Protocol of the Session on November 10, 2005

Werte Kolleginnen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie sprechen sich für Vergleichsarbeiten aus, jedoch gegen zentrale Abschlussprüfungen. Wo liegt hier die Logik? - Wenn man bereit ist, Schülern vergleichende Arbeiten vorzulegen und regelmäßig zu evaluieren, ist es doch nur konsequent, letztlich eine verbindliche standardisierte Abschlussprüfung zu stellen. Warum sollten wir den Weg also nicht vollständig gehen?

Wenn wir eine Qualitätssteigerung in unserem Bildungssystem erreichen wollen, müssen doch zuallererst Standards gesetzt werden, die dann verbindlich umgesetzt werden können. Dies gilt sowohl für Vergleichsarbeiten als auch für Abschlussprüfungen.

Meine Damen und Herren, Herr Garg, geben wir den Schülerinnen und Schülern in Schleswig-Holstein die Chance, die sie in vielen Ländern bereits haben. Verkürzen wir die Schulzeit und verbessern wir die Bildungsqualität,

(Beifall bei CDU und FDP)

damit eine schleswig-holsteinische Familie mit schulpflichtigen Kindern in Zukunft beruhigt zum Beispiel auch nach Baden-Württemberg umziehen kann.

Für die CDU-Landtagsfraktion beantrage ich die Überweisung des Antrages an den Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke der Abgeordneten Susanne Herold und erteile für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Dr. Henning Höppner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute Vormittag in nicht weniger als drei Einzeldebatten mit der Vorbereitung der Novellierung des Schulgesetzes.

Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung in Richtung des Kollegen Karl-Martin Hentschel. Die Fragen bezüglich der Auflösung beziehungsweise Eingliederung der Hauptschulen in der Hansestadt Hamburg hat in der Tat mit der Reform der gymnasialen Oberstufe gar nichts zu tun. Es ist vielmehr eine Einzelfrage, die in Hamburg gelöst wird, und man darf sie nicht mit

dem vermischen, was wir unter diesem Tagesordnungspunkt diskutieren.

Ich darf in Erinnerung rufen, dass das Bildungsministerium derzeit mit Hochdruck an einem Referentenentwurf zur Änderung des Schulgesetzes arbeitet. Nicht nur der Landtag, sondern die gesamte interessierte Öffentlichkeit wird sich nahezu das gesamte Jahr 2006 intensiv mit dem Referentenentwurf und anschließend mit dem Kabinettsentwurf auseinander setzen.

Diejenigen von uns, die dem Parlament schon länger angehören oder die Diskussion beobachtet haben, werden sich daran erinnern, dass es nahezu kein Einzelgesetz gibt, das mit solcher Intensität wie das Schulgesetz in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Das ist auch nachvollziehbar, da die meisten Bürgerinnen und Bürger unseres Landes Kinder oder sonstige Angehörige in den Schulen haben oder sogar selbst Lehrer oder Schüler sind.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN will bereits jetzt einige Eckpunkte für die Reform der Oberstufe festlegen. Es sind Aspekte, die wir so kennen, wie sie in der Pressemitteilung vom 24. Oktober dargestellt sind. Die Argumente sind uns bekannt, insbesondere Ihre Vorstellungen zu Oberstufenzentren und Oberstufenverbünden.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich für mich und meine Fraktion: Insbesondere für den ländlichen Raum halte ich weder Oberstufenzentren noch Oberstufenverbünde für realistisch und durchführbar, es sei denn, wir bauen ein zusätzliches Netz für die Beförderung von Schülern auf, was weder wir uns noch die Träger der Schülerbeförderung sich werden leisten können.

(Beifall der Abgeordneten Susanne Herold [CDU])

Der Koalitionsvertrag enthält einige Festlegungen, nämlich die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren, die Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe und des Abiturs, die Umstellung vom Kurssystem auf einen überwiegenden Unterricht im Klassenverband sowie ein viertes schriftliches Abiturprüfungsfach. Es soll künftig an allen Schularten zentrale Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen geben.

Schleswig-Holstein wird mit der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur um ein Jahr einem bundesweiten Trend folgen. Ich glaube, wir sind fast das letzte Bundesland, das dies umsetzen wird. Es wäre in der Tat nicht verantwortbar, wenn junge SchleswigHolsteiner ein Jahr länger bis zum Abitur bräuchten als Schülerinnen und Schüler in anderen Bundesländern.

(Dr. Henning Höppner)

Manche Argumente, die in dem Antrag der Grünen thematisiert werden, sind aus meiner Sicht nachvollziehbar, insbesondere die Intensivierung der individuellen Förderung vom Kindergarten bis zum Schulabschluss. Andere Äußerungen sind für mich nicht recht verständlich, zum Beispiel die vorgebrachten Argumente gegen eine zentrale Abiturprüfung. Weder eine zentrale noch eine dezentrale Abschlussprüfung stellen eine Garantie dafür dar zu vermeiden, dass der Unterrichtsstoff zu sehr auf prüfungsrelevante Themen fokussiert wird. Förderung hat nichts mit zentralen Prüfungen zu tun, sondern das ist eine Frage, die den Unterricht betrifft. Es geht aber auch um die Frage, ob ein begabter oder weniger begabter Lehrer einen Schüler fördern kann oder nicht.

Aus meiner Sicht ist es heute viel zu früh, ein abschließendes Wort zu den Anregungen aus dem Antrag der Grünen zu sagen. Die Fragen der Gestaltung der gymnasialen Oberstufe werden weder hier und heute noch in einigen Wochen zu beantworten sein. Es gibt vielerlei Vorstellungen und Konzepte. Ich erinnere hier genau wie meine Kollegin Susanne Herold an das Konzept des Philologenverbandes Schleswig-Holstein, das aus unserer Sicht eine sehr gute Diskussionsgrundlage ist, vor allem im Hinblick auf die geringer werdenden Schülerzahlen im ländlichen Raum.

Ich beantrage, diesen Antrag der Grünen in den Bildungsausschuss zu überweisen und ihn dann wieder aufzurufen, wenn uns im Ausschuss die ersten Entwürfe zur Novellierung des Schulgesetzes vorliegen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir danken dem Kollegen Dr. Henning Höppner. - Ich erteile das Wort für die FDP-Fraktion Dr. Ekkehard Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Oberstufe der Gymnasien, der Gesamtschulen und der Fachgymnasien muss gleichzeitig zwei Ziele gewährleisten. Zum einen soll sie die allgemeine Hochschulreife, das heißt, die tatsächliche generelle Studierfähigkeit sicherstellen. Zum anderen soll es möglich sein, im Rahmen dieser Oberstufe auch die unterschiedlichen Interessen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler in der Wahl von Schwerpunkten und Fächern zu berücksichtigen. Zwischen diesen beiden Zielen besteht ein natürlicher Spannungsbogen. Der dritte Punkt ist eine bildungsökonomische Frage. Das heißt, es geht um das, was wir an Personalressourcen und Lehrerstunden für eine gute Ober

stufe zur Verfügung stellen können beziehungsweise müssen.

Die Landesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen streben eine Reform der Oberstufe an, bei der das bisherige Kurssystem durch feste Lerngruppen mit unterschiedlichen Profilen ersetzt werden soll. Eine solche Reform kann, wenn sie vernünftig gemacht wird, die Qualität des Bildungsangebots in der Oberstufe stärken. Dreh- und Angelpunkt ist dabei nach meiner Überzeugung die Schaffung attraktiver, möglichst vieler unterschiedlicher Profile.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf diese Weise erhielten die Schüler auch künftig Wahlmöglichkeiten, während gleichzeitig die Allgemeinbildung in Kernfächern gestärkt würde. Es gibt dafür im Übrigen in Schleswig-Holstein schon ein Beispiel. Das Kieler Wirtschaftsgymnasium der Beruflichen Schule am Ravensberg arbeitet schon seit vier Jahren sehr erfolgreich mit einer solchen Profiloberstufe. Es bietet seinen Schülern in der Oberstufe vier unterschiedliche Profile: Wirtschaft und Information, Wirtschaft und Gesellschaft, Wirtschaft und Kommunikation, Wirtschaft und Kultur. Die Ergebnisse sind wirklich beeindruckend. Früher im Kurssystem erreichte nur die Hälfte der im elften Jahrgang startenden Schüler das Abitur. Heute liegt die Erfolgsquote bei 80 %.

Um die Vorurteile, die bei den Grünen gegenüber dem Philologenverband offenkundig bestehen, vielleicht ein bisschen auszuräumen, möchte ich darauf hinweisen, dass der Schulleiter der Beruflichen Schule am Ravensberg ein ehemaliger GEWLandesvorsitzender ist. Ich nenne das Beispiel dieser Schule, weil es zeigt, wie eine Profiloberstufe überzeugend und gut funktionieren kann.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Natürlich gibt es bei der geplanten Reform der Oberstufe wichtige Fragen. Dabei stellen sich vor allem zwei Fragen: Was gibt man auf? Was bekommt man?

Zunächst komme ich zu der Frage: Was gibt man auf? Das Kurssystem war zweifellos eine interessante Idee. Aber es ist einerseits extrem personalaufwändig und andererseits ist im Laufe der Jahrzehnte viel Lack abgeblättert. Das lag auch daran, dass man wiederholt die Wahlmöglichkeiten im Rahmen des Kurssystems im Sinne einer stärkeren Allgemeinbildung eingeschränkt hat, und zwar nicht nur aus quantitativen Gründen, weil zum Teil an einigen Standorten die Zahl der Schüler abgenommen hat. Die reale Situation an den Gymnasien im Lande ist die, dass wir so

(Dr. Ekkehard Klug)

große Klassen haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir befinden uns zurzeit auf dem Höhepunkt der Schülerzahlen bei den Gymnasien.

In der heuten Schulwirklichkeit hält das Kurssystem schon längst nicht mehr das, was es einmal versprochen hat. In den letzten Jahren habe ich wiederholt zum Thema Oberstufe und Abiturfächer Kleine Anfragen gestellt. Die Antworten der Landesregierung dazu sind wirklich sehr aufschlussreich. Bei den Leistungskursen im letzten Schuljahr vor dem Abiturjahrgang entfallen heute etwa vier Fünftel der gewählten Kurse auf nur sechs Unterrichtsfächer: Deutsch und Englisch, Mathematik und Biologie, Geschichte und Erdkunde. Die übrigen Fächer spielen praktisch allesamt nur noch eine marginale Rolle. Im dritten Kurshalbjahr des Schuljahres 2002/2003 waren an den Gymnasien in Schleswig-Holstein landesweit nur 119 Schüler - das sind 1,2 % - in einem Musikleistungskurs. An den Gesamtschulen in SchleswigHolstein hat es in diesem Kurshalbjahr keinen einzigen Musikleistungskurs gegeben. Es gibt Beispiele für andere Fächer, bei denen das ähnlich ist.

Diese Fakten sollte man zur Kenntnis nehmen, damit nicht ein nostalgischer Blick auf ein idealtypisches, aber hier eben nirgendwo mehr real existierendes Kurssystem das Urteil möglicherweise etwas verzerrt.

Der zweite Punkt ist der Verlust an Allgemeinbildung. Die Vorsitzende des Germanistenverbandes hat das einmal in einem Aufsatz deutlich gemacht. Vor der Einführung des Kurssystems war es für Abiturienten bis zum Abitur Standard, dass sie 42 Jahreswochenstunden Deutschunterricht hatten. Im Kurssystem sieht das so aus, dass für die überwiegende Zahl der Oberstufenschüler, nämlich für diejenigen, die nur einen Grundkurs im Fach Deutsch belegen, 33 Jahreswochenstunden Deutsch bis zum Abitur Standard sind. Das ist ein Fünftel weniger Deutschunterricht gegenüber der früheren Situation. Für andere Kernfächer wie Mathematik gilt das genauso. Das ist der Hintergrund für die Klagen, die nicht nur aus den Schulen, sondern auch aus der Wirtschaft und den Hochschulen zu hören sind, die Probleme bei der Allgemeinbildung feststellen, die sich in vielen Fällen auf die Studierfähigkeit in vielen Fächern auswirken.

Eine Oberstufenreform, die drei Kernfächer, nämlich Deutsch, Mathematik und Englisch mit vier Wochenstunden wieder stärker als bisher verankert, stärkt die Allgemeinbildung, fördert die Studierfähigkeit und nützt damit den Schülern. Das wäre ein echter Pluspunkt.

Richtig überzeugend würde die Oberstufenreform aber vor allem dann, wenn man gleichzeitig unter

schiedliche Profile und Schwerpunkte im Sinne des Beispieles der Schule am Ravensberg in Kiel einführen würde. An Schulen mit großen, mehrzügigen Oberstufen ist diese Differenzierung innerhalb ein und derselben Schule möglich. Wenn man kleinere Schulen an benachbarten Standorten hat, wie das zum Beispiel in Großstädten der Fall ist, dann könnten diese Schulen jeweils unterschiedliche Profile alternativ nebeneinander entwickeln und damit wäre der Gedanke unterschiedlicher Schulprogramme und Schulprofile deutlich gestärkt. Das wäre eine gute Möglichkeit, und zwar ohne den großen Aufwand mit Umbauten, Umorganisation und Schülertransport, wie das bei dem Oberstufenzentrumssystem der Grünen der Fall wäre. Es spricht also sehr viel dafür, diesen Weg der Profiloberstufe zu gehen.

Lassen Sie mich noch ein Beispiel für die Möglichkeiten einer solchen Spezialisierung nennen. Eine Schule mit dreizügiger Oberstufe könnte zum Beispiel ein musisch-künstlerisches Profil in einem der Züge anbieten, bei dem die entsprechenden Fächer, die im heutigen Kurssystem - das habe ich für das Fach Musik erwähnt - kaum noch zum Zuge kommen, viel besser untergebracht werden könnten, als das heute als Angebot vor Ort der Fall ist. Dies würde auch gleichzeitig die Allgemeinbildung stärken. Man könnte zum Beispiel für die Schüler, die sich für den musisch-kulturellen Zweig entscheiden, bei den Sprachen, also in Deutsch und den Fremdsprachen, einen stärkeren Akzent auf Inhalte wie Film und Theater legen. Wer also im musisch-künstlerischen Zweig ist, hätte im Fachunterricht andere Fächer, eine bestimmte besondere Spezialausrichtung im Sinne des Profils. Das wäre sehr gut möglich und würde das Wahlangebot sehr interessant machen.

Um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Wir haben in der letzten Wahlperiode wiederholt über das Problem einer im Schwund befindlichen naturwissenschaftlichen Bildung gesprochen. Wenn man sich die Kursangebote insbesondere bei den Leistungskursen ansieht, muss man einfach sagen, dass Fächer wie Physik und vor allem Chemie Schwundfächer geworden sind, die in den Oberstufen nur noch am Rand oder fast gar nicht mehr vorkommen. Das ist ein Problem, mit dem man sich auseinander setzen muss. Dem kann eine mathematisch-naturwissenschaftliche Profilbildung im Rahmen einer Profiloberstufe gut entgegenwirken.

Schließlich könnte man im Rahmen eines solchen Konzepts, weil das für die Stundenplanorganisation einfacher wäre, projektorientiertes Arbeiten wie auch fächerübergreifende Unterrichtsbereiche besser organisieren als bei einem Kurssystem, das zwangsläufig

(Dr. Ekkehard Klug)

zu einem bunt zusammengewürfelten Stundenplan führen muss.

Schließlich geht ein solches neues Oberstufensystem wesentlich rationeller mit den vorhandenen Ressourcen um. Es ist nicht so personalaufwändig. Das ermöglicht den Schulen, auch in der Mittelstufe wieder mehr Unterricht anzubieten.

Ich kann mich an Diskussionen erinnern, die wir in Gymnasien oder auch anderen Schulen mit Oberstufen geführt haben, wo die Kollegen, die an der Podiumsdiskussion mit den Oberstufenschülern teilgenommen haben, vom Schulleiter eingeladen wurden. Man hat uns gesagt, dass die Personalsituation so ist, dass man in der Mittelstufe generell 10 % von der eigentlich vorgesehenen Stundentafel von vornherein wegfallen lassen muss, weil man anders mit den vorhandenen Personalmitteln ein Kursangebot in der Oberstufe nicht mehr darstellen kann. Das ist uns wiederholt so geschildert worden. Wenn wir also im Sinne einer etwas rationelleren Mittelverwendung in der Oberstufe rationeller wirtschaften, ließe sich damit auch das Unterrichtsangebot in den Jahrgängen der Mittelstufe verbessern. Auch das wäre ein Pluspunkt.

Schließlich wäre im Rahmen dieses Konzepts die bundesweite Anerkennung des schleswigholsteinischen Abiturs sichergestellt, was bei dem Konzept der Grünen mit dem Abitur mit möglicherweise elf Jahren vielleicht nicht der Fall wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die Stundenvorgaben der KMK in elf Jahren bewältigen kann.

Ich teile die Einschätzung derjenigen, die eine Überweisung in den Bildungsausschuss empfehlen und sich dafür ausgesprochen haben, den Antrag dort weiter zu beraten.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)