Protocol of the Session on May 25, 2005

(Beifall bei SSW, CDU und SPD)

Frau Spoorendonk, Sie haben sich auch ohne Uhr perfekt an die Redezeitbegrenzung gehalten.

Gibt es weitere Wortmeldungen? - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt.

Wir treten in die Mittagspause ein und setzen die Sitzung um 15 Uhr mit dem Tagesordnungspunkt 27 fort.

(Unterbrechung: 13:18 bis 15:02 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Präsidium freut sich, Sie alle nach der Mittagspause wieder begrüßen zu können. Besonders freuen wir uns über die Besucher auf der Tribüne. Wir begrüßen die Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt aus Eutin. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Resolution zur Ratifizierung des Vertrages über eine Verfassung für Europa

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/84 (neu)

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/95 Änderungsantrag der Fraktion der FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/96

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Ich eröffne damit die Aussprache. Für die CDUFraktion hat der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Europäische Verfassung ist heute hervorragend in die beiden dominierenden Ereignisse der Debatte eingebettet, nämlich in die Regierungserklärung und die heute Abend stattfindende Feierstunde zur Würdigung des 50. Jahrestages der Bonn/Kopenhagener Erklärung. Darüber freue ich mich. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Präsenz im hohen Haus etwas größer wäre. Das bekommen wir aber vielleicht auch irgendwann noch hin.

Meine Damen und Herren, in der Resolution haben beide Koalitionspartner ein eindeutiges Bekenntnis

(Manfred Ritzek)

zur Ratifizierung des Vertrages über die Verfassung für Europa abgegeben. In der Resolution haben wir die Aussagen begründet, warum wir für diese Verfassung sind, warum diese Verfassung eine so große Bedeutung für Bund, Länder und Gemeinden hat. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo jedoch bleibt die Begeisterung für die Verfassung? Das Ja für die Europäische Verfassung im Bundestag erfolgte ohne glühende europäische Leidenschaft. Auch die Medien - Sie haben es gelesen - haben verhalten über dieses Ereignis berichtet.

Die Europäische Verfassung ist ein Werk von fast 500 Seiten mit 465 Artikeln, geschrieben in vier Teilen, beinhaltend Werte, Ziele, Organisation, Zuständigkeiten, Grundrechte, Arbeitsweise in den Politikfeldern und Schlussbestimmungen. Wer von Ihnen hat diese fast 500 Seiten gelesen? Nach Teil IV folgt eine Vielzahl von Protokollen als Anhang, so auch das - auch für die Landesparlamente - enorm wichtige Protokoll über die Grundsätze der Subsidiarität. Dieses Protokoll ergänzt noch einmal die bereits in Teil III Artikel 9 der Verfassung beschriebenen Grundsätze. In der Bundestagsdebatte über die EUVerfassung wurde über die Sorgen und Ängste der Menschen nicht oder kaum debattiert. Die Debatte wurde staatsmännisch geführt. Fast jeder Redner von jeder Partei glaubte in diesem Sinne etwas sagen zu müssen. Dieser staatsmännische Tenor wird auch nicht wesentlich durch die 23 abgegebenen Neinstimmen und die 80 zu Protokoll gegebenen persönlichen Erklärungen geschmälert. Die 23 Neinstimmen basieren auf der Befürchtung der ständig steigenden Machtkonzentration in Brüssel. Die persönlichen Erklärungen bemängeln insbesondere die Nichtaufnahme des Gottesbezuges in die Verfassung, was auch wir bedauern. Wir alle hier im Parlament müssen den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen, dass die Verfassung für die umfassende Handlungsfähigkeit der Europäischen Union von größter Bedeutung ist und damit auch ihren Interessen dient. Das ist nicht einfach. Einige Beispiele sollen das erklären.

Können wir die Menschen überzeugen, warum die Erweiterung der EU unaufhaltsam fortgeführt wird, jetzt auch mit der Zusage an Bulgarien und Rumänien für die Aufnahme im Jahre 2007, obwohl diese Länder die Beitrittsbedingungen zur Aufnahme bei weitem nicht erfüllen? Während das Territorium der Union wächst, stößt die Akzeptanz des Integrationsprozesses an seine Grenzen. Können die Menschen es verstehen, wenn EU-Gelder aus dem Strukturfonds Anreize für Unternehmensgründungen in anderen EU-Ländern schaffen, die zu Standortverlagerungen in jene geförderten Länder bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau in Deutschland führen? Warum müs

sen EU-Richtlinien im Nachhinein geändert werden, zum Beispiel die Dienstleistungsrichtlinie und die Chemikalienrichtlinie? Klappt unser Informationssystem nicht? Können wir einem Markthändler erklären, dass er auf dem Wochenmarkt eine neunseitige EUKonfitürenverordnung beachten muss, in der erklärt wird, was eine Konfitüre extra beziehungsweise eine Konfitüre, ein Gelee extra beziehungsweise ein Gelee, eine Marmelade extra beziehungsweise eine Marmelade ist? Bemühen wir uns wirklich mit aller Intensität, das uns in der Verfassung ausdrücklich zugestandene Subsidiaritätsprinzip umzusetzen?

Unser Land muss die Rechte unseres Parlaments wesentlich stärker verteidigen. Wir müssen früher und umfangreicher über den Prozess der die Länder betreffenden Rechtsakte informiert werden, bevor daraus ein europäisches Gesetz oder ein europäisches Rahmengesetz wird. Wir können die Menschen nur dann mitnehmen, wenn wir uns intensiv um die Gestaltung unserer Belange in der Europäischen Verfassung bemühen. Ich bitte um Zustimmung zur Resolution.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Ritzek und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Ritzek, ich will versuchen, ein wenig von der europäischen Leidenschaft, die Sie hier gerade vermisst haben, hineinzubringen. Ich will deutlich sagen, dass die große Herausforderung, vor der wir stehen, doch die ist, dass wir durch diese Europäische Verfassung den Weg von der Wirtschaftsunion, den Weg von einem Europa des Binnenmarktes und der wirtschaftlichen Vereinigung hin zu einer europäischen Wertegemeinschaft öffnen. Ich glaube, das ist die große politische Chance, die diese Europäische Verfassung uns bietet. Gemeinsame Werte - dafür sind wir alle - bedürfen der Festschreibung. Es gilt der Satz: So wie eine Sprache eine Grammatik braucht, um lebendig zu sein, so benötigen Werte eine Verfassung.

Deshalb ist dieser Vertrag über eine Verfassung für Europa von so enormer politischer Bedeutung. Er schafft ein demokratisches Europa, das nicht nur jeden einzelnen von uns zu mündigen Unionsbürgerinnen und -bürgern macht, die mitreden und mitent

(Rolf Fischer)

scheiden können, sondern dieses neu verfasste Europa wird international eine bedeutende Rolle übernehmen können, wenn es darum geht, Menschen- und Bürgerechte einzufordern und durchzusetzen, oder wenn es darum geht, Solidarität, Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent, aber auch weltweit zu schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich das sagen darf: 60 Jahre nach Kriegsende ist das eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Perspektive.

(Beifall bei der SPD)

Der im europäischen Kontext manchmal ein wenig vergessene und viel zu selten zitierte Carlo Schmid, an den ich gern erinnere, traf den politischen Punkt schon 1952, als er schrieb: „Die Aufteilung der Macht in Europa ist noch nicht die Einigung Europas; sie entsteht nur aus einer gemeinsamen Anstrengung, aus einer gemeinsamen Verfassung.“ - Der Verfassungsvertrag wird diesem Anspruch gerecht und deshalb sollten wir ihn mit Leben erfüllen.

Lieber Manfred Ritzek, du hast ein paar Sätze zum Umfang gesagt. Ich kann nur sagen, wer die knappe Eleganz der zehn Gebote erhofft, ist sicherlich enttäuscht. Wer aber in den alten Verträgen blättert, der ist sicherlich erleichtert.

Regionale und lokale Selbstverwaltung sind gewährleistet und das Prinzip der Subsidiarität muss realisiert werden. Das so genannte Frühwarnsystem, das die Beteiligung der nationalen Parlamente und auch des Bundesrates festschreibt, ist neu und sicherlich nicht ganz leicht zu handhaben. Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, das Frühwarnsystem bevorzugt im Augenblick, wie ich es sehe, eher die Regierungen. Ich würde gern darum bitten, dass auch die Parlamente - ich sage das als Parlamentarier - in diesen Prozess einbezogen werden und nicht nachher die letzten in dieser Reihe sind, wenn es darum geht, das Frühwarnsystem erfolgreich anzuwenden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Frühwarnsystem, Klagemöglichkeiten gegen zu weit gehende EU-Vorhaben sind mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bei europäischen Entscheidungen und nicht weniger und das ist fortschrittlich und sinnvoll, wenn es um den Aufbau europäischer Identität geht.

Ich weise darauf hin, dass die Verfassung das neue europäische Bürgerbegehren enthält. Das heißt, die Menschen können damit aktiv mitgestalten. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Anmerkung. Wir haben auch im Antrag von SSW und FDP den Hinweis auf den Volksentscheid, den man gern gesehen hätte. Ich denke, wer dieses plebiszitäre Instru

ment will, der sollte eine Volksentscheidsdebatte grundsätzlich führen, nicht nur bezogen auf diesen einen Punkt. Die aber würde sehr viel länger dauern, als wir Zeit haben, diese Verfassung zu verabschieden.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Ich habe darauf hingewiesen, es gibt eine neu festgelegte europäische Kompetenzordnung. Die Bürger können erkennen, wer die Verantwortung für Entscheidungen trägt und wer nicht. Diese Kompetenzordnung zieht auch eine weitere positive Reaktion nach sich. Es mindert vielleicht ein bisschen die Lust des einen oder anderen Staates, der eine Sonderregelung zu Hause als Erfolg über Brüssel feiert, die Sonderregelungen der anderen aber als ausschweifende Bürokratie von Brüssel anklagt. Ganz kurz gesagt, die europäische Schalenform des Treckersitzes hat durchaus nationale Ursachen.

Die Verfassung stärkt das Europäische Parlament im Haushalt und in der Gesetzgebung und durch die Möglichkeit, den Kommissionspräsidenten zu wählen. Es ist noch nicht ein Parlament nach unserem Vorbild, vergleichbar mit uns in Demokratie und Legitimation, aber es ist ein großer Fortschritt hin zu einer legitimierten demokratischen Repräsentation auf europäischer Ebene. Wir haben Fortschritte in der Justiz- und Innenpolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik und wir - ich darf das für die Sozialdemokraten sagen - setzen auf das soziale Europa. Das ist unser erklärtes Ziel europäischer Politik.

Viel bleibt noch zu tun. Wir sind am Anfang einer Debatte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verfassungsentwurf steht am Beginn einer europäischen Debatte und nicht am Ende. Das heißt, wir werden auch in Zukunft über die weitere Entwicklung Europas diskutieren müssen. Wir werden die Chancen für Schleswig-Holstein ausloten müssen. Diese Verfassung so, wie sie vorliegt, bietet uns eine Menge Chancen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die FDP-Fraktion sieht den Vertrag über eine Verfassung für Europa nach Abwägung aller Vor- und Nachteile als einen Fortschritt an. Gleichwohl ist es nach unserer Ansicht nicht angemessen, darüber nun

(Dr. Ekkehard Klug)

solche Jubelarien erklingen zu lassen, wie sie im gemeinsamen Antrag der beiden Koalitionsfraktionen komponiert worden sind, auch wenn das, was Manfred Ritzek in seinem Redebeitrag hierzu gesagt hat, schon deutlich kritischer geklungen hat. Ich denke, die Ausblendung der Misstöne, die wir in der Europapolitik haben und die ursächlich sind für den Unmut, den wir allenthalben in der Bevölkerung spüren, ist kein richtiger Weg, um für diese Verfassung zu werben. Man muss das Pro und Kontra nüchtern abwägen.

(Beifall bei der FDP)

Zum einen sagen wir, dass in Deutschland die Chance verpasst worden ist, dem Verfassungsvertrag durch eine Volksabstimmung eine größere Legitimation zu verleihen, ist sehr bedauerlich.

(Beifall bei der FDP)

Der Verweis auf allgemeine plebiszitäre Regelungen im Grundgesetz ist natürlich im Grunde eine Beerdigung erster Klasse. Das muss jeder wissen. Das geht so schnell nicht. Man hätte sich aber sehr wohl einigen können, zu diesem Verfassungsvertrag angesichts seiner Bedeutung ein Referendum wie in anderen europäischen Mitgliedstaaten durchzuführen. Ein Referendum hätte die Europapolitik endlich aus der abgehobenen Sphäre der Expertendebatten herausgehoben und zu einer Sache der Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger gemacht. So wie die Dinge jetzt stehen, wird die Öffentlichkeit kaum von Beratungen Notiz nehmen, wie zum Beispiel auch der heutigen Landtagsdebatte, ganz zu schweigen davon, dass kaum jemand vom Inhalt dieses Verfassungsvertrages Notiz nimmt. Auch das ist eigentlich ein Negativum. Vor einer Volksabstimmung wäre es notwendigerweise zu einer breiten Informationskampagne der Bundesregierung, der EU, der großen gesellschaftlichen Kräfte gekommen. Auch die Medien hätten sich natürlich dieses Themas Verfassungsvertrag in ganz anderer Weise zugewendet, als das in unserem Land der Fall ist, ganz anders im Übrigen als in den Staaten, in denen ein Referendum stattfindet.

Es bleibt also im Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und der europäischen Ebene auf der anderen Seite weiterhin ein hohes Maß an Unkenntnis und auch Fremdheit bestehen und das ist eigentlich angesichts der wachsenden Bedeutung, die Europa für unsere Entwicklung in unserem Land hat, ein sehr gravierendes politisches Problem, das eigentlich auch alle diejenigen, die überzeugt sind von der Idee der europäischen Integration, alarmieren

müsste. Dem entgegenzuwirken wäre auch die Chance eines Referendums gewesen.