Protocol of the Session on September 26, 2003

(Zuruf von der CDU: Das ist berechtigt! - Werner Kalinka [CDU]: Vielleicht kann Frau Schümann dazu etwas sagen!)

- Es war berechtigt. Gut. - Um es gleich zu Beginn meiner Rede deutlich zu sagen: Wir Sozialdemokraten begrüßen dieses Urteil, und zwar insbesondere deshalb, weil nun endlich Klarheit über die Anerkennung der Bereitschaftsdienste geschaffen wurde.

(Veronika Kolb [FDP]: Machen die Gewerk- schaften mit?)

Dieses Urteil fordert die Kliniken auf, intelligente und kreative Arbeitszeitmodelle zu entwickeln. Der schwierige Teil des Kampfes - ich sage einmal: - im Haifischbecken der Gesundheitspolitik beginnt, wenn es jetzt heißt, den Urteilsspruch in die Krankenhauswirklichkeit umzusetzen. Allein schon die Tatsache, dass nach Berechnungen des Marburger Bundes mindestens 15.000 und nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft bis zu 27.000 neue Arztstellen und geschätzte 14.000 Stellen in der Pflege neu geschaffen werden müssen, wird die Belastungen im Gesundheitswesen um circa 2 Milliarden € erhöhen. Das bedeutet - das haben Experten ausgerechnet - eine Beitragserhöhung um cirka

0,3 Prozentpunkte. Und dies alles mitten in der Diskussion über die Gesundheitsstrukturreform.

Meine Damen und Herren, der Einzug der Stechuhr in die Krankenhäuser, wie der „Spiegel“ in seiner letzten Ausgabe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs kommentiert, wird auch Probleme beim handelnden Personal ergeben, bei den Stationsärzten zum Beispiel. Bei vielen wird die Umsetzung des Urteils auf Mindereinnahmen im Einkommensbereich hinauslaufen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist Unsinn!)

- Lesen Sie den „Spiegel“, Herr Kayenburg. Ich sage ja gar nicht, dass das die Weisheit ist. Aber dort werden wirklich gute Beispiele dafür genannt, was dies bedeutet. Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen.

(Werner Kalinka [CDU]: Wissen Sie, was ein Arzt im Praktikum heute verdient?)

Ich habe bereits in meiner Rede am 13. Juli 2001 auf diese Problematik hingewiesen, Herr Kalinka. Was übrigens Ihren Vorwurf des Nichtstuns an die Regierung angeht, erlaube ich mir, mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Protokoll zu zitieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aus welchem?)

- Vom 13. Juli 2001, Herr Kubicki. - Da sagt Herr Kalinka:

„Zeit zum Handeln. Wir als CDULandtagsfraktion haben einige Vorschläge unterbreitet, die allesamt das Ziel haben, die Überbelastung zu reduzieren.“

Das ist jetzt zwei Jahre her, meine Damen und Herren. Aber im Fachausschuss haben wir über so etwas nie gesprochen. Über Ihre Modelle, darüber, wie wir es schaffen, die Arbeitszeit zu reduzieren, haben wir nie diskutiert, Herr Kalinka.

(Werner Kalinka [CDU]: Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Sagen Sie hier gleich das Gegenteil. Ich bin bei allen Sitzungen dabei gewesen.

Herr Kalinka - -

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahner!

(Wortmeldung des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Nein, nein, Herr Kalinka, bleiben Sie sitzen!

Einen Moment, bitte. - Eine Zwischenfrage wird nicht zugelassen.

Es ist wie so oft, Herr Kalinka, heiße Luft.

(Thomas Stritzl [CDU]: Nicht so selbstkri- tisch! - Heiterkeit bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen die Umsetzung unter dem Aspekt neuer organisatorischer und wirtschaftlicher Abläufe in den Kliniken sehen. Sie bezweifeln auch die Notwendigkeit der Schaffung der erwähnten neuen Stellen. Ich bezweifle dies ebenso, zumindest in dieser Höhe. Als könnten wir, wie vorgeschlagen, Modelle der Städtischen Kliniken Ingolstadt oder der Landesbetriebskrankenhäuser in Hamburg so einfach kopieren! Das ist nicht möglich.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die beiden beteiligten Ministerien unter Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein schon heute über die Konsequenzen beraten. Staatssekretär Fischer hat am 15. September 2003 darauf hingewiesen.

Wie Sie sicherlich wissen, Herr Kalinka - die Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen -, hat die rot-grüne Koalition am 10. September 2003, nur wenige Tage nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, einen Änderungsantrag gefasst. Damit hätte sich eigentlich der eine Ihrer Anträge erledigt. Aber wir wollen ihn dennoch im Fachausschuss diskutieren. Ihren Antrag Drucksache 15/2894 werden wir ebenfalls an den Fachausschuss überweisen, um ihn zu beraten.

Meine Damen und Herren, ich denke mit dieser Art der Behandlung der beiden Anträge des Schutzpatrons des deutschen Krankenhauswesens, Werner Kalinka,

(Beifall bei CDU und FDP)

haben SPD und Grüne deutlich gemacht, dass sie sich der Sache annehmen, dass sie sich der Bedeutung bewusst sind, dass sie aber auch die Grenzen des Landesparlamentes sehen und im Übrigen volles Vertrauen in die Handlungsweise des schleswig-holsteinischen Fachministeriums haben.

(Beifall bei der SPD)

Der vorliegende Bericht ist ein eindrucksvoller Beweis dafür.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Kolb das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den vorgelegten Bericht möchte ich nicht näher eingehen. Dazu ist vieles und auch vieles Richtige schon gesagt worden. Eingehen möchte ich jedoch auf die Entscheidung des EuGH vom 9. September 2003, steht doch jetzt fest, dass die bisherige Regelung zum Bereitschaftsdienst geändert werden muss. Aber welche Auswirkungen hat dies auf die Praxis in den Krankenhäusern, in den Pflegediensten, Altenheimen, Rettungsdiensten, Feuerwehren und so weiter? Ich möchte nur drei Gesichtspunkte aufzeigen.

Erstens. Den Einrichtungen selbst, insbesondere den Krankenhäusern, drohen bei gedeckeltem Budget hohe finanzielle Zusatzbelastungen und insbesondere die Situation, dass nicht genügend Personal zu bekommen ist. Ich will einmal verdeutlichen, was dies für ein einzelnes Haus bedeutet. Alleine das Westküstenklinikum in Heide mit 596 Betten hat einen zusätzlichen Bedarf von 30 Ärzten und damit Mehrkosten von rund 2 Millionen € pro Jahr errechnet. Die Mehrkosten für das Pflegepersonal sind bislang noch nicht errechnet worden. Auch diese Zahlen würden eine deutliche Sprache sprechen. Wie diese Auswirkungen landesweit kostenneutral umgesetzt werden sollen, konnte deshalb bisher weder vom vorgelegten Bericht noch von der Bundesgesundheitsministerin schlüssig erklärt werden.

Zweitens. Nicht nur den Ärzten, sondern natürlich auch dem übrigen Personal in den Krankenhäusern, Altenheimen, Rettungsdiensten und so weiter, drohen durch die notwendigen Änderungen der Arbeitszeit finanzielle Einbußen. Bisher haben die betroffenen Mediziner bei ihrem doch sehr dürftigen Gehalt zumindest durch die steuerlich vorteilhaften Überstundenzuschläge der Bereitschaftsdienste profitiert. Diese machen mittlerweile einen erheblichen Anteil ihres Einkommens aus, zumal der BAT keine Leistungszulagen kennt. In der Vergangenheit sind in vielen Krankenhäusern neue Arbeitszeitmodelle gescheitert, weil gerade hier kein Ausgleich für die Einkommensverluste gefunden worden ist.

Ich appelliere deshalb an die Tarifparteien, durch entsprechende Hausverträge, die für das Überleben

(Veronika Kolb)

vieler Häuser erforderlich sind, neue Regelungen zu finden, um diesem Problem zu begegnen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Werner Kalinka [CDU] und Rainer Wiegard [CDU])

Ein weiterer und sehr gewichtiger Grund dafür, dass Arbeitszeitmodelle bisher gescheitert sind, liegt darin, dass die Arbeit in Schichten und mit unterschiedlichen Arbeitsbelastungen und unattraktiven Arbeitszeiten organisiert werden musste.

Was bedeutet das für das Personal? Es wird für den Arbeitsnehmer im schlimmsten Fall ein 3-SchichtBetrieb eingeführt, bei dem sich für ihn nach einer achtstündigen Unterbrechung eine weitere 8-StundenSchicht anschließt.

Drittens. Ich freue mich natürlich, dass aufgrund der Arbeitszeitänderung der Anspruch festgeschrieben werden soll, Patienten künftig nicht mehr von übermüdeten Medizinern behandeln zu lassen. Was bedeutet diese Neuregelung jedoch für den Patienten? Er muss damit rechnen, in einem 8-Stunden-Takt von drei verschiedenen Ärzten und von entsprechend unterschiedlichem Pflegepersonal behandelt zu werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kann auch gut sein!)

- Das kann auch gut sein? - Das ist aber nicht zwingend so.

Selbst die intelligentesten Arbeitszeitmodelle können nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade im Bereich der Krankenhausversorgung mehr Ärzte benötigt werden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Nach den Berechnungen des Marburger Bundes - das hat der Kollege Jahner bereits gesagt - werden mindestens 15.000 Ärzte zusätzlich benötigt. Die haben wir nicht.

Viele Kliniken können freie Stellen gar nicht erst besetzen, selbst wenn sie es wollten. Bereits heute sind rund 4.800 Stellen in den Krankenhäusern vakant und schieben die Klinikärzte bundesweit rund 50 Millionen Überstunden ohne Freizeitausgleich und auch ohne Bezahlung vor sich her. Alltag ist, dass Headhunter in Polen unterwegs sind und dort nach Ärzten suchen. Selbst dort werden sie heute schon knapp.

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