Protocol of the Session on June 19, 2002

auch der SSW jetzt noch einmal mit einem eigenen Entschließungsantrag unterstützen möchte. Wir zeigen damit, das wir noch einen Strauß von Zielen vor uns haben, die wir gern in die Verfassung aufgenommen hätten. Das ist die Roma- und Sintianerkennung als Minderheit in Schleswig-Holstein, das ist die Gleichstellung der Behinderten, das sind Kinderrechte. Das haben wir im Innen- und Rechtsausschuss auch schon alles vorgetragen. Wir möchten jetzt - auch um die Zeit einzuhalten - der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege entgegenkommen und möchten dieses Anliegen vorrangig, bevor wir die andere Diskussion weiter führen, in die Verfassung aufnehmen.

Ich möchte mich also sehr deutlich dafür aussprechen, die Bedenken, die wir - wie ich finde - mit guten Gründen haben können, zugunsten derjenigen Menschen, die sich uns gegenüber stark gemacht haben - und sie haben sich stark gemacht; 45.000 Menschen sind eine wirklich beträchtliche Anzahl in unserem Land -, zurückzustellen. Welche Politik sollen wir denn sonst machen - wenn wir uns auch in dieser Vertreterdemokratie befinden - als dem zuzuhören, was die Menschen direkt von uns wollen?

Ich bitte Sie also sehr herzlich: Stimmen Sie mit uns mit, damit wir hier der Volksinitiative Pflege entgegenkommen können,

(Martin Kayenburg [CDU]: Nein!)

und lassen Sie uns die Verfassungsdiskussion an anderen Punkten weiter miteinander führen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Frau Kollegin, war das ein Vertagungsantrag?

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein!)

- Gut, also heute auf jeden Fall in der Sache abstimmen!

Jetzt hat der Herr Kollege Dr. Heiner Garg zu einem Dreiminutenbeitrag das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Fröhlich, ich will auf Ihre Frage ganz kurz, aber auch ganz deutlich antworten. Und wenn 100.000 oder auch 2.000.000 Menschen unterschreiben, dass sie für eine menschenwürdige Pflege sind und ich will hoffen, dass jeder im Land für eine menschenwürdige Pflege ist -, so reden wir doch über eine Verfassungsänderung. Und wenn nun auch 80.000

Menschen dafür wären, diese Verfassungsänderung durchzuführen, so ist es meine Pflicht als gewählter Abgeordneter, in diesem hohen Hause dagegen zu stimmen, wenn ich glaube, dass das falsch ist.

(Widerspruch und Unruhe bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schöner als eben Frau Aschmoneit-Lücke hat man es mir doch gar nicht auf den Weg geben können: Der Abgeordnete - jeder von uns - ist ausschließlich seinem Gewissen und keiner Volksinitiative verpflichtet. Darum geht es.

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei der CDU - Widerspruch und Unruhe bei der SPD)

Gemütsäußerungen können auch in der Mittagspause ausgetauscht werden. Jetzt hat die Frau Sozialministerin Moser für die Landesregierung das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte weniger einen Beitrag zur verfassungspolitischen Debatte als vielmehr einen zur Pflege halten. Pflege ist ein sozialpolitischer Bereich, der nicht nur aufgrund der aktuellen Qualitätsdefizite akuten Handlungsbedarf auslöst. Pflege ist vor allem eine zentrale Herausforderung an die zukünftige Gestaltung unseres Sozialstaates. Als Stichworte mögen genügen: steigende Lebenserwartung, demographische Entwicklung und medizinischer Fortschritt.

In Schleswig-Holstein haben sich Regierung und Parlament - das betone ich ausdrücklich - früh und sehr intensiv mit beiden Herausforderungen identifiziert und eine breite öffentliche Debatte ausgelöst. Deshalb sehe ich es nicht als Zufall an, dass sich die Arbeiterwohlfahrt und der Sozialverband gerade in SchleswigHolstein entschlossen haben, eine Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege, mit dem Ziel, sie zum Staatsziel zu machen, zu initiieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Weil hier so viel im Argen liegt!)

Über den Gesetzentwurf entscheidet heute der Landtag. Jenseits der verfassungspolitischen Debatte war die Initiative und ist die heutige Entscheidung ein Beitrag zur Bildung eines Bewusstseins für die Dimension des Themas Pflege.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

(Ministerin Heide Moser)

Ich will hinzufügen: nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Meine Damen und Herren, die Initiatoren der Volksinitiative weisen in der Begründung des Gesetzentwurfes zu Recht darauf hin, dass die Altenpflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Ich unterstreiche das und habe immer wieder die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten eingefordert. Wir müssen aber darauf achten, dass Hinweise auf den gesamtgesellschaftlichen Konsens und die gemeinsame Verantwortung nicht einigen zum Alibi für die eigene Untätigkeit werden. Wir werden die notwendigen Verbesserungen der Lebensbedingungen der pflegebedürftigen Menschen nur erreichen, wenn jeder und jede der Beteiligten, die ihm oder ihr obliegenden Aufgaben und Verpflichtungen auch tatsächlich und konkret erfüllt.

(Beifall bei der FDP)

Das gilt innerhalb des Systems der Pflege; das gilt aber auch im Zusammenspiel der Sozialleistungssysteme, zum Beispiel im Verhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung. Gemeinsame Verantwortung und gesamtgesellschaftlicher Konsens bleiben leere Hülsen, wenn sie nicht ihre Entsprechung im tatsächlichen Handeln finden, also in der Erfüllung konkreter Verpflichtungen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, die Initiatoren der Volksinitiative auch bei ihrer Feststellung zu unterstützen, dass die Staatszielbestimmung allein noch keine bessere Pflege schafft. Das bedeutet für die landespolitische Ebene eine schonungslose Analyse der akuten Defizite und entsprechend wirksame Hilfestellungen für deren Beseitigung; das bedeutet, alle Akteure in einen dauernden Kooperationsprozess einzubinden; das bedeutet, landesrechtliche Regelungen ständig zu evaluieren; und das bedeutet auch die Entwicklung bundespolitischer Perspektiven unter einem ständigen Anstoß öffentlicher Diskussionsprozesse. Das sind, meine Damen und Herren, seit Jahren unsere Leitlinien in der Pflegepolitik.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich das an einigen Punkten konkretisieren. Die Einführung der Pflegeversicherung haben wir engagiert landespolitisch und landesrechtlich begleitet, die Umsetzung ständig überprüft und in Berichten zum öffentlichen Gegenstand gemacht. Dabei haben wir unermüdlich versucht, die fälschlicherweise aufgebaute Erwartung, es handele sich um eine kostendeckende Vollkaskoversicherung, abzubauen. Aber bis heute rekurrieren viele Diskussionsbeiträge immer noch auf diesen Irrtum, meine Damen und Herren.

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: So ist es! Genau!)

Ich stelle noch einmal mit allem Nachdruck fest: Die akuten Qualitätsmängel sind nicht die Folge der Pflegeversicherung, sondern die Folge struktureller Mängel, die - schwarze Schafe als Ursache einmal ausgenommen - durch eine über Jahrzehnte zu geringe Beachtung von fachlichen und demographischen Entwicklungen entstanden sind. Offenkundig geworden sind diese Mängel auch durch die Pflegeversicherung.

So wenig die Pflegeversicherung also Schuld am Zustand der Pflege hat, so sehr muss sie natürlich Gegenstand unserer Betrachtungen sein, wenn es um die zukünftigen Herausforderungen wie Leistungsdynamisierung und Leistungserweiterung - zum Beispiel für die stark wachsende Zahl der demenziell erkrankten Pflegebedürftigen geht. Wir müssen Fragen der Beitrags- beziehungsweise anteiligen Steuerfinanzierung darauf wurde in einigen Redebeiträgen eingegangen stellen, wenn wir uns nicht damit zufrieden geben, nur Qualitätssicherung machen und damit nur akute Defizite beheben zu wollen. Wenn wir den Ehrgeiz haben, erweiterte und quantifizierte Qualitätsstandards zu bekommen, dann dürfen wir die Finanzierung nicht ausklammern. Wer das tut, der redet nur wohlfeil daher.

(Beifall bei SPD und FDP sowie vereinzelt bei der CDU)

Ich sage an uns alle gewandt, parteiübergreifend: Wir werden die bislang zaghafte Diskussion in allen Parteien auf Bundesebene deutlich forcieren müssen. Schauen wir doch alle einmal in unsere Bundestagswahlprogramme und reden dann darüber!

Dass wir als Landesregierung für unseren Teil mit unserer Einflussnahme erfolgreich sind, zeigt der nicht unbeträchtliche Anteil an der Ausgestaltung der bundesgesetzlichen Regelungen, zum Beispiel für das Pflegequalitätssicherungsgesetz und die Heimgesetznovelle. Wir haben aber auch ein Modellprojekt namens „PLAISIR“ auf den Weg gebracht, das gerade die Zukunftsperspektiven und die bundesweiten Kostenfolgen in den Blick nehmen wird. Das ist ein gemeinsames Projekt mit der Bundesebene. Ich denke, das zeigt, dass wir wirklich fest entschlossen sind, bei diesem Thema nicht locker zu lassen, sondern zu bohren und zu bohren - auch wenn das Brett noch so dick ist. Das ist der Weg, der entscheidend ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, wir haben beim konkreten Handlungsbedarf auf Landesebene das Unsrige getan. Ich will Sie jetzt nicht mit einer Aufzählung traktieren, aber darauf hinweisen, dass wir 1999 das Aktionsprogramm des

(Ministerin Heide Moser)

Landespflegeausschusses initiiert und inhaltlich stark mitbestimmt haben, dass wir im April 2000 ergänzend dazu unsere Qualitätsoffensive - übrigens ohne dass uns der Haushalt durch das Parlament erweitert worden wäre; wir haben die Mittel aus dem, was wir hatten, zusammengekratzt - beschlossen haben, und dass wir weit über unsere originären Zuständigkeiten hinaus konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegesituation im Lande auf den Weg gebracht haben. Insofern sind wir dem Gebot, konkret zu handeln, in der letzten Zeit gefolgt.

Ich nenne im Übrigen nur die Verbesserungen in der Altenpflegeausbildung, denn Ausbildung, Motivierung sowie Imageverbesserung des Berufes Altenpflege sind ein zentraler Part dabei. Wir haben die Fortbildung der jetzt tätigen Pflegekräfte in Angriff genommen, und zwar sehr konkret. Wir haben die Einrichtungen beraten. Wir haben - leider noch nicht in allen Kreisen; auch das wäre also ein Handlungsfeld für Kommunalpolitik - ein Pflegenottelefon und unabhängige Beratungsstellen. Wir führen Multiplikatorenprogramme für Menschen durch, die die Heimbeiräte nach dem neuen Gesetz in ihren Möglichkeiten unterstützen sollen. Das ist ein Beitrag für das In-die-Gesellschaftgeben des Problems „Pflegebedürftigkeit, Vereinsamung und soziale Integration“.

Wir werden die bundesgesetzlich vorgesehene Kofinanzierung der niedrigschwelligen Betreuungsangebote nach dem Pflegeleistungsgesetz vorerst allein sicherstellen. Dabei geht es immerhin um 330.000 € jährlich. Durch diese niedrigschwelligen Betreuungsangebote werden nämlich die Angehörigen von Demenzkranken entlastet, die sehr stark belastet sind, wie jeder weiß, der solche Menschen kennt.

Auf PLAISIR bin ich schon eingegangen. Wir möchten endlich eine offene und ehrliche Debatte über die Personalbemessung, die nicht mehr ein Alibi sein darf, um Qualitätsmängel zu entschuldigen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und der Abgeordneten Helga Kleiner [CDU])

Die Kostenfolgen werden nicht unerheblich sein. Darüber muss sich jeder im Klaren sein, der heute die Fahne schwenkt. Er darf sie nicht einrollen, wenn es ans Eingemachte geht. Darum möchte ich sehr bitten, alle in diesem Hause und alle, die darüber hinaus Einfluss haben, auch in den Verbänden. Das ist entscheidend für das, was nachher bei den Pflegebedürftigen ankommt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was ich mit diesen Anmerkungen in aller Bescheidenheit deutlich machen will, ist, dass sich die Landesregierung bereits ohne Staatszielbestimmung und ohne die Präambel im Landespflegegesetz nicht auf Appelle und Forderungen an die anderen beschränkt hat.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Es geht um die Umsetzung all dessen, was im Grunde bekannt und akzeptiert ist, im Konsens. Es geht um die Verbesserung des Alltags, nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern auch für die Pflegekräfte, die einen harten Job machen. Nach den Reden heute bin ich zuversichtlich, dass wir diesen Weg weitergehen können, auch wenn es um die Zukunftssicherung der Pflege geht.

Zusammengefasst: Die Staatszielbestimmung - wenn der Landtag sie heute in die Verfassung aufnimmt - ist für uns nicht Anstoß, sondern sie wird für uns zusätzliche Verpflichtung sein, den beschrittenen Weg mit allem Nachdruck weiter fortzusetzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten in die Abstimmung ein. Aufgerufen zur Abstimmung ist zunächst Drucksache 15/1670, wobei ich über die Drucksache in zwei unterschiedlichen Schritten abstimmen lasse. Zunächst werden wir über Artikel 2 abstimmen.

In Artikel 2 der Drucksache 15/1670 geht es im Wesentlichen um die Änderung des Landespflegegesetzes. Hierzu liegt der Änderungsantrag Drucksache 15/1981 vor. Danach soll es eine Veränderung des vorgesehenen Textes geben, und zwar verändert um den Einschub, der unterstrichen ist. Liegt der Antrag allen vor?