Protocol of the Session on September 26, 2003

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2895

Das Wort zur Begründung, sehe ich, wird nicht gewünscht. Dann erteile ich der Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich vertrete auch zu diesem Tagesordnungspunkt die Sozialministerin. Auch hier gibt es - wie gestern - wegen der Zuständigkeit für die Universitätsklinika Berührungspunkte zu meinem Ressort

Wir haben Ihnen einen schriftlichen Bericht zugeleitet. Das gibt allemal mehr Möglichkeiten zur Information als ein fünfminütiger Redebeitrag. Lassen Sie mich dennoch hier kurz die Grundzüge des Berichts darstellen.

Mit der Entscheidung des EuGH vom 9. September 2003 wird - das war keineswegs überraschend - festgestellt, dass die Praxis der Bereitschaftsdienste nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz in einigen Punkten

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

nicht den Anforderungen der europäischen Arbeitszeitrichtlinie entspricht. Klar ist nun: Bereitschaftsdienst in Form von persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus stellt in vollem Umfang Arbeitszeit im Sinne der EU-Arbeitszeitrichtlinie dar.

Sie alle wissen aus den Berichten der Landesregierung in der letzten Zeit hierzu, dass es jenseits der politischen Diskussion um das Thema auch zahlreiche gegenläufige Gerichtsentscheidungen deutscher Arbeitsgerichte dazu gegeben hat. Die Entscheidung des EuGH ist deshalb nicht nur aus Gründen der Rechtsklarheit und der Planungssicherheit, sondern auch im Interesse des Arbeitsschutzes und im Interesse des Patientenschutzes zu begrüßen.

Nunmehr ist der Bundesgesetzgeber gefordert, das deutsche Arbeitszeitgesetz entsprechend anzupassen. Dafür ist das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Bundes zuständig. Es wird dies auch bis zum 1. Januar 2004 vollziehen. Eine Initiative der Mehrheitsfraktion liegt dem Bundestag vor und soll, wenn ich das richtig weiß, bereits heute auf den Weg gebracht werden. Einer Initiative im Bundesrat durch die Landesregierung bedarf es zum Glück nicht. Das konnten Sie bei Ihrer Antragstellung vielleicht noch nicht wissen. Im Bundestag ist bereits eine entsprechende Ergänzung des Arbeitszeitgesetzes auf den Weg gebracht. Im Bundesrat wird das sicherlich beraten werden.

Die Krankenhausträger haben Gewissheit darüber, dass es - vereinfacht gesagt - nicht mehr so sein kann wie bisher, bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Nun müssen sich die Tarifpartner zusammensetzen, um das neue Arbeitszeitgesetz für den Dienst in den Krankenhäusern, aber auch in anderen Dienstleistungsbereichen - davon ist öffentlich bereits die Rede gewesen - auszufüllen, etwa bei der Feuerwehr und anderen Diensten.

Aus dem Bericht der Landesregierung wird deutlich, dass die Bundesregierung im Vorfeld schon Vorkehrungen zur dringend notwendigen Entlastung der Krankenhäuser und der Krankenhausträger getroffen hat. Den Krankenhäusern werden im Rahmen der Gesundheitsreform jährlich zusätzlich 100 Millionen € zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, für sieben Jahre stehen 700 Millionen € zur Verfügung, um die Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen mitzufinanzieren. Die Landesregierung wird sehr genau beobachten, ob es die auf Bundesebene bereits getroffenen und die gesetzlich vorgesehen Verbesserungen durch Anpassung der Bundespflegesatzverordnung im Rahmen der Gesundheitsreform den Krankenhäusern auch wirklich ermöglichen, die neuen Regelungen des Arbeitszeitrechts einzuhalten.

Ziel muss es sein, dass es mit der Novelle des Arbeitszeitgesetzes zu verträglichen Arbeitszeitmodellen in den Krankenhäusern und gegebenenfalls in anderen betroffenen Bereichen kommt. Im Klartext heißt das: Es müssen Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, die dem Luxemburger Urteil gerecht werden, ohne dass sie die Personalkosten erhöhen. Das ist sozusagen die Aufgabe, die geleistet werden muss. Insbesondere die Krankenhäuser, aber auch die Tarifpartner können wir bei allen Bedenken und Hinweisen zu organisatorischem Aufwand, zu Kosten, zu Konsequenzen nicht aus der Pflicht entlassen. Sie sind diejenigen, die Mitverantwortung tragen. Die Krankenhauslandschaft in Schleswig-Holstein wird - da bin ich mir sicher - sich - wie auch in der Vergangenheit - den erforderlichen Neuordnungen nicht entziehen.

Weil Sie eben dazwischen gefragt haben: Wie denn?, verweise ich Sie auf einen langen Bericht in der „FAZ“ dazu, der vor Fällung des EuGH-Urteils veröffentlich worden ist, in dem eine Reihe von Beispielen für gute, für neue, für flexible Lösungen genannt sind, die einerseits die Versorgungsqualität sicherstellen, das heißt, dem Wohl der Patienten dienen, und andererseits den Interessen der Krankenhausärzte entsprechen.

In diesem Sinne habe ich die Bitte des Landtages erfüllt. An den weiteren Beratungen wird sich die Landesregierung beteiligen. Es ist sicherlich angemessen, dem Sozialausschuss in Kürze über den Fortgang der Dinge im Land zu berichten.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kalinka.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein wichtiges Thema, über das wir uns unterhalten. Es gibt ein Aufatmen bei Ärzten und Patienten nach der jahrelangen Verunsicherung über die Mehrbelastung, die in Krankenhäusern geherrscht hat. Ich finde es allmählich ein bisschen mehr als betrüblich, durch welche Lehre die Regierungsvertreter auf der Regierungsbank auch heute wieder glänzen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das zeigt die Be- deutung des Parlaments!)

(Werner Kalinka)

Es ist fast nicht mehr anzuschauen, wie diese Regierung in diesem Haus bei Themen, die die Menschen draußen berühren, präsent ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Probleme, über die wir uns hier unterhalten, waren absehbar. Wir als CDU haben im Juni 2001 einen detaillierten Antrag vorgelegt. Sie vonseiten der Regierung haben nichts, aber auch gar nichts getan, um sich bei diesem Thema zu engagieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Sie können nicht mehr sagen, dass das Probleme seien, die auf Sie zugekommen seien. Im Gegenteil, wir haben Sie im Parlament auf die Dringlichkeit und die Notwendigkeit des Handelns aufmerksam gemacht.

Ich bin der festen Überzeugung: Es hätte zu dieser Klage mit dieser Tragweite nicht kommen müssen, wenn mit dem Marburger Bund und anderen rechtzeitig gesprochen worden wäre und man zu vernünftigen Übergangslösungen gekommen wäre.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dann hätten wir uns viele Kosten und Probleme, die jetzt auf uns zukommen, ersparen können. Das Thema bezieht sich nicht nur auf Ärzte. Auch andere Berufsgruppen werden nachziehen.

(Veronika Kolb [FDP]: Richtig!)

Die Problematik wird sich ausdehnen.

Der Bericht, den Sie vonseiten der Regierung vorgelegt haben, ist einfach nur dünn und dürftig. Es steht rein gar nichts drin. Sie machen keine Vorschläge. Sie können nicht einmal darlegen, dass Sie in den Krankenhäusern nachgefragt haben. Sie sagen, der Zeitraum sei zu kurz gewesen. Ja, reagieren Sie denn nur dann, wenn wir Ihnen Fragen stellen, oder tun Sie zu solchen Themen auch etwas von sich aus?

(Beifall bei CDU und FDP - Jutta Schümann [SPD]: Das bezieht sich doch auf das Urteil!)

In dem Bericht steht, man versuche, das Problem jetzt in Grenzen zu halten. Schadensbegrenzung ist angesagt. Wer in diesem Land regieren will, darf keine Schadensbegrenzung machen, sondern muss Vorschläge dazu machen, wie er die Probleme lösen will.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf der Ab- geordneten Jutta Schümann [SPD])

Es kommt folgender Punkt dazu, der besonders bedeutsam ist. Die Entwicklung des Gesundheitsstandorts Schleswig-Holstein ist in der Tat von großer Wichtigkeit.

(Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Diese Entscheidung, die bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, hat seinen Ursprung mit im Land Schleswig-Holstein. Der Imageschaden, den Sie diesem Land damit zugefügt haben, kann man in dieser Diskussion gar nicht hoch genug ansetzen. Das muss man ganz deutlich sagen.

(Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

- Ach, Frau Kollegin Schümann, Sie haben in zweieinhalb Jahren nichts gebacken bekommen und können nun nur durch Zwischenrufe glänzen, die mit der Lage nichts zu tun haben. Das ist die wahre Situation.

(Beifall bei CDU und FDP - Wolfgang Baasch [SPD]: Unglaublich!)

Die Landesregierung sollte schleunigst Vorschläge machen, in welcher Form Arbeitszeitmodelle umgesetzt werden können. Die Landesregierung sollte die Klinikkonferenzen zusammenrufen, um dort offensiv eine Vorreiter- oder Moderatorenrolle zu übernehmen. Die Problematik kommt in Kürze auf alle zu. Die Frist zur Umsetzung ist kurz. Die Regierung sollte schon sagen, wie sie sich in einer moderierenden, begleitenden Rolle einsetzen will. Zu alledem findet man in dem Bericht keinen einzigen Vorschlag. Es ist nichts da. Nicht ein einziger Vorschlag.

(Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Frau Ministerin, Sie haben die Vorsorge angesprochen. Die jährliche Umsetzung kostet nach den Schätzungen in diesem Bericht im Land 24 Millionen bis 26 Millionen €. Nur 3 Millionen kommen aus dem 100-Millionen-Topf, der bei der Gesundheitsreform verabschiedet worden ist. Daran können Sie ermessen, welche Vorsorge getroffen worden ist, nämlich kaum eine. Von nun an werden ganz deutliche Mehrkosten auf die Krankenhausträger, auf die Kliniken und auf die Versichertengemeinschaft zukommen.

Dies sind einige der Punkte, bei denen wir uns gewünscht hätten, dass Sie der großen Verantwortung, die im Umgang mit diesem Urteil geboten ist, stärker Rechnung trügen. Ein Punkt kommt hinzu, den wir alle in besonderer Weise betrachten müssen: Selbst wenn die Planstellen finanziert werden könnten, würden, fürchte ich, nicht genügend Klinikärzte zur Verfügung stehen. Wir stehen vor dem akuten Problem, dass es in diesem Land zu wenig Ärzte gibt. In dieser Situation wollen Sie noch Medizinstudienplätze

(Werner Kalinka)

kürzen. Meine Damen und Herren, das passt von hinten bis vorn nicht!

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei der CDU)

Eine Landesregierung, die bei einem so ernsten Thema, bei dem es um das Wohl der Patienten, um die Versorgung mit Ärzten, um die Krankenhauslandschaft, um den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein geht, so wenig zu bieten hat, sollte zumindest für die letzten 18 Monate ihrer Amtszeit noch einmal in sich gehen und nachdenken.

(Beifall bei CDU und FDP - Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie sollte lieber etwas tun, als in sich zu gehen!)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Jahner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kalinka, ich habe wirklich bis eben geglaubt, das wäre einmal ein Thema, bei dem Sie nicht vor Aufregung den berühmten dicken Hals bekommen. Aber es war wieder so.

(Zuruf von der CDU: Das ist berechtigt! - Werner Kalinka [CDU]: Vielleicht kann Frau Schümann dazu etwas sagen!)