Protocol of the Session on May 6, 2009

Sie erzählen hier auf der einen Seite, dass die MVZ eine prima Chance seien; auf der anderen Seite dürfe die Freiberuflichkeit darunter nicht leiden. Frau Kollegin Sassen, die Freiberuflichkeit leidet gerade darunter, und zwar massiv.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Krankenhausketten Kassenarztsitze aufkaufen, dann ist der Spaß endgültig zu Ende. Eigentlich hatte ich von der Union etwas anderes erwartet als das, was Sie heute hier dargestellt haben.

(Beifall bei der FDP)

Wir reden nicht von Praxisgemeinschaften oder freiwillige Zusammenschlüsse; wir reden von Medizinischen Versorgungszentren. Böse Zungen könnten auch behaupten: die Reinkarnation der Polikliniken der ehemaligen DDR. Wenn das die Gesundheitspolitik der Union ist, dann bitte schön.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Dann müssen Sie das aber auch auf jeder Veranstaltung in Zukunft genauso vertreten.

(Beifall bei der FDP)

Für Patientinnen und Patienten sowie für die Leistungserbringer werden einige Vorteile erwartet. Ich

(Jutta Schümann)

sage aber auch an der Stelle: Was in Kiel und Lübeck möglicherweise noch funktionieren könnte, sieht auf dem flachen Land mit seiner Versorgungsstruktur komplett anders aus und hat dort auch ganz andere Konsequenzen.

Das wirtschaftliche Risiko der Leistungserbringer gegenüber einer Freiberuflichkeit wird minimiert.

Herr Dr. Garg, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sassen?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Dr. Garg, könnte es sein, dass Sie den Satz, dass ich mir um die Freiberuflichkeit Sorgen mache, überhört haben?

- Frau Kollegin Sassen, könnte es sein, dass es die Ärzte relativ wenig interessiert, ob Sie sich Sorgen machen? Die Ärzte interessiert vielmehr, was Sie an praktischer Politik zuwege bringen.

(Beifall bei der FDP)

Investitionsrisiken seien besser zu überschauen.

Die Abrechnung mit den Kostenträgern erfolgt zentral durch das MVZ.

Leistungserbringer könnten durch intelligente Regelungen ihrer Arbeitszeit und - bei Notdiensten Familie und Beruf besser vereinbaren. Es gäbe geringere Arbeitszeiten.

Untersuchungen könnten besser aufeinander abgestimmt werden.

Die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren als ärztlich geleitete Einrichtungen in beliebiger Trägerschaft mit der Beschäftigung von angestellten Ärzten geht dabei, Frau Kollegin Sassen, weit über die bisherigen Einrichtungen und Zusammenschlüsse von Arztpraxen hinaus. Die Regelungen zu den Zulassungsbeschränkungen in § 103 Abs. 4 a SGB V - es lohnt sich, da einmal hineinzuschauen - lassen nämlich ganz klar die Absicht erkennen, möglichst viele Vertragsarztpraxen in MVZ aufgehen zu lassen. Aufgehen zu lassen.

Für staatlich geförderte Krankenhäuser ist dies der ideale Einstieg in die ambulante Versorgung über die Trägerschaft eines MVZ. Genau das passiert zunehmend, nicht nur in Schleswig-Holstein,

sondern bundesweit. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das sagen.

Insbesondere die freiberufliche Tätigkeit als Facharzt mit eigenem Investitionsrisiko und zeitlich befristeten Einzelverträgen mit den Kassen kann bei diesen Rahmenbedingungen keine attraktive Alternative mehr darstellen. Deswegen wird es - von Ihnen offensichtlich auch so gewollt - in Zukunft keine Alternative mehr sein.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Freiberuflichkeit als wesentliches Element unseres Gesundheitswesens wird durch die Bevorzugung institutioneller Lösungen untergraben, mit weit reichenden Folgen für die zukünftige ambulante Versorgung in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der FDP)

Frau Birk, Ihnen mache ich das gar nicht zum Vorwurf, auch wenn ich eine andere Auffassung als Sie habe, was die künftige medizinische Versorgung anbelangt. Ich mache es der Union definitiv zum Vorwurf, dass sie auf Fachveranstaltungen so tut, als ob sie die Freiberuflichkeit schütze, und dort, wo sie es kann, weil sie nämlich sowohl in Kiel als auch in Berlin in den Regierungen sitzt, genau die Rahmenbedingungen schafft, die die Freiberuflichkeit untergraben.

(Beifall bei der FDP)

Die im vorgelegten Bericht der Landesregierung genannten Zahlen unterstreichen im Übrigen diese These. Rund 50 % der Medizinischen Versorgungszentren sind an Krankenhäuser angegliedert. Vor allem Fachärzte sind im MVZ vertreten. MVZ konzentrieren sich in den kreisfreien Städten und in den Ballungsgebieten und treten damit unmittelbar in Konkurrenz zu den dort niedergelassenen Praxen. Von den 218 Ärztinnen und Ärzte sind 144 Angestellte eines MVZ und damit nicht mehr freiberuflich tätig.

Die Konzentration von MVZ an Krankenhäusern und in Ballungsgebieten macht deutlich, dass es eine regional ausgewogene medizinische Versorgung im jetzigen Umfang bald nicht mehr geben wird, vor allem dann, wenn die demografische Entwicklung in der Ärzteschaft selbst berücksichtigt wird. Das bedeutet für die Patientinnen und Patienten insbesondere im ländlichen Raum längere und weitere Anfahrtswege.

(Dr. Heiner Garg)

Herr Dr. Garg, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schümann?

Mit dem größten Vergnügen.

Herr Kollege Garg, Sie singen das Hohelied auf die Freiberuflichkeit. Das kann ich sehr wohl nachvollziehen. Die Freiberuflichkeit ist auch Tradition im Ärztestand. Aber Sie haben gerade auf die gut 140 angestellten Ärztinnen und Ärzte hingewiesen, die es bereits gibt. Ich habe deutlich gemacht, dass gerade für junge Ärzte das wirtschaftliche Risiko, freiberuflich tätig zu werden, häufig sehr hoch ist. Meinen Sie nicht, dass mit diesem Angebot des Sowohl-als-auch Alternativen geschaffen wurden, sodass sich Ärzte entscheiden können, ob sie im Angestelltenstatus, möglicherweise teilzeitbeschäftigt, oder freiberuflich tätig sein wollen? Meinen Sie, dass das ein Fortschritt ist? Sollten nicht zusätzliche Möglichkeiten eröffnet und nicht Möglichkeiten eingeschränkt werden?

- Nein, Frau Kollegin Schümann, ich meine, dass es Rahmenbedingungen geben muss, die es Ärztinnen und Ärzten, insbesondere jungen Kolleginnen und Kollegen, möglich machen, sich weiterhin bewusst für die Freiberuflichkeit und für die Gründung einer eigenen oder den Aufkauf einer Praxis zu entscheiden. Die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen, die Sie mit der Bundesregierung seit dem Jahr 2000 geschaffen haben, machen es den Kolleginnen und Kollegen eben nicht mehr möglich.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin dafür, dass sie sich selbstständig entscheiden können, ob sie in eine Praxisgemeinschaft gehen und das wirtschaftliche Risiko teilen. Das ist gar keine Frage. Aber es bedarf nicht sozusagen des Drangs ins MVZ.

Ich nenne noch einmal das Beispiel, das ich für sehr problematisch halte - Sie haben es in Ihrer Rede übrigens mit problematisiert -: Wenn es dazu kommt, dass große Klinikketten Kassenarztsitze aufkaufen das wird genau das Modell der Zukunft sein -¸ dann wird es zu einer Aufteilung des Marktes durch vier große Klinikanbieter kommen, die in Zukunft in Ballungsräumen MVZ betreiben, und die Wege im ländlichen Raum werden lang. Das hat mit der eigenständigen Entscheidung eines jungen Arztes

oder einer jungen Ärztin bedauerlicherweise gar nichts mehr zu tun.

Ein möglicher Lösungsweg, um unerwünschte Verlagerungen innerhalb großer Planungsräume zu vermeiden, ist die Veränderung der Bedarfsplanung. Das haben beide Kolleginnen angesprochen. Gerade im ländlichen Raum könnten kleinere Planungsräume eine Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung besser gewährleisten, und gleichzeitig würde die Konzentration von Arztsitzen in Ballungsgebieten gebremst. Insofern sollten wir, wenn wir über den Bericht im Ausschuss reden, an dieser Stelle weiterarbeiten.

Ich sage noch einmal ganz deutlich: Was hier geschaffen wurde, ist völlig überflüssig, vollkommen kontraproduktiv und untergräbt die tragende Säule der ambulanten Versorgung. Die tragende Säule der ambulanten Versorgung ist die Freiberuflichkeit des Arztberufes mit der Ethik, die dahinter steht. Nur deswegen werden heute Patienten gerade auf dem Land im Zweifel noch rund um die Uhr ambulant behandelt, und nicht, weil es MVZ gibt. Dort werden sie im Zweifel höchstens noch mit einem Notdiensttelefon abgespeist.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich Arztpraxen mehrerer Fachrichtungen mit Krankengymnastik und Massagepraxen und anderen Gesundheitsberufen unter einem Dach zusammentun und gemeinsam wirtschaften, verbessert dies das Gesundheitsangebot.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ermöglicht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern flexiblere Arbeitszeiten, es erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, es ermutigt die Beschäftigten eher zur Teilnahme an Fortbildungen, und es verringert das persönliche Wirtschaftsrisiko.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Bisher ist nur eine einstellige Prozentzahl der Ärzteschaft in Schleswig-Holstein in Medizinischen Versorgungszentren organisiert. Erstaunlicherweise gibt es sie bisher noch nicht auf dem Lande, wo es doch besonders nahe liegen würde.

Insoweit komme ich auf den Kollegen Garg zurück. Sie haben doch alle die Debatte mitbekommen. Einzelne Ärzte, die als reitende Boten 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche bei Geburten und Sterbefällen in einem großen Kirchensprengel zur Verfügung stehen, wie man das in romantischen Filmen aus den letzten oder vorletzten Jahrhundert sehen kann, wird es nicht mehr geben. Darauf müssen wir uns einstellen. Es ist doch auch kein besonders menschliches Angebot, wenn man in diesem Beruf sagen muss: Ich, der unersetzliche - natürlich meist männliche Arzt - stehe Tag und Nacht zur Verfügung. Wir müssen doch sagen: Heute gibt es moderne Strukturen, sodass zum Beispiel eine schwere Geburt auch auf dem Land nicht irgendwo im Stall, sondern in einer modernen Praxis oder in einem modernen Klinikum stattfindet.