Protocol of the Session on September 24, 2003

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute reden wir nicht nur über die Anmeldung von NATURA 2000-Gebieten. Nein, heute reden wir insbesondere auch über die zukünftigen Chancen einer wirtschaftlichen Entwicklung Schleswig-Holsteins. In der Aktuellen Stunde haben wir das sehr ausführlich gemacht. Wir werden das jetzt weiterführen. Wie wir in den letzten Wochen erfahren mussten, drohen diese Chancen durch eine verbandshörige, lobbyistische

und scheinheilige Umweltpolitik der Grünen nachhaltig zunichte gemacht zu werden.

Wenn wir über NATURA 2000-Gebiete reden, dann reden wir nicht nur über die Gattung des schützenswerten Darmatmers, die Armleuchteralge oder den Borstgrasrasen erster Güte. Wir reden auch über die Landwirte, über die Binnenfischer, über Infrastrukturmaßnahmen und über die Möglichkeit, auch zukünftig Gewerbegebiete ausweisen zu können. Es ist den Menschen nicht vermittelbar, wenn durch eine - hauptsächlich von den Grünen betriebene - überzogene Umweltpolitik Chancen für zukünftige Arbeitsplätze zunichte gemacht werden. In SchleswigHolstein sind zurzeit 130.000 Menschen ohne Arbeit. Da dürfen wir es nicht zulassen, dass durch die Strangulation bestehender Gewerbegebiete oder die Verhinderung zukünftiger Infrastrukturmaßnahmen weitere Menschen aus dem ersten Arbeitsmarkt verschwinden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dabei muss man sich die Auswirkungen vor Augen führen, die die Ausweisung von FFH-Gebieten für die Weiterentwicklung von Wirtschaftsstandorten haben kann. Zwar haben zum Beispiel Wirtschaftsbetriebe oder die Bewirtschaftungsart auf landwirtschaftlichen Flächen in der Nachbarschaft oder in NATURA 2000-Gebieten grundsätzlich Bestandsschutz; eine Ausweitung eines Betriebes oder eine andere Nutzung - zum Beispiel einer Wiese - wird in einem FFH-Gebiet oder in seiner 100 m breiten Pufferzone im Sinne des Verschlechterungsverbotes grundsätzlich unzulässig sein. Für betroffene expandierende Betriebe ist dies unmittelbar Anlass, den Standort - und damit häufig auch die Region - zu verlassen. Das hat mit einer nachhaltigen Entwicklung unseres Landes nichts mehr zu tun!

(Beifall bei der FDP)

Nur zur Erinnerung: Auf der historischen Umweltkonferenz in Rio wurde die Agenda 21 verabschiedet. Diese Agenda 21 steht unter dem Leitgedanken der Nachhaltigkeit. Noch im Bericht der Landesregierung zu ihrer Nachhaltigkeitsstrategie für ein zukunftsfähiges Schleswig-Holstein schrieb die Landesregierung wörtlich:

„Der Leitgedanke einer nachhaltigen Entwicklung richtet sich nicht ausschließlich an die Umweltpolitik, sondern versteht auch wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit und Stabilisierung der ökologischen Systeme als drei unverzichtbare Ziele gesellschaftlicher Entwicklung.“

(Günther Hildebrand)

Ich stelle hiermit fest, dass den Zielen „wirtschaftlicher Wohlstand“ und „soziale Sicherheit“ die grüne Umwelt- und NATURA 2000-Politik dieses Umweltministers nicht im Geringsten gerecht wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich nenne Ihnen hierzu einige Beispiele. Frau TodsenReese hat das Beispiel Lübeck auch schon angeführt: Lübeck steht nach der Anmeldung weiterer FFHGebiete zu 48,8 % unter Naturschutz. Dabei konnten wir vor kurzem noch folgende Schlagzeilen über Lübeck lesen:

„Boom in Lübecks Hafen: Immer mehr Fährlinien. Drei Reedereien starten neue Fährverbindungen.“

„Lübecker Nachrichten“ vom 13. September 2003.

„Flughafen bringt Lübeck 30.000 Touristen. Die Zahl der Übernachtungen in Lübecker Hotels schnellte nach dem Start der PisaLinie von 3.000 auf 4.700 Übernachtungen an.“

„Lübecker Nachrichten“ vom 12. September 2003.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es sind aber genau diese expandierenden Wirtschaftszweige, die nun durch die Ausweisung von FFHGebieten ausgebremst werden.

(Konrad Nabel [SPD]: Quatsch!)

So sind FFH-Gebiete in Lübecks Hafen genau dort angemeldet worden, wo die Stadt nach Auskunft des Bürgermeisters Saxe zukünftig den Hafen weiterentwickeln wollte. Auch der Flughafen Lübeck ist durch die Ausweisung eines FFH-Gebietes praktisch eingemauert. Bürgermeister Saxe sagte hierzu:

„Es fällt schon auf, dass die Naturschutzausweisungen immer dort sind, wo Entwicklungspotenziale stecken.“

Wir teilen diese Einschätzung.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordne- ten Renate Gröpel [SPD] - Wolfgang Kubi- cki [FDP]: Das ist doch euer Bürgermeister!)

Beispiel Gewerbegebiet Lauenburg: Dort bedroht anscheinend ein Gewerbegebiet die Brenndolde, obwohl beide bisher offensichtlich in Koexistenz gut miteinander auskamen. Nun aber wurden FFHGebiete rund um den Gewerbepark angemeldet, um der Brenndolde auch weiterhin ein artgerechtes Leben

zu ermöglichen. Für dort ansässige Unternehmen ist dies die unmissverständliche Aufforderung, für mögliche Erweiterungen einen anderen Standort zu suchen.

Bemerkenswert ist, dass die vorgesehenen Flächen während der Hochwasserbekämpfung mit schwerstem Gerät durchpflügt wurden. Die Brenndolde dürfte - so sie es denn überlebt hat - zurzeit nur unter 6 m hohen Kleierdehaufen zu finden sein. Auch ist die Brenndolde keine prioritäre Art der FFH-Richtlinie. Sie ist in keinem Anhang der FFH-Richtlinie als besonders schützenswerte Art ausgewiesen.

Es ist ebenso eine Tatsache, dass Herr Staatssekretär Knitsch, angesprochen auf das Gewerbegebiet in Lauenburg, letzte Woche im Umweltausschuss ausgeführt hat, man habe schon genug Last damit, dafür zu sorgen, dass es nicht erweitert werde. Wenn jetzt entgegnet wird, er habe dies im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz gesagt, können wir hoffentlich alle zusammen davon ausgehen, dass die augenblicklich durchgeführte Deichverstärkung eben auch dieses Gewerbegebiet schützen soll und damit auch einer möglichen Erweiterung des Gewerbegebietes Schutz bietet.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf der Ab- geordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Insofern zieht das einfach nicht. Diese Aussage spricht Bände, meine Damen und Herren, und verdeutlicht uns, wes Geistes Kinder im Umweltministerium regieren.

(Beifall bei der FDP)

Hier wird NATURA 2000 als Vehikel benutzt, um ganz andere Ziele zu verfolgen.

(Klaus Schlie [CDU]: So ist das!)

Dies ist ein Bärendienst für den Umwelt- und Naturschutz. Ein anderes Beispiel ist die Haseldorfer Marsch. Die hier bis zur zweiten Deichlinie vorgesehenen FFH-Gebiete werden von den Gemeinden akzeptiert. Der 100 m breite angrenzende Schutzstreifen überdeckt aber eine Fläche nach § 34 des Baugesetzes. Dieser Paragraph betrifft die im Zusammenhang bebaute Ortsfläche.

(Ursula Kähler [SPD]: Das kennen wir!)

- Das kennen Sie. Es ist in Ordnung. - Kann hier noch eine weitere Dorfentwicklung stattfinden, wenn diese Zone in dem 100 m breiten Randstreifen liegt?

Meine Damen und Herren, es ist doch seltsam, wie die EU dazu kommt, in Schleswig-Holstein FFH

(Günther Hildebrand)

Gebieten nachzufordern. Woher hat die EU-Kommission eigentlich die Kenntnisse über anscheinend schützenswerte, aber noch nicht ausgewiesene NATURA-2000-Gebiete? Das hat System. Da gibt es eine klare Rollenverteilung. Neben der Landesregierung haben auch die Umweltverbände entsprechende Gebiete ermittelt und nach Brüssel gemeldet.

(Konrad Nabel [SPD]: Das ist ihr gutes Recht!)

Das sind die so genannten Schattenlisten. Dort werden nun die entsprechenden Anmeldungen abgeglichen, und bei Abweichungen werden Nachforderungen erhoben. Die Landesregierung reicht also zum Beispiel eine erste und eine zweite Tranche mit restriktiven Flächenausweisungen ein, Brüssel fordert aufgrund der Schattenliste weitere Gebiete, und die Landesregierung muss anschließend „bedauerlicherweise“ nachlegen. Dass dieses Verfahren systematisch abläuft und zum Teil auch direkt die Landesregierung mit einbezieht, belegt eine Pressemitteilung vom 27. Juli der Bündnisgrünen aus dem Herzogtum Lauenburg. Darin steht:

„Außerdem stellte er“

- der so genannte Arbeitskreis NATURA 2000 -

„eine Schattenliste für NATURA-2000Gebiete zusammen, die sie der Landesregierung übergaben. Diese Liste wurde von der zuständigen Behörde wohlwollend aufgenommen und zur Auswahl mit herangezogen.“

Die Grünen forcieren also selbst die Neuausweisung von NATURA-2000-Gebieten. Vor dem Hintergrund dieser Pressemitteilung eines grünen Kreisverbandes erscheint es mir geradezu scheinheilig, wenn der Umweltminister durch die Lande tingelt, ein wehmütiges Gesicht aufsetzt und die Verantwortung immer nach Brüssel schiebt. Dazu erzählt der Umweltminister auch noch auf jeder Veranstaltung von cirka 750.000 € pro Tag, die Schleswig-Holstein an die EU zahlen müsste, wenn das Land den Gebietsmeldungen nicht in ausreichendem Maße nachkäme.

Zu den Vogelschutzgebieten kann ich Folgendes sagen. Sie, Herr Umweltminister, haben uns vor einigen Wochen dankenswerterweise eine Kopie eines Telefax aus Brüssel an das Auswärtige Amt zukommen lassen, welches das Vertragsverletzungsverfahren bezüglich nicht ausgewiesener Vogelschutzgebiete betraf. Dort steht auf Seite 7 zur Erfüllung der Ausweisungspflicht Schleswig-Holsteins, die Situation sei unklar; die Bundesregierung gehe von einem hinreichenden Schutz aus. Es ist aber der Bund, der

gegenüber der EU für Vertragsverletzungen haftet. Wieso muss eigentlich das Land zahlen, wenn der Bund davon ausgeht, dass Schleswig-Holstein genügend Vogelschutzgebiete ausgewiesen hat?

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe der Ab- geordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Konrad Nabel [SPD])

Ein Letztes. Bei einigen FFH-Anmeldungen scheinen die fachlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung nicht oder nicht mehr vorzuliegen. Hat das Umweltministerium im Vorwege geprüft, ob die angegebenen fachlichen Kriterien überhaupt vorliegen beziehungsweise noch vorliegen? Oder wird erst geprüft, wenn in einer Region massive Proteste entstehen? Das kann allerdings nicht der richtige Weg sein, denn das verunsichert die Bürgerinnen und Bürger in höchstem Maße.

(Glocke des Präsidenten)