Gerade der Minderheitenschutz zeigt aber auch auf, dass goldene Worte in der Verfassung alleine keine Probleme lösen. Eine Staatszielbestimmung begründet zwar ein moralisches Recht auf Schutz und Förderung des Staates, einen rechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Behandlung kann man daraus aber nicht ableiten. Das wissen wir bereits aus leidlicher Erfahrung mit Artikel 5 der Landesverfassung. Zudem ist die Formulierung der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege so abgeschwächt worden, dass sich keine konkreten Rechtsansprüche daraus ableiten lassen. Das können wir nämlich gar nicht leisten. Deshalb hoffen wir sehr, dass diese Volksinitiative keine Hoffnungen geweckt hat, die sich mit den vorliegenden Gesetzentwurf nicht befriedigen lassen. Gerade weil die Verfassungsänderung und die Präambel des Landespflegegesetzes nicht zwangsläufig schon Verbesserungen mit sich bringen, können sie leicht dazu beitragen, den Frust gegen die Politik zu richten. Wir können aber die optimale Pflege nicht per Gesetz durchsetzen.
Die Pflege steht allerdings, wie der Kollege Dr. Garg schon richtig sagte, nicht erst seit Gründung der Volksinitiative durch zwei Leistungsträger ganz oben auf der Tagesordnung. Die heutige Debatte ist ein Ausläufer der mittlerweile seit mehreren Jahren geführten Diskussion über die Pflegequalität und über Pflegemissstände.
Es ist auch schon vieles unternommen worden, um die Qualität der Pflege zu verbessern. Insbesondere drücken wir mit der Zustimmung zum Ansinnen der Volksinitiative aus, dass wir diesen Weg für eine menschenwürdige Pflege weiter beschreiten wollen. Die pflegenden Menschen müssen durch Qualifikation lernen, was heute alles zu einer menschenwürdigen Pflege gehört, und sie müssen auch humane Arbeitsbedingungen haben. Das Leistungsrecht muss endlich
reformiert werden, damit es auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Einzelnen Rücksicht nimmt und den Pflegenden wieder Raum für menschliche Kontakte lässt.
(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Anbieter müssen lernen, die Qualität ihrer Dienstleistung zu sichern. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen Unterstützung und Beratung erfahren. Unmoralische oder gar kriminelle Pflegeanbieter sollen durch mehr Kontrolle aus dem Verkehr gezogen werden. Letztlich müssen die pflegebedürftigen Menschen überhaupt wieder mehr in die Mitte der Gesellschaft geholt werden. Dazu kann jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten.
Es ist klar, dass der Landtag dies alles gar nicht regeln kann. Die vielen Probleme wird dieser Gesetzentwurf nicht lösen und die vielen Beteiligten wird er nicht ändern. Insofern ist die Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege in erster Linie ein Zaunpfahl, mit dem wir markieren, wo für uns die Grenzen einer humanen Gesellschaft verlaufen, mit dem wir Politikern, Verwaltungsleuten und Verbandsvertretern auf allen Ebenen zuwinken, um sie an die Verantwortung einer humanen Gesellschaft für die Pflegebedürftigen zu erinnern.
(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einige ergänzende Anmerkungen zum Staatsziel „Schutz und Förderung pflegebedürftiger Menschen“ machen, weil hier in der Diskussion aus meiner Sicht einiges durcheinander gegangen ist. Es ist so, dass sich 45.000 Bürgerinnen und Bürger im Land dafür aussprechen, in die Landesverfassung ein Staatsziel „Schutz und Versorgung pflegebedürftiger Menschen“ zusätzlich zu den in der Verfassung dort schon vorhandenen Staatszielen aufzunehmen. Es ist ja ein entscheidender Gesichtspunkt, dass dies nicht das einzige Staatsziel ist.
Wir haben bereits einen Katalog von Staatszielen in der Verfassung. Es ist darauf hingewiesen worden: Wir schützen und fördern die nationalen Minderheiten der Dänen und Friesen, wir schützen unsere Umwelt,
die natürlichen Lebensgrundlagen, wir fördern und schützen die Kultur. Dies alles sind Staatsziele, die schon in der Verfassung enthalten sind. Weiter haben wir in unserer Landesverfassung als Staatsziel die Gleichstellung von Frauen und Männern verankert.
Zusätzlich soll für diesen Kreis der pflegebedürftigen Menschen in Form eines Staatsziels eine Verfassungsbestimmung aufgenommen werden. Nichts spricht dagegen. Alles spricht dafür.
Wenn von Frau Schwarz gefragt wird - liebe Frau Kollegin Schwarz! -, was verändert sich denn ganz konkret für die Pflegebedürftigen durch ein Staatsziel, dann will ich Ihnen das sagen: Selbstverständlich vermitteln Staatsziele keine subjektiven Ansprüche auf irgendwelche Leistungen und schon gar nicht auf finanzielle Leistungen, sondern sie sind eine objektive Selbstverpflichtung für uns, für die Landespolitik,
als sinnvolle Ergänzung des vorhandenen Staatszielkataloges. Es ist also nicht so, dass man sagen kann, Staatsziele schaden nicht, sondern Staatsziele nützen den betroffenen Menschen, weil sie uns politisch verpflichten.
Wir haben - ich verweise auf die Drucksache 15/1983 - für die rot-grünen Koalitionsfraktionen und für den SSW einen Änderungsantrag eingebracht, der lautet:
Artikel 5 a möge in die Landesverfassung eingefügt werden mit der Überschrift „Schutz und Förderung pflegebedürftiger Menschen“.
„Das Land schützt die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und fördert eine Versorgung, die allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.“
Das Wort erteile ich jetzt der Sprecherin des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte verdient es differenziert geführt zu werden; so ist sie ja auch in vielerlei Hinsicht geführt worden.
Wir wissen alle, dass es sowohl Argumente für als auch Argumente gegen eine Aufnahme in die Landesverfassung gibt. Meine Kollegin Silke Hinrichsen hat die Position des SSW deutlich gemacht und auch erklärt, warum wir trotz unserer restriktiven Haltung weiteren Staatszielen gegenüber diesem Anliegen der Volksinitiative zustimmen können.
Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass wir es in der Bundesrepublik, in den Bundesländern mit einem Verfassungssystem zu tun haben, das mit Staatszielen operiert, und dass wir immer in einen solchen Abwägungsprozess kommen. Wir müssen sehen, was wollen wir als Staatszielbestimmung in der Landesverfassung stehen haben, was nicht, wie restriktiv oder wie offen wollen wir dies alles handhaben.
Als wir 1996 die erste größere Verfassungsdiskussion hier im Landtag bekamen, sagte der SSW im Verfassungsausschuss: Wenn wir uns im Konsens auf weitere Staatsziele einigen können, dann werden wir diese auch mittragen können. Für uns hat aber immer noch erste Priorität die Aufnahme der Sinti und Roma in die Landesverfassung.
Dabei bleibt es für uns und darum ist es für uns wichtig, dass unser Entschließungsantrag jetzt dazu führt, dass wir uns in der Zuständigkeit des Landtages wieder mit unserer Landesverfassung und mit den Staatszielbestimmungen dieser Landesverfassung auseinander setzen.
- Nein, das ist sehr gut und das begrüße ich auch; wir haben uns ja, lieber Kollege Garg, schon in vielerlei Hinsicht ausgetauscht. Deshalb bitte ich auch darum, dass wir in dieser Sache nicht so kleine Brötchen bakken, sondern wirklich sagen, worum es geht, was
wichtig ist und wie wir zu dieser Volksinitiative, zu diesem Anliegen aus dem Volk, stehen. Dazu haben wir vom SSW eine klare Meinung. Mein Anliegen ist es also, noch einmal deutlich zu machen, dass die Verfassungsdiskussion mit dem weitergehen muss, was jetzt zum Beispiel aus unserem Entschließungsantrag hervorgeht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in diese Debatte einmischen, weil ich noch nicht richtig verstanden habe, wie sich CDU und FDP eigentlich zur Bevölkerung, zu den 45.000 Menschen stellen wollen, die unterschrieben haben und die gewünscht haben, die Landesverfassung solle geändert werden; CDU und FDP lehnen dies ja ab.
Ich verstehe sehr wohl die Bedenken - das will ich gern zugeben -; die habe ich in meiner Fraktion auch vorgetragen. Das kann man auch ganz gut begründen, indem man sagt, das Grundgesetz regele die Würde des Menschen und damit seien alle weiteren Fragen, was die Würde des Menschen und auch die Würde von pflegebedürftigen Menschen anbetrifft, eigentlich geklärt.
Aber wenn die Bevölkerung sagt, wir möchten zu unserem besseren Verständnis und wir möchten auch zur Absicherung derer, die sich selber nur noch ganz schwer helfen können, das den Politikerinnen und Politikern als Staatsziel mit auf den Weg geben, dann können wir uns, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dem nicht verschließen.
Wenn wir das heute also nicht mit Zweidrittelmehrheit hinbekommen, dann wird - so meine ich zumindest diese Volksinitiative verstanden zu haben - die Volksinitiative ihre Arbeit fortsetzen und dann werden wir einen Volksentscheid bekommen und dann werden wir dieses Staatsziel in die Verfassung aufnehmen. Angesichts dessen halte ich es für besser, den Weg zu beschreiten, den Herr Klaus-Peter Puls und ich im Rechtsausschuss bereits angestoßen haben und den
auch der SSW jetzt noch einmal mit einem eigenen Entschließungsantrag unterstützen möchte. Wir zeigen damit, das wir noch einen Strauß von Zielen vor uns haben, die wir gern in die Verfassung aufgenommen hätten. Das ist die Roma- und Sintianerkennung als Minderheit in Schleswig-Holstein, das ist die Gleichstellung der Behinderten, das sind Kinderrechte. Das haben wir im Innen- und Rechtsausschuss auch schon alles vorgetragen. Wir möchten jetzt - auch um die Zeit einzuhalten - der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege entgegenkommen und möchten dieses Anliegen vorrangig, bevor wir die andere Diskussion weiter führen, in die Verfassung aufnehmen.