Protocol of the Session on October 11, 2002

Erstens. Sie haben es schon angesprochen, Herr Minister: Der Wettbewerb um den Endkunden findet bisher offensichtlich zu spärlich statt. Da ist zu wenig passiert. Nur 3 % haben bisher ihren Versorger gewechselt. Ich sage auch sehr deutlich - da unterscheiden wir uns -: Wir müssen an der Verbändevereinbarung selber weiter wirken. Da muss noch weiter gearbeitet werden, um den Netzzugang besser zu machen, um den Wettbewerb stärker stattfinden zu lassen.

(Beifall der Abgeordneten Christel Aschmo- neit-Lücke [FDP])

Aber ich sage Ihnen auch ganz offen: Das brauchen wir nicht mit Hilfe einer umbesetzten Monopolkommission, die auch die bestellten Gutachten fertigt. Nach dieser Methode sind Sie vorgegangen. Nun haben Sie endlich auch die Monopolkommission hinter sich, wenn Sie eine Regulierungsbehörde fordern. Das ist natürlich der falsche Weg. Wir brauchen keine Regulierungsbehörde, sondern ordentliche Wettbewerbsbedingungen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Zweitens. Die Stromwirtschaft auch in SchleswigHolstein steht vor einem erheblichen Strukturwandel - ich deutete das schon an -, der sorgfältig im Auge behalten werden muss, um den Wettbewerb bei den sich bildenden neuen Einheiten und Strukturen schützen und erhalten zu können.

Drittens. Schon aus Transparenzgründen und aus Gründen von Sauberkeit und Korrektheit und um Korruptionsgerüchten vorzubeugen, die es in diesem Zusammenhang immer gibt, ist es sinnvoll, bei der Veräußerung von Stromversorgern mit dem öffentlichen Recht unterliegenden Anteilseignern das Vergaberecht des GWB, des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, anzuwenden. Das wird bisher von Ihnen noch nicht so beurteilt. Da gibt es rechtliche Meinungsunterschiede. Aber allein die Geschehnisse in Heide oder in Lübeck sind Sinnbild dafür, das es richtig ist, das durch Gerichte nachprüfbar zu machen und deshalb ein ordentliches Vergabeverfahren zu machen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Herr Präsident, ich glaube, ich habe noch ein bisschen Redezeit, weil wir etwas dazubekommen haben.

Wir wollten das durch das Zugeben von vornherein nicht provozieren.

Ich bedanke mich. Das ist sehr nett.

Viertens. Es wäre auch gut, Herr Minister, wenn die Landeskartellbehörde über ihr Wirken - ich will jetzt nicht einen weiteren Bericht fordern - regelmäßig und ungefragt berichten würde. Sie berichten sonst vieles, was ich für überhaupt nicht bedeutsam halte. Dies halte ich für bedeutsam. Das öffentliche Bewusstsein über die Bedeutung und Tätigkeit der Wettbewerbshüter, die es auch im Lande gibt - ich sage dazu ergänzend gleich noch etwas -, hat durchaus erzieherische Wirkung. Die Frage nach Inhalt und Ergebnis der Vorermittlungen beispielsweise, Frage 18 in der Großen Anfrage, ist von Ihnen definitiv noch nicht einmal abstrakt beantwortet worden. Das hätten wir schon gern noch.

(Beifall der Abgeordneten Christel Aschmo- neit-Lücke [FDP])

Fünftens. Die Landeskartellbehörde im Energieministerium, Herr Minister, müsste erst einmal arbeitsfähig gemacht werden. Bisher gibt es ein Referat mit vier Leuten. Das ist die Landeskartellbehörde. Es gibt noch eine weitere Landeskartellbehörde, nämlich im Wirtschaftsministerium. Auch dort ist es ein Referat mit vier Leuten. Der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Jung, hat in der neuesten Ausgabe der Zeitung für Kommunalwirtschaft gefordert, dass das Bundeskartellamt endlich arbeitsfähig werden müsste. Wenn er wüsste, wie das Landeskartellamt hier in Schleswig-Holstein ausgestattet ist, würde er Lachkrämpfe bekommen. Die Landeskartellbehörde muss als Landeskartellbehörde zusammengelegt und so ausgestattet werden, dass sie arbeitsfähig ist. Das ist unsere Forderung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir werden es im Auge behalten!)

Schließlich mein Fazit: Wettbewerb muss als ordnungspolitischer Fixstern dieser Landesregierung überhaupt erst einmal bewusst werden. Das ergibt sich für mich aus der Antwort auf unsere Große Anfrage noch nicht. Tun Sie mehr für die Sicherung und Schaffung von Wettbewerb auch in der Energiewirtschaft und lassen Sie es nicht treiben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Wilhelm Malerius.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Energiepolitik kann man nicht auf das Thema Wettbewerb und Preisdebatten reduzieren. Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit der Stromversorgung in einer hoch industrialisierten Volkswirtschaft wie Deutschland sind ebenfalls nicht zu vernachlässigende Größen. So ist eine Informationsgesellschaft ohne verlässliche und jederzeit verfügbare Stromversorgung nicht vorstellbar.

Angesichts der Überschwemmungen und Niederschläge der letzten Monate, die eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben, sind wir alle hier in diesem hohen Haus für den Start beziehungsweise die Entwicklung neuer Formen der Energieversorgung verantwortlich. Nicht energiepolitische Geisterfahrt - anscheinend sind Sie gestern zu lange in der Geisterbahn gewesen, Herr Kerssenbrock -,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

nicht energiepolitische Vorstellungen aus den 70erJahren des vorherigen Jahrhunderts - wie kürzlich vom energiepolitischen Sprecher der CDU-Fraktion in Meldorf dargestellt - sind gefragt, sondern Vernunft und Sachlichkeit.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Es geht um die Mobilisierung aller tragfähigen Potenziale rationeller Energieverwendung. Es geht um Energiesparen und Effizienzsteigerung, um das technisch nachgewiesene, aber bisher wenig genutzte Einsparpotenzial von 40 % des heutigen Energieeinsatzes.

Es geht um den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung, um den Ausbau und die stärkere Nutzung der erneuerbaren Energien. Schritt für Schritt müssen die weitgehend umweltharmonischen und klimaneutralen Energien wirtschaftlich stärker genutzt werden.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn ohne einen Erfolg an dieser Front scheint eine gute Entwicklung von Mensch und Natur für die nächsten Generationen stark gefährdet. Vielleicht wollen Sie das ja, Herr Kerssenbrock.

Für alle, die mit der Energiewirtschaft etwas zu tun haben, sind die Zeiten spannend wie nie. Durch die Öffnung der Strommärkte ist in Deutschland und in Europa viel in Bewegung geraten. Der Energiepolitik ist heute eine europäische Dimension zugewachsen. Im März 2001 hat die EU-Kommission neue Vor

schläge für den Energiebinnenmarkt verabschiedet. Diese zielen auf eine beschleunigte Marktöffnung in allen Mitgliedstaaten ab. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes ist unstrittig und muss von uns allen unterstützt werden.

Zum Thema Energieaufsicht im liberalisierten Energiemarkt, der eine immer entscheidendere Rolle zukommt, sind aktuell zwei Auffassungen in der Debatte. Die erste nimmt für sich in Anspruch, wettbewerbliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Wettbewerb in der Bereitstellung der leitungsgebundenen Energie ist volkswirtschaftlich notwendig und bedarf der staatlichen Rahmensetzung und Begleitung, damit das natürliche Monopol Netz nicht als Marktzutrittsbarriere missbraucht wird.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Aus diesem Grunde fordert die EU-Kommission in ihrem Liberalisierungspaket - die EU-Kommission, Herr Kerssenbrock, nicht allein die schleswigholsteinische Landesregierung -, einen regulierten Netzzugang mit zwingender Preiskontrolle ex ante, einen nationalen Regulator und auf EU-Ebene einen Koordinator aller nationalen Regulatoren einzurichten.

(Minister Claus Möller: Hört, hört!)

Eine Regulierung muss den Strukturen des Systems, in das sie eingreift, angepasst sein. Also muss sie in Deutschland Eigentumsstrukturen von Netzen ebenso berücksichtigen wie die Tatsache, dass Deutschland föderal verfasst ist und energierechtliche Kompetenzen auf Landes- wie auf Bundesebene gegeben sind. Die Regulierung muss Investitionen und Reinvestitionen ermöglichen und entsprechend ökonomische Anreize setzen, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Infrastruktur auf Dauer zu garantieren. Die Regulierung muss optimale Ressourcensteuerung über das Instrument ermöglichen, ohne aber Umwelt- und Versorgungssicherheit zu tangieren. Die ökonomischen Daten, die mit der Festlegung von Prinzipien der Kostenberechnung, der Kostenverteilung und von Kostenvergleichen gesetzt wurden, sind deshalb sehr sorgfältig zu analysieren.

Die zweite Auffassung setzt auf das von der damaligen CDU/FDP- und der jetzigen rot-grünen Bundesregierung eingeführte System der Regulierung mit den Komponenten energie- und wettbewerbsrechtlich verankerte Netzzugangsansprüche für Dritte, zwischen Anbietern und Verbrauchern ausgehandelte Spielregeln für den Netzzugang in Form von Verbändevereinbarungen und der nachträglichen Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden.

(Wilhelm-Karl Malerius)

Hier ist aber die Frage zu stellen, ob die Festlegung von Branchentarifen, wie in den Verbändevereinbarungen vollzogen, zu einer wettbewerbskonformen Lösung führt. Die jeweils an den Verhandlungen beteiligten Verbände haben einen Anreiz, sich zulasten Dritter, das heißt nicht verbandszugehöriger Unternehmen und der Kleinkunden, zu einigen. Der deregulierte Strommarkt Skandinaviens hat es in diesen Tagen vorgemacht. Skandinavische Stromkunden sind möglicherweise von ihren Stromlieferanten um mehrere Millionen Euro betrogen worden. Firmen in Norwegen, Schweden und Finnland stehen in Verdacht, an der gemeinsamen nordischen Strombörse Nordpool die Preise nach oben manipuliert zu haben, indem sie dem Spotmarkt vorhandene Stromangebote bewusst erst verspätet gemeldet haben.

Verbändevereinbarungen tendieren dazu, an zentralen Stellen unvollständig zu sein, auch wenn der Staat moderierend eingreift. Außerdem ist festzuhalten, dass bei einer nachträglichen Missbrauchsaufsicht im Ergebnis mit vergleichsweise zu hohen Zugangspreisen zu rechnen ist. Ohne explizite sorgfältige Kostenstudien der Kartellbehörde ist nicht zu erwarten, dass der Netzzugang zu tatsächlich angemessenen Kosten erfolgen wird.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Hierzu wieder ein Beispiel aus Skandinavien: Die schwedische Wettbewerbsbehörde hat gegen mehr als die Hälfte aller Stromnetzgesellschaften Verfahren wegen unzulässiger Preiserhöhungen eingeleitet.

(Lothar Hay [SPD]: Da muss man aufpas- sen!)

Zwischen Herbst 1998 und Herbst 2001 ist nach Meinung der Behörde in 134 von 260 Netzgebieten der Preis für die Durchleitung von Strom ohne sachlichen Grund erhöht worden, obwohl laut Statistik die faktischen Kosten für den Betrieb der Netze in dem Zeitraum um 2,6 % gesunken waren. Trotz der Marktöffnung und trotz der Verbändevereinbarung sind die Netzdurchleitungsgebühren übermäßig hoch, ist die Marktmacht der ehemaligen Gebietsmonopolisten zu groß und die Entflechtung der Konzerne unzureichend. Somit müssen diese Wettbewerbshindernisse noch aufgebrochen werden; es ist sehr zweifelhaft, ob der deutsche Sonderweg dazu geeignet ist.

Grundsätzlich ist ein Wechsel des Stromversorgers seit vier Jahren möglich. Während Gewerbebetriebe und die Industrie die Möglichkeit zum Wechsel des Versorgers stärker nutzen, bleiben Privatverbraucher trotz aller Werbeschlachten, ob mit Arnold Schwarzenegger oder Veronica Ferres, zurückhalten

der. Nur 3,7 % der 39 Millionen Haushalte sind sich mit einem neuen Stromlieferanten einig geworden. Woran liegt das? Der Regionalversorger hat vor Ort ein Gesicht. Da stehen nicht Strommasten und Umspannstationen im Vordergrund; es werden Kunden und Mitarbeiter sichtbar. Die Regionalversorger machen sich in der Region als Teil der Region zum Beispiel über eine Bonuscard sichtbar und erlebbar. Bei der Teilnahme an einer Bonuscardregelung müssen aber Strom und Gas vom Regionalversorger bezogen werden. Hier werden wieder die kleinen Daumenschrauben angezogen. Wir erleben das gerade ja bei der SCHLESWAG. Nur eine Bonuscard reicht aber nicht, es müssen auch Preis und Leistung der Regionalversorger stimmen. Darum haben 28 % aller Stromkunden seit 1998 den Vertrag mit ihrem Versorger geändert.

Die Transparenz der Netznutzungsbedingungen muss sehr viel weiter verbessert werden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die Netznutzungsentgelte müssen verringert und kontrollierbar sein. Die Verträge, mit denen sich Kunden beim Lieferanten auseinander setzen sollen, müssen kundenfreundlicher standardisiert werden. Auch in Schleswig-Holstein wird sich die Energiewirtschaft den bestehenden Tatsachen anpassen müssen. Von den 40 Stadtwerken mit kommunaler Beteiligung werden zurzeit noch elf als kommunale Eigenbetriebe geführt, 27 aber in Form einer GmbH. Durch Fusionen und Fremdbeteiligungen verstärkt sich der größte Regionalversorger vor Ort, die SCHLESWAG. Machen wir uns nichts vor, die SCHLESWAG und somit e.on sind in Schleswig-Holstein der größte Anbieter für Strom und Gas. Auch eine Kooperation der Stadtwerke Mölln, Ratzeburg und Bad Oldesloe wird daran leider nichts ändern, da bis jetzt keine weiteren Partner in Sicht sind.

(Klaus Schlie [CDU]: Hat der Minister ganz anders gesagt!)

Die augenblickliche Situation in Schleswig-Holstein spricht nicht gerade für einen großen Wettbewerb.

Zu den Rahmenbedingungen, die eine vollständige Marktöffnung flankieren müssen, gehören eine stärkere Trennung von Elektrizitätserzeugern und Netzbetreibern, die Transparenz der Netznutzungsbedingungen, der nicht diskriminierende Zugang neuer Erzeuger und Verteilerunternehmen zum Netz, die generelle Einsetzung eines unabhängigen nationalen Regulierers.

Wir haben noch einen langen Weg zu einem funktionsfähigen Wettbewerb vor uns, das zeigen die einge

(Wilhelm-Karl Malerius)