Offensichtlich ist hier auf der rechten Seite des Hauses die Vorstellung „alles oder nichts“ vorherrschend. Man will lieber gar nichts, denn es könnte ja sein, dass man nicht alles bekommt. Ich dagegen denke, wir sollten realistisch bleiben.
Wir sollten einen konkreten Schritt tun, der hier an uns herangetragen wird, nämlich die Pflege so hoch anzusetzen, dass sie auch in den nächsten, den übernächsten und den überübernächsten Haushaltsverhandlungen die Rolle spielt, die sie spielen muss.
(Zuruf von der CDU: Ja, dann tut doch was! - Martin Kayenburg [CDU]: Sie haben bei den Haushaltsberatungen versagt!)
Wir müssen uns sehr genau überlegen, was wir dafür ausgeben. Gleichzeitig müssen wir auch die konkreten Ziele, die im Zehn-Punkte-Programm zum Ausdruck kommen, mit Leben füllen.
Ich möchte nur vier Punkte herausgreifen, an denen zwar einiges an Initiativen auf dem Wege ist, aber durchaus noch mehr passieren muss.
Die Pflegeinitiative fordert, statt neuer Altenheime mehr Häuser für betreutes Wohnen, für neue Wohngemeinschaftsformen und Hospize zu bauen. Dieses Anliegen unterstützen wir sehr. Das heißt dann
aber natürlich auch, mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Wohnungsbaugesellschaften und mit anderen, die hier investieren, auch mit den Krankenkassen zu reden und zu verhandeln, und dafür braucht die Ministerin dann natürlich die Unterstützung des ganzen Hauses.
(Martin Kayenburg [CDU]: Aber dafür brau- chen Sie keine Verfassungsänderung! Das müssen Sie nur tun! Bewegen Sie sich doch endlich einmal!)
Das Zweite ist das Thema der bundeseinheitlichen besseren Altenpflegeausbildung. Da geht es auch um die Harmonisierung der Pflege von der Krankenpflege bis hin zur Altenhilfe, also um einen qualifizierten Beruf. In anderen Staaten gibt es dafür sinnvollerweise ja auch schon den Aufbau der Pflegewissenschaft. Hier wird ganz konkret gefordert, dass es in Schleswig-Holstein endlich einen Lehrstuhl für Geriatrie gibt. Auch dies ist etwas sehr Konkretes, und ich bin gespannt darauf, was dann, wenn wir solche Anträge konkret stellen, die Mehrheit des Hauses dazu sagt.
Der dritte Punkt ist genauso wesentlich: die Frage der Beteiligung. Wir haben bisher immer noch viel zu viele Getto-Situationen für alte Menschen. Auch hierzu kann man sich sehr konkret verhalten, ohne dass das eine Änderung der Verfassung und eine Änderung des Landespflegegesetzes ausschließt. Das ergänzt sich doch sinnvoll, und die Verfassungsänderung ist dann ja auch eine Aufforderung an andere Kräfte außer dem Gesetzgeber und der Regierung, auf diesem Felde zu handeln.
Das Vierte betrifft eine Frage, die uns in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen wird: Wie wird eigentlich die Kostenträgerschaft geregelt? Wir brauchen mehr Geld im System, wir brauchen mehr Personal; PLAISIR hat es gezeigt. Ich finde es sehr gut, dass sich Schleswig-Holstein an diesem Modellversuch beteiligt hat. Wenn wir hier Taten folgen lassen wollen, dann müssen wir die unwürdige Auseinandersetzung um die Kostenträgerschaft über das BSHG oder über die Pflegeversicherung endlich zu einem Ende führen, das nicht zu Lasten der Betroffenen, sei es der Pflegenden, sei es der zu Pflegenden, geht. Ich weiß, hierzu gibt es in diesem Raum viele Meinungen. Diese Diskussion müssen wir aber angehen, wenn wir das, was wir in der Verfassung zum Ausdruck bringen wollen, ernst meinen. Insofern bin ich sehr froh darüber, dass es diesen Zehn-Punkte-Katalog gibt.
Ich bin auch dankbar dafür, dass wir einiges in diesem Katalog schon mit einem kleinen Haken versehen können, weil die Landesregierung diesbezüglich auf
einem guten Weg ist und weil sie Mitstreiter gefunden hat. Aber natürlich gibt es noch viele konkrete Desiderate. Insofern haben die Initiative der Bevölkerung und die Initiative der Wohlfahrtsverbände ein konkretes Ziel schon erreicht, dass nämlich dieses Thema nicht eines unter vielen ist, sondern dass wir uns sehr nachdrücklich, auch wenn es um den Haushalt geht, mit diesen Dingen auseinander setzen müssen und dass ein gesellschaftlicher Appell an alle Kräfte, weit über die wenigen Menschen, die hier sitzen, hinaus, ergeht, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und für Besserung zu sorgen.
Wenn wir, wie gesagt, an dieses Thema den Maßstab anlegten, den Herr Garg hier formuliert hat, dann hätten wir alle anderen Verfassungsziele auch nicht aufnehmen dürfen. Denn auch für die Gleichstellung von Frau und Mann kann im Vollzug niemand eine Garantie abgeben, genauso wenig wie wir dadurch, dass wir in die Verfassung etwas zum Thema Umweltschutz schreiben, garantieren können, dass sich jeder Mensch im Lande daraufhin automatisch daran hält.
(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Meine Güte! Sprechen Sie doch einmal über Dinge, von denen Sie etwas verstehen!)
Aber durch die Einrichtung eines Umweltministeriums und durch sehr viele einzelne Schritte haben wir natürlich diesem Verfassungsziel konkret Rechnung getragen.
Auch in der Auseinandersetzung über das Klinikgesetz wird dies sehr konkret werden. Ich habe das neulich bereits angedeutet. Auch dabei geht es um die Stellung der Pflege in der zukünftigen Konstruktion einer großen Universitätsklinik für dieses Land.
Auch da würde ich mich sehr viel sicherer fühlen, wenn ich wüsste, dass die Mehrheit in diesem hohen Hause dieses Thema in der Verfassung wie auch im Landespflegegesetz unterstützt.
Man hat mit der Verfassung im Rücken dann natürlich eine andere Argumentationsgrundlage, wenn es um die konkrete Umsetzung geht. Ich jedenfalls setzte, würde hier mit zweierlei Maß gemessen, die Kritik am Gesetzgeber an.
(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Aha! Der Ge- setzentwurf stammt von der Landesregierung, würde ich einmal sagen!)
Aber bisher führen wir ja noch eine offene Debatte. Ich wünsche mir, dass sich an dieser Stelle die Kolle
ginnen und Kollegen, die jetzt noch schwanken, die vielleicht nicht wissen, ob sie zu viel versprechen,
die Auseinandersetzung der anderen Verfassungsziele vor Augen halten. Wenn Sie tatsächlich willens sind, der Pflege finanziell, politisch und auch in Ihrem eigenen Leben mehr Bedeutung zuzumessen, als sie das bisher getan haben, dann geben Sie Ihrem Herzen einen Ruck und stimmen Sie zu. Wir werden alle bei den nächsten Auseinandersetzungen - nicht nur bei Wahlen - daran gemessen werden.
Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen haben es vorhin schon gesagt: Das Grundgesetz beginnt mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wer aber den Alltag in der Pflege kennen gelernt hat, weiß, dass die Realität nicht immer diesem Anspruch gerecht wird. Dafür gibt es viele Gründe: Manchmal liegt es am Leistungsrecht, das die Menschen in Schubladen steckt, ohne ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu sehen und sich Zeit für den Einzelnen zu nehmen.
Ich darf darum bitten, dass Handys im Plenarsaal beziehungsweise in der Loge und im Tribünenbereich ausgeschaltet bleiben. - Vielen Dank.
Manchmal liegt es an den pflegenden Menschen, die vielleicht nicht gelernt haben und nicht wissen können, was heute alles zu einer menschenwürdigen Pflege gehört. Manchmal liegt es auch an den Leistungsanbietern, die es selbst versäumt haben, nach der Qualität in ihrer Pflege zu fragen. Manchmal liegt es an den Angehörigen, die schlicht überfordert sind. Und manchmal - das kommt Gott sei Dank nicht so häufig liegt es an der fehlenden Moral und der kriminellen Energie derjenigen, die mit der Pflege und Betreuung hilfloser Menschen Geld verdienen. Es gibt viele Gründe für Unmenschlichkeiten in der Pflege, und
Weil Artikel 1 des Grundgesetzes nicht dazu beitragen konnte, Missstände in der Pflege zu verhindern, haben zwei Wohlfahrtsverbände eine Volksinitiative ins Leben gerufen: Das Recht auf eine menschenwürdige Pflege soll ausdrücklich in die Landesverfassung und in das Landespflegegesetz aufgenommen werden. Die Volksinitiative sammelte circa 45.000 Unterschriften und hätte auch keine schlechten Chancen, wenn es zu einem Volksentscheid käme.
Wir erkennen an, dass es eine deutliche außerparlamentarische Bekundung dafür gibt, die menschenwürdige Pflege in die Landesverfassung aufzunehmen. Wir respektieren, dass offensichtlich eine Mehrheit in der Bevölkerung den Wunsch hat, den moralischen Anspruch auf eine menschenwürdige Pflege in der Verfassung und im Landespflegegesetz festzuschreiben. Wir meinen, dass der Landtag dem folgen soll.
Aber wir wollen auch deutlich machen, dass wir diese Gesetzesänderung mit einer gesunden Portion Skepsis sehen. Bei Verfassungsänderungen stehen wir immer vor dem Dilemma, dass es viele gute Absichten gibt, die Verfassung aber nicht alles aufnehmen kann. Eine Verfassung soll kein Poesiealbum sein, in das jeder einen schönen Spruch und gute Wünsche schreiben darf. Deshalb gibt es auch die Hürde der Zweidrittelmehrheit. Eine Verfassung muss Prioritäten setzen. Sie nennt die wichtigsten, obersten Ziele des Staates und muss deshalb die verschiedenen Belange gewichten.
Wir meinen, dass es eine Reihe von Zielen gibt, die mindestens genauso wichtig sind wie die Pflege. Deshalb haben wir auch den vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht. Wir wollen unterstreichen, dass es andere Themen gibt, die für uns ebenso sehr, wenn nicht noch mehr, die Aufnahme in die Landesverfassung verdient haben. Das machen wir aber nicht, indem wir die Willensbekundung der Bevölkerung zurückweisen, sondern indem wir unsere Prioritäten klar aufzeigen.
Zu den wichtigsten Punkten gehören für uns nämlich der Schutz und die Förderung der autochthonen Minderheiten und die Gleichstellung sozialer Minderheiten. Für den SSW ist glasklar, dass weiterhin die dringendste Erweiterung der Landesverfassung der Schutz und die Förderung der Sinti und Roma ist.
Es ist wirklich beschämend, dass es bis heute nicht gelungen ist, diese dritte Minderheit in SchleswigHolstein neben Friesen und Dänen gleichberechtigt in die Landesverfassung aufzunehmen. Dafür gibt es keine vernünftigen Gründe, es sei denn, man folgt den erheblichen Vorurteilen.
Wir werden jedenfalls die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die FDP und die Union in dieser Frage besinnen. Die sture Ablehnung ist nach unserer Ansicht ein Armutszeugnis für eine Partei, die immer wieder gerne über Moral und Werte doziert. Es ist Zeit für Taten.
Gerade der Minderheitenschutz zeigt aber auch auf, dass goldene Worte in der Verfassung alleine keine Probleme lösen. Eine Staatszielbestimmung begründet zwar ein moralisches Recht auf Schutz und Förderung des Staates, einen rechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Behandlung kann man daraus aber nicht ableiten. Das wissen wir bereits aus leidlicher Erfahrung mit Artikel 5 der Landesverfassung. Zudem ist die Formulierung der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege so abgeschwächt worden, dass sich keine konkreten Rechtsansprüche daraus ableiten lassen. Das können wir nämlich gar nicht leisten. Deshalb hoffen wir sehr, dass diese Volksinitiative keine Hoffnungen geweckt hat, die sich mit den vorliegenden Gesetzentwurf nicht befriedigen lassen. Gerade weil die Verfassungsänderung und die Präambel des Landespflegegesetzes nicht zwangsläufig schon Verbesserungen mit sich bringen, können sie leicht dazu beitragen, den Frust gegen die Politik zu richten. Wir können aber die optimale Pflege nicht per Gesetz durchsetzen.