Protocol of the Session on February 21, 2003

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das ist es, was von uns erwartet wird; in Deutschland und in einer größer gewordenen Europäischen Union.

Genau vor einem Jahr, am 21. Februar, habe ich hier im Landtag im Rahmen der Diskussion zum Europabericht der Landesregierung und dem Europäischen Rat von Laeken in allen Fragen des europäischen Verfassungskonvents einen engen Kontakt zwischen Regierung und Parlament angeboten. Im Europaausschuss hat die Landesregierung regelmäßig über die Fortschritte der Diskussion informiert. Wir hatten es damals begrüßt, dass sich der Landtag dieser Debatte weiter annehmen wollte. Wir begrüßen es auch weiterhin. Je mehr Menschen sich beteiligen und je mehr Ideen sich entwickeln, umso besser ist es. Das Parlament hat sich dieser Aufgabe angenommen und eine Initiative mit bundesweiter Ausstrahlung ins Leben gerufen. Der Föderalismuskonvent der Länderparlamente ist eine hervorragende Gelegenheit, den Dialog zwischen Regierungen und Landtagen fortzufüh

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

ren. Ich freue mich darüber, von Ihnen, Herr Landtagspräsident, in die Lübecker Musik- und Kongresshalle eingeladen worden zu sein. Ich bin jetzt schon gespannt, was dort unter Ihrer Federführung zustande kommen wird.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten in die Abstimmung ein. Es ist beantragt worden, über den fraktionsübergreifenden Antrag Drucksache 15/2479 in der Sache abzustimmen. Wer dem seine Zustimmung geben will, den bitte um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Ich freue mich, feststellen zu können, dass der gemeinsame Antrag mit der Drucksache 15/2479, Bekenntnis zum Föderalismus und zur Subsidiarität - Landesparlamente stärken, einstimmig angenommen worden ist.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich komme nun zu einigen geschäftsleitenden Bemerkungen: Auf der Tribüne begrüße ich neue Gäste, nämlich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Bruno-Lorenzen-Realschule aus Schleswig. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Die Tagesordnungspunkte, die wir jetzt behandeln, werden in folgender Reihenfolge aufgerufen werden: 31, 16, 35, 48, 55 und - ohne Aussprache - 32.

Nun noch ein weiterer Hinweis: Die Kantine kann im Raum 142 erst ab 13 Uhr Essen anbieten. Dies liegt daran, dass aufgrund von Problemen mit der Stromversorgung, die auf die Umbaumaßnahmen zurückzuführen sind, der Lastenaufzug vorher nicht fahrbereit ist. Außerdem habe ich ein schönes Ereignis anzukündigen: Der Landtag singt für den Landtag. Diese Gruppe von Kolleginnen und Kollegen wird gebeten, sich nach dem Ende der Plenarsitzung zu ihrer ersten Probe in Raum 142 zu treffen. Frau Kollegin Fröhlich wird darauf achten, dass dies auch geschieht. Wir setzen die Tagung nun politisch fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Verordnung zur Bekämpfung von Vandalismus durch Graffiti

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2446

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile

für die antragstellende Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Thorsten Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer Schätzung des Deutschen Städtetages verursachen Farbsprühereien in Deutschland jedes Jahr Schäden in Höhe von 200 Millionen €. Davon entfallen rund 100 Millionen € auf öffentliche Verkehrsmittel, 60 Millionen € auf private und 40 Millionen € auf öffentliche Gebäude. Seit Ende der 90-er Jahre haben Graffiti, die Wände und Gebäude verunstalten, erheblich zugenommen. Rechnet man die Bundeszahlen auf Schleswig-Holstein um, so ergibt sich auch in unserem Bundesland jährlich ein Millionenschaden. Betroffen sind auch private Eigentümer. Ich kann den Zorn mancher Hauseigentümer verstehen, die mit großem Aufwand und viel Liebe ein Altstadthaus saniert haben und dann feststellen müssen, dass ihre Bemühungen durch gedankenlose Sprayer zunichte gemacht werden.

Es sind aber auch öffentliche Eigentümer betroffen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: An den Lärmschutzeinrichtungen entlang der Bundesautobahn 1 - beziehungsweise der BAB 226 - im Bereich der Hansestadt Lübeck, die insgesamt eine Fläche von 93.000 m2 aufweisen, sind 14.000 m2 mit Graffiti besprüht. Für eine Beseitigung müssten 278.000 € aufgewendet werden. Dies ist nur ein kleiner Abschnitt der im Lande vorhandenen Lärmschutzeinrichtungen.

Jeder, der aufmerksam durch unser Bundesland fährt, der durch Städte fährt oder auf Landstraßen oder Fernstraßen unterwegs ist und auch kleinere Ortschaften aufsucht, muss leider feststellen: Unser Bundesland bietet an vielen Stellen leider ein Bild der Verwahrlosung.

(Beifall bei der CDU)

Daher wäre ein konsequentes Vorgehen gegen Farbsprühereien dringend geboten. Es ist nicht zuletzt durch die broken-windows-Theorie nachgewiesen, dass ein Gewährenlassen Nachahmereffekte zur Folge hat. Es ist nachgewiesen, dass Farbschmierereien das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nachhaltig beeinträchtigen, weil sie das Gefühl hat, dass das Eigentum durch den Staat nicht wirksam geschützt wird. Es bedarf keiner weiteren Darlegungen, dass das Bild der Verwahrlosung, das unser Bundesland an vielen Stellen bietet, den Ruf des Urlauberlandes SchleswigHolstein nachhaltig schädigt.

(Beifall bei der CDU)

(Thorsten Geißler)

Erfahrungen anderer Länder - in Europa wie in den USA - haben gezeigt, dass Farbsprühereien nur durch konsequentes staatliches Vorgehen eingedämmt werden können.

(Beifall bei der CDU)

Gefordert sind präventive Maßnahmen, ein hoher Verfolgungsdruck und eine konsequente strafrechtliche Ahndung. Für präventive Maßnahmen, insbesondere für sozialpädagogische Maßnahmen, liegen seit Jahren Vorschläge auf dem Tisch. Sie brauchen nur umgesetzt zu werden. Ich verweise dabei auf kommunale Bündnisse, wie sie beispielsweise hier in Kiel bestehen. Ein hoher Verfolgungsdruck durch die Polizei, beispielsweise durch Sonderermittlungsgruppen, führt stets zu einer höheren Aufklärungsquote. Hier ist der Innenminister gefordert.

(Beifall bei CDU und FDP)

Unbefriedigend aber sind die strafrechtlichen - beziehungsweise ordnungswidrigkeitsrechtlichen - Ahndungsmöglichkeiten bei Farbschmierereien. Hier sind wir aufgrund der Untätigkeit des Bundesgesetzgebers als Landtag gefordert.

(Beifall bei CDU und FDP)

Bei der gegenwärtigen Fassung des Straftatbestandes der Sachbeschädigung nimmt die gängige Rechtsprechung eine Sachbeschädigung nur an, wenn eine Substanzverletzung nachgewiesen ist. Es muss im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen werden, dass die Schmiererei oder deren Beseitigung den Untergrund verletzt. Die Möglichkeit der nachträglichen Reinigung schließt eine Sachbeschädigung selbst dann aus, wenn der Sanierungsaufwand erheblich ist. Der frühere baden-württembergische Justizminister Goll, der der FDP angehört, hat in einer Bundestagsdebatte völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass dies ein großer Unsinn ist, den kein Mensch versteht und der nicht vermittelbar ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Er hat auch auf das Paradoxon aufmerksam gemacht, dass ein Eigentümer, der zum Schutz seines Eigentums einen Schutzanstrich auf seinem Gebäude anbringt, den Tätern in die Hände spielt, weil dann in der Regel eine strafrechtliche Verfolgung der Farbschmierereien unmöglich gemacht wird. Dennoch sind drei Vorstöße des Bundesrats für eine Änderung des Bundesrechts am Widerstand von Rot-Grün im Bundestag gescheitert. Auch einer gegenwärtigen erneuten Initiative droht das gleiche Schicksal. Die Initiativen des Bundesrats wurden übrigens auch von Nordrhein-Westfalen, also einem sozialdemokratisch regierten Land, unterstützt. Unsere Landesregierung

hat zu dem Problem bedauerlicherweise noch keine Meinung entwickelt und sich - zumindest bei der letzten Schlussabstimmung im Bundesrat - der Stimme enthalten. Ich bin der Meinung, dass man zu solch einem Problemkreis eine Meinung haben sollte.

(Klaus Schlie [CDU]: Unglaublich! - Martin Kayenburg [CDU]: Das ist typisch für die Regierung!)

Hamburg hat den Spielraum, der den Länderparlamenten durch die Untätigkeit des Bundesgesetzgebers eingeräumt ist, in dem Sinne bereits genutzt, den wir auch hier vorschlagen. Demnächst werden dort Farbschmierereien, die keine Sachbeschädigung darstellen, als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bis zu 5.000 € geahndet. Genau diesen Weg schlagen wir Ihnen auch vor und bitten um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich möchte dem Kollegen Eichstädt dafür danken, dass er in einer Pressemitteilung signalisiert hat, dass eine gemeinsam getragene Lösung möglich sei. Wir werden Sie an dieser Ankündigung messen, meine Damen und Herren. Wenn er aber ausführt, dass Graffiti auch eine international anerkannte Kunstform sei, so ist dies zwar nicht zu bestreiten, ich bitte jedoch darum, die Maßstäbe nicht völlig zu verwischen. Der Vergleich der Werke beispielsweise eines Keith Haring oder eines Jean-Michel Basquiat mit den in unserem Lande anzutreffenden Sprühereien macht in der Regel genauso viel Sinn wie der Vergleich des künstlerischen Wertes eines Sofakissens, auf dem der Mann mit dem Goldhelm prangt, mit dem Original Rembrandts.

(Holger Astrup [SPD]: Das hat aber keiner verstanden!)

Die Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages, Petra Roth, hat daher Recht, wenn sie sagt, Farbschmierereien seien keine Kunst, sondern beschädigten öffentliches und privates Eigentum. Im Übrigen sollten wir darin übereinstimmen, meine Damen und Herren, das Eigentum auch Schutz vor so genannten aufgedrängten „Bereicherungen“ verdient.

Ich bitte Sie nachhaltig um Unterstützung für unseren Antrag.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Thomas Rother das Wort.

(Zuruf)

- Nein, nicht Herr Eichstädt, sondern ich. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDUFraktion legt uns einen Verordnungsentwurf der Hamburger Regierungskoalition zur Bekämpfung von Graffiti zur Beratung vor. Die Hamburger haben von Sachsen-Anhalt abgeschrieben. Das ist auch nichts Schlimmes. Wir arbeiten ja auch gut mit Hamburg zusammen.

Vorausgegangen ist diesem Verordnungsentwurf die Nichteinigung auf Bundesebene über eine Veränderung des Strafrechts mit dem Ziel, Graffiti allgemein zur Sachbeschädigung zu erklären. Herr Geißler hat auf die besonderen Probleme des Nachweises der Beschädigung durch ein Graffito hingewiesen. Demnach kann also lediglich Schadenersatz erfolgen, eventuell auch eine Verfolgung wegen Haus- oder Landfriedensbruchs, solange die Substanz des besprühten Gegenstandes nicht angegriffen ist. Dementsprechende Feststellungen bis hin zu Gutachten sind leider sehr aufwendig und teuer. Mit einer Strafrechtsänderung könnte also die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ganz wesentlich erleichtert werden.

Ob dies der vorgelegte Verordnungsentwuf ersetzen kann, ist fraglich. In der Begründung zu § 1 schreibt die antragstellende Fraktion beispielsweise, um ein Bußgeldverfahren in die Wege zu leiten, komme es nicht darauf an, ob eine Substanzverletzung gegeben sei. Das ist aus unserer Sicht wegen der Rangigkeit der verschiedenen Rechtsvorschriften zweifelhaft. Ebenso muss der Begriff des Erscheinungsbildes geklärt werden.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir den Antrag zur weiteren Beratung in den Innen- und Rechtsausschuss überweisen. Ich bin mir sicher, dass wir dort die juristischen Zweifelsfragen klären und auch eine sinnvolle Lösung erarbeiten können. Wir sind dazu bereit. Damit, Herr Geißler, weichen wir auch ganz bewusst von der Entscheidungslage im Bundesrat und von der Entscheidungslage im Bundestag ab.

Auch wir halten es für geboten, dem Vandalismus in jeglicher Form Einhalt zu gebieten. Dabei zählen für uns natürlich nicht nur ordnungs- oder strafrechtliche Maßnahmen. Gerade bei Graffiti sind die Täter ganz überwiegend Kinder und Jugendliche. Der persönliche Effekt der Tatbegehung wird oftmals durch Alkoholkonsum verstärkt. Kommunikationsschwierigkeiten treten durch die Tat zutage. Insoweit sind eigentlich ganz andere Stellen als die der Strafverfolgung besonders gefordert.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Sprayerszene, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss also stärker ins Blickfeld genommen werden. In Lübeck beispielsweise - Herr Geißler wird es wissen - durften Sprayer ganz ungestraft das Stadthaus, ein Abrissbürogebäude am Markt, besprühen. Damit konnte das Problem natürlich nicht unbedingt eingedämmt werden.