Protocol of the Session on September 29, 2005

Buches des Sozialgesetzbuches, SGB II, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass die betroffenen Menschen 16-seitige Anträge auszufüllen hatten. Das kann ich mir bei unserer Bürokratie sehr gut vorstellen. Dass die Menschen aber damit Probleme haben, das ist auch nachvollziehbar. Deswegen brauchen sie Unterstützung.

Es ist aber sehr erstaunlich, wenn Menschen nach erfolgreicher Antragsausfüllung Bescheide bekommen, in denen Rechtshilfebelehrungen fehlen, Berechnungen nicht nachvollziehbar sind oder gar Telefonnummern für Rückfragen einfach nicht angegeben werden. Das macht deutlich, dass wir für die Menschen nicht nur individuelle Hilfe brauchen, sondern auch ein Einwirken auf Behörden, Versicherungen und andere Institutionen, um grundsätzliche Unzulänglichkeiten abzustellen beziehungsweise um auf sie aufmerksam zu machen und um sie zu verändern. Ich glaube, das wurde in dem Bericht der Bürgerbeauftragten sehr deutlich.

Ein ganz aktueller Fall sind hierbei die Bearbeitungszeiten und die Erreichbarkeit der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen, die sich mit Anliegen an die Familienkasse wenden, zum Beispiel über eine Stunde in einer Telefon-Hotline warten, um dann als Ergebnis zu erfahren, dass ihr Anruf nicht entgegengenommen werden kann. Dass Anträge und schriftliche Anfragen über Wochen ohne Antwort von der Familienkasse bleiben, kann und darf ebenfalls nicht wahr sein.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zeitungsmeldungen über die Familienkasse in Bad Oldesloe und zuletzt vom 21. September über die Familienkasse in Flensburg bestätigen diese Vorkommnisse.

Das Kindergeld und der seit dem 1. Januar 2005 zu beantragende Kinderzuschlag für Geringverdiener ist für viele Familien - beziehungsweise Alleinerziehende - ein wichtiger Bestandteil ihres monatlichen Einkommens. Verzögerungen führen hier direkt zu Verschuldungen und bringen Familien in finanzielle Not. Dies darf nicht sein. Darum haben Sie, Frau WilleHandels, unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, die Bundesagentur für Arbeit aufzufordern, diese Defizite umgehend abzustellen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

An dieser Stelle möchte ich noch einen grundsätzlichen Ansatz ansprechen. Wir alle stehen für starke Bürgerrechte, wie sie durch die Richtlinien des Eu

ropäischen Rates zur Antidiskriminierung gestärkt werden sollen. Es bleibt eine Aufgabe der politischen Gremien, ein ausdrückliches Benachteiligungsverbot für Merkmale der sexuellen Identität und Orientierung in unser Recht umzusetzen.

(Beifall des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Dies kann nicht nur auf nationaler Ebene geschehen. Wir benötigen auf Landesebene eine konkrete Zuständigkeit. Dies hat auch mein Kollege Peter Eichstädt in einer der letzten Landtagssitzungen, als wir über das Antidiskriminierungsgesetz gesprochen haben, eingefordert. Analyse von Diskriminierung, Impulsgebung und Ombudsfunktion sind einige Aufgaben im Rahmen der europäischen Richtlinien. Es sind Aufgaben, deren Wahrnehmung ich mir sehr gut bei der Bürgerbeauftragten vorstellen kann. Die Bürgerbeauftragte ist Ombudsfrau. Sie kann in politische Diskussionen eingreifen und gesellschaftliche Veränderungen anmahnen. Sie kann in ihren regelmäßigen Berichten den Themenbereich Antidiskriminierung aufgreifen. Ich sage also nicht nur einen Dank für die geleistete Arbeit an Frau Wille-Handels, sondern es gibt - wie ich finde - auch einen Auftrag, diese Arbeit sinnvoll zu ergänzen. Den Bericht der Bürgerbeauftragten wollen wir gern im Sozialausschuss vertiefend weiter beraten.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erhält der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wille-Handels! Die Jahr für Jahr steigenden Eingaben an die Bürgerbeauftragte machen deutlich, dass die Arbeit der Bürgerbeauftragten nach 16 Jahren nicht nur akzeptiert wird, sondern zu einer nicht mehr weg zu denkenden Institution unseres Landtages geworden ist. Die erfolgreiche Hilfe zeigt, dass das Engagement der Bürgerbeauftragten und ihrer Mitarbeiter gepaart mit unvermindert hoher Qualität in der Beratung von Rat suchenden Bürger mehr denn je gebraucht wird. Genau für dieses Engagement danke auch ich Ihnen im Namen meiner Fraktion ganz herzlich.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Institution der Bürgerbeauftragten, die in früheren Zeiten selbst immer wieder Gegenstand von De

(Dr. Heiner Garg)

batten war, ist heute nicht nur fraktionsübergreifend unumstritten und anerkannt, sie ist zu einem Aushängeschild unseres Parlaments geworden. Es ist nämlich unsere Bürgerbeauftragte, die Bürgerbeauftragte des Schleswig-Holsteinischen Landtages.

(Beifall bei der SPD)

Der Bericht des Jahres 2004 und der erste Zwischenbericht zur Einführung des SGB II - also von Hartz IV - müssen uns als Landesparlament und somit als Gesetzgeber zu denken geben. Wir dürfen nicht länger die Institution einer Bürgerbeauftragen als Ausputzer für gut gemeinte, aber schlecht gemachte Gesetze ansehen. Die Bürgerbeauftragte ist auch nicht dafür da, die aufgrund der Flut von Einzelbestimmungen überforderten Verwaltungen zu entlasten, die bei der erforderlichen Einzelfallentscheidung ihre Beurteilungsspielräume nicht kennen oder aber nicht bürgernah ausschöpfen. Die Anlaufstelle einer Bürgerbeauftragten soll nach ihrem Verständnis vor allem auch eines sein: eine Rückkoppelung der Praxis an die Politik. Als Gesetzgeber sollten wir uns deshalb immer wieder die Frage stellen, ob die von uns verabschiedeten Regelungen und Normen überhaupt praxistauglich sind.

Wird das erreicht, was die Politik durch die Regelungen erreichen wollte oder wurde das von uns definierte gewünschte Ziel verfehlt? Machen wir Politik mit und für Menschen oder machen wir Politik gegen Menschen? Dabei wäre es schon schlimm genug, wenn die Menschen Letztes einfach nur so empfinden würden. Genau das sind die Fragen, die durch Bürgernähe und aufgrund der pragmatischen Hilfeleistungen durch die Institution einer Bürgerbeauftragten beantwortet werden sollten. Dabei macht sie nichts anderes, als uns aufzuzeigen, wo etwas nicht funktioniert. Als Vorwarnsystem liefert der jährlich vorgelegte Bericht der Bürgerbeauftragten dem Gesetzgeber - also uns - sehr viele Antworten.

Wenn wir ehrlich sind, dann häufen sich die negativen Antworten. Ich nenne hier ein konkretes Beispiel: Mit der Einrichtung gemeinsamer Servicestellen nach § 23 SGB IX sollten die für die Betroffenen unübersichtlichen Strukturen und Hilfsangebote vereinheitlicht und das bestehende System durch eine bessere Kooperation der einzelnen Leistungsträger optimiert werden. So die Zielsetzung des Gesetzgebers. Es wurde erwartet, dass durch die zentrale Anlaufstelle den Ratsuchenden eine einfache, schnelle und konkrete Hilfe zukommt und dadurch ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe an der Gesellschaft möglich wird. Gut vier Jahre nach Inkrafttreten des SGB IX entpuppen sich gerade diese ServiceStellen als große Enttäuschung: fehlendes Geld, feh

lendes Personal und fehlende Kooperation zwischen den Trägern. Hinzu kommt, dass auf die mitunter besonderen Bedürfnisse von Blinden, Gehörlosen und Menschen mit geistigen Behinderungen nicht eingegangen wird oder nicht eingegangen werden kann. Hier haben wir den klassischen Fall, dass vom Gesetzgeber ein bestimmtes Ziel gewollt wird, dieses aber in der praktischen Umsetzung an Widrigkeiten zu scheitern droht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind sowohl im Bund als auch im Land gefragt, Gesetze, Verordnungen und Regelungen wieder so zu gestalten, dass sie den Zweck, den sie erfüllen sollen, letzten Endes auch erfüllen können, denn wir machen Gesetze für Menschen und nicht Gesetze gegen Menschen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit - auch bei meinem Kollegen Wolfgang Kubicki.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie vereinzelt bei CDU und SPD)

Wir danken dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion bedankt sich bei der Bürgerbeauftragten und bei ihrem Team für die geleistete Arbeit. Der Tätigkeitsbericht in diesem Jahr macht wieder deutlich, wie notwendig die Bürgerbeauftragte ist, wie viel Arbeit es gibt und dass wir dafür eine Zuständigkeit brauchen.

Ich freue mich, dass inzwischen sogar die CDUFraktion dieses eingesehen hat und ihre bisherigen Streichungspläne, die sie noch bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr vehement vertreten hat, ad acta gelegt hat.

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei der SPD)

Die CDU hatte schlicht aufs falsche Pferd gesetzt hat, weil sie Sparvorschläge für ihre vielen Forderungen brauchte, aber das scheint ja vergangen. Sie haben auch heute nicht gesagt, dass es nur Koalitionstreue ist, sondern dass sie die Bürgerbeauftragte richtig gut finden. Ich denke, dass hält dann auch für die nächsten Jahre.

Die Fallzahlen der Bürgerbeauftragten steigen von Jahr zu Jahr, weil die Gesetze immer noch zu kompliziert sind - Herr Garg hat das noch einmal angespro

(Monika Heinold)

chen -, aber auch weil das gesellschaftliche Klima rauer geworden ist. Im Jahr 2004 haben sie ein Maximum von über 2.700 Fällen erreicht, und von ihnen konnten erfreulicherweise über 2.600 im Sinne der Bürger und Bürgerinnen bearbeitet werden, abgeschlossen werden. Ich finde, das ist eine ausgesprochen gute Erfolgsquote.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Durch Hartz IV sind die Zahlen noch einmal gestiegen. Die Bürgerbeauftragte hat schon signalisiert, dass sie hier vom Landtag Unterstützung erwartet. Dies werden wir im Rahmen der Haushaltsberatung miteinander besprechen müssen.

Besonders bedrückend ist es, dass anscheinend die Verwaltung ihrer Verpflichtung zur sachgerechten Bearbeitung der Bürgeranliegen nur unzureichend nachkommt. Das ist weder bürgerfreundlich noch ist es kundenorientiert. Wir sprechen immer wieder davon, dass die Behörden jetzt Kunden haben, dann müssen sie sich auch dementsprechend verhalten. Ein demokratischer Sozialstaat lebt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte offensiv einfordern und ihnen dabei kompetente Unterstützung zur Verfügung gestellt wird.

Die Bürgerbeauftragte leistet dieses, ist landesweit bekannt, ist fachlich anerkannt und sie hat ihre Außensprechtage bedarfsentsprechend erweitert und verstetigt. Auch hierfür herzlichen Dank.

Institutionen wie die Bürgerbeauftragte, aber auch der Flüchtlingsbeauftragte, der Behindertenbeauftragte und der Petitionssauschuss stabilisieren unseren Staat. Auch deshalb unterstützt meine Fraktion den Vorstoß der Bürgerbeauftragten für die modellhafte Erprobung eines Beschwerde- und Ideenmanagements in den einzelnen Behörden. Exemplarisch dafür, dass Verwaltungshandeln überprüft werden muss, sind die gemeinsamen Servicestellen für Menschen mit Behinderung nach dem SGB IX. Dies ist heute mehrfach erwähnt worden. Ich wiederhole deshalb nicht, was in meiner Rede steht, nämlich die Defizite, weil meine Vorredner dies getan haben.

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir in dieser Landtagstagung einen Berichtsantrag stellen, der hoffentlich ohne Aussprache verabschiedet wird. In diesem Berichtsantrag fordern wir die Landesregierung auf - wir haben uns jetzt auf die DezemberTagung geeinigt -, dass sie dem Landtag im Dezember berichtet, wie wir mit diesen Servicestellen in Zukunft umgehen, damit sie praxisorientiert arbeiten und die Lösungen liefern, wofür wir sie eingerichtet haben, und auch bezahlen. Es ist nicht nur Aufgabe der Politik, die Bürgerbeauftragte zu loben - das tun

wir immer alle gern - und aus dem Bericht zu zitieren, wir haben auch die Aufgabe zu bewerten, welche Lösungsansätze sich daraus ergeben, welche Probleme wir bearbeiten wollen. Unser Beitrag dazu ist der Berichtsantrag zu den Servicestellen. Wenn alle Fraktionen einen konkreten Beitrag dazu leisten, sind wir ein Stück weiter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW sowie vereinzelt bei SPD und CDU)

Danke, Frau Abgeordnete Heinold. - Das Wort für den SSW erhält der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerbeauftragte Frau Wille-Handels und ihr Team haben im letzten Jahr wieder ein beeindruckendes Arbeitspensum bewältigt. Auch wir als SSW möchten uns wieder bei ihr und ihren Leuten dafür bedanken, dass sie eine so hervorragende Arbeit geleistet und wieder einmal den Beweis erbracht haben, dass Beauftragtenstellen für unser Land sehr wichtig sein können.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Fast 3.000 Neueingaben aus vielen Bereichen haben sie erreicht und sie wurden gesichtet und bearbeitet; viele konnten einer Lösung zugeführt werden. Genauer gesagt, 94 % der zulässigen Eingaben wurden positiv abgeschlossen. Das ist eine hervorragende Quote und zeigt auch, dass Bürgernähe in unserem Land durchaus möglich sein kann. Nur wenige von diesen Eingaben konnten nicht positiv abgeschlossen werden, weil zum Beispiel der kleine Dienstweg bei den Arbeitsagenturen offensichtlich durch die Hartz-IV-Reform außer Kraft gesetzt wurde oder auch weil die gesetzlichen Regelungen den Interessen der Petenten zuwider laufen. In diesen Fällen weist der Bericht auf Handlungsbedarf hin.

Der SSW versteht die Empfehlungen der Bürgerbeauftragten als eine Agenda an den Landtag und die Landesregierung, die es abzuarbeiten gilt. Der SSW hat die Institution Bürgerbeauftragte als Frühwarnsystem verstanden und man sollte ihre Signale auch ernst nehmen. Anders als beispielsweise beim Petitionsausschuss, dessen Arbeit streng auf die Schriftlichkeit ausgerichtet ist, erreichen die Bürgerbeauftragte viele direkte Anfragen durch die Sprechstunde und darüber hinaus als telefonische Anfragen. Letzte machen mit 79 % den Löwenanteil aus. Die Zeit zwischen Prob

(Lars Harms)

lem und dem Gespräch mit der Bürgerbeauftragten ist also sehr kurz.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bürgerbeauftragte regelmäßige Sprechstunden auch im ländlichen Raum durchgeführt hat und weiter plant. Ich denke, dass auf diesem Weg gerade Personen einen Ansprechpartner finden, die nie auf die Idee kommen würden, einen Beschwerdebrief zu schreiben. Für uns, die wir täglich mit Geschriebenem, Berichten, Anträgen oder Briefen zu tun haben, ist es kaum vorstellbar, dass es Menschen gibt, die seit ihrer Schulzeit nichts längeres geschrieben haben als eine Postkarte oder eine SMS. Sie sind einfach ungeübt und deshalb unsicher in dieser Form der Kommunikation, die aber Voraussetzung ist, um seine Rechte geltend zu machen. Gerade diese Menschen aber brauchen am dringendsten die Unterstützung. Jemand, der wortgewandt und stilsicher Beschwerde führen kann, hat in der Regel kaum Probleme, sein Anliegen selbst zu regeln. Wie sieht es aber mit allen anderen aus? Diese wenden sich an die Bürgerbeauftragte. Das ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten eine gute Praxis in unserem Land geworden.

Der Anteil der schriftlichen Anfragen an die Bürgerbeauftragte ist im Berichtsjahr leicht gesunken und wird voraussichtlich noch weiter sinken. Damit entwickeln sich die Außensprechtage zu einem wichtigen Scharnier zwischen Bürger und Landespolitik.