Wir danken dem Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug. - Das Wort für den SSW erteile ich jetzt Frau Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon längst kein Geheimnis mehr, dass uns die große Koalition im nächsten Jahr mit einer Änderung des Schulgesetzes beglücken wird, die unter anderem eine Reform der gymnasialen Oberstufe und die Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium beinhaltet. Bekannt ist auch - der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD sei Dank -, dass man in An
lehnung an das baden-württembergische Modell vorhat, das Kurssystem zu verlassen, um zu einem Unterricht im Klassenverband zurückzukehren. Begleitet wird dies alles von der Neugestaltung der Abiturprüfung. Gemeint sind ein viertes schriftliches Prüfungsfach und die Einführung des Zentralabiturs.
Spätestens, wenn die Schulgesetznovelle dem Landtag in erster Lesung vorliegt, werden wir Gelegenheit haben, uns im Detail mit den genannten Punkten auseinander zu setzen - wobei ich bezweifle, dass die Landtagsdebatte ähnlich kontrovers ausfallen wird wie die letzte intensivere Diskussion dieses hohen Hauses zu dem Thema Reform der gymnasialen Oberstufe.
Ich habe im Landtagsprotokoll nachgesehen. Im Dezember 2003 ging es um einen CDU-Antrag zur Neuordnung der gymnasialen Oberstufe. Auf den Vorwurf der Kollegin Eisenberg, dass mit dem Kurssystem die Abbrecherquote gestiegen sei und die Schüler der gymnasialen Oberstufe somit nicht ausreichend auf ein Studium vorbereitet würden, entgegnete die Ministerin laut Protokoll, es sei erwiesen, dass das derzeitige Kurssystem den Wechsel an die Hochschule erleichtere. Der Schlüssel zu besseren Schulleistungen liege in der Verbesserung von Unterrichtsqualität und Lehrerausbildung und der Orientierung an klaren Leistungsstandards.
Ohne der Debatte vorgreifen zu wollen, formuliere ich für den SSW daher schon jetzt die These, dass die anstehenden Änderungen der Oberstufe weniger mit Schule und umso mehr mit Finanzen zu tun haben.
Vor diesem Hintergrund ist es lobenswert, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Antrag Gedanken darüber gemacht haben, wie denn die gymnasiale Oberstufe als Teil des Gesamtsystems Schule weiterentwickelt werden kann. Das ist aus Sicht des SSW ein richtiger Ansatz. Nur so erreichen wir, dass die Verteilung der Ressourcen - das wollen wir alle - nicht mehr von unten nach oben läuft, sondern gestoppt wird. Nur so wird es uns gelingen, die entscheidende Frage nach der gerechten Verteilung von Bildungschancen im Blick zu behalten.
Wir unterstützen also auf der einen Seite das Ansinnen der Grünen, nämlich mehr Schülerinnen und Schülern den Zugang zum Abitur zu öffnen. Der SSW ist der Meinung, dass in Schleswig-Holstein weitaus mehr junge Leute in der Lage wären, die Hochschulreife zu erlangen, als das derzeit der Fall ist. Dass Schleswig-Holstein auch im Bundesver
gleich eine niedrige Abiturientenquote hat, das hat uns ja sogar die neueste PISA-Studie ins Stammbuch geschrieben. Dreh- und Angelpunkt ist daher auch aus Sicht des SSW der Ausbau der individuellen Förderung, und das möglichst frühzeitig. Das ist die beste Möglichkeit, auch Kindern aus sozial schwächeren Familien das Abitur zu ermöglichen.
Die andere Seite dieser Problemstellung ist meines Erachtens die drohende Zweiteilung des Abiturs, denn das klassische Gymnasium scheint weitgehend den höheren Töchtern und Söhnen vorbehalten zu bleiben, während Kinder weniger begüterter Eltern nicht auf dem Gymnasium, sondern in einer anderen Schulform das Abitur anstreben, zum Beispiel an den berufsbildenden Schulen, am Fachgymnasium. Der SSW beobachtet diesen Trend mit großer Besorgnis. Er führt nämlich letztlich zu weniger und nicht zu mehr Durchlässigkeit in unserem Schulsystem und genau das wollen wir nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am gleichen Tag, als die grüne Fraktion ihr Modell vorstellte, trat auch der Philologenverband an die Öffentlichkeit - mit seinem Modell der so genannten Profiloberstufe. Dieses Modell will die Quadratur des Kreises: vorgeschriebener Fächerkanon bei gleichzeitiger Wahlfreiheit. Da das nicht gelingen kann, soll es Profile geben, die die Wahlfreiheit einschränken. Dass es letztlich um die Vermeidung von Minikursen geht, gibt der Verband auch unumwunden zu. Damit meine ich, dass die Neuordnung der gymnasialen Oberstufen nur dann als Reform wahrgenommen wird, wenn deutlich wird, was der bildungspolitische Mehrwert der Änderungen ist. Genau daran hapert es bisher.
Sicherlich ist es angebracht, wenn es um die Reform des Gymnasiums geht, auch über die Stärkung von Kernkompetenzen nachzudenken. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, die Stärkung bestimmter Kernfächer als Stärkung der Allgemeinbildung zu verkaufen. Denn wie sieht es dabei mit der Sozialkompetenz aus, die vonseiten der Wirtschaft auch immer wieder eingefordert wird? Unterschlagen wird bei solchen Überlegungen auch, dass die für ein Studium notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Arbeitstechniken grundsätzlich in allen Fächern vermittelt werden.
Für ein erfolgreiches Studium sollten die Schülerinnen und Schüler vor allem gelernt haben, die eigene Arbeit selbstständig zu organisieren und sich selbst zu motivieren. Dies kann am besten erreicht werden, wenn sie ihrer Begabung entsprechende Schwerpunkte setzen können.
Der SSW teilt daher die Auffassung der Grünen, dass die Einführung von zentralen Abschlussprüfungen die Weiterentwicklung des Gymnasiums konterkarieren wird. Es besteht die ernst zu nehmende Gefahr, dass ein Zentralabitur den Unterricht steuern wird und nicht umgekehrt. Überprüft man zum Beispiel die Abituraufgaben der Bundesländer mit Zentralabitur, stellt man fest, dass sie überwiegend Wissen und Anwendung prüfen. Diese Qualität der Aufgabenstellung ergibt sich zwangsläufig aus der zentralen Prüfung. Anders formuliert: Bei unterschiedlichen Lernvoraussetzungen ist der kleinste gemeinsame Nenner reproduzierbares Wissen.
Stattdessen müssen wir endlich eine grundlegende Reform der Schule in Angriff nehmen. Der SSW hat seine Vorstellungen dazu immer wieder deutlich gemacht: Neun gemeinsame Schuljahre sind bei geeigneten Rahmenbedingungen eine gute Ausgangsbedingung für die weitere Schulkarriere.
In diesen neun Jahren müssen alle Kinder gemäß ihren Fähigkeiten unterstützt werden. So etwas verdient unserer Meinung nach den Namen Reform, weil sich grundlegend etwas ändert. Darüber hinaus schlagen wir vor, das zehnte Schuljahr nicht zu streichen, sondern es flexibel zu nutzen, entweder als Vorbereitung für die Oberstufe oder aber als Vorbereitung für den Realschulabschluss oder zur Berufsvorbereitung.
Diese Gemeinschaftsschule räumt mit der frühzeitigen Selektion angeblich Leistungsstarker, die doch überwiegend sozial Starke sind, auf. So sieht in meinen Augen der richtige Weg aus, mit dem die Gratwanderung zwischen Förderung von mehr Schülerinnen und Schülern bei gleichzeitiger Qualitätssicherung gelingen kann. Wir brauchen moderne Lerntechniken statt Abfragewissen. Selbstständiges und projektbezogenes Arbeiten, fächerübergreifender Unterricht und individuelle Lernleistungen, zum Beispiel in Form von Wettbewerben, sind nicht nur eine gute Vorbereitung für das wissenschaftliche Arbeiten im Studium, sondern auch für den beruflichen Alltag.
Ich möchte darauf hinweisen - das ist für mich immer ein wichtiger Punkt gewesen -, dass das Abitur bei weitem nicht für alle Abiturienten auch in ein Studium mündet. Damit meine ich, dass der Bildungsauf
trag des Gymnasiums breiter sein muss, als einfach nur zu sagen: Diejenigen, die das Abitur abgelegt haben, absolvieren dann ein Studium. Wir haben eine breitere Verpflichtung.
Im Grünen-Antrag ist die Rede davon, schwächeren Schülern Aufbaukurse anzubieten. Ich muss gestehen, dass ich erst bei einigem Nachdenken realisiert habe, wie so ein System überhaupt aussehen kann. In der Konsequenz pendeln Schüler zwischen Kursen verschiedener Semester hin und her, um ihre Fächer abzudecken. Diese Struktur ist gut gemeint, verkompliziert aber ein bisher schon sehr kompliziertes System ohne Not noch mehr. Ich denke, dass in einem derartig weit gespannten Netz über zwei bis vier Jahre der eine oder andere Schüler einfach verloren geht. Ich bin auch davon überzeugt, dass Eltern überhaupt keine Chance mehr haben, die Schulkarriere ihrer Sprösslinge ohne größere Anstrengungen zu verfolgen. Ein solches System, glaube ich, versteht zum Schluss keiner mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: Die Gymnasien, so wie sie jetzt sind, werden den modernen Anforderungen an ein demokratisches Schulsystem mit gleichen Teilhabechancen für alle nicht gerecht. Daher sage ich für den SSW: Für uns ist entscheidend, dass das Pferd der gymnasialen Oberstufe nicht von hinten aufgezäumt wird. Ein Abitur nach zwölf Jahren macht nur Sinn, wenn die gesamte Struktur des Gymnasiums mit einbezogen wird.
Zu den Vorschlägen der Grünen hinsichtlich der Einrichtung von Oberstufenzentren und Oberstufenverbünden nur ein paar Bemerkungen - das werden wir im Ausschuss noch weiter diskutieren können -: Eine solche Strukturänderung darf aus unserer Sicht kein Tabuthema sein; denn nur so wird es möglich sein, Ressourcen für eine echte Reform der Oberstufe freizubekommen. Auch aus dem Grund ist es aus unserer Sicht notwendig, von einer ganzheitlichen Betrachtung von Schule auszugehen, auch wenn es um die gymnasiale Oberstufe geht.
Wir danken der Frau Abgeordneten Spoorendonk. - Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass es doch einen relativ
breiten Konsens gibt, was das Ziel der gymnasialen Bildung in der Oberstufe angeht: mehr individuelle Förderung, Vermittlung von Kernkompetenzen und Schlüsselqualifikationen, mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung. Aber die Wege zu diesem Ziel sind natürlich umstritten.
Lassen Sie mich auf das eingehen, was der Abgeordnete Hentschel zur Verkürzung der gymnasialen Schulzeit gesagt hat. Übrigens werden wir im Nachhinein noch dankbar dafür sein, dass dies nicht in allen Bundesländern gleichzeitig geschehen wird; denn die Universitäten werden durch die Doppeljahrgänge sehr stark belastet werden. Dass sich das ein bisschen verschiebt und die Universitäten in Schleswig-Holstein und auch in Hamburg nicht so stark belasten wird, ist ein positiver Effekt.
Der Antrag der Grünen verbindet mit der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit zwei Forderungen und Kritikpunkte, die ich nicht ganz nachvollziehen kann; denn es ist klar, dass die Verkürzung und das Vorziehen etwa der zweiten Fremdsprache in der Übergangszeit mehr Ressourcen kostet. Wir machen überhaupt kein Hehl daraus, dass diese Ressourcen zum Teil durch die Veränderung in Richtung Profiloberstufe bereitgestellt werden. Es findet ein Stück weit eine Verlagerung aus der Oberstufe in die Sekundarstufe statt. Trotzdem kostet es während der Übergangszeit mehr Ressourcen. Das muss auch deutlich gesagt werden.
Sehr umstritten ist auch, ob der mittlere Abschluss im verkürzten gymnasialen Bildungsgang schon nach Klasse neun erteilt werden sollte, mit allen negativen Folgen, die dies für die Realschülerinnen und Realschüler haben würde. Darüber muss noch sehr genau diskutiert werden.
Ich komme zu Punkt 2, zur Einführung einer flexiblen Oberstufe. Flexible und individuelle Lösungen sind übrigens heute schon in der KMKRahmenvereinbarung geregelt. Die Oberstufe kann bereits jetzt auf Antrag auf zwei Jahre verkürzt oder individuell verlängert werden. Was die Grünen vorschlagen, ist eine Abwandlung des finnischen Modells mit Semestern und einer Fülle von Wahlmöglichkeiten, etwa der Möglichkeit, nach zwei oder vier Jahren das Abitur zu machen. Das haben wir vor Jahren einmal für Schleswig-Holstein durchgerechnet. Das wäre die teuerste Lösung überhaupt und ist nur dann möglich, wenn man ein großes System hat. Ansonsten ist es viel zu kompliziert und auch nicht umsetzbar.
Ich halte es für weitaus sinnvoller - das haben wir auch aus den PISA-Untersuchungen gelernt -, eine Reduzierung von pädagogisch wenig effektiven Klas
senwiederholungen anzustreben und dadurch auf Dauer nicht nur bessere Ressourcen zu bekommen, sondern auch die Kinder besser individuell fördern zu können.
Dann fordern Sie einen Oberstufenverbund statt Abschaffung des Kurssystems. Damit reagieren Sie natürlich auch auf die Kritik, dass Sie immer in sehr großen Systemen denken. Ziel unserer Oberstufenreform ist nicht schlicht die Abschaffung des Kurssystems oder die Wiedereinführung der Klassen, wie Sie das immer wieder verkürzt in der Öffentlichkeit hören; vielmehr geht es um eine Kombination von festen Lerngruppen und ergänzenden Wahlkursen. Wir reagieren damit auf pädagogische, aber auch auf demographische Prozesse - wie andere Bundesländer übrigens auch; die Zeiten ändern sich, Frau Spoorendonk; natürlich kommt der demographische Faktor auch im Bereich des Bildungswesens stärker als bisher zum Tragen - und auf die Erfahrungen anderer Bundesländer mit dieser Profiloberstufe, die durchaus positiv sind.
Ziel ist es, den Schulerfolg zu verbessern und die Schulstandorte zu sichern. Das muss in SchleswigHolstein doch eigentlich von allen getragen werden. Diese Oberstufe lässt sich nämlich auch landesweit realisieren. Das vorgeschlagene Modell von Zentren oder Verbünden ist - wie die Antragsteller übrigens selbst einräumen - bestenfalls bei großer räumlicher Nähe, also in den Ballungszentren geeignet. Für Schleswig-Holstein als Flächenland würde dieser Vorschlag unvertretbar hohe zusätzliche Ressourcen erfordern
und den Schülerinnen und Schülern lange Wege zumuten, was einen entsprechenden Zeitverlust bedeutet. Ich halte das für nicht vertretbar. Wir würden im Lande auch höchst ungleiche Verhältnisse produzieren. Das können wir eigentlich nicht wollen.
Sie alle kennen die Entwicklung. Ich will trotzdem noch einmal sagen: Auch wenn die Schülerzahlen an den Gymnasien noch zunehmen, stehen die schwächeren Jahrgänge bereits vor der Tür. Wir müssen also vorausschauend reagieren. Wir haben derzeit schon einen hohen Anteil relativ kleiner Schulen, und zwar ohne Ausnahme in allen Schularten.
Die Vielfalt der Wahlmöglichkeiten - das ist gar keine Frage - funktioniert in erster Linie an großen Schulen und in großen Systemen. Aber wir tragen Verantwortung dafür, die Ressourcen so gerecht und so ökonomisch vertretbar wie möglich zu verteilen. Wir tragen
auch Verantwortung dafür, auch in dünner besiedelten Regionen gleiche Bedingungen herzustellen und dabei so wenig spezielle oder Sonderregelungen wie möglich zu schaffen.
Unseren Weg kann und will ich heute noch nicht ausführlich skizzieren. Dafür ist auch die Zeit zu knapp. Wir werden unser Konzept Ende des Monats im Kabinett und in der Öffentlichkeit vorstellen; so viel ist klar. Soweit möglich, sichern wir die Standorte in den Regionen und gewährleisten damit den flächendeckenden Zugang zur gymnasialen Bildung. Das muss uns doch allen ein Anliegen sein.