Protocol of the Session on September 15, 2006

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wesentliche Erkenntnis des Berichts ist wenig erstaunlich: dass man Korruption und Betrug im Gesundheitswesen nur durch mehr Transparenz bekämpfen könne. Das ist zwar wichtig, aber es erstaunt nicht wirklich.

Ich habe erhebliche Zweifel, ob das Mehr an Transparenz, wie es die Organisation Transparency International gefordert hat, durch ein eigenes Antikorruptionsinstitut erreicht werden kann. Ich glaube vielmehr, dass man Transparenz im Gesundheitswesen am ehesten durch eine wirkliche strukturelle Reform unseres Gesundheitswesens erreichen wird. Wenn wir ehrlich zueinander sind, müssen wir zugeben, dass diese strukturelle Reform gerade noch aussteht.

(Beifall bei der FDP)

Frau Ministerin Trauernicht, auch wenn ich ansonsten über den Bericht gern sehr friedfertig im Gesundheitsausschuss mit Ihnen diskutieren werde, möchte ich Ihnen an dieser Stelle widersprechen. Die vergangenen zwei Gesundheitsstrukturgesetze haben gerade nicht die notwendigen strukturellen Ansätze geschaffen, um zu einem Mehr an Transparenz im Gesundheitswesen zu kommen. Das gelingt bis heute nur sehr begrenzt.

Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht listet eine ganze Reihe von gesetzlichen Regelungen auf, die zu mehr Transparenz führen können oder Abrechnungsbetrug verhindern sollen. Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen ar

beiten in speziellen Arbeitsgruppen schon heute zusammen, um die Abrechnungen der Leistungserbringer durch entsprechende Plausibilitätskontrollen nachzuprüfen. Genau diese Arbeitsgruppen sind es, die derzeit am meisten zur Aufdeckung von Korruption und Betrug beitragen.

Ohne diese Arbeitsgruppen wären die im Jahr 1997 aufgedeckten Herzklappenskandale, als Klinikärzte gegen Vergünstigungen überteuerte Herzklappen einkauften, überhaupt nicht aufgedeckt worden.

Aber die spannende Frage ist: Was sind die Ursachen dafür, dass so etwas möglich ist? Auf diese Frage wird in dem vorgelegten Bericht leider zu wenig eingegangen. Aber genau an diese Ursachen müssen wir jetzt heran.

Ich will es einmal plastisch darstellen. Warum wird billiger Zahnersatz aus Fernost zu deutschen Laborkosten abgerechnet? Warum kann er so abgerechnet werden? Warum kann alten Damen ein Mittel gegen Erektionsstörungen verordnet werden und warum kann so etwas dann auch noch abgerechnet werden?

Die Antwort ist einfach: Ein intransparentes Abrechnungssystem macht es den schon zitierten schwarzen Schafen immer noch viel zu einfach. Hierzu bedarf es noch nicht einmal besonders großer krimineller Energie, sondern lediglich eines intelligenten Abrechnungsprogramms. Der sich verschärfende Wettbewerb der medizinischen Leistungserbringer untereinander trifft bei gedeckelter Gesamtvergütung auf ein System, dessen Honorarverteilung sich weder von außen leicht durchschauen noch von innen ordentlich kontrollieren lässt.

Ich nenne zwei Beispiele, die dies verdeutlichen sollen. Das Aufdeckungsrisiko ist praktisch null, wenn Leistungen gleichzeitig privatärztlich bei Patienten als sogenannte Igelleistungen und dann noch einmal als reguläre Kassenleistungen abgerechnet werden können. Genauso ermöglichen es manche Verträge zur integrierten Versorgung, dass jede Behandlung doppelt abgerechnet werden kann, ohne dass es jemandem auffallen würde: einmal als Direktvertrag mit der Kasse und dann noch einmal regulär über die Kassenärztliche Vereinigung.

Der einzige, der Betrug und Korruption am effektivsten und schneller aufdecken könnte als jede Antikorruptionsstelle, bleibt in unserem Gesundheitssystem noch viel zu weit außen vor. Das wäre nämlich der aufgeklärte und gut informierte Versicherungsnehmer und Patient.

Die liegt natürlich an den Strukturen unseres Gesundheitssystems. Ich habe mich außerordentlich

(Wolfgang Baasch)

gefreut, dass sich Frau Heinold bei der letzten Debatte im Sozialausschuss, die die Kollegin Sassen erwähnt, offen gezeigt hat, wenn wir über diesen Bericht diskutieren, eine offene, völlig unideologische Debatte mit uns führen zu wollen, was die Frage Sachleistungsprinzip versus Kostenerstattungsprinzip anbelangt.

Es ist ein erster Schritt, eine Patienteninformation in die Hand zu bekommen, um über die tatsächlich erbrachten Leistungen eines Arztes aufgeklärt zu werden. Es wäre ein zweiter Schritt, dies nicht nur freiwillig, wenn dies jemand abfordert, sondern ganz selbstverständlich zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder soll die Möglichkeit haben oder sogar gezwungen werden zu gucken, was er für seine Versicherungsprämie, für seine Versicherungsbeiträge erhalten hat, ob die Leistung überhaupt erbracht worden ist.

In einem nächsten Schritt sollte darüber nachgedacht werden, Kontenverantwortung für den Patienten zu schaffen. Es ärgert mich immer, wenn das als Einsparmodell propagiert wird. Das ist Quatsch. Es geht darum, mit dem Geld von Versicherungsnehmern und Beitragszahlern vernünftig umzugehen und eine wirksame Kontrolle ausüben zu können.

Ich freue mich auf die Diskussion ausdrücklich. Wenn wir an der Stelle weitermachen, kommen wir dazu, dass Betrug im Gesundheitswesen nicht mehr in dem Ausmaß stattfindet, das wir alle miteinander beklagen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es waren die Grünen, die vor einigen Monaten zum ersten Mal einen Beschlussantrag zum Thema Korruption im Gesundheitswesen in den Landtag eingebracht haben. Dieser Antrag hat leider keine Mehrheit gefunden. Aufgrund des Alternativantrages der großen Koalition befassen wir uns aber immerhin auf der Grundlage eines Berichtes mit diesem Thema.

Frau Trauernicht, Ihre Rede ist von einem ganz anderen Engagement getragen als das Papier aus Ihrem Haus. Denn der wenige Seiten starke Bericht nennt nur sehr trocken die bisherigen Instrumente und erweckt den Eindruck, als gebe es keinen dringenden Handlungsbedarf. Das sehen wir ganz anders.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Frau Trauernicht, Sie halten die Zahlen über Korruptionsbetrug von Tranparency International in Deutschland für zu hoch, weil es sich nur um Schätzungen handelt. Schätzungen zwischen 8 Milliarden und 24 Milliarden sind zugegeben nicht sehr präzise. Drei Plausibilitätsüberlegungen dazu!

Erstens. Deutschland ist bis heute ein wichtiger Standort für Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Pharmaprodukten. Es ist weltbekannt, dass die Produkte überall billiger angeboten werden als am deutschen Entstehungsort. Was können wir dagegen tun?

Zweitens. Die Regelungen zum Anwerbeverbot und Sponsoring in der Forschung sind eher ein Placebo. Nur unangemessen hohe Zuwendungen der Pharmafirmen an Ärztinnen und Ärzte, an Apotheken sind dort verboten. Was haben wir uns darunter vorzustellen? Heißt das, dass die Finanzierung von Fortbildungsseminaren in Schleswig-Holstein, auf Sylt für die hiesige Ärzteschaft unproblematisch, Lanzarote hingegen nicht und Mallorca ein Grenzfall wäre? Wo bleibt bei der Fortbildung die finanzielle Unabhängigkeit? Das Gleiche können wir dreimal unterstreichen, wenn es um die Ärzteberatung seitens der Pharmaindustrie geht.

Drittens. Die Veröffentlichung ausschließlich positiver Forschungsergebnisse ist erlaubt, solange nicht direkt gelogen wird, auch wenn Problematisches unter den Tisch fällt. Warum sind die Geldgeber von Forschungsvorhaben nur Insidern bekannt?

Nun zu den vier Schritten, die Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode in Berlin auf den Weg gebracht hat. Ich möchte nicht verhehlen, dass viele dieser wichtigen Initiativen maßgeblich unter Beteiligung der grünen Bundestagesfraktion auf den Weg gekommen sind.

Erstens. Es gibt jetzt das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit, das auch den Nutzen von Arzneimitteln kritisch prüfen soll. Zur Bewertung der Arbeit ist es noch zu früh, aber wir können im Ausschuss natürlich überlegen, was wir

(Dr. Heiner Garg)

auch auf Landesebene tun können, um die Arbeit dieses Institutes zu unterstützen.

Zweitens. Es gibt endlich die Pflicht, Vorstandsvergütungen einschließlich Nebenleistungen und Versorgungsverträgen der Krankenkassen und - in einem anderen Gesetz gefasst - der Unternehmen zu veröffentlichen. Wir wissen gerade aus dem AOKSkandal, wie wichtig das ist. Wir sollten uns im Ausschuss immer einmal wieder daran erinnern, in die Veröffentlichungen auch hineinzuschauen und eventuell kritisch nachzufragen.

Drittens. Seit 2004 ist ein gemeinsamer Prüf- und Beschwerdeausschuss der gesetzlichen Krankenkassen eingerichtet und - wie ausgeführt - die Kassen müssen auch intern ein Beschwerde- und Prüfwesen einrichten. Hier wäre unsere zentrale Aufgabe - auch wenn wir von Landesseite nicht bei allen Krankenkassen zuständig sind -, diese Entwicklung aufmerksam zu verfolgen und im Dialog mit den Kassen die Berichte anzufordern, das Gespräch über dieses Thema zu suchen.

Ähnlich, wie Herr Garg ausgeführt hat, scheint mir erstens Folgendes der entscheidende Punkt zu sein: Bisher können Patientinnen und Patienten zwar Quittungen anfordern und fragen, was ihre Behandlung gekostet hat. Aber Sie wissen doch: Wenn ich meinem Vertrauensarzt das sage, fragt der: „Sind Sie nicht zufrieden mit meiner Arbeit? Haben Sie irgendeinen Grund für diese Frage?“ Das ist unangenehm und peinlich, weil es nicht selbstverständlich ist. Deswegen fordern wir: Es muss ein selbstverständliches Recht von Patientinnen und Patienten sein, Quittungen zu erhalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Zweitens. Alle Finanzquellen von Forschungsarbeiten sind bei jeder Publikation präzise offenzulegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gehen wir an das UK S-H heran und sagen zu den Medizinischen Fakultäten: Macht es freiwillig, es steht euch gut zu Gesicht!

Drittens. Das Korruptionsverbot im Heilmittelwerbegesetz ist zu präzisieren und mit klaren strafrechtlich bewehrten Sanktionen zu versehen. Das erwarte ich von der Gesundheitsreform. Dies gilt ebenso für die Schädigung der Solidargemeinschaft durch Abrechnungsbetrug. Frau Trauernicht, ich bin dankbar, dass Sie in Ihrem Redebeitrag auf dieses Thema besonderen Wert gelegt haben.

Last, but not least: Wir haben gestern über die elektronische Gesundheitskarte gesprochen. Wenn es gelingt, dass Schleswig-Holstein seine Vorleistungen hier bundesweit zum Durchbruch bringen kann, wären hier auch die Vorleistungen bei Sicherheitsstandards und Missbrauchprävention zu nennen. Das gilt insbesondere für die Transparenz der EDVSysteme. Auch auf diesem Gebiet könnten wir modellhaft etwas leisten.

Wenn wir uns einig sind, dass wir dieses Thema im Gesundheitsausschuss nicht nur einmal, sondern immer wieder einmal aufrufen und auf sachlicher Ebene auf die Schnittstellen hinweisen, die man besonders kontrollieren muss, kommen wir hier ein Stück weiter. - Ich danke Ihnen für das gemeinsame Engagement.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich danke der Frau Abgeordneten Birk. - Das Wort für den SSW im Landtag hat Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ein Kunde eine Dienstleistung kauft, dann sind in der Regel Dienstleister und Rechnungssteller identisch. Nicht so im Gesundheitssystem. Der Patient ruft eine Leistung beim Arzt ab, die dieser dann mit der Krankenkasse abrechnet. Dieses Dreieck begünstigt durch verwobene Kompetenzen und Zuständigkeiten eine besondere Art der Korruption. Kein Arzt besticht eine Krankenkasse mit Bakschisch, damit diese möglichst viele Patienten vorbeischickt. Der Grundsatz der freien Arztwahl schiebt so etwas sowieso einen Riegel vor. Trotzdem grassiert die Korruption.

Die Hersteller von medizinischen Geräten oder von Medikamenten gehen zu den Ärzten, um diese mit Geld oder Sachleistungen dazu zu bringen, ausschließlich ihre Produkte zu verwenden und zu verschreiben. Schätzungsweise 15.000 bis 16.000 Pharmareferenten besuchen die Ärzte in ihren Praxen, um sie über Medikamente zu beraten und via Gratisproben das neue Medikament in die Verschreibungsliste zu hieven. Sie haben kostenlose Software dabei, die eine Verschreibung erheblich erleichtert, aber auch die firmeneigenen Produkte immer als erste Wahl vorschlägt.

(Angelika Birk)

In den seltensten Fällen fließt dabei Bargeld zwischen Pharmafirmen und Ärzten, sondern es gibt andere Belohnungen, wie die Ministerin berichtet. Riesige Vortragshonorare oder lukrative Tagungsorte gehören dazu. So findet man im Internet schon nach kurzer Suche viele Angebote, unter ihnen die Seite „Fortbilden unter Palmen in Thailand“, die sich an Zahnärzte richtet. Per Anbieterhomepage werden sie informiert, dass „das Programm des Kurses so gestaltet ist, dass genügend Zeit zur Verfügung steht, um sich zu erholen und die tropische Insel mit all ihren Vorzügen zu genießen“. Solche Angebote sind an sich kein Problem, wenn aber Pharmafirmen das alles bezahlen, ist es Korruption.

Es geht auch völlig anders: Da es in Deutschland Lücken in der Brustkrebs-Früherkennung gibt, suchen viele Patientinnen Rat bei Selbsthilfegruppen. Ein ideales Einfallstor für einzelne Pharmafirmen, die diese Gruppen finanziell unterstützen.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Leider!)