Protocol of the Session on May 25, 2005

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einführung des Tariftreuegesetzes bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen hat sich für die schleswig-holsteinische Wirtschaft zu einem wichtigen Faktor entwickelt. Das Gesetz trägt nämlich zu einem fairen Wettbewerb bei, indem es Lohndumping - insbesondere von ausländischen Unternehmen - verhindert. Der SSW fordert daher, dass das Tariftreuegesetz nicht - wie geplant - in dieser Legislaturperiode ausläuft, sondern verlängert wird.

Der SSW will die soziale Verantwortung für die Wirtschaft und einen aktiven Staat, der vernünftige Rahmenbedingungen schafft. Die Forderung der Regierungserklärung nach einer „Vorfahrtsregel für Wirtschaft und Arbeit“ hört sich zwar im ersten Moment gut an, es kommt aber sehr auf die praktische Umsetzung an. Erst einmal trägt die Landesregierung mit ihrer Ankündigung, die Zahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter im Landesdienst deutlich zu senken, zu einer höheren Arbeitslosigkeit bei.

Der Ministerpräsident hat Recht, wenn er sagt, dass Schleswig-Holstein ein guter Standort für die Wirtschaft ist. Dies war übrigens schon vor dem 20. Februar so. Das belegen auch Zahlen der Wirtschafts- und Technologietransferzentrale SchleswigHolstein, die besagen, dass Schleswig-Holstein seinen Anteil an den Unternehmensansiedlungen 2004 mit 29 % nochmals steigern konnte. Diese positive Entwicklung muss die Landesregierung weiterhin aktiv mit gezielter Förderung begleiten. Dabei unterstützen wir, dass die einzelbetriebliche Förderung wieder eine wichtigere Rolle bei der Wirtschaftsförderung des Landes bekommen soll.

Gerade die Ostseekooperation ist eine große Chance zur weiteren wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Schleswig-Holsteins. Wir begrüßen daher, dass der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung auf die verstärkte Ostseekooperation mit den neuen EU-Mitgliedern hinweist. Wir hoffen, dass die Ankündigungen, die Ostseekooperation auszubauen und zu vertiefen, auch in die praktische Regierungsarbeit einfließen. In den letzten Jahren hat man sich zu wenig um diesen wichtigen Teil der schleswigholsteinischen Landespolitik gekümmert.

Diese Kritik gilt in gewisser Weise auch für die deutsch-dänische Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: Der SSW vermisst weiterhin entscheidende Perspektiven für die deutsch-dänische Zusammenarbeit. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit spielt in der Regierungserklärung leider kaum eine Rolle. Auch über die Kooperation der Flensburger Hochschulen mit der Syddansk Universität wird keine Silbe verloren. Eine stärkere deutsch-dänische Zusammenarbeit ist aber eine wichtige Zukunftsperspektive, und zwar nicht allein für die nördliche Region, sondern für Schleswig-Holstein insgesamt. Deshalb muss endlich ein Leitbild für die deutsch-dänische Zusammenarbeit entwickelt werden. Wenn sich die dänischen Ämter ab 2007 zur Region Syddanmark zusammenschließen, wird die Landesregierung als direkter Partner der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wieder wichtiger werden.

Regionalpolitisch befürchtet der SSW, dass der Norden des Landes im Vergleich zur Achse KielLübeck-Hamburg vernachlässigt wird. Ich weiß, der Ministerpräsident hat uns in seiner Rede beruhigen können. Ich glaube ihm auch, ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen, dass wir genau hingucken werden, lieber Kollege Hay. Der Eindruck bleibt bestehen, dass die große Koalition doch sehr gebannt auf die Metropolregion Hamburg schaut und dass wir aufpassen müssen, dass man nicht mit dem falschen Ende des Fernrohrs auf den Norden guckt.

(Beifall beim SSW)

Wenn sich der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung zum ländlichen Raum bekennt, dann muss seine Regierung ihr Augenmerk gerade auf den strukturschwachen Landesteil Schleswig richten. Es ist richtig, das hat er gesagt. Dabei geht es uns aber auch darum, dass in dieser Region nicht nur die Landwirtschaft und der Tourismus gefördert werden. Der SSW fordert, dass sich auch andere zukunftsfähige Branchen im Norden entwickeln können. Wir erwarten daher, dass sich die Landesregierung klar zur Förderung der wirtschaftspolitischen Cluster in Flensburg und Husum bekennt. Dazu gehört auch,

(Anke Spoorendonk)

dass der Ausbau der Windenergie weiterhin hohe Priorität genießt, damit das wirtschaftliche Potenzial des Nordens voll ausgeschöpft werden kann.

(Beifall beim SSW)

Für den nördlichen Landesteil mit seinen über 300 Kommunen wäre auch eine Verwaltungs- und Gebietsreform zur Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wichtig. Die bisherigen Vorschläge der Landesregierung für eine Verwaltungsstrukturreform ohne Gebietsreform sind aber weder wirkungsvoll noch sehr mutig. Wir meinen, dass die Reformen am schwächsten Glied, das heißt bei den Kommunen, anfangen müssen. Dabei haben 30 Jahre Freiwilligkeit gezeigt, dass wir so nicht weiterkommen. Wir brauchen eine Kommunalreform, die größere und stärkere Kommunen schafft, und nicht nur eine Reform der Verwaltungen, wie sie in der Regierungserklärung angekündigt wird. Deshalb muss die Landesregierung Druck machen und bis zur nächsten Kommunalwahl auf gesetzlichem Weg die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Wichtig ist aber auch, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine kommunale Finanzreform einsetzt, denn die Kommunen stecken nicht zuletzt wegen der zusätzlichen Kosten durch die Hartz-IVReform in einer schweren Finanzkrise. Im Übrigen ist es in diesem Zusammenhang ziemlich dreist, wenn die Bundesregierung im Herbst wegen der explosiven Kostenentwicklung bei Hartz IV Nachforderungen an die Kommunen stellen will. Ausgangspunkt war einmal, dass die Kommunen durch Hartz IV finanzielle Entlastungen bekommen sollten. Die Arbeitsmarktreform Hartz IV erweist sich unserer Meinung nach immer mehr als eine katastrophale Fehlleistung der Bundesregierung.

(Beifall beim SSW)

Es muss endlich darum gehen, dass die Bundesagentur die Arbeitslosen vermittelt und nicht nur verwaltet. Zu einer modernen Arbeitsmarktpolitik gehören also nicht nur Pflichten für Arbeitslose, sondern auch Rechte. Der SSW will weiterhin eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die den arbeitslosen Menschen das Recht zusichert, spätestens nach einem Jahr ein Jobangebot, ein Weiterbildungsangebot, ein Qualifizierungsangebot oder ein Ausbildungsangebot zu erhalten. Mit so einem Angebot entgehen wir der Gefahr, dass die Menschen überhaupt erst in die Langzeitarbeitslosigkeit kommen, aus der es so schwer ist herauszukommen. Alle Statistiken belegen, dass wir dort ein massives Problem haben.

Auch wenn der Ministerpräsident neue arbeitsmarktpolitische Konzepte ankündigt, haben wir die Be

fürchtung, dass die neue Regierung diese aktive Arbeitsmarktpolitik nicht wirklich will oder meint, sie sich nicht leisten zu können. Die Maßnahmen, die allgemein mit dem zweiten Arbeitsmarkt umschrieben werden, müssen aber aus unserer Sicht unbedingt erhalten bleiben. Das hat auch etwas mit der Situation von Langzeitarbeitslosen und mit den Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt insgesamt zu tun.

(Beifall beim SSW)

Bei der zu erwartenden harten Sparpolitik werden wir darauf achten, dass die soziale Balance im Land nicht gefährdet wird. Bereits heute stehen viele sinnvolle soziale Einrichtungen unter starkem Umstrukturierungsdruck oder sind in Gefahr, geschlossen zu werden. So droht zum Beispiel die Infrastruktur der Jugendaufbauwerke in Schleswig-Holstein zusammenzubrechen. Die Jugendaufbauwerke leisten aber seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit für die berufliche Zukunft der Jugendlichen in unserem Land.

(Beifall bei SSW und SPD)

Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Einrichtungen durch eine widersinnige Ausschreibungspraxis zerstört werden. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sich auf Bundesebene für den Erhalt solcher Strukturen einsetzt.

(Beifall bei SSW und SPD)

Der SSW wird die Landesregierung auch an ihr Versprechen erinnern, dass bei den Kindertagesstätten nicht gespart werden soll. Das, was zu den niedrigen Geburtenraten gesagt worden ist, hat natürlich weiterhin seine Richtigkeit. Wer meint, dass wir diese Geburtenraten nur ändern können, wenn wir eine verbesserte Betreuung hinbekommen, hat natürlich auch Recht, denn solche Infrastrukturmaßnahmen der Kinderbetreuung gehören ganz einfach zu einem modernen und zukunftsfähigen Gemeinwesen.

Der Ministerpräsident hat gesagt, dass SchleswigHolstein seine Braut ist. Wir hoffen deshalb, dass er seine neue Braut ordentlich behandelt und dass er nicht der letzte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins sein wird. Er hat das heute noch einmal bestätigt.

Ich wiederhole also: Der SSW will keinen Nordstaat. Wir wollen ihn auch nicht durch die Hintertür. Wir brauchen aber eine Föderalismusreform, damit die Bundesländer lebensfähig bleiben. Es müssen endlich klare Zuständigkeiten, weniger zustimmungspflichtige Gesetze und im Gegenzug in wichtigen Politikfeldern mehr Handlungsspielräume für die Länder geschaffen werden.

(Beifall beim SSW)

(Anke Spoorendonk)

Die Landesregierung und der Landtag müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit wir endlich eine echte Reform unseres Föderalismus bekommen.

Manche Versprechungen aus dem Wahlkampf müsste die CDU-geführte Landesregierung bereits angesichts der realen Faktenlage wieder einsammeln. Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt noch um diese Punkte streiten. Als Stichwort nenne ich die Umweltpolitik und die Aussage der Landesregierung, dass die gemeldeten NATURA-2000-Gebiete zurückgenommen werden sollen, dass man das im Wahlkampf so versprochen habe. Die angekündigte Überprüfung der Vogelschutzgebietskulisse auf Eiderstedt und in der Eider-Treene-Sorge-Region begrüßt der SSW auf jeden Fall. Wir halten es aber für einen Fehler, dass die Landesregierung die Option zur Anhebung der Grünlandprämie rückgängig machen will. Damit schadet sie gerade den Bauern auf Eiderstedt, denen eine Erhöhung der Grünlandprämie in Aussicht gestellt worden ist.

(Beifall beim SSW)

In der Regierungserklärung geht der Ministerpräsident verständlicherweise nur zaghaft auf das Thema Gemeinschaftsschule ein. Man kann sich daher auch kaum vorstellen, dass die Landesregierung in diesem Bereich wirklich weiterkommt. Der SSW vermisst im Schulbereich den großen Sprung nach vorn, wie es nach PISA eigentlich angemessen wäre. Es wird also in den nächsten Jahren eher darum gehen, Eltern, Lehrer und Schüler davon zu überzeugen, dass Schulstrukturänderungen notwendig sind, wenn man international mithalten will.

Auch die Weiterentwicklung der Hochschullandschaft muss in Schleswig-Holstein weiterhin Priorität haben. Aber die notwendige Finanzierung darf nicht auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen werden. Die Studiengebührenkompromisse zwischen CDU und SPD, auf die auch der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung hinweist, sind aus unserer Sicht völlig unzureichend. Indem man den Landesparlamenten in Hamburg, Hannover, Schwerin und Bremen die Entscheidung überlässt, verabschiedet man sich praktisch aus der Debatte und gibt den Studiengebührbefürwortern nach. Die Einführung von Studiengebühren löst aber nicht die Finanzierungsprobleme der Hochschulen. Sie verkürzt kein Studium, schreckt aber dafür Studierwillige ab.

Für den SSW ist es von überragender Bedeutung, dass die erfolgreiche Minderheitenpolitik der letzten 20 Jahre auch von der neuen Landesregierung fortgesetzt wird. Der Ministerpräsident hat bereits erklärt, dass die Minderheitenpolitik für die Landesregierung

weiterhin einen hohen Stellenwert hat. Das begrüßt der SSW ausdrücklich. Dazu gehört auch, dass Peter Harry Carstensen mit Caroline Schwarz als Minderheitenbeauftragte eine gute Wahl getroffen hat.

(Beifall beim SSW)

Dennoch gilt unser Dank auch der bisherigen Minderheitenbeauftragten Renate Schnack, die in den letzten fünf Jahren viel für das positive Miteinander von Mehrheit und Minderheit erreicht hat.

(Beifall bei SSW, CDU und SPD)

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen wird am Sonntag zusammen mit dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen am traditionellen Jahrestreffen der dänischen Minderheit in Flensburg teilnehmen. - „Hjertlig velkommen, herr ministerpræsident!“, sagen wir. Wir werten Ihren ersten Besuch bei der dänischen Minderheit als ein Signal der Landesregierung, den Dialog mit den Minderheiten in bewährter Weise fortzusetzen.

Dennoch gilt für die Minderheitenpolitik der Landesregierung das Gleiche wie für die übrige Politik: Der SSW wird sie an den konkreten Taten und nicht an den Sonntagsreden messen. Daher muss ich an dieser Stelle deutlich sagen, dass der SSW über die Ankündigung der großen Koalition enttäuscht war, dass das so genannten Abschluss-Kommuniqué, erarbeitet in einer Arbeitsgruppe im Bildungsministerium unter Mitwirkung des Danske Skoleforening, erst 2008 umgesetzt werden soll. Damit rückt die Gleichstellung der Schulen der dänischen Minderheit in weite Ferne, nicht zuletzt, weil die Finanzierung der Schülerbeförderung der dänischen Schulen weiterhin ungeklärt ist, obwohl schon Kurt Schulz als Minderheitenbeauftragter 1997 eine gesetzliche Regelung forderte. Übrigens ist dies auch eine Forderung der CDU-geführten Kreise des nördlichen Landesteils.

Der SSW wird diese Themen natürlich bei den Haushaltsberatungen erneut aufgreifen. Minderheitenpolitik - das sage ich auch noch einmal ganz deutlich - hat nichts mit der Verteilung von Wohltaten zu tun. Es geht um Gleichstellung und damit auch um die gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen. Denn die Angehörigen der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe sind Bürger dieses Landes. Schleswig-Holstein sieht sich selbst - so steht es zumindest in der Landesverfassung - als ein Land mit drei Kulturen: einer deutschen, einer dänischen und einer friesischen Kultur.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

(Anke Spoorendonk)

Die Bonn/Kopenhagener Erklärungen sind in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder angesprochen worden. Gefeiert wurden sie am 29. März im Schloss Sonderburg. Anders Fogh Rasmussen sagte bei der Gelegenheit - ich zitiere -:

„Schloss Sonderburg ist ein schöner und zugleich historischer Ort, um den 50. Jahrestag der Bonn/Kopenhagener Erklärungen zu feiern. Die Geschichte des Schlosses ist auch die Geschichte des Grenzlandes. Schloss Sonderburg wurde von einem dänischen König, Valdemar dem Großen, um 1160 als Schutz gegen wendische Angriffe errichtet. Seitdem hat das Schloss als königliches Gefängnis, als Lazarett und als deutsche Kaserne gedient. All das ist heute Geschichte. Die Konflikte im Grenzland sind ins Museum gewandert - dort, wo sie hingehören.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ereignisse nach der Landtagswahl am 20. Februar könnten aber darauf hindeuten, dass es uns noch nicht gelungen ist, alles Gestrige ins Museum zu verfrachten. Wir vom SSW mussten uns vieles anhören, was eigentlich dorthin gehört, auch gesagt von Menschen, von denen wir dies nicht erwartet hätten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir - sozusagen als versöhnlicher Abschluss der Feierlichkeiten zu den Bonn/Kopenhagener Erklärungen -, dass der ehemalige dänische Außenminister Niels Helweg Petersen heute im Landtag eine Rede halten wird.

(Beifall bei SPD und FDP)

Im Namen des SSW möchte ich mich bei all denen ausdrücklich bedanken, die dieses ermöglicht haben, nicht zuletzt bei Landtagspräsident Martin Kayenburg.

(Beifall beim SSW sowie Beifall der Abge- ordneten Lothar Hay [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Es gilt also, nach vorn zu schauen, um gemeinsam die erfolgreiche Minderheitenpolitik des Landes weiterzuführen. Minderheitenpolitik im Sinn der Bonn/Kopenhagener Erklärungen - das ist die europäische Perspektive - ist Friedenspolitik. Nach innen betrachtet, weil keine demokratische Gesellschaft mit sich selbst in Frieden leben kann, wenn sich eine nationale Minderheit nicht als Teil dieser Gesellschaft begreift, und nach außen hin, weil nur so ein friedliches Zusammenleben von Völkern möglich ist. Dafür lohnt es sich, weiter zu streiten und weiter zu kämpfen.

(Beifall bei SSW, CDU und SPD)