Die Europäische Union verlangt von uns lediglich ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft. Die Ausweitung des Gesetzes auf Religion, Weltanschauung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht wäre wohl eher eine Art freiwillige Leistung, die wir uns angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen allerdings nicht leisten können. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Schafft man mit einem solchen Gesetzeswerk mehr Beschäftigung in Deutschland oder vernichtet man Arbeit? An dieser Frage muss sich dieses Gesetz messen lassen.
Entlasten wir den Arbeitsmarkt? Fördern wir den Wohnungsbau? Oder erreichen wir durch dieses Gesetz mehr Bürokratie, zusätzliche Kosten, weniger Arbeit und damit in Wirklichkeit auch weniger Integration? - Für die CDU-Landtagsfraktion führen die Vielzahl der Diskriminierungstatbestände, die weitreichende Beweislastumkehr, die Haftung für Drittverschulden und die umfassenden Klagemöglichkeiten für Interessenverbände eher zu gesellschaftlichem Unfrieden und damit auch zu neuen Ungerechtigkeiten.
Wir fordern die Landesregierung mit unserem gemeinsamen Antrag auf, bei der Abstimmung über das Antidiskriminierungsgesetz dem übergeordneten Ziel „Vorfahrt für mehr Beschäftigung" gerecht zu werden. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sehr genau prüft, inwieweit das vorliegende Antidiskriminierungsgesetz über Anforderungen der EU hinausgeht.
Ich unterstütze die Aussage des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers, Harald Schartau, der vor wenigen Tagen wörtlich erklärte:
„Es kommt uns deshalb darauf an, das Gesetz so umzusetzen, dass wir nicht über die europäischen Vorgaben hinausgehen."
Dieser Forderung schließt sich die CDULandtagfraktion ausdrücklich an. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Nun hat für die Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Anette Langner das Wort. Frau Langner hält ihre Jungfernrede.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für den aufmunternden Applaus. Das tut gut. Beim ersten Mal ist es eine besonders spannende Situation, hier zu stehen.
Wir alle kennen vielfältige Diskriminierungen, die in unserer Gesellschaft immer noch an der Tagesordnung sind. Besonders betroffen machen die Beispiele behinderter Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung am Besuch eines Restaurants, Schwimmbades oder anderer öffentlicher Einrichtungen gehindert werden, weil ihr Anblick angeblich andere Gäste störe. Diese Menschen brauchen unsere uneingeschränkte Unterstützung, um ihnen eine barrierefreie Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben zu ermöglichen.
Barrierefreiheit bedeutet hier nicht Rampen und Fahrstühle, sondern bedeutet, Barrieren in gesetzlichen Rahmenbedingungen und vor allem in den Köpfen und dem Handeln von Mitmenschen abzubauen.
Auf einen weiteren Aspekt von Diskriminierung will ich hinweisen, der in den letzten Jahren wesentlich zugenommen hat, nämlich die Diskriminierung von älteren Menschen am Arbeitmarkt. So sehr die so genannte Silver-age-Generation als Zielgruppe in der Werbung für Waren und Dienstleistungen und vor allem im Tourismus in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist, erleben wir, dass Menschen aufgrund ihres Alters zunehmend vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Hier bedarf es nicht nur eines Bewusstseinswandels, indem wir die Lebens- und Berufserfahrung von älteren Menschen wieder als wertvolle Qualifikation einschätzen, sondern hier bedarf es auch gesetzlicher Regelungen.
Diese Beispiele machen deutlich, dass es keine Alternative zu einem Antidiskriminierungsgesetz gibt, das auch diese Diskriminierungstatbestände berücksichtigt.
Für das Privatrecht - und hier besteht Regelungsbedarf - beziehen sich die EU-Vorgaben nur auf die ethnische Herkunft oder das Geschlecht, wohingegen das Arbeitsrecht andere Antidiskriminierungstatbestände schon mit einbezieht, so wie Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.
Ich bin mit meiner Fraktion der Auffassung, dass in unserer Gesellschaft ein umfassender Diskriminierungsschutz notwendig ist, der sich in allen Rechtsbereichen auf möglichst alle Diskriminierungstatbestände bezieht, denn es gibt kein Argument, dass wir Menschen vor Diskriminierungen in einem Rechtsbereich schützen sollten und in einem anderen nicht.
Die vielfach befürchtete und kritisierte Überregulierung und Bürokratisierung findet durch eine Ausweitung in der Regelungsbreite nicht statt, sofern sie sich nicht auf die Eingriffsintensität und somit auf die Schärfe des Gesetzes bezieht. Ein sinnvolles Maß an Regulierung dient jedoch dem Schutz der Betroffenen und schärft das Bewusstsein für den Gleichstellungsgrundsatz.
Das Antidiskriminierungsgesetz ist ein wichtiger Bestandteil, soziale Standards in einer von Freizügigkeit geprägten Europäischen Union zu entwickeln und zu sichern, soziale Standards, die von allen gesellschaftlichen Gruppen, auch von Unternehmern, gefordert werden. Sozialer Friede und sozialer Zusammenhalt sind wichtige Standortfaktoren, die auch in schwierigen Zeiten nicht zur Disposition stehen können.
Aus anderen EU-Staaten, die schon längere Zeit umfassende Antidiskriminierungsregelungen haben, sind negative Effekte auf den Beschäftigungsmarkt nicht bekannt. Eine Lähmung der Wirtschaft gar hat weder in Großbritannien noch in Schweden oder den Niederlanden stattgefunden. Im Gegenteil: In Zeiten zunehmender Standortkonkurrenz erlangen auch weiche Standortfaktoren an Bedeutung. Diskriminierungen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Miteinander schaden dem Ansehen des Standorts, denn drei T entscheiden wesentlich über den wirtschaftlichen Erfolg eines Standorts: Talente, Technologie und nicht zuletzt Toleranz.
(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW sowie der Abgeordneten Axel Bernstein [CDU] und Frauke Tengler [CDU])
Mit dem Antidiskriminierungsgesetz wollen wir in Deutschland eine - in anderen Ländern schon lange selbstverständliche - Antidiskriminierungskultur auf den Weg bringen, in der sich Staat und Gesellschaft verantwortlich zeigen, dass es nicht zu Diskriminierungen kommt. Damit stärken wir ein Europa, in dem Freizügigkeit nicht Benachteiligung, sondern Vielfalt, Chancengleichheit und Toleranz bedeuten. Im Blick auf unsere Diskussion über die Europäische Union sage ich: Damit bringt man Europa auch aus den Sonntagsreden heraus.
Ich erteile nunmehr für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzenden, Frau Abgeordneter Anne Lütkes, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Leitsatz „Gleichheit und Differenz“ braucht einfach eine gesetzliche Umsetzung. Unsere Ziele, die Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, können ohne einen begleitenden wirksamen Schutz vor alltäglichen Diskriminierungen nicht umgesetzt werden. Daher ist das Antidiskriminierungsgesetz der zentrale Baustein einer gerechten grünen Behindertenpolitik. Wer umfassende Gleichstellung will, der muss denjenigen, die noch immer von Diskriminierungen betroffen sind, einklagbare Rechte an die Hand geben.
Die Gleichstellung von Behinderten am Arbeitsmarkt ist sicherlich eines der Ziele, die mit dem Antidiskriminierungsgesetzes verfolgt werden. Es ist aber keinesfalls das hauptsächliche, das einzige Ziel, wie es in dem Antrag Drucksache 16/93 von der Koalition durchscheint. In dem so genannten ADG werden vier europäische Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Sie haben eine unterschiedliche Zielsetzung und befassen sich mit unterschiedlichen Vertragsbereichen.
Durch zwei Richtlinien soll ein umfangreicher Diskriminierungsschutz bei der Beschäftigung und im Beruf gesichert werden, und zwar im Hinblick auf das Geschlecht, das Alter, die Behinderung, die Religion, die Weltanschauung und die der sexuelle Orientierung. Eine Richtlinie enthält ein generelles Benachteiligungsverbot aufgrund der ethnischen Herkunft, und zwar sowohl im Beschäftigungsbereich als auch im
Bereich des allgemeinen Zivilrechts, insbesondere bei so genannten Massengeschäften. In einer weiteren Richtlinie werden Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter bei Massengeschäften im Zivilrecht verlangt.
Diese vier Richtlinien wurden zu einem umfangreichen Diskriminierungsschutz zusammengefasst, der in Teilen auch über die Anforderungen dieser Richtlinien hinausgeht - aus unserer Sicht zu Recht.
Es ist nämlich nicht begründbar, warum etwa die Abweisung eines Menschen wegen seiner ethnischen Herkunft zukünftig eine Benachteiligung und gemäß dem allgemeinen Zivilrecht unzulässig sein soll - das ist die Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie 2043/EG -, die Diskriminierung eines behinderten Menschen aber nicht. Diese Rechtslage würde eintreten, wenn wir das Antidiskriminierungsgesetz auf die reine Umsetzung des europäischen Rechts beschränken würden. Das können und wollen wir nicht.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Völliger Blöd- sinn! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Artikel 3 Grundgesetz!)
Für eine vergleichbare Situation muss es gleiche Schutzstandards geben. Das wird in den europäischen Richtlinien nicht vorgegeben, weil sie - das ist festzustellen und ein Manko - nicht aus einem Guss sind. Sie weisen unlogische Lücken auf. Diese Lücken kann, darf und muss das nationale Recht ausfüllen.
Damit - das ist hier bereits angeklungen - sind wir in Europa in ganz guter Gesellschaft: Belgien, Frankreich, Schweden und Ungarn sind bei der Umsetzung der Richtlinien den gleichen Weg wie Deutschland gegangen. Uns liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass in diesen Ländern - wenn ich es salopp sagen darf - der Arbeitsmarkt zusammengebrochen ist oder die Gerichte unter einer Prozesslawine begraben sind.
Ansatzpunkte im deutschen Recht gibt es auch durch die Umsetzung des § 611 a des Bürgerlichen Gesetzesbuches, der seit 25 Jahren Geltung hat. Durch ihn wird die Benachteiligung in der Arbeitswelt aufgrund des Geschlechts verboten. Das gilt sowohl bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg als auch bei den Arbeitsbedingungen. Mir sind hier keine Prozesslawinen bekannt. Ich bin mir sicher, dass auch das kommende Antidiskriminierungsgesetz eine solche Prozesslawine nicht auslösen wird.
Es gibt keinen Beweis und kein Indiz dafür, dass sich das Klageverhalten grundlegend ändern wird, wenn neben dem Geschlecht weitere Diskriminierungsgründe in die Regelung einbezogen werden. Auch das Bundesgleichstellungsgesetz für behinderte Menschen zeigt, dass hier ein richtiger, gangbarer und lebbarer Weg gegangen wird.
Richtig ist, dass nach der Anhörung zum Gesetzentwurf im zuständigen Ausschuss in Berlin einige Änderungen am Antidiskriminierungsgesetz vorgenommen worden sind. Diese Änderungen sind vom alten Justizministerium in Schleswig-Holstein sehr unterstützt worden. Die grüne Bundestagsfraktion und die Grünen insgesamt haben diese Änderungen, die zur Klarstellung beispielsweise bei der Sozialauswahl oder gegenüber den Religionsgemeinschaften geführt haben, in der gesamtpolitischen Diskussion sehr unterstützt. Wir waren sehr dafür, dass dieses Gesetz handwerklich korrekt und in den Formulierungen sauber durchsetzbar sein sollte und dass es keine Nebenkriegsschauplätze eröffnen sollte, die dann wahrlich zu Prozessfluten geführt hätten.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zeigt einen klaren Diskriminierungsschutz, der umsetzbar ist, keine falschen Nebenkriegsschauplätze eröffnet und die Grundstruktur des umfassenden Antidiskriminierungsgebotes durchsetzt. Dieser Schutz ist einklagbar, lebbar und somit für diese Gesellschaft wegweisend. Deshalb muss das Gesetz zügig verabschiedet werden.
Ich danke der Abgeordneten Lütkes. - Nunmehr rufe ich für den SSW die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, auf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Antidiskriminierungsgesetz gehört zu denjenigen Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung, die einen breiten Widerstand hervorgerufen haben. Dabei holt die Bundesregierung nur etwas nach, was die EU schon lange angemahnt hat, nämlich einen effektiven Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrecht und im Arbeitsleben.