Protocol of the Session on September 25, 2003

Diese Kriterien hat der Arbeits- und Wirtschaftsminister Bernd Rohwer vorgegeben. Ich denke, diese Neuausrichtung kann sich sehen lassen und wird eine positive Wirkung erzielen können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Baasch, zunächst einmal möchte ich festhalten, dass es aus unserer Sicht insbesondere unsozial ist, dass immer weniger Eltern die Chance haben, eine Arbeit zu finden. Dies trifft besonders die von dir erwähnten Kinder.

(Beifall bei der FDP)

Aus unserer Sicht ist vor allem der eigene sichere Arbeitsplatz sozial. Deshalb muss es darum gehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass möglichst viele Männer und Frauen in der Zukunft wieder einen sicheren Arbeitsplatz haben.

Liebe Kolleginnen, lieber Kollege vom SSW, ich habe mich über Ihren Antrag außerordentlich gefreut. Deswegen war ich ein wenig erstaunt, dass er dann im gemeinsamen Antrag mit SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufgegangen ist. Ich finde das ausgesprochen schade. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Über Ihren Antrag gefreut habe ich mich, weil es wenig Sinn macht, wenn die meisten der im Bundestag vertretenen Parteien bei der Altersvorsorge zu Recht Eigenvorsorge predigen, die angesparte Altersvorsorge jedoch für den Fall, dass das Arbeitslosengeld II eintritt, vorzeitig verfrühstückt werden soll, sodass man im Alter auf Sozialhilfe angewiesen ist. Das hat vergleichsweise wenig Sinn. Deswegen

ist es richtig, dass Sie das Problem aufgegriffen haben.

Etwas merkwürdig an dem gemeinsamen Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem Sie sich angeschlossen haben, sind die Ziffern 3, 4, 5 und 6. Ich will kurz etwas dazu sagen, lieber Wolfgang Baasch. In dem Antrag wird die Landesregierung unter Punkt 3 aufgefordert, Folgendes umzusetzen:

„Es soll aktive Arbeitsmarktpolitik gefördert werden,

- die durch präventive Maßnahmen weniger Arbeitslosigkeit entstehen lässt

- die überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffene Gruppen - Jugendliche, arbeitslose Frauen, ältere Arbeitnehmer - gezielt unterstützt…“

Ich will einmal fragen: Was ist eigentlich im Rahmen von ASH I, II, III und ASH 2001 bislang getan worden, wenn nicht genau das? Wenn im Rahmen von ASH bislang nichts erreicht worden wäre, dann könnte ich diesen Punkt noch verstehen. Aber wenn ASH so erfolgreich ist, wie Sie es hier immer erzählen, dann verstehe ich diesen Punkt offen gestanden überhaupt nicht.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen habe ich die Pressekonferenz von Wirtschaftsminister Rohwer völlig anders verstanden. Ich habe diese Pressekonferenz nämlich als zweitklassige Beerdigung von ASH angesehen. Mag sein, dass Sie das anders sehen.

Ein Wort, lieber Wolfgang Baasch - das haben Sie selbst angesprochen -, zu dem Grundsatz des Förderns und Forderns. Das ist bereits im Gesetz festgeschrieben. Das finden Sie in den §§ 18 bis 20 und 25 des Bundessozialhilfegesetzes. Bereits heute kann der Leistungsanspruch um bis zu 25 % reduziert werden, wenn Sozialhilfeempfänger eine zumutbare Arbeit nicht annehmen. Was bis heute fehlt, ist allein die konsequente Umsetzung vor Ort.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Dann freue ich mich immer, wenn die kommunale Kompetenz bei der Arbeitsvermittlung und bei der Zusammenführung von Leistungen entdeckt wird. Ich möchte daran erinnern, dass die FDP-Fraktion vor etwa einem Jahr hier in diesem Landtag einen Vorschlag zur Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit eingebracht hat, der genau dies als Kernforderung enthielt. Dieser Vorschlag zur Neustrukturierung ist von allen Fraktionen dieses Hauses - außer der

(Dr. Heiner Garg)

FDP-Fraktion - zerrissen worden. Da war von Kahlschlag die Rede. Da war die Rede davon, dass wir ein bewährtes Instrument, nämlich die BA, zerschlagen wollten. Die Einzige, die gesagt hat, das sei genau der richtige Ansatz, war Arbeitsministerin Heide Moser. Frau Moser hat gesagt, wir müssten uns nur noch über die Finanzierung unseres Vorschlags im Arbeits- und Sozialausschuss unterhalten. Das wollten Sie aber nicht. Sie haben das irgendwo in eine Anhörung gepackt und dann versandete der Antrag irgendwo.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!)

Es freut mich natürlich, meine Damen und Herren, dass Sie das jetzt wieder entdecken; denn wer sich jetzt vor allem auf die Vermittlung von Arbeitslosen durch eine Neuorganisation der Bundesanstalt für Arbeit beschränkt, der darf sich nicht wundern, dass dieser Versuch fehlschlägt; denn er muss fehlschlagen, solange keine neuen Jobs und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wer sich auf eine Behördenstruktur verlässt, die in 181 Arbeitsämtern und 660 Geschäftsstellen 93.000 Mitarbeiter beschäftigt, von denen bis heute 8.900 mit der originären Vermittlung von Arbeitsuchenden befasst sind, der darf sich ebenfalls nicht wundern, wenn dieser Behörde als notwendigem Reformbeitrag nichts anderes einfällt, als die Neueinstellung von 12.000 Beamtinnen und Beamten zu fordern. Ausgerechnet durch diese Behörde, die BA, die sich in den vergangenen 30 Jahren ganz offensichtlich völlig überfordert sah, die Arbeitslosigkeit auch nur annähernd zu beseitigen, sollen jetzt rund eine Million neue erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger zusätzlich betreut werden. Daran glaubt noch nicht einmal Florian Gerster.

Mit dem so genannten Hartz-IV-Paket will Rot-Grün die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis zum 1. Januar 2004 zu einem so genannten Arbeitslosengeld II zusammenfassen. Ich habe es gerade gesagt: Bislang stand die FDP mit ihrer Forderung nach einer einheitlichen steuerfinanzierten Leistung für die Menschen relativ allein da. Umso mehr freue ich mich, dass nun auch die rot-grüne Bundesregierung erkannt hat, dass ein Nebeneinander von zwei Systemen mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen, unterschiedlicher Leistungshöhe und unterschiedlichen Leistungsträgern lediglich zu doppelter Bürokratie und Verschiebebahnhöfen führt, ohne dass den Betroffenen tatsächlich geholfen wird.

Wenn man aber die beiden Systeme der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zu einem System zusammenfassen will, müssen in der konkreten Ausgestaltung zwei Aspekte beachtet werden: Zum einen muss die Umgestaltung zu einer finanziellen Entlastung der Kommunen führen, damit nicht mehr steigende Sozi

alhilfehaushalte jeglichen politischen Handlungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung aufheben. Zum anderen zeigen die teilweise erfolgreichen Strukturen der Arbeitsvermittlung auf kommunaler Ebene, dass Kompetenz und Erfolg bei der Vermittlung dort liegen, wo die räumliche Nähe und die direkte persönliche Ansprache tatsächlich gegeben sind.

Mit dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem die rund 1,7 Millionen nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger bei den Kommunen belassen werden, würde aber die bisherige Verknüpfung von Wirtschaftsförderung und Arbeitsmarktpolitik auf lokaler Ebene geradezu durchtrennt. Die Folge ist bereits jetzt absehbar: Eine weitere Zentralisierung bei der Bundesanstalt für Arbeit führt letztlich zu einer Aushöhlung des regionalen Engagements.

Angesichts der praktischen Erfahrungen mit der Bundesanstalt für Arbeit halten wir den bisherigen Ansatz der Bundesregierung für grundfalsch. Wir wollen die Verantwortung der Landkreise und kreisfreien Städte erhalten. Deshalb ist es notwendig, dass die Kommunen die Aufgaben einer längerfristigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wahrnehmen. Denn aufgrund ihrer Nähe zum Arbeitsmarkt, insbesondere für Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte, haben sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Arbeitsämtern.

Ich habe es bereits gesagt: Wir haben im Februar des letzten Jahres einen Vorschlag eingebracht. Ich empfehle Ihnen, ihn vielleicht doch noch einmal nachzulesen und auch das nachzulesen, was hierzu an Debattenbeiträgen gekommen ist. Es wäre vielleicht lohnend gewesen, mit genau diesem Vorschlag nach Berlin in die einzelnen Bundestagsfraktionen hineinzugehen und das zur Diskussionsgrundlage zu machen. Möglicherweise würden wir uns dann heute nicht darüber unterhalten; denn wir sind uns ja darin einig, dass wir es nicht zentralisiert bei der Bundesanstalt für Arbeit ansiedeln wollen, sondern in die kommunale Selbstverwaltung gehen wollen. Wenn ihr eurem Herzen einen Ruck gegeben hättet und es in die Bundestagsfraktionen hineingegeben hättet, dann würden wir heute diesen Missstand an dieser Stelle nicht beklagen. Nur durch Dezentralisierung und Regionalisierung der Arbeitsvermittlung und durch die Dienstleistungsagenturen vor Ort kann gewährleistet werden, dass die Betroffenen optimal und passgenau betreut und vermittelt werden. Ebenso muss die organisatorische Verzahnung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Form eines neuen Sozialgeldes auf der kommunalen Ebene erfolgen. Voraussetzung ist - dies ist in allen Anträgen mehr oder weniger deutlich formuliert -, dass die Zahlung des künf

(Dr. Heiner Garg)

tigen Arbeitslosengeldes II oder Sozialgeldes aus dem Steueraufkommen des Bundes garantiert wird und nicht die Kommunen belastet. Die Kommunen dürfen nicht weiter belastet werden, weil sie sonst noch nicht einmal mehr in der Lage sind, ihre Grundaufgabe der Daseinsvorsorge zu gewährleisten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kurs des Arbeitsamtes muss korrigiert werden. Das ist das Ziel unseres gemeinsamen Antrages, den Rot-Grün und SSW eingebracht haben. Arbeitsämter und Kommunen arbeiten mehr als bisher zusammen. Arbeitslose erwerbsuchende Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger erhalten als Arbeitsuchende mehr Einkommen und Vermittlungshilfen. Das ist unser Ziel. Dafür haben sich Bündnisgrüne seit Jahren eingesetzt.

Der Beschluss, den der Bundestag jetzt vorlegt und der im Bundesrat verhandelt wird, sieht dieses auch im Grundsatz vor. Gleichwohl muss aus unserer Sicht nachgebessert werden, damit dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Ich sage hier an die CDU gerichtet: Zuverdienste sind für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II mehr als bisher möglich. Das heißt, ein Teil Ihrer Argumentation fällt damit flach. Trotzdem sehen wir Korrekturbedarf. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich die Änderungsanträge der Landesregierung im Bundesrat.

Wo liegt der Konflikt? Die Bundesanstalt für Arbeit hat in der Vergangenheit massiv ihre Vermittlungsstatistiken geschönt, ist dafür hart öffentlich kritisiert worden und steht daher in einem großen Umorganisationsprozess. Bei der bisherigen Umsetzung der Hartz-Reform hat sich dabei allerdings gezeigt - das haben auch meine Vorredner bestätigt -, dass sich die Arbeitsämter aktuell zunehmend betriebswirtschaftlich ausrichten und sich in der Vermittlung vor allem auf diejenigen Arbeitslosen konzentrieren, die für sie am teuersten sind.

Auf diesem Wege werden nicht nur die erfolgreichen Anstrengungen, für Menschen mit Behinderung Arbeitsplätze zu finden, konterkariert, sondern alle Arbeitslosen ohne oder mit nur geringem Einkommen diskriminiert. Eine solche Orientierung ist undemokratisch und hat volkswirtschaftlich keinen Sinn. Sie wird von den Regierungsfraktionen hierzulande, aber

auch im Bundestag deshalb ausdrücklich verurteilt. Ich freue mich, dass wir hiermit nicht ganz alleine stehen, wie es die Debatte gerade gezeigt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen uns mit diesem Antrag dafür ein, dass tatsächlich alle Arbeitsuchenden, die Hilfe brauchen, sie auch erhalten. Explizit nennen wir deshalb auch diejenigen Gruppen, für die sich das Land mit seinem bisherigen ASH-Programm erfolgreich engagiert hat, um ihre Chancen zu erhöhen. Es sind dies die Jugendlichen, für die offensichtlich das Arbeitsamt immer noch nicht recht weiß, ob es für sie weiterhin zuständig sein will. Es sind dies die älteren Arbeitsuchenden, die Langzeitarbeitslosen, aber auch die Frauen insbesondere nach der Familienarbeitsphase.

Also, es gibt eine Menge Gruppen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen und die Unterstützung des Landtags, der Landesregierung, der Wirtschaft und der Kommunen und natürlich auch der Arbeitsämter brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und auch für die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes setzen wir uns ein. Denn in einer Zeit, in der selbst Menschen mit hervorragenden Voraussetzungen keinen Arbeitsplatz finden, ist es doch illusorisch, zu glauben, Menschen mit schlechteren Voraussetzungen in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu können.

Die Art und Weise, wie die Arbeitsämter in einem aufwändigen und teuren Prozess Personal-ServiceAgenturen installieren, die eine vergleichsweise kleine Zahl vermitteln sollen, überzeugt uns nicht, und zwar umso weniger angesichts der vielen sinnvollen am Gemeinwesen orientierten Arbeitsplätze und langfristigen Wiedereingliederungsstrategien des zweiten Arbeitsmarktes, die hierfür geopfert werden.

Wir haben uns nicht nur im Sozialausschuss, sondern auch als Fraktion in diversen Gesprächen und Anhörungen ein Bild gemacht, was das im Augenblick für die Arbeitsmarktsituation und insbesondere auch für die Kommunen bedeutet, die - das wissen wir ja - ein großes Potenzial an wichtigen Arbeitsfeldern aus dem zweiten Arbeitsmarkt vorhalten.

Man kann dies ablehnen und sagen, der zweite Arbeitsmarkt sei ein Missbrauch der Institutionen der Arbeitsmarktpolitik, aber solange die Kommunen kein größeres eigenes Einkommen haben, um das, was die Arbeitsmarktplätze des zweiten Arbeitsmarktes leisten, auf anderem Wege zu tun, ist es doch Augenwischerei, zu glauben, mit einer Opferung des

(Angelika Birk)

zweiten Arbeitsmarktes täten wir etwas für unsere Volkswirtschaft.

Viel überzeugender als die Bundesanstalt für Arbeit haben nämlich bisher freie Träger und Kommunen mittels eigener Trägergesellschaften Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger in den zweiten Arbeitsmarkt und sogar Menschen mit großen Handicaps erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt. Dies wurde uns in der Anhörung im Sozialausschuss durch Berichte der entsprechenden Gesellschaften deutlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es reicht nicht, die Bundesanstalt zu kritisieren. Es braucht ein funktionierendes Gegengewicht. Deshalb fordern wir eine Korrektur der Strategie der Arbeitsämter dahin gehend, dass die Kommunen in gleicher Augenhöhe mit ihnen zusammenarbeiten. Dies ist im jetzigen Konzept der Bundesregierung nicht der Fall.

Es reicht nicht, wenn sich die Arbeitsämter die Mitarbeiter der kommunalen Sozialverwaltung einverleiben, wie es sich die Bundesanstalt für Arbeit vorstellt.