Protocol of the Session on September 16, 2009

Die SPD-Landtagsfraktion unterstützt die von Landtagspräsident Kayenburg beantragte Verfassungsklage gegen die bundesgesetzliche Festschreibung einer Schuldengrenze für die Länder und

(Dr. Johann Wadephul)

spricht sich für ein Verbot struktureller Neuverschuldung in der Landesverfassung aus.

(Beifall bei der SPD)

Wir stimmen der Verfassungsklage zu, weil es nicht angehen kann, dass der Bund sich in die grundgesetzlich garantierte Haushaltsautonomie und Budgethoheit der Länder einmischt.

(Beifall bei der SPD)

Wir befürworten außerdem eine landesverfassungsrechtliche Regelung, weil eine Schuldenbremse für Schleswig-Holstein nicht in das Grundgesetz des Bundes gehört, sondern der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers überlassen sein und bleiben muss.

Um klarzustellen, dass mit der Klage eine Schuldenbegrenzung für Schleswig-Holstein nicht in der Sache verhindert werden soll, wollen wir die Landesregierung auffordern, den Entwurf einer Landesverfassungsänderung vorzulegen, der die Neuverschuldung des Landes in wirtschaftlichen Normallagen künftig ausschließt. Wir würden das gern mit Ihnen allen gemeinsam heute hier im Landtag beschließen. Einen entsprechenden Antragsentwurf haben wir in die Fachausschussberatungen eingeführt. Konstruktive Antragsänderungen und Antragsergänzungen der FDP und der Grünen sind von uns übernommen worden und in die Ausschussempfehlungen eingeflossen. Der in den Ausschüssen nicht - vielleicht aber auch nur noch nicht, liebe Anke - stimmberechtigte SSW hat das von uns vorgeschlagene Verfahren ausdrücklich befürwortet.

(Beifall bei der SPD)

Der konkrete Gesetzentwurf unseres Landtagspräsidenten zur Änderung der Landesverfassung bedürfte nach unserer Auffassung allerdings noch näherer Prüfung und Beratung, bevor er in dieser oder vergleichbar guter Form - vielleicht sogar inhaltlich verbessert - im Landtag verabschiedet werden kann. Er kann selbstverständlich dem von uns beantragten Gesetzentwurf der neuen Landesregierung zugrunde gelegt werden. Heute sollte er aber noch nicht verabschiedet werden. In der Abstimmung dazu werden wir uns enthalten. Für die Zukunft des Landes und nachfolgende Generationen derart substanzielle Verfassungsänderungen sollten wir nicht im Schnellverfahren auf den Weg bringen.

(Beifall bei der SPD)

Schon für einfache und wesentlich weniger einschneidende und komplexe Gesetzentwürfe nehmen

wir uns üblicherweise Zeit zur Beratung in den Fachausschüssen mit schriftlichen und vertiefenden mündlichen Anhörungen sachverständiger Einzelpersonen, Einrichtungen und Institute. Für die Beratung des Gesetzentwurfs des Landtagspräsidenten war die verfügbare Beratungszeit unseres Erachtens nicht ausreichend. Der Gesetzentwurf ist am 15. Juli 2009 in den Landtag eingebracht worden, und am 16. Juli 2009 war die Koalitions-, Regierungs- und Landtagswahlzeit absehbar beendet. Umfassende und intensive Beratungen zu dem komplexen Gesetzgebungsvorhaben waren damit für den Rest der Wahlzeit faktisch ausgeschlossen.

Der Verfassungsklage werden wir unsere Zustimmung geben, weil uns die Argumente des Lorenzvon-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel überzeugen. Wir teilen die fachliche Meinung des Instituts in der eingeholten schriftlichen Stellungnahme, dass die im neuen Artikel 109 des Grundgesetzes verankerte Schuldenbremse verfassungswidrig ist, soweit sie die Länder betrifft. Wir teilen die Rechtsauffassung des Instituts, dass die grundgesetzliche Fixierung einer Länderschuldenbremse gegen unveränderliche Verfassungsgrundsätze des Grundgesetzes selbst verstößt. Verletzt wird nicht nur das Bundesstaatsprinzip, das den Ländern als Kernbestand ihrer Eigenstaatlichkeit die Haushaltsautonomie und Budgethoheit garantiert. Verletzt wird auch und sogar das Demokratieprinzip, weil es verfassungsrechtlich ebenfalls unabdingbar verlangt, dass den gewählten Landesparlamenten das Budgetrecht als echte Gestaltungsmöglichkeit erhalten bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Keinen Zweifel haben wir deshalb auch an der hier und da skeptisch gesehenen Klagebefugnis der Landesparlamente zur Wahrung ihrer ureigenen Rechte. Die konkrete Wahrnehmung dieser Rechte durch die Einführung einer Schuldenbremse in die schleswig-holsteinische Landesverfassung muss nicht heute geschehen. Die grundsätzliche Entscheidung für ein strukturelles Neuverschuldungsverbot ab 2020 ist bereits getroffen. Am 15. Juli dieses Jahres hat der Landtag beschlossen, dass die Neuverschuldung ab 2011 jährlich um 10 % gesenkt wird und dass spätestens ab 2020 jeder Landeshaushalt in wirtschaftlichen Normallagen auch ohne bundesgesetzlichen Zwang ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommen soll.

Genau das in einer Änderung der Landesverfassung zu verankern und die Landesregierung mit einem entsprechenden Gesetzentwurf zu beauftragen, wird

(Klaus-Peter Puls)

uns heute in der Beschlussempfehlung des Innenund Rechtsausschusses und des Finanzausschusses vorgeschlagen. Wir sollten dieser Beschlussempfehlung folgen. Zeitdruck besteht nicht.

Der Kollege Kubicki hat für die FDP-Fraktion in der Sitzung des Landtags am 15. Juli zutreffend erklärt, dass man mit der Klage keinen ausgefeilten Gesetzentwurf vorlegen müsse. Es reiche die Absichtserklärung. Die FDP sei bereit, auch noch in der Dezember-Tagung des Landtags eine Verfassungsänderung zu verabschieden, die dem Gestaltungsspielraum des Landtags von Schleswig-Holstein gerecht werde. Danach könne dann eine Klage eingereicht werden. Auch hinsichtlich der konkreten Regelung im Gesetzentwurf des Kollegen Kayenburg - so Herr Kubicki am 15. Juli - bevorzuge die FDP eine andere Variante.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber in der näch- sten Legislaturperiode!)

Diese einzubringen, ist weiterhin Gelegenheit, wenn wir der Ausschussempfehlung zustimmen. Wir als SPD-Landtagsfraktion ermuntern den Kollegen Kubicki ausdrücklich dazu, die von der FDP bevorzugte Variante vorzulegen.

Der Kollege Hentschel hat in derselben Landtagssitzung am 15. Juli für die grüne Fraktion vorgetragen, dass ihm der Gesetzentwurf des Präsidenten nicht präzise genug erscheine, weil er dem Landtag durch einen einfachen Beschluss erlaube, aufgrund einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung noch Kredite aufzunehmen. Das finde er problematisch. Er würde gern noch einmal im Ausschuss darüber reden, wenn wir dazu kämen. Dazu bestünde - nicht mehr für uns beide, Herr Kollege Hentschel, aber für unsere parlamentarischen Nachfahren - in der neuen Wahlperiode des Landtages aufgrund des dann vorzulegenden Gesetzentwurfs der neuen Landesregierung die ungehinderte und ausgiebige Möglichkeit.

Die Kollegin Spoorendonk hat am 15. Juli für den SSW zwar gemahnt, dass das Zeitfenster für eine Klage gegen die grundgesetzliche Regelung einer Länderschuldenbremse nicht ewig offen stehe, sie hat aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass nach Inkrafttreten der grundgesetzlichen Regelung - heute wissen wir, dass das der 1. August 2009 war noch sechs Monate bleiben. Fristablauf wäre danach der 1. Februar 2010 für eine konkrete Verfassungsänderung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfassungsklage. Zeit genug, um etwas Vernünftiges, Durchdachtes, Dauerhaftes im Sinn

des Kollegen Kayenburg und gegebenenfalls modifiziert auf den Weg zu bringen.

Auch Sie, lieber Herr Kollege Wadephul, haben sich in der Landtagssitzung am 15. Juli geäußert. Ich zitiere Sie mit den für die CDU-Fraktion formulierten Schlussätzen wie folgt und mache das dann auch wörtlich:

„Deswegen glaube ich, dass es in diesem Landtag Zeit und Gelegenheit gibt, noch einmal sehr ernsthaft darüber zu diskutieren, ob wir es denn nicht doch schaffen, gemeinsam eine verfassungsgemäße Schuldenbremse in der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein zu verankern. Es ist die Mühe und Anstrengung aller Parlamentarier wert.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Es wäre schön, wenn sich auch die CDU-Fraktion

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das wird sie auch machen!)

an den Appell ihres Fraktionsvorsitzenden halten und nicht schon heute übereilt einer Änderung der Landesverfassung zustimmen würde, die das ganze Haus nach sorgfältiger Beratung in der Sache ein paar Wochen oder Monate später genauso gut oder besser verabschieden könnte.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun deren Fraktionsvorsitzender, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Plenum bereits zahlreiche Debatten über die Frage des Ob und des Wie von Schuldenbremsen geführt. Allein in fünf Tagungen in diesem Jahr. Viel inhaltlich Neues wird die heutige Debatte daher nicht bringen, habe ich mir gedacht. Aber ich bin doch überrascht, wozu der Kollege Dr. Wadephul in der Lage ist. Ich bin auch überrascht darüber, dass die Sozialdemokraten in diesem Haus zumindest erste zarte Signale für die Notwendigkeit einer Schuldenbremse dokumentiert haben, Herr Kollege Puls, wiewohl ich auch zur Kenntnis nehme, dass Ihr Fraktionsvorsitzender in der Öffentlichkeit immer wieder erklärt, dass darüber noch zu reden sein wird, was auch immer er damit meint. Ich gehe davon aus, dass auf

(Klaus-Peter Puls)

die Sozialdemokraten in diesem Haus unabhängig von Herrn Dr. Stegner Verlass sein wird.

Ich möchte Ihnen dennoch noch einmal kurz die Situation schildern. Schleswig-Holstein hat derzeit inklusive der Stützungsmaßnahmen für die HSH Nordbank einen Schuldenstand von 24 Milliarden €. Bei der derzeitigen Finanzplanung und den vom Landesrechnungshof geschätzten Einnahmeverlusten durch die Finanzkrise wird der Schuldenstand im Jahr 2013 um 7 Milliarden auf 31 Milliarden € anwachsen. Das bedeutet, dass die Zinslast in diesem Zeitraum von 12 auf 20 % ansteigen wird. Was für weitere Risiken für die Landesfinanzen im Rahmen der HSH Nordbank entstehen, kann heute noch niemand beziffern. Damit stimmt auch in diesem Fall der leider oft zitierte Satz: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit.

Wenn wir in der Öffentlichkeit immer davon hören und lesen, dass es eine Vertrauenskrise hinsichtlich der politisch Handelnden gibt, dann ist genau dies einer der Gründe dafür. Es ist der berechtigte Anspruch der Menschen in unserem Land, dass im Landtag nicht ewig nur Vorlagen diskutiert werden, sondern auch notwendige Beschlüsse ergehen.

(Beifall bei der FDP)

Die Regelung für eine Schuldenbremse in der Landesverfassung ist ein solcher notwendiger Beschluss, denn er zwingt das Parlament zum Handeln. Ein „Weiter so!“ darf es und wird es - jedenfalls mit der FDP - nicht geben.

Ohne eine Schuldenbremse in der Landesverfassung gibt es für Schleswig-Holstein keine Schuldenbremse. Wir alle haben hier einhellig in den diversen Debatten Einigkeit in diesem Punkt demonstriert, dass eine Bundesregelung für die Länder verfassungswidrig ist, weil sie in das Budgetrecht, das Königsrecht der Landesparlamente, eingreift. Der Bund hat hier keine Regelungskompetenz. Alles andere würde unser föderales Staatsgebilde ad absurdum führen.

Herr Kollege Wadephul, gerade weil sich die Christdemokraten hier offensichtlich querzustellen scheinen, möchte ich Ihnen noch einmal einige Zitate aus Ihren vergangenen Reden vorhalten. Sie haben in der Landtagsdebatte am 25. Februar 2009 Folgendes erklärt:

„Verfassungsrechtlich ist die CDU-Landtagsfraktion der Auffassung, dass eine Schuldenbremse in der Tat im Grundgesetz nicht verankert werden kann, weil sie in das Haushaltsrecht dieses Landes eingreift.“

Und weiter:

„Wenn eine Schuldenbremse verankert wird, wird sie durch diesen Landtag mit der erforderlichen verfassungsgebenden Mehrheit verankert, oder sie wird nicht verankert.“

Lieber Kollege Dr. Wadephul, als Anwalt, der ich auch bin, nehme ich Sie beim Wort. In der Debatte vom 26. März 2009 haben Sie erklärt:

„Wenn wir unsere Verfassung ernst nehmen, wie wir es in Sonntagsreden immer wieder sagen, wie wir es bei der Einführung des Landesverfassungsgerichts in SchleswigHolstein mit besonderer Betonung und mit besonderer Ehrfurcht wieder gesagt haben, dann muss unsere Landesverfassung genau der rechtliche Ort sein, um eine der wichtigsten politischen Zukunftsfragen zu beantworten.“

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Genau!)

Sehr geehrter Herr Kollege Wadephul, ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu. Genau deswegen stimmt meine Fraktion heute der Änderung der Landesverfassung zu. Und genau deshalb wird meine Fraktion auch heute die Bestätigung unseres im März bereits einstimmig gefassten Langtagsbeschlusses für eine Klage gegen die Bundesregelung zur Schuldenbremse befürworten.

Herr Kollege Dr. Wadephul, wir klagen nicht gegen die Schuldenbremse. Dieses Missverständnis muss ausgeräumt werden. Wir verteidigen unser Recht gegenüber den Übergriffen des Bundes. Das ist ein manifester Unterschied.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich zitiere aus der Stellungnahme des Lorenz-vonStein-Instituts, interessanterweise unterschrieben von - ich darf das zitieren - Professor Dr. Utz Schliesky. Wörtlich: