Protocol of the Session on September 26, 2003

Ein Blick in die skandinavischen Länder zeigt, wie schnell es zu sozialen Ungerechtigkeiten, Versor

gungsengpässen und Patientenwartelisten kommen kann, wenn zu wenig Ärzte einen Schichtbetrieb im Krankenhaus aufrechterhalten sollen.

In diesem Zusammenhang möchte ich das zitieren, was die Kollegin Hinrichsen in der 30. Sitzung am 13. Juli 2001 ausgeführt hat:

„Nördlich der Grenze hat man keine Probleme damit, dass die weiß bekittelten Berufsgruppen um Punkt 16 Uhr das Skalpell fallen lassen oder den Computertomographen ausknipsen. Überstunden lehnt man ab und wenn überhaupt, dann lässt man sie sich vergolden.“

Wollen wir das? - Ich denke, nein. Sollten wir dennoch Überstunden verlangen, müssen wir - das sagte ich bereits - über intelligentere Lösungen nachdenken. Dazu brauchen wir aber auch die Bereitschaft der Tarifparteien.

Infrage gestellt wird mit all dem der viel gerühmte Wellness- und Gesundheitsstandort SchleswigHolstein. Er kann sehr schnell in eine Schieflage kommen, wenn gleichzeitig die Medizinstudienplätze abgebaut werden. Daran wird ja festhalten. Mir liegt ein Auszug aus dem Bericht der Kammerversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung vor. Danach hat Herr Dr. Hendriks, Leiter der zuständigen Abteilung im Bildungsministerium, gesagt:

„Wir müssen das Erichsen-Gutachten umsetzen und die überproportional hohe Zahl von Medizinstudenten im Verhältnis zum eigenen Bedarf reduzieren.“

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!)

Es zeigt sich also sehr deutlich, dass es einiges zu tun gibt. In erster Linie muss dieser Stau durch Verhandlungen mit den Tarifparteien und durch Hausvergütungsmodelle abgebaut werden. Wir sollten aber auch darauf achten, dass die Medizinstudienplätze in Schleswig-Holstein nicht abgebaut werden,

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

damit wir qualifizierte Mediziner für die Patienten in unseren schleswig-holsteinischen Häusern haben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Kieler Ärzten, die sich mit gefährlich vielen Überstunden und Nachtdiensten nicht abfinden wollten, geht nun eine Umstrukturierung der Dienstpläne aller Krankenhäuser Deutschlands aus. Das ungeschriebene Gesetz, dass sich der Aufstieg im Krankenhaus, ja die Zulassung zum Facharzt über patientengefährdende Non-Stop-36-Stunden-Dienste erkauft werden muss, muss endlich durch eine humane Personalplanung ersetzt werden. Das sage ich mit allem Nachdruck. Wir haben die Urteilsverkündung zum Anlass genommen, einen Glückwunsch an diese Kieler Ärzte zu richten; denn der Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein braucht auch mutige Menschen, die die Wahrheit aussprechen und sich für humane Bedingungen einsetzen. Insofern haben wir dieses Anliegen im Sozialausschuss mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir haben uns vor den Sommerferien, weil dieses Urteil bereits angekündigt worden war, ausführlich mündliche und schriftliche Ergebnisse aus den Unikliniken geben lassen, uns aber auch durch die Gewerkschaften beraten lassen. Ich denke, das ist unsere Pflicht als Abgeordnete. Wir können also nicht sagen, dass wir schlecht informiert sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kalinka?

Nein, das gestatte ich nicht, weil meine Zeit so knapp ist. Wir können das nachher gern noch vertiefen.

Die Klage der Kieler Ärzte ist mehr als berechtigt. Schon während diese durch die verschiedenen gerichtlichen Instanzen lief, haben sich vorausschauende Kliniken in die Auseinandersetzung mit der Belegschaft um neue Präsenzzeiten auf den Stationen begeben.

Auf den Hamburger Landesbetrieb Krankenhäuser ist bereits hingewiesen worden. Ich weiß nicht, ob wir dieses Modell so schnell verwerfen sollten; denn gerade dort wird das Thema der Einkommensverluste durch unterschiedliche Verträge und durch unterschiedliche Schichtmodelle angegangen. Das ist eine interessante Lösung, mit der wir uns beschäftigen sollten.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein kann es sich nicht leisten - insofern sollten wir hier Einigkeit herstellen -, dass wir nach einem EuGH-Urteil aufgrund einer Kieler Klage bei dieser Reform ins Hintertreffen geraten. Speziell die Uniklinik, die angehende Medizinerinnen und Mediziner ausbildet, hat insoweit eine besondere Verantwortung.

Nun komme ich auf die Medizinstudienplätze zu sprechen. In der „Frankfurter Rundschau“ vom 26. September 2003 steht zu dieser Frage - das ist schon anderswo nachzulesen gewesen -, dass der Marburger Bund darauf hinweist, dass ein Viertel aller angehenden Mediziner aufgrund der unattraktiven Arbeitszeiten gar nicht in den Beruf geht. Sie wollen sich dieser Tortur nicht unterziehen. Sie wählen andere Berufe. Also, eine der teuersten Ausbildungen, die wir in Deutschland haben, ist für die Katz,

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

weil offensichtlich die Krankenhäuser als Arbeitgeber in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, die jungen Absolventinnen und Absolventen an sich zu binden. Das ist ein Skandal.

(Veronika Kolb [FDP]: Deshalb wollen wir Haustarife!)

Es ist wichtig, dass hier nun endlich Abhilfe geschaffen wird. Wir haben also nicht zu wenig Studierende, sondern zu viele Mediziner wandern nach Ende ihrer Ausbildung ins Ausland ab oder wählen andere Berufsbilder. Das geht bis hin zum Journalismus oder zu anderen, mit der Ausbildung nicht in Verbindung zu bringenden Berufen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Die kurzfristig vorgelegte Änderung zur Neuregelung der Arbeitszeit seitens des Bundes bedarf - ebenfalls laut „Frankfurter Rundschau“ von heute - der kritischen Prüfung durch die Bundesländer; denn - ich lese vor -:

„Details der Neuregelung, die heute zur Abstimmung stehen im Bundestag, über die sind weder Beschäftigte noch Arbeitgeber glücklich; denn laut Entwurf können die Tarifparteien die tägliche Arbeitszeit ohne Ausgleich über acht Stunden hinaus verlängern, wenn sie zu einem erheblichen Teil Bereitschaft umfasst. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer zustimmt.“

(Angelika Birk)

Wenn ich mir die Hierarchien in den Krankenhäusern anschaue - das betrifft sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal; das betrifft aber auch die Rettungsdienste der Kommunen, da auch hier gravierende Arbeitszeitänderungen erforderlich sind -, dann muss ich sagen, dass eine solche Zustimmung durchaus als eine Erpressungssituation zu werten ist, wenn das nicht in großen Zügen mit den Tarifparteien ausgehandelt wird.

Ich muss sagen - es steht uns frei, auch unsere eigene Bundesregierung kritisch zu betrachten -: Ich finde es gut, dass so schnell ein Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt worden ist. Aber ich bin nicht zufrieden, dass - wie diesem Artikel zu entnehmen ist - alle Fachverbände sagen, dass durch einen solchen Gesetzentwurf neue EuGH-Verfahren vorprogrammiert sind.

Ich setze also darauf, dass wir uns im Ausschuss mit diesem Bundesgesetz und auch mit der Praxis in Schleswig-Holstein noch einmal auseinander setzen. Ich erwarte, dass die Landesregierung im Bundesrat entsprechende Initiativen ergreift, sollte es bei dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf im Bundestag bleiben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war sehr schön, das wir den Bericht bereits vor der Sitzung bekommen haben. Ich betone das deshalb, weil uns solche Berichte manchmal erst fünf Minuten vor Sitzungsbeginn vorgelegt werden, sodass keine Gelegenheit mehr besteht, die entsprechenden Informationen herauszusuchen. Deshalb sage ich dem Ministerium ausdrücklich herzlichen Dank dafür, dass wir den Bericht in Bezug auf dieses Urteil rechtzeitig vor der Sitzung erhalten haben.

Ich finde es bedauerlich, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Arbeitszeiten schleswigholsteinischer Ärzte in staatlichen Krankenhäusern zum Vorwand für eine Generalabrechnung mit den Zustände in den Hospitälern genutzt wurde. Ich teile nicht die Auffassung des Kollegen Kalinka, der die Lage als sehr ernst und desolat bezeichnete und die Situation im Gesundheitswesen damit pauschal skandalisierte. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass gerade diese hektische und laute Kritik Lö

sungswege im Krankenhaus verstellt, statt praktikable Lösungen zu ermöglichen.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Dabei sind wir alle daran interessiert, schnell die notwendigen Veränderungen anzuschieben.

Vor dem Hintergrund der kräftigen Worte direkt nach Urteilsverkündung ist der CDU-Antrag dann aber doch etwas sehr klein geraten; er fordert lediglich Abstimmungsprozesse ein, die bereits vor der Urteilsverkündung in Gang gekommen waren.

Ein Arzt im öffentlichen Dienst, der im Krankenhaus in Bereitschaft ist, dort unter Umständen auch schläft, verrichtet dort seine Arbeit. Er muss sich in Sekundenschnelle auf eine neue Situation einstellen. Das ist Arbeit und keine Ruhezeit. So hat der EuGH entschieden. Aber welche Konsequenzen sind aus diesem Urteil zu ziehen? Dazu muss erst einmal die Arbeitszeitgesetzgebung geändert werden. Dies geschieht heute im Bundestag.

Der von der Ministerin abgegebene Bericht zeigt auch eindeutig, dass dies auf Bundesebene geschehen muss, weil das Arbeitszeitgesetz ein Bundesgesetz ist. Das war - so glaube ich - nicht allen Mitgliedern der CDU bekannt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Was sind das denn für Unterstellungen?)

Wie bereits in der letzten Debatte zu dem Thema im Juli 2001 war und ist hier der Bundesgesetzgeber gefragt. Er ist zuständig. Das Urteil lässt nach Ansicht der Interessenvertretungen der Ärzte nur einen Schluss zu: die Einstellung vieler neuer zusätzlicher Ärzte. Nur so sei der hohe Standard deutscher Kliniken zu halten, meinen Sie.

Aber eines ist auch klar: Die Krankenkassen und damit die Beitragszahler könnten die anfallenden Mehrkosten einer solchen Lösung nicht bezahlen. Es gibt aber im Übrigen - das haben einige Kollegen vorher auch schon gesagt - zurzeit nicht so viele verfügbare Ärzte. Die Lösung kann also nicht nur in einer einfachen personellen Aufstockung liegen.

Aus unserer Sicht muss es zuerst darum gehen, den finanziellen Rahmen für die vorhandenen Ärzte zu verbessern. Die Krankenhäuser haben deshalb bereits in diesem Jahr zusätzliche Finanzmittel für nachgewiesene Verbesserungen der Arbeitszeitbedingungen bekommen. Es gibt hierzu auch verschiedenste Modelle.

(Silke Hinrichsen)

Eines der Modelle möchte ich hier auch noch einmal aufgreifen, nämlich mit Blick auf Hamburg. Der Hamburger Landesbetrieb Krankenhäuser hat bereits eine Vereinbarung, wonach Ärzte bis zu 48 Stunden in der Woche einschließlich, ihres Bereitschaftsdienstes, arbeiten können. Dieser wird voll abgegolten. Damit sind die Richtlinien des EuGH-Urteils erfüllt. Die meisten Ärzte nutzen diese Möglichkeit auch, wie es sich aus einem Zeitungsbericht des „Hamburger Abendblattes“ ergibt.

Ich sehe aber wenig Sinn darin, dass die Landesregierung jetzt in Verhandlungen mit der Bundesregierung eintritt, wie es die CDU vorschlägt. Stattdessen wäre es sicherlich sinnvoller, sich hier gemeinsam mit den Krankenhäusern die verschiedensten Arbeitszeitmodelle, die es in der Bundesrepublik schon gibt, genau anzusehen.

Der Bericht spiegelt nur die ersten Einschätzungen der Landesregierung zur Umsetzung des Urteils wider. Nach meiner Ansicht ist es richtig, dass es in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war, zunächst ganz genaue Informationen - wie sie der Kollege Kalinka gefordert hat - zu bekommen. Der Bericht zeigt aber ganz klar auf, wohin die Reise gehen muss. Der innere Aufbau, die Organisation und der Ablauf im Krankenhaus müssen verbessert werden und hierzu sind vor allen Dingen die Häuser selbst verpflichtet, das für sie optimale Arbeitszeitmodell zu finden. Ich denke, man muss die verschiedenen Modelle, die es gibt, für die verschiedenen Krankenhäuser genau prüfen, um zu sehen, welches für ihre Arbeit das Beste ist.