wird, unterliegt deren Gegebenheiten und auch den baulichen Strukturen. Hier bestehen Gestaltungsspielräume, die die Landesregierung nutzen sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen verdienen eine zweite Chance. Unbedarftheit, fehlende Erfahrung und Übermut dürfen nicht der Einstieg in eine kriminelle Karriere und den lebenslangen Abstieg sein. Ersttäter landen in der Regel nicht im Vollzug. Es sind junge Mehrfach- und Intensivtäter, die schon aus reiner Gewohnheit das Gesetz übertreten und deshalb einsitzen. Ihnen muss geholfen werden, den selbst verursachten Kreislauf von immer neuer Gewalt und Straftaten zu beenden und ein Leben abseits der Kriminalität zu führen.
Aus diesem Grund muss die Bestrafung von Jugendlichen besonders hohen Ansprüchen gerecht werden. Der Strafvollzug muss so gestaltet werden, dass sich die jungen Inhaftierten weiterentwickeln können und neue Perspektiven erhalten. Genau daran hapert es aber, wie die hohen Rückfallquoten zeigen. Kriminelles Verhalten wird derzeit im Jugendstrafvollzug eher noch erlernt und gefestigt. Die jungen Straftäter schauen sich von den anderen Häftlingen einiges ab und setzen dann draußen das
Erlernte schnellstens um. Die Haftanstalten erweisen sich in viel zu vielen Fällen als kriminelle Schulungsstätten.
Das neue Gesetz ist angetreten, genau das zu ändern. Der SSW befürwortet grundsätzlich den Vollzug von Haftstrafen für Jugendliche in selbstständigen Jugendstrafvollzugsanstalten und lehnt die Unterbringung in getrennten Abteilungen einer Anstalt des Erwachsenenvollzuges ab. Wir begrüßen es, dass wir mit der Jugendstrafvollzugsanstalt in Schleswig diesen Weg gegangen sind. Das gilt übrigens auch für junge Frauen, denen schleunigst in Schleswig-Holstein angemessene Haftbedingungen angeboten werden müssen.
Um auch das noch einmal für das Protokoll festzuhalten: Auch wir sind der Meinung, dass der offene Vollzug mit dem neuen Gesetz ausgeweitet werden muss.
Das Vollzugsziel des Strafvollzugs ist die Resozialisierung. Darum muss der Vollzug mittels eines Förderplanes die Jugendlichen individuell fordern und fördern und auf ihre jeweiligen Fähigkeiten eingehen. Der Schutz der Allgemeinheit, der als Vollzugsziel neu ins Gesetz eingeführt wird, muss dahinter zurückstehen. Ebenso wie beim Erwachsenenvollzug ist die individuelle Resozialisierung das zentrale Ziel, an dem sich alle Maßnahmen, wie beispielsweise Vollzugslockerungen, auszurichten haben.
Im Strafvollzug sollen die jungen Menschen ermutigt werden, sich ihrer Tat zu stellen und einen Neuanfang zu wagen. Es ist oftmals erschreckend, mit welch abenteuerlichen Konstruktionen sich die jungen Täter eine Rechtfertigung für ihre Taten zusammenklauben und anderen die Schuld geben. Der SSW begrüßt, dass die Entwicklung von Eigenverantwortung erklärtes Erziehungsziel des Jugendstrafvollzugs wird. Die jungen Täter müssen sich ihren Taten stellen und bereit sein, die Konsequenzen der Taten zu tragen.
Ihre aktive Einbeziehung in die Förder- und Erziehungsplanung ist daher unumgänglich. Die Gefangenen sollen aktiv an der Gestaltung ihres Vollzugsalltags mitwirken können. Das ist der erste Schritt in ein eigenverantwortliches Leben nach der Haft. Dazu müssen sie allerdings befähigt werden, nach der Haft ihren Lebensunterhalt selbstständig zu erarbeiten. Qualifikationsangeboten kommt daher eine zentrale Rolle im Vollzug zu.