Protocol of the Session on May 6, 2009

Insoweit komme ich auf den Kollegen Garg zurück. Sie haben doch alle die Debatte mitbekommen. Einzelne Ärzte, die als reitende Boten 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche bei Geburten und Sterbefällen in einem großen Kirchensprengel zur Verfügung stehen, wie man das in romantischen Filmen aus den letzten oder vorletzten Jahrhundert sehen kann, wird es nicht mehr geben. Darauf müssen wir uns einstellen. Es ist doch auch kein besonders menschliches Angebot, wenn man in diesem Beruf sagen muss: Ich, der unersetzliche - natürlich meist männliche Arzt - stehe Tag und Nacht zur Verfügung. Wir müssen doch sagen: Heute gibt es moderne Strukturen, sodass zum Beispiel eine schwere Geburt auch auf dem Land nicht irgendwo im Stall, sondern in einer modernen Praxis oder in einem modernen Klinikum stattfindet.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wo finden denn Geburten im Stall statt?)

Dass wir heutzutage Autos und Helikopter haben, ist in diesem Fall doch wirklich ein Vorteil. Das können wir doch nicht ignorieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Insofern verstehe ich Ihre Polemik nicht, Herr Garg. Aber ich gebe zu: Diese Versorgung, die man aus den Gründen, die ich gerade bildhaft angedeutet habe, eher auf dem Lande erwarten würde, findet besonders in den kreisfreien Städten und im Hamburger Rand Zulauf.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Klar! Warum wohl?)

Die in Einzelpraxen arbeitenden Ärztinnen und Ärzte fühlen sich zum Teil durch diese Entwicklung bedroht und sehen durch Medizinische Versorgungszentren die freie Arztwahl der Patientinnen und Patienten in Gefahr. Dagegen organisieren sie sich bundesweit. - Das habe ich auch schon festgestellt.

Ich finde es richtig, davor zu warnen, dass Krankenhäuser und insbesondere Krankenhausketten mit privaten Profitinteressen in einer Weise eingreifen, die das Gesundheitssystem fremdbestimmt steuert. Insoweit sind wir einer Meinung, Herr Garg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Günther Hildebrand [FDP]: Aber das passiert doch! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Genau das passiert!)

Aber Sie glauben doch wohl nicht, dass Sie einem solchen Trend einfach mit Schwarzmalerei begegnen können? Die Sozialministerin hat gesagt: Wenn wir hier gesetzgeberisch tätig werden müssen, dann sollten wir damit anfangen. Darüber sollten wir im Ausschuss reden: An welcher Stelle müsste man die Stellschrauben verändern, um genau diesem Trend zu begegnen?

Ich halte es aber vor dem Hintergrund einer solchen Negativ-Vision für verrückt, die positive Situation zu übersehen, wie sich Ärzte und andere medizinische Berufe, zusammentun, ihre Kompetenzen bündeln. Dies gilt auch für die Tatsache, wie die Grenze zwischen „ambulant“ und „stationär“ mit angemessenen Angeboten überschritten wird, dass wir hierzu endlich die Rechtsgrundlage haben. Das schreiben Sie völlig in den Wind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Rechtsgrundla- ge haben Sie doch längst!)

- Die haben wir längst, sagen Sie. Aber in der Praxis hat es viele Hürden gegeben.

Damit komme ich zu den aktuellen Hürden, die der Bericht durchaus andeutet.

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

- Sie wollen mich offensichtlich etwas fragen.

Frau Birk übernimmt die Arbeit des Präsidiums. Wir sind für die Entlastung sehr dankbar.

Frau Birk, wir haben diese Grundlage längst. Ist Ihnen bekannt, dass im SGB V allein 16 Einzelparagrafen die sogenannte integrierte Versorgung, also jegliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachrichtungen in den medizinischen Berufen bereits regeln? Ist Ihnen auch bekannt, dass dieses Regelwirrwarr zu den großen Konflikten führt und dass es nicht noch einer zusätzlichen Regelung gebraucht hätte, um zur Zusammenarbeit zu finden?

(Angelika Birk)

Ich habe die Paragrafen nicht durchgezählt. Das gebe ich zu. Es mögen 16 sein. Die weiteren Schlussfolgerungen, die Sie mit dieser Frage verbinden, teile ich allerdings in dieser Konsequenz nicht. Ich finde, es ist ein Vorteil, dass wir die integrierte Versorgung haben. Ich finde allerdings auch - somit kommen wir wieder zu einem Thema, über das wir im Ausschuss behandeln sollten -, dass konkret gefragt werden sollte, wo wir an dieser Stelle ordnend einwirken, damit es nicht zu einem Wirrwarr kommt. Im Augenblick sehe ich es noch nicht, aber die Gefahr ist nicht völlig ausgeschlossen. Diese Gefahr besteht immer, wenn man Neuland betritt und sektorenübergreifend arbeiten will und dazu zunächst nur Ausnahmebestimmungen und Schlupflöcher gebrauchen kann. Denn die integrierte Versorgung ist immer noch nicht der Mainstream. Sie irren sich gewaltig, wenn Sie das behaupten.

Kommen wir zurück zum Thema der Medizinischen Versorgungszentren. Wir begrüßen den Trend dahin, ich möchte allerdings mehr über die Hintergründe wissen - und das ist ein Desiderat des Berichts -, warum es unabhängigen Arztpraxen so schwer gelingt, sich zusammenzuschließen, und warum es notwendig ist, dass die Kassenärztliche Vereinigung sozusagen als Hebamme auftritt. Dazu sollten wir die Kassenärztliche Vereinigung hören. Ich finde es auch sehr wichtig, dass sich die Kommunen um dieses Thema kümmern. Sie wissen, ich stehe der Kassenärztlichen Vereinigung in anderen Fragen durchaus kritisch gegenüber, aber ich möchte hier ausgesprochen positiv hervorheben, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein begonnen hat, auf die einzelnen Landräte, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zuzugehen und mit ihnen gemeinsam Versorgungszusammenhänge sowohl im ländlichen Raum als auch in problematischen Stadtteilen zu planen.

Denn es ist ja keineswegs so - da machen wir uns nichts vor -, dass sich Arztpraxen aus reinem Idealismus irgendwo niederlassen. Es ist ganz leicht, in einem gut betuchten Stadtteil ausreichend Arztpraxen zu finden. Schwieriger ist das schon in schwierigen Stadtteilen - oft genauso schwierig wie auf dem dünn besiedelten Land. Hier zu angemessenen Versorgungsstrukturen zu kommen und sich als Kommune und als Kassenärztliche Vereinigung gemeinsam darum zu kümmern, ist eine wichtige Aufgabe, die auch wir vor Ort unterstützen sollten.

(Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Lassen Sie uns im Ausschuss über die konkreten Fragen reden, anstatt abstrakte Horrorszenarien zu zeichnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Lars Harms [SSW])

Ich danke der Frau Abgeordneten Birk und erteile für den SSW im Landtag Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte - bevor ich mit der eigentlichen Rede beginne - etwas vorausschicken: Es ist eigentlich nicht wichtig, ob jemand Freiberufler oder Angestellter ist. Das ist zumindest für mich nicht das entscheidende Kriterium. Für mich ist das entscheidende Kriterium, dass man eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung bekommt.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Und ob das ein Angestellter macht oder ein Freiberufler, das ist mir als Patient eigentlich erst einmal egal. Die Versorgung soll gut sein. Ich glaube, das müsste eigentlich das Ziel sein. Ich werde nachher auch noch ein konkretes Beispiel bringen, wie sich das im ländlichen Raum auswirkt. Es hat nicht nur negative Auswirkungen, was wir mit dem Medizinischen Versorgungszentrum verbinden. Wir haben im Jahr 2004 durch das GKV-Modernisierungsgesetz eine Versorgungsform eingeführt, die wir zehn Jahre zuvor abgeschafft haben. Das hat es schon einmal gegeben. Analog zu den in der DDR üblichen Polikliniken sollen nun angestellte Ärzte die Patienten ambulant behandeln. Ich sage auch ganz ehrlich: Die Polikliniken waren nicht das Schlechteste.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Heiner Garg [FDP]: Waren Sie mal in einer Polikli- nik?)

Es hat viel Schlechtes in der DDR gegeben, wohl wahr, aber das war etwas, was man durchaus ausbauen und erhalten könnte.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Sehen Sie! Für die Ärzte, lieber Kollege Kubicki, haben die medizinischen Zentren Vorteile, weil sie ambulant tätig sein können, ohne alle wirtschaftlichen Risiken tragen zu müssen. Teilzeitarbeitsverhältnisse sind in einer freien Praxis kaum realisierbar, in einem Versorgungszentrum aber schon. Die Patienten profitieren auch von kurzen Wegen und von der Kooperation der Facharztrichtungen, weil es nicht unbedingt so ist, dass alles weit entfernt ist. Dem Ideal der ganzheitlichen Behandlung der Patienten kommen die Versorgungszentren schon sehr nahe, das muss man ehrlich eingestehen.

Aus diesen Gründen sind die Medizinischen Versorgungszentren bundesweit ein Erfolg. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung zählte im dritten Quartal 2008 mehr als 1.100 medizinische Zentren mit über 5.000 Ärzten. In Schleswig-Holstein sind es nur 47 Zentren. Also so stark scheint der Druck nicht zu sein. Man überlegt sich in der Fläche schon genau, was man dort tut.

Jetzt komme ich zu dem Beispiel von jemandem, der von der dünn besiedelten Westküste kommt: Ich sehe ich die Versorgungszentren vor allem als Garanten für den Erhalt unserer Krankenhausstandorte. Das Medizinische Versorgungszentrum „Klinikum Nordfriesland“ unterhält neben Wyk auf Föhr Klinikstandorte in Husum, Niebüll und Tönning. Gerade im letzten Frühling wurde eine Kooperation in Wyk unterschrieben, die einerseits die medizinische Versorgung in Form einer ambulanten Chirurgie sichert, aber andererseits die Konkurrenz zu den niedergelassenen Inselärzten ausschließt. Man hat sich dort auf der Insel geeinigt. Man sieht also, dass durchaus wackelige Standorte - und Föhr ist ein wackeliger Standort - von der Einführung von Versorgungszentren profitieren können. Das Gleiche gilt auch für die Standorte auf dem Festland.

Es wundert mich also nicht, dass der Bericht anführt, dass im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt in Schleswig-Holstein Hausärztinnen und Hausärzte in den Medizinischen Versorgungszentren kaum vertreten sind, denn in Schleswig-Holstein geht es um die Anbindung von Fachkompetenz an die Klinikstandorte. Das ist eigentlich die Tendenz, die wir hier bei uns feststellen können, und diese Klinikstandorte werden dadurch mittelfristig gestärkt. Das ist nach unserer Auffassung auch gut so.

Der Kreis Nordfriesland sieht die MVZ auch als Möglichkeit, der zukünftigen ärztlichen Versor

gungsnot zu begegnen, sodass auch in Zukunft Hausbesuche möglich sein werden, und wie gesagt, dass das breite Angebot vor Ort weiterhin flächendeckend vorhanden ist.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Ursula Sas- sen [CDU]: Aber nicht die Ärzte selbst!)

Ich warne allerdings davor, die Medizinischen Versorgungszentren als Wundertüte zu betrachten. Es wird der weiteren Beobachtung der Entwicklung bedürfen, um die tatsächliche inhaltliche Arbeit in den Versorgungszentren beurteilen zu können. Aber ich sehe durchaus, dass es dort positive Entwicklungen gibt.

Wir können somit feststellen, dass durch Medizinische Versorgungszentren Krankenhausstandorte in der Fläche gestützt werden können, und das ist gut für die ländliche Region. Das befreit uns nicht davon, auch für eine flächendeckende Hausarztversorgung zu sorgen. Das kann gar nicht anders sein.

Auf jeden Fall können MVZ dazu beitragen, die medizinische Versorgung in der Fläche auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Würden wir diese bei uns auf dem flachen Land nicht einrichten, müssten wir - um beim Beispiel Nordfriedland zu bleiben nach Flensburg oder gar nach Itzehoe oder Neumünster ausweichen, um überhaupt eine adäquate medizinische Versorgung bekommen zu können. Nur durch die Medizinischen Versorgungszentren sind wir in der Lage, an den Krankenhausstandorten ein breit gefächertes Angebot vorzuhalten. Ich glaube, dieses Ziel darf man nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung. Es geht in der Fläche nicht nur um Hausund Fachärzte, sondern es geht auch um den Erhalt der Standorte der Krankenhäuser, und deshalb sehe ich diese Entwicklung positiv.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] - Ursula Sassen [CDU]: Es darf aber nicht zur Verdrängung der Ärzte führen!)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/2518, dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

(Lars Harms)

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüßen Sie bitte mit dem Präsidium Mitglieder des CDU-Kreisverbandes Ostholstein sowie Mitglieder des CDU-Ortsverbandes MettenhofHasseldieksdamm. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beitritt Schleswig-Holsteins zum europäischen Netzwerk „Gentechnikfreie Regionen“

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2646

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.