Kein Geschäft ohne Gegenleistung. Die Gruppen beurteilen die Produkte des Sponsors positiv. Dank Internet kundig geworden, machen dann massenhaft Frauen Druck auf ihren Frauenarzt, ihnen das angepriesene Präparat zu verschreiben. Das ist besonders perfide und belegt eindrücklich den Einfallsreichtum der Bestecher und deren Vorteilsnehmer.
Das Gesundheitssystem bietet aber auch jede Menge legale Korruption. Mit Verweis auf den technischen Fortschritt und die Gesundheit der Patienten werden persönliche Vorteilsnahme und Bereicherung bemäntelt. Gesetze, Verordnungen oder Verträge schützen die Ärzte geradezu. Korrupte Vorteilsnahme kann in solchen Fällen mit dem Hinweis darauf abgeschmettert werden, das alles nach Recht und Gesetz verlaufen sei. Es bleibt aber Korruption. Im Fall des Gesundheitssystems genügt der Verweis auf entgangenes Wohlbefinden oder angebliche medizinische Notwendigkeiten, damit die Patienten das Portemonnaie zücken. Der Gesetzgeber macht es möglich. Das Zauberwort heißt IGeL. Die Abkürzung steht für individuelle Gesundheitsleistung und umfasst 300 Zusatzangebote. Diese werden in der ärztlichen Fachpresse und auf Medizinkongressen ebenso massiv beworben, wie sie von der AOK heftig kritisiert werden. Die AOK führt in einer Broschüre auf, wie die Ärzte gezielt falsch informieren, um den Patienten eine individuelle Gesundheitsleistung aufzuschwatzen.
Diese Beispiele zeigen, dass sich im Gesundheitssystem eine falsche Haltung eingebürgert hat, die das Nutzen von Schlupflöchern als Kavaliersdelikt versteht. Schlupflöcher sind dabei unter Steuerungsaspekten als falsche Anreize zu verstehen. Hier kommt der Gesetzgeber ins Spiel, denn diese Anreize müssen weg!
Der Bericht zählt getroffene Gegenmaßnahmen auf, die aber fast durchweg erst dann greifen, wenn die Korruption erfolgt ist. Hier geht es um die Bestrafung der Täter. Diese ist wichtig, denn eine effektive Bestrafung hat auch einen abschreckenden Effekt. Nachahmer werden es sich zweimal überlegen, ob sie ein Berufs- oder ein Kassenverbot riskieren. Die Kassen selbst steigen erst allmählich in die Kontrolle ein. Sie sind viel zu sehr mit Abrechnungsmodalitäten beschäftigt. Der SSW fordert trotzdem, das Augenmerk auf die Vermeidung von Korruption zu richten.
Der SSW hat bereits in der Vergangenheit dafür plädiert, die Anreize, die zu Korruption verleiten, zu beseitigen. Fortbildungsveranstaltungen könnte die Ärztekammer organisieren. Pharmareferenten sollten ebenfalls weit weniger als aktuell zum Zuge kommen. Ferner möge man bitte in der Öffentlichkeit einmal darstellen, wie viele Pharmareferenten man auf Kosten der Versicherungsnehmer beschäftigt, denn letztlich zahlen wir diese Leute. Dies wäre im Sinne der Transparenz wichtig.
Das Gesundheitssystem hat Einsparreserven. Diese sollten wir weiter nutzen. Wir sollten aber auch die Anreize verändern. Letztlich führt kein Weg daran vorbei, auch über die Neujustierung der Krankenkassen nachzudenken. Sie können ihre Nachfragemacht nicht nutzen; nicht einmal für günstige Rabatte. Das muss sich ändern. Der Wettbewerb der Nachfrager ist der falsche Weg, weil sie die Nachfrage nicht steuern können. Nachfragen - im ökonomischen Sinne - tut nämlich der Patient. Abgerechnet wird erst später mit der Krankenkasse. Die Krankenkassen müssen wesentlich mehr Einflussmöglichkeiten auf die Verschreibepraxis bekommen. Sie dürfen sich nicht untereinander im Verdrängungswettkampf aufreiben. Nur so befördern wir die Transparenz im Gesundheitssystem. Davon profitieren wir alle. Deshalb müssen wir die Strukturen ändern und uns jedes einzelne Korruptionsmerkmal ansehen, um zu sehen, ob wir als Land Schleswig-Holstein das eine oder andere auf Landesebene selbst in Angriff nehmen können.
Die Ministerin möchte noch einmal das Wort ergreifen? - Selbstverständlich! - Frau Ministerin Trauernicht hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass unter dem Begriff Korruption eine breite Palette an Stichworten gefallen ist, die nicht immer Korruption entsprechen, sondern sich vielmehr auf die Frage der Transparenz im Gesundheitswesen konzentrieren. Deshalb will ich noch einmal auf das Thema der Gesundheitsreform eingehen, um einige Stichworte in die Diskussion zu bringen. Das Thema ist hier in der Tat vorangetrieben worden.
Zunächst einmal bekommen die 15.000 bis 16.000 Pharmareferenten bislang die Daten über das Verschreibungsverhalten von Ärzten. Das bedeutet, dass sie sich ganz gezielt an Ärzte wenden können, um die Ärzte auf ihr Produkt hin zu bewerben. Das wird zukünftig durch die Eckpunkte dieser Gesundheitsreform nicht mehr möglich sein. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Weiter ist das Thema der Abrechnungen für gesetzlich Versicherte angesprochen worden. Es stellt sich die Frage, warum so wenig Menschen die Möglichkeit wahrnehmen, diese Abrechnungen zu bekommen. Das ganz große Problem ist hier, dass diese Abrechnungen für Versicherte nicht lesbar sind, weil sie floatende Punktwerte enthalten. Zukünftig sollen die floatenden Punktwerte auf feste Preise umgestellt werden. Das bedeutet, dass die Rechnungen für die Versicherten deutlich lesbar sein werden. Hier wird sich offensichtlich eine andere Kultur entwickeln können.
Als letztes Beispiel aus der breiten Palette nenne ich den Eckpunkt, die Nachfragemacht der Krankenkassen durch Ausschreibungen zu stärken. Auch dies ist sowohl mit Blick auf die Anbieter im Gesundheitswesen als auch mit Blick auf die Arzneimittel ein Schlüsselthema.
Ich glaube, diese Debatte ist wichtig. Mit der Schwerpunktsetzung auf die Korruption, die etwas anderes als Betrug oder die Herstellung von Trans
parenz ist, können wir nur die Spitze des Eisbergs erreichen, weil sich das Problem der Beweisführung tatsächlich sehr schwierig darstellt. Die anderen Themen sind aber wichtige gesundheitspolitische Fragestellungen, die wir vorantreiben können.
Ich danke der Frau Ministerin. - Ich weise das Parlament darauf hin, dass die Ministerin eine erneute Redezeitrunde eröffnet hat. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Beratung.
Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/929, zur abschließenden Beratung an den Sozialausschuss überweisen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen
Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit dem ihm durch Plenarbeschluss vom 16. September 2005 überwiesenen Antrag und dem am 31. Mai 2006 überwiesenen Gesetzentwurf in mehreren Sitzungen, zuletzt am 6. September 2006, befasst und dazu eine schriftliche Anhörung durchgeführt.
Der Ausschuss spricht dem Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Emp
fehlung aus, den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Neuordnung von Amtsgerichtsbezirken, Drucksache 16/769, unverändert anzunehmen.
Er empfiehlt dem Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimme der FDP, den Antrag der Fraktion der FDP und der Abgeordneten des SSW betreffs Planungen zur Struktur der Gerichte in SchleswigHolstein, Drucksache 16/461 (neu), abzulehnen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.
Für die antragstellende Fraktionen erteile ich zunächst Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war ehrlich gesagt ein wenig erstaunt, als ich zu Beginn der letzten Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses - ich war gerade in den Raum gekommen - das Statement des rechtspolitischen Sprechers der Koalition, des Kollegen Puls, zur Kenntnis nehmen musste. Kollege Puls erklärte, die SPDFraktion sei nach Auswertung der umfangreichen schriftlichen Anhörung zu der Auffassung gelangt, dass der Antrag der Fraktion der FDP und der Abgeordneten des SSW zum Erhalt des Amtsgerichts Kappeln abgelehnt und der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Amtsgerichtsstrukturreform unverändert angenommen werden sollte.
Mein Erstaunen war deshalb groß, weil es keine wirklich nicht eine einzige - Stellungnahme irgendeines Experten in der Anhörung gab, der die Amtsgerichtsstrukturreform sachgerecht, sinnvoll oder justizpolitisch für geboten oder für begrüßenswert hielt, Kollege Kalinka.
Es gab darüber hinaus erhebliche Zweifel an der von der Landesregierung geschilderten Wirtschaftlichkeitsberechnung beziehungsweise an den von der Landesregierung geschätzten Einsparungen, die allerdings auch nicht Ziel dieser Reform sind, so Staatssekretär Schmidt-Elsaeßer noch in der Diskussion im Anschluss an das Statement des Kollegen Puls.
Wer dies vor diesem Hintergrund in einer Ausschusssitzung unter Bezug auf die Stellungnahmen, die genau das Gegenteil von dem besagen, was be
schlossen wird, erklärt, ist gegenüber den Betroffenen zynisch. Ich hätte mir gewünscht, die Fraktionen von SPD und CDU hätten sich aufgrund der Stellungnahmen auf eine wirklich ernsthafte Diskussion über Sinn und Zweck der Amtsgerichtsstrukturreform eingelassen und nicht im Ausschuss ihr Desinteresse an den Fachbeiträgen auf diese Art und Weise demonstriert. Die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer aus den betroffenen Bereichen waren sehr erstaunt darüber, wie man innerhalb von 30 Sekunden nach so umfangreichen Stellungnahmen zu der Feststellung gelangen kann: Es bleibt alles beim Alten. Sie waren erstaunt darüber, dass die Diskussion zu Ende war, bevor sie begonnen hatte. Die Betroffenen konnten wieder nach Hause fahren.
Dass wir mit dem heutigen Beschluss über den Gesetzentwurf zur Amtsgerichtsstrukturreform die Schließung einiger Amtsgerichtsstandorte hinnehmen müssen, ist gewiss. Es wird aber gewiss nicht besser. Zum 1. April nächsten Jahres werden die Amtsgerichte Kappeln und Geesthacht, zum 1. April 2008 wird das Amtsgericht Mölln und zum 1. April 2009 werden die Amtsgerichte Bad Oldesloe und Bad Schwartau für die Bürgerinnen und Bürger ihre Pforten schließen. Das liegt im Wesentlichen an folgenden Mängeln.
Erstens. Es wird bei der Amtsgerichtsstrukturreform Strukturpolitik ohne Analyse betrieben, also Justiz lediglich als Objekt des Aktionismus begriffen. Der Gesetzentwurf führt keine Tatsachen basierenden und belegten Annahmen an, die eine Notwendigkeit zur Neuordnung der Amtsgerichtsbezirke begründen. Es wird im Gegenteil immer zu Recht behauptet, dass die Amtsgerichte insgesamt eine gute Arbeit leisten.
Zweitens. Die in der Begründung für die Reform als zentraler Punkt genannte Spezialisierung bietet keine Grundlage für eine Gerichtsgröße von acht Richtern. Hierzu zitiere ich aus der Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung, die zu Recht feststellt:
„Acht Richter führen gerade einmal in Zivilsachen zu zwei Dezernaten, also dort, wo die Spezialisierung noch am wenigsten benötigt werden dürfte. In Familien- und FGG-Sachen wäre das erst bei einer Größe von elf bis 15 Richtern der Fall, in Strafsachen aber bereits ab sechs Richtern. Würde man eine ähnliche Berechnung für den gehobenen Dienst anstellen, kämen wieder völlig andere Zahlen heraus. Wieso deswegen gerade acht Richter die Größe der Größen sein soll, ist unverständlich.“
Drittens. Die dargelegten Kosteneinsparungen hängen von vielen nicht gesicherten und unbelegten Annahmen ab. Es ist auch schon fraglich, ob die Rechengrundlagen einer Wirtschaftlichkeitsberechnung, die auf 50 Jahre angesetzt ist, über diesen Zeitraum Bestand haben. Gerade die Justiz, die im Besonderen von der Gesetzgebung auf Bundes- und Länderebene beeinflusst ist, ist da anfällig. Ich weise nur darauf hin, dass die letzte Amtsgerichtsstrukturreform noch keine 50 Jahre her ist. Übrigens, Kollege Kalinka, die Wirtschaftlichkeitsberechnung für den Flughafen Kiel-Holtenau hielt gerade drei Monate.
Viertens. Die große Justizreform, die immer noch in der Diskussion steht, sollte nach unserer Auffassung abgewartet werden. Was heute verabschiedet werden soll, ist keine Reform, sondern eine gemurkste Umsetzung des Koalitionsvertrages.