Protocol of the Session on September 26, 2003

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten war die Lage auf dem Ausbildungsmarkt so angespannt wie dieses Jahr. Auch in Schleswig-Holstein stehen wir vor dem Problem, dass wir in den kommenden Jahren wegen der geburtenstarken Jahrgänge mehr Ausbildungsplatz Suchende haben werden, aber die gesamte Wirtschaft gleichzeitig immer weniger Ausbildungsplätze anbietet oder auch zur Verfügung stellen kann. Dies hat die Landesregierung bereits im April erkannt und hat in Abstimmung mit der Wirtschaft, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Arbeitsverwaltung das Sofortprogramm für mehr Ausbildung und Qualifizierung in Schleswig-Holstein aufgelegt.

Kernpunkt dieses Programms ist der erheblich verstärkte Einsatz von Ausbildungsplatzaquisiteuren, die in den Betrieben für mehr Lehrstellen werben und gleichzeitig geeignete Bewerber und Bewerberinnen vermitteln, also alles in einer Hand. Insgesamt umfasst das Programm 13 Module, die noch dieses Jahr mit einem Aufwand von 3,3 Millionen € 2.100 Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze schaffen sollen. Das Sofortprogramm, das erst einmal drei Jahre laufen soll, ergänzt auch die Maßnahmen der Bundesregierung und des Schleswig-Holsteinischen Bündnisses für Ausbildung. Nach einer Zwischenbilanz der Landesregierung konnten bereits über 1.900 zusätzliche Plätze und Angebote bewilligt oder bereitgestellt werden.

Der SSW begrüßt den großen gemeinsamen Einsatz aller Beteiligten in Schleswig-Holstein, um die Ausbildungsmisere zu bekämpfen. Wir sind der Auffassung, dass die Landesregierung und hier insbesondere Wirtschaftsminister Rohwer sehr schnell und effizient gehandelt hat und im Rahmen des Sofortprogramms auf einem guten Weg ist. Auch viele Unternehmen haben trotz der schwierigen Rahmenbedingungen weitere Ausbildungsplätze, in vielen Fällen über den Eigenbedarf hinaus, bereitgestellt. Diesen Firmen gilt selbstverständlich unser besonderer Dank. Dennoch, es wird langfristig nicht ausreichen, jedes Jahr an die Unternehmen zu appellieren, noch mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Sie können es einfach nicht. Auch wenn das Sofortprogramm der Landesregierung erste Früchte trägt, müssen wir uns im Landtag vor dem Hintergrund der kommenden geburtenstarken Jahrgänge damit auseinandersetzen, wie wir die Ausbildungssituation in den nächsten Jahren verbessern können. Die Bundesregierung hat

(Lars Harms)

damit gedroht, Betriebe, die nicht ausbilden, mit einer Abgabe zu bestrafen. Um es klar zu sagen, der SSW hält wenig von einer Ausbildungsabgabe.

(Beifall bei SSW und FDP sowie vereinzelt bei der CDU)

Eine Bestrafung dieser Unternehmen macht zum einen keinen Sinn, weil es durchaus betriebsinterne Gründe geben kann, nicht oder weniger auszubilden. Zum anderen besteht die große Gefahr, dass viele Unternehmen lieber die Abgabe bezahlen, weil es bequemer ist, als Auszubildende in den Betriebsablauf zu integrieren.

(Beifall bei SSW und FDP sowie vereinzelt bei der CDU)

Wir können uns daher eher vorstellen, dass man die Unternehmen, die viel ausbilden, durch steuerliche Anreize für Ausbildungsbetriebe belohnt. Zuckerbrot ist in dieser Frage besser als die Peitsche.

Aber auch diese steuerlichen Maßnahmen werden uns nicht wirklich voranbringen, wenn wir nicht endlich das duale Ausbildungssystem grundlegend reformieren. Der SSW hat dieses Thema im Landtag schon oft angesprochen. Das duale System, das viele Jahre wirklich vorbildlich war, hat sich aus internationaler Sicht eigentlich schon überlebt. Wir müssen die starren Ausbildungsformen des dualen Systems mit ihrer dreijährigen Grundausbildung aufbrechen. Wir müssen modulorientierte Ausbildung anbieten, die viel stärker als heute eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieben beinhaltet. Auch die außerbetriebliche Berufsbildung muss verbessert werden.

Wir glauben, dass wir mit einer so reformierten Berufsausbildung und steuerlichen Anreizen auch langfristig die Unternehmen wieder dazu bringen werden, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Die Landesregierung hat kurzfristig vorbildlich eingegriffen. Wir müssen uns nun weiter über langfristige Lösungen Gedanken machen, denn die Situation wird in den nächsten Jahren noch schwieriger.

Ich nenne jetzt auch die Stichworte, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht nur auf der Tagesordnung sind, sondern die wir zu lösen haben. Da spielt vor allem die Reformierung der Handwerksordnung eine riesige Rolle. Es ist keine Bedrohung, etwa den Meisterbetrieb abzuschaffen. Ausbildung wird weiterhin möglich sein, sie wird leichter möglich sein, weil es viel, viel mehr kleine Betriebe geben wird, von denen wir eben gehört haben, dass gerade die besonders ausbildungswillig sind. Warum soll ein Geselle dazu nicht in der Lage sein? Er wird das auch

schaffen, wird ein Interesse daran haben. Deswegen ist eine Reformierung der Handwerksordnung dringend notwendig. Das andere ist eben, dass wir unser starres Ausbildungssystem ändern, dass wir das duale System, ich will nicht sagen abschaffen, aber verbessern. Verbessern bedeutet, wie der Kollege Hentschel eben sagte, ein modulares System, das Zwischenschritte anerkennt, das Möglichkeiten schafft, dass man sich auch noch nach drei oder vier Jahren weiterbilden kann und nicht im ausbildungspolitischen Abseits steht, sondern im lebenslangen Lernen Auszubildende eine Chance haben, weiter am Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein.

(Beifall beim SSW)

Mir liegen noch einige Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung vor. Zunächst hat Frau Abgeordnete Eisenberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ansatz, der hier genannt worden ist, nämlich die Modularisierung der Ausbildung, ist ein Ansatz, den wir durchaus richtig finden. Ich sage Ihnen nur, dass wir vor zwei oder drei Jahren einen Antrag in diese Richtung gestellt haben, den die Herrschaften von der linken Seite konsequent abgelehnt haben. Dies geschah in Verbindung mit der Tatsache, dass die Gewerkschaften, die an der Ausbildungsordnung mitarbeiten, mit Sicherheit der Modularisierung - jedenfalls bisher - nicht zugestimmt haben. Wir haben hier also eine Blockadepolitik von einer Seite, die uns zukünftig mit Sicherheit nicht weiterführen wird.

Jede Lehrstelle ist besser als jede ausbildungsvorbereitende Maßnahme. Ausbildungsvorbereitende Maßnahmen sind eigentlich - wenn wir ehrlich sind - Reparaturbetriebe, die die Ausbildungsfähigkeit unserer Jugendlichen erst herstellen und sie in die Lage versetzen sollen, auch Abschlüsse nachzuholen, die sie bisher an den allgemein bildenden Schulen nicht haben erlangen können und die die allgemein bildenden Schulen nicht geleistet haben.

Am 17. September 2003 hatten wir gerade eine öffentliche Veranstaltung zu diesem Thema: Ausbildungsvorbereitendes Jahr, Berufsgrundbildungsjahr. Wir haben Sie dazu eingeladen. Leider sind Sie nicht gekommen. Ich kann Ihnen nur sagen, die Berufsschulen bemühen sich in vielfältiger Form, den Ansprüchen gerecht zu werden, um den Jugendlichen sowohl einen Abschluss zu verschaffen als auch sie auf die Ausbildung vorzubereiten. Daher gilt mein

(Sylvia Eisenberg)

Dank besonders den Berufsschulen. Sie entwickeln jetzt schon in den Regionen ganz spezielle - auf die Regionen abgestimmte - Konzepte. Es tut mir Leid, wenn ich die alte Leier wieder bringen muss, aber es fehlt Ihnen an Ressourcen.

Herr Wirtschaftsminister, Sie haben festgestellt, dass die ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen - vor allem das AVJ - in den letzten drei Jahren um 22 % gestiegen seien. Ich frage mich, wie die Berufsschulen diese ausbildungsvorbereitenden Jahre und Maßnahmen bei gleichen Ressourcen, die sie haben, leisten können. Das geht nur zulasten der Maßnahmen und der schulischen Ausbildung im dualen System. Das ist das, was die Berufsschulen beklagen. Das kann so nicht weitergehen. Deshalb denke ich, es ist notwendig, auch in Zusammenarbeit zwischen Bildungs- und Wirtschaftsministerium Ressourcen zu schaffen, um die ausbildungsvorbereitenden Jahre wirklich mit Erfolg zu Ende zu führen und die Maßnahmen nicht zulasten der schulischen Ausbildung im dualen System gehen zu lassen. Das ist eine Aufgabe des Ministeriums.

Eine zweite Aufgabe des Ministeriums wäre diese: Es ist festgestellt worden, dass es notwendig ist, ein Forum herzustellen, auf dem die ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen, die die einzelnen Schulen in Eigenarbeit erarbeiten, in unterschiedlicher Art und Weise auch dokumentiert werden können, damit nicht jede Schule wieder eine ausbildungsvorbereitende Maßnahme für sich allein erfinden muss.

Meine Zeit ist um. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass sowohl die Handwerkskammer als auch die IHK grundsätzlich immer wieder eine Reform des Schulwesens anmahnen, vor allen Dingen im Rahmen der Hauptschule. Sie fordern die Herstellung von faktischen Vorgaben bezogen auf Deutsch und Mathe, um die Schüler entsprechend auf eine Ausbildung vorbereiten zu können.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Das wird zurzeit nicht geleistet. Wenn das weiterhin ein Manko ist, dann sehe ich keine Chance für Jugendliche, tatsächlich vermehrt einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Benker das Wort.

Frau Präsidentin! Ein paar Bemerkungen: Herr Geerdts, wir haben zuletzt am 12. September 2003 in Berlin eine bundesweite Konferenz aller handwerkspolitischer Sprecher gehabt, um die von uns allen gemeinsam verabschiedete Resolution durchzusetzen. Das sage ich, weil Sie sagen, wir sprechen nicht mit unseren Bundestagsabgeordneten.

Der zweite Punkt ist der: Wenn Sie hier die Änderung der Handwerksordnung geißeln, dann darf ich noch einmal im Zusammenhang mit der Diskussion um die Handwerksordnung daran erinnern, dass es hier nicht darum geht, Meisterbriefe abzuschaffen. Es geht darum, die Handwerksordnung europafest zu machen. Wir haben im Moment eine Inländerdiskriminierung. Inländer haben, was die Zulassung zu Betrieben angeht, eine Benachteiligung im Gegensatz zu Ausländern. Das ist der entscheidende Punkt, der dahinter steht.

Zum dritten Punkt: Der Begriff Ausbildungsplatzabgabe irritiert. Herr Harms hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es im Grunde genommen eine Nichtausbildungsplatzabgabe ist, ähnlich der Ausgleichsabgabe bei den Schwerbehinderten. Das ist das Entscheidende. Wir sind nach wie vor gegen ein solches Malussystem. Ein Bonussystem wäre - wenn überhaupt - sinnvoller. Noch sinnvoller wäre es, wenn wir Lösungen fänden; wenn wir die Verantwortlichen - und das ist nicht immer die Politik - dazu bringen könnten, Ausbildungsgänge für praktisch Begabte zu schaffen. Das hat auch Herr Jacobs gesagt.

Herr Eichelberg und ich waren gestern bei den freien Berufen. Darüber hinaus hatte ich im Rahmen der Nordkonferenz ein Gespräch mit dem Handwerkskammerpräsidenten. Dabei haben wir daran erinnert, dass die Handwerksausbildung immer noch eine Beschränkung hat. Eine neue Ausbildungsordnung ist in der Auseinandersetzung immer noch nicht umgesetzt worden. Das hat dazu geführt, dass die freien Berufe von sich aus einen Vorschlag gemacht haben, auch dort verkürzte Ausbildungsgänge zu kreieren, um das einmal zu sagen. Herr Eichelberg und ich - ich darf das vielleicht sagen - haben am Rande vereinbart, dass wir dazu eine gemeinsame Initiative aus der Sicht Schleswig-Holsteins starten wollen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein entscheidender Punkt, dass nicht immer nur die Politik verantwortlich ist. Betroffene sind die Tarifparteien. Wenn immer gesagt wird, die Gewerkschaften seien dagegen, dann stimmt das nicht. Wir sollten dafür sorgen, dass wir zu einer eindeutigen Aussage aus Schleswig-Holstein kommen, nämlich

(Hermann Benker)

dass auch der DGB und die Einzelgewerkschaften dafür sind, ein unter Umständen auch modulares Ausbildungssystem - in jedem Fall aber neue und verkürzte Ausbildungsgänge - zu schaffen. Ich halte eine gemeinsame Initiative wert, sich dafür einzusetzen. Man kann die Ausbildungssituation nicht beklagen und wechselseitig mit dem Finger aufeinander zeigen. Lassen Sie uns diese gemeinsame Initiative für Ausbildungsgänge für praktisch Begabte beginnen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Behm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass Minister Rohwer aufmerksam zuhört. Ich wollte mit wenigen Sätzen noch einen Appell an ihn richten, weil er den richtigen Satz an der richtigen Stelle gesagt hat. Er sagte nämlich: Jeder, der es will, jeder, der es kann, soll in unserem Land einen Ausbildungsplatz bekommen. Hier sitzt die Crux: Mancher kann dem Meister oder dem Ausbilder nicht versprechen, dass er die Vorbefähigung - also die Qualifikation - hat, eine Ausbildung anzutreten. Deshalb stoße ich in das Horn, das hier von mehreren schon geblasen wurde, nämlich dass wir eine modulare Ausbildung anstreben müssen, die auch eine abgestufte Qualifizierung zulässt.

Mein Kollege Ekkehard Klug hat es gesagt: Wenn gefordert wird, die Ausbildungsqualifikation durch die Schulen zu verbessern, so ist das natürlich zu fordern. Wir wissen aber auch, dass einige Jugendliche nicht in der Lage und manchmal auch nicht Willens sind, diese Qualifikation zu erreichen. Sie wollen ins Berufsleben und arbeiten, haben aber nicht die Qualifikation für einen Abschluss oder sie versprechen nicht, einen Abschluss zu bekommen. Deshalb sind abgestufte Ausbildungen anzustreben. Ich kann das, was im Saal festgestellt wurde, wiederholen: Sowohl die Innungen als auch die Gewerkschaften sind dieser Forderung bisher mit langen Fingern begegnet. Sie wollten das nicht, um die Berufe in ihrer Qualifikation und ihrem Ansehen nicht zu schädigen. Es wird aber einfach notwendig sein.

Ein abschließender Gedanke von mir dazu: Es ist doch immer schon so gewesen, dass ein bestimmter kleiner Prozentsatz von Schulabgängern nicht in der Lage war, eine Berufsausbildung so anzutreten, dass Aussicht bestand, diese zu beschließen. Ich denke, da

sind wir fraktionsübergreifend einer Meinung. Ich betone es ausdrücklich, dass das, was der Abgeordnete Jacobs hier vorgeschlagen hat, als letzte Möglichkeit eine Ausbildungsplatzabgabe anzudrohen, von uns ausdrücklich abgelehnt wird.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Mit diesem Antrag war ein Bericht angefordert worden. Der Bericht ist gegeben und diskutiert worden. Ein weiterer Antrag liegt mir nicht vor.

Ich schlage vor, dass der Bericht zur Kenntnis genommen wird. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so geschehen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 und 23 auf:

Gemeinsame Beratung

a) EuGH-Urteil/Arbeitszeiten in Krankenhäusern

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2894

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/2930

b) EuGH-Urteil zu Arbeitszeiten (Bereitschafts- diensten) in Krankenhäusern

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2895