Protocol of the Session on June 20, 2003

- Er hat vier Minuten verbraucht. - Die Regierung muss sich nicht an die angemeldete Redezeit halten. Ohne, dass sich jemand dadurch provoziert fühlen sollte, will ich vor diesem Hintergrund auf § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages hinweisen. - Frau Ministerin, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser Ermahnung erlaubt es mir die Zeit erst recht nicht, mehr als nur wenige Anhaltszahlen zu nennen und Anmerkungen zu machen.

Der Preisindex aller privaten Haushalte hat sich nach den Zahlen des Statistischen Landesamtes Schleswig-Holstein von 1995 bis 2002 auf 111 % erhöht. An dieser Erhöhung haben die Lebensmittel, die Nahrungsmittel und auch die alkoholfreien Getränke eine unterdurchschnittliche Teilhabe. Tendenziell weisen alle Bereiche nach wie vor eine steigende Entwicklung auf – der Lebensmittelbereich nicht. Nach einem Hoch von 109 % am Anfang 2002 hat sich eine fallende Tendenz eingependelt. Trotz der – Sie erinnern sich; wir haben darüber auch im Landtag gesprochen – zum Jahresbeginn 2002 teilweisen massiven Preiserhöhungen bei Obst und Gemüse sind die Preise im Jahresdurchschnitt 2002 stabil geblieben und im ersten Halbjahr 2003 sanken die Lebensmittelpreise doch deutlich ab – im Vergleich zum Vorjahr minus 1,1 %. Anteil daran hatten besonders Gemüse, Obst und Molkereiprodukte.

Was sagen uns diese wenigen Zahlen beziehungsweise wie müssen wir sie bewerten? Ich denke, die Bewertung kann nur ambivalent ausfallen. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher sind bei unterstellten gleichen Qualitäten niedrige beziehungsweise sinkende Lebensmittelpreise zu begrüßen. Aus der Sicht der landwirtschaftlichen Erzeuger sind sie weniger zu begrüßen, weil sie natürlich die Erlösspanne am Produkt geringer machen. Aus der Sicht des Einzelhandels sind sie auch von Nachteil, weil die ohnehin niedrige Gewinnspanne bei Lebensmitteln noch geringer wird

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und weil dadurch auch der bereits stattfindende Konzentrationsprozess der so genannten großen Handelsriesen noch beschleunigt wird.

Aber – das will ich auch hinzufügen – es ist nicht nur ein Nachteil für den Handel insgesamt, sondern hier wiederum auch wieder ein Nachteil für den Verbraucher, weil daraus auch monopolistische Angebotsstrukturen erwachsen. Wir wissen das. Aber die Frage ist: Wie gehen wir damit um?

Zur Frage, ob und wie sich Qualitätssicherungssysteme langfristig auf die Preisentwicklung von Lebensmitteln auswirken, gibt es im Übrigen keine statistischen Untersuchungen, die belastbar wären, keine Marktuntersuchungen. Die vertrauensbildenden Maßnahmen nach BSE und MKS haben sich vorübergehend überdurchschnittlich bei der Preisentwicklung ausgewirkt, aber eben nur vorübergehend, nicht dauerhaft. Durch den Wettbewerbsdruck, durch die Discounter hat sich das sehr schnell wieder eingependelt.

Die Qualitätssicherungssysteme in Produktion und Verarbeitung – das will ich hier deutlich unterstreichen – sind trotz dieser nicht vorhandenen dauerhaften Auswirkung auf das Preisgefüge unverzichtbar, nämlich zur Sicherung von Absatzmärkten. Wie sich dann die höhere Akzeptanz bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern im Kaufverhalten herstellen lässt, ist eine ungelöste Frage. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Diese Frage entzieht sich auch der direkten politischen Steuerung. Ich verstehe jedenfalls meine verbraucherpolitische Arbeit nicht so, dass ich hier irgendwie regulierend gegen Discounter einschreiten könnte.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Das halte ich für einen völlig falschen Ansatz. Wir können es nur über Aufklärung und Bewusstseinsbildung schaffen.

Es ist zu beobachten – das lässt vielleicht hoffen -, dass es den Lebensmittelketten zum Teil gelingt, für Produkte mit Qualitätssiegeln am Markt höhere Preise zu realisieren, unabhängig von ihren individuellen Marktstrategien. Aber – auch dahinter muss man ein Aber setzen – wenn sich diese Qualitätssicherungssysteme flächendeckend durchsetzen, als Standard etablieren, dann wird sich das natürlich auch wieder nivellierend auswirken, weil ein Verbraucher nicht

(Ministerin Heide Moser)

bereit ist, für Standardware, um die es sich dann ja handelt, mehr Geld auszugeben.

(Zuruf des Abgeordneten Peter Jensen- Nissen [CDU])

- Dies sind die Ambivalenzen, von denen ich gesprochen habe.

Ich fasse es zusammen: Aus meiner Sicht ist es dennoch ganz wichtig, dass sich die Ernährungswirtschaft auf Qualitätssicherungssysteme konzentriert, diese etabliert; denn sonst ist sie auf dem Markt ganz und gar nach hinten geworfen - schon wegen der Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln, die künftig stärker werden. Chancen am globalisierten Markt hat man also nur mit ausgefeilten Qualitätssicherungssystemen. Das ist sozusagen eine Versicherung für künftige Krisen und deren Meisterung. Ohne größeres Verbrauchervertrauen kann sich auf Dauer die Ernährungswirtschaft mit allem, was dazu gehört, sicherlich nicht behaupten. Wir können das aber im Ausschuss auch noch vertiefen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei SPD und CDU)

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst den Hinweis: Nach § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung verlängert sich die potenzielle Redezeit pro Fraktion um vier Minuten.

(Zurufe)

Jetzt hat für die Fraktion der SPD der Herr Abgeordnete Friedrich-Carl Wodarz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich an die Redezeit halten.

„Einkommen der Landwirte auf Talfahrt“ so oder ähnlich negativ können wir schon die ersten Presseüberschriften vernehmen. Allerdings: Wer die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein derart beschreibt, hat das Thema verfehlt. Wer allerdings, Kollege Jensen-Nissen, den Agrarreport 2003 mit den gleichen Worten wie den Bericht 2002 kommentiert, der hat entweder den ganzen Bericht nicht verstanden oder hat ihn überhaupt nicht gelesen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Was sich der Kollege Jensen-Nissen mit seiner Pressemitteilung erlaubt hat, grenzt an Veralberung der Öffentlichkeit.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Für die, die es nicht wissen, sage ich: Der Mann hat hellseherische Fähigkeiten. Er wusste 2002 schon, was er 2003 sagen sollte. Er hat eigentlich nur die Zahlen ausgelassen. Allerdings hat er dabei einen Satz weggelassen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU)

- Ja, ja, so weit könnt ihr denken.

Meine Damen und Herren, ist es nun in diesem Jahr fürchterlich schlecht? - Keineswegs. Der Minister hat darauf hingewiesen: Es stimmt, die Gewinne der Landwirte in Schleswig-Holstein sind eingebrochen, allerdings im Vergleich zum Vorjahr, in dem es auch außerordentliche Gewinne gab. Wenn sich die Gewinnsituation jetzt auch beim Kollegen Ehlers „normalisiert“ hat, so bedeutet das nach wie vor, dass Landwirte in Schleswig-Holstein gute Gewinne machen und es immer noch in jeder Hinsicht vorteilhafter ist, Landwirtschaft in Schleswig-Holstein zu betreiben als in Bayern.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ja auch weniger Berge hier.

Wir sollten uns auch davor hüten, die Erwerbsmöglichkeiten in der Landwirtschaft schlecht zu reden. Ich halte es mit dem Vizepräsidenten des SchleswigHolsteinischen Bauernverbandes, Herrn Witt, der uns anlässlich der Bereisung des Agrarausschusses in der letzten Woche eindringlich davor warnte, die Situation in der Landwirtschaft ständig negativ zu diskutieren.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

Er erzählte uns von jungen Landwirten, die die Herausforderungen und Chancen der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein positiv angenommen haben und auch erfolgreich sind

Meine Damen und Herren, Gleiches gilt für die Nahrungsmittelindustrie. Wer markt- und kundenorientiert arbeitet - das ist hier ein Keyword -, kann in Schleswig-Holstein gutes Geld verdienen. Neben den Klima- und Bodenstandortvorteilen zeigt sich immer wieder, dass Landwirte in Schleswig-Holstein gut ausgebildet sind und damit ihren Berufskollegen in anderen Ländern oft eine Nase voraus sind. Das gilt

(Friedrich-Carl Wodarz)

in ganz besonderem Maße für die Wettbewerbssituation gegenüber den neuen Beitrittsländern. Unsere Landwirte sind für diesen Wettbewerb gerüstet und unsere Nahrungsmittelindustrie erobert doch schon heute die neuen Märkte.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Der Beitrag von Bauernpräsident Otto-Dietrich Steensen, mit dem ich ja nicht so häufig übereinstimme, war da sehr erfrischend. Ich stimme ihm voll zu, wenn er in einem Zitat davor warnt, dass die Menschen ihre Zeit damit verbringen, über die Vergangenheit nachzudenken, sich über die Gegenwart reichlich zu beschweren und vor der Zukunft zu zittern.

Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein muss nicht vor der Zukunft zittern. Das zeigt dieser Bericht ganz deutlich.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Noch klingen uns ja die Prophezeiungen der CDU von der Zerschlagung der Landwirtschaftskammer im Ohr.

(Zuruf von der CDU: Das habt ihr hinge- kriegt!)

Meine Damen und Herren, diesen Satz hat der Kollegen Jensen-Nissen komischerweise als einzigen aus seiner Presseerklärung herausgelassen; denn auch er muss zugeben: Nichts davon ist eingetreten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Kammer hat Planungssicherheit und arbeitet auf der Grundlage der Zielvereinbarung hervorragend mit der Regierung zusammen. Die Kammer ist zukunftsfähig und stellt sich zum Beispiel mit dem Gartenbauzentrum Thiensen hervorragend für die Zukunft auf. Hier wird nicht gezittert, hier wird gehandelt.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Der designierte Spitzenkandidat der CDU, Herr Carstensen, hat ja nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber dem ökologischen Landbau gemacht. Aber auch das konnten wir auf der Bereisung lernen. Es war gut, dass auch die CDU-Kollegen das einmal alles life erleben konnten. Denn auch sie konnten dem nicht mehr widersprechen: Der Öko-Landbau hat seinen Marktanteil und man kann mit dieser Wirtschaftsweise sehr gutes Geld verdienen. Der Anteil der ökologisch wirtschaftenden Betriebe ist wieder kontinuierlich gestiegen - das zeigt der Bericht -,

allerdings angepasst an die Marktchancen und nicht an politische Vorgaben. Ich habe von Anfang an in diesem Landtag gesagt, dass ich von den politischen Prozentsätzen nichts halte.

Die SPD-Landtagsfraktion hat sich stets für eine Ökologisierung der Landwirtschaft ausgesprochen. Das bedeutet, dass wir den wirtschaftlichen Schwerpunkt weiterhin im konventionellen Landbau sehen, der umweltfreundlich wirtschaftet.