Protocol of the Session on June 19, 2002

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes SchleswigHolstein und des Landespflegegesetzes

Gesetzentwurf der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege Drucksache 15/1670

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 15/1939

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/1974

Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/1981

Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/1983

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Ich erteile der Berichterstatterin des Innen- und Rechtsausschusses, Frau Abgeordneter Schwalm, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat den Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein und des Landespflegegesetzes durch Plenarbeschluss vom 20.03.2002 an den Innen- und Rechtsausschuss, den Sozialausschuss und den Eingabenausschuss überwiesen. Der beteiligte Eingabenausschuss empfahl dem federführenden Innen- und Rechtsausschuss, den Gesetzentwurf mit der Maßgabe anzunehmen, eine andere systematische Einordnung von Artikel 1 des Gesetzentwurfs vorzunehmen und äußerte Bedenken gegen die Verwendung des Begriffs „gewährleistet“ in Artikel 1 des Gesetzentwurfs. Der federführende Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit der Volksinitiative zuletzt im Rahmen seiner Sitzung am 5. Juni 2002 beschäftigt. Er empfiehlt dem Landtag mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der CDU, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Der beteiligte Sozialausschuss schloss sich diesem Votum in seiner Sitzung am 6. Juni 2002 mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zwei Vertreterinnen und Vertretern der CDU gegen die Stimme des Vertreters der FDP und bei Enthaltung eines Abgeordneten der CDU an.

Ich danke der Frau Berichterstatterin für den Bericht und die Beschlussempfehlungen. Wortmeldungen zum Bericht gibt es nicht. Ich eröffne die Einzelberatung und erteile Herrn Abgeordneten Beran das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat, das uns allen bekannt ist:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Dies ist das höchste zu schützende Gut in unserem Land und das gilt für alle Menschen, die hier leben oder sich aufhalten. Egal, ob es sich dabei um Deutsche oder Gäste in unserem Land handelt, ob es Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, Politiker oder Journalisten, gesunde Junge oder pflegebedürftige Alte sind. Jemandem die Würde zu nehmen, ist verletzend und erniedrigt ihn, macht ihn ungleich und hilflos. Wenn das Grundgesetz die Würde aller Menschen schützt, also auch die der pflegebedürftigen Menschen, warum

müssen wir dann unsere Landesverfassung durch einen neuen Artikel 5 a mit folgendem Wortlaut noch zusätzlich ergänzen:

„Das Land schützt die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und fördert eine Versorgung, die allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.“

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es sich hier um eine gegenüber der von der Volksinitiative vorgelegten veränderte, aber mit den Initiatoren abgestimmte Formulierung handelt, die wir Ihnen heute mit der Drucksache 15/1093 vorlegen.

Erinnern Sie sich an unsere Pflegedebatten im vergangenen Jahr, an die Berichterstattungen in den Medien über Pflegemissstände, ja sogar über Skandale in stationären Einrichtungen! Erinnern Sie sich, wie verzweifelt die Pflegekräfte in unserem Lande auf diese Missstände aufmerksam gemacht haben! Ich stelle auch aufgrund der Prüfungsergebnisse des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen fest, dass es noch wesentliche Verbesserungen - unter anderem in der Organisation, der Ausbildung, des Personalschlüssels, der finanziellen Ausstattung und der Qualität in der Pflege - geben muss. Ich sage nicht nur im stationären Bereich, sondern mit Sicherheit auch in den ambulanten Diensten.

Der Stellenwert der Pflege ist in unserer Gesellschaft noch nicht so hoch, dass es selbstverständlich ist, mehr für diesen Bereich unserer Gesellschaft zu tun. Die Volksinitiative hat hier Wichtiges geleistet. Sie hat innerhalb kürzester Zeit über 40.000 Unterschriften für ihr Anliegen zusammengetragen. Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle bei den beiden Organisatoren, dem Sozialverband Deutschland und der Arbeiterwohlfahrt, bedanken!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Sie haben damit bewiesen, dass es möglich ist, Problembewusstsein für diesen Bereich zu wecken. Dabei haben sie in der Bevölkerung eine wichtige Diskussion angestoßen. Mit der Aufnahme des Artikels 5 a unterstreichen wir dies und verpflichten alle Menschen in diesem Land und seine Institutionen, sich aktiv für die Rechte und Interessen der pflegebedürftigen Menschen einzusetzen. Wir wollen allen Pflegebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Das heißt vor allem ein weitgehend selbstbestimmtes Leben.

Probleme hätte ich damit, wenn die heutige Diskussion nur symbolischen Charakter hätte. Außer einer gesellschaftspolitischen Diskussion halte ich es für wichtig, dass diese Verfassungsergänzung eine gesellschaftliche Vereinbarung darstellt, die sich auf das Han

(Andreas Beran)

deln der Personen, Institutionen und Verwaltungen auswirkt, die direkt oder indirekt durch ihr Handeln auf das Leben pflegebedürftiger Menschen einwirken. Es muss jedoch auch klar sein, dass dieses neue Staatsziel eine Selbstverpflichtung darstellt und kein einklagbares Recht ist. Insoweit wird sich für die Bürgerinnen und Bürger keine neue Anspruchsgrundlage ergeben.

Meine Sorge ist, dass es Menschen gibt, die meinen, mit der heutigen Befassung im Landtag sei diese Aktion nun vorbei. Nein, diese Diskussion darf so lange nicht enden, bis wir sicher sein können, dass es allen pflegebedürftigen Menschen ermöglicht wird, in Würde alt zu werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Deshalb fordere ich Sie, die Organisatoren der Volksinitiative, die 40.000 Menschen, die bereits ihre Unterschrift geleistet haben, aber auch alle anderen Menschen in unserem Land auf, diese Diskussion fortzuführen.

„Wir haben eine Traum.“ So beginnen die Initiatoren der Volksinitiative in ihrer Informationsbroschüre in Anlehnung an Martin Luther King. Ihr Traum ist, dass alle Pflegebedürftigen in unserer Gesellschaft ein menschenwürdiges Leben führen, sozial integriert sind und ihr Leben selbstbestimmt gestalten, durch ein solidarisches Sicherungssystem bedarfsgerecht abgesichert sind, bis zu ihrem Lebensende in einer privaten Umgebung versorgt werden, wohnortnah fachlich qualifizierte Hilfe erhalten und bei der Durchsetzung ihrer Rechte von der Politik und von allen Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden. Diese Ziele werden nach dem heutigen Tag nicht erreicht sein.

Die Ergänzung unserer Landesverfassung ist nur ein Schritt, und zwar ein sehr kleiner. Erst, wenn sich in unser aller Köpfe etwas verändert hat, haben wir die Grundlage geschaffen, diese Ziele, die auch ich mir erträume, zu erreichen.

Durch meine Tätigkeit in der stationären Altenhilfe ist mir bewusst geworden, wie schnell jeder von uns pflegebedürftig werden kann. Pflegebedürftigkeit kommt nicht nur im Alter vor, sondern kann durch Krankheit oder Unfall schon morgen auch uns erreichen. Dann ist es meist zu spät, Änderungen zur Verbesserung einer pflegebedürftigen Situation zu erreichen, denn die Lobby für diese Menschen ist - im Verhältnis zu anderen - nicht sehr groß.

(Rolf Fischer [SPD]: Sehr richtig!)

Ich fordere Sie auf: Werden Sie Interessenvertreter für dieses Klientel und stimmen Sie heute dieser Verfassungsänderung zu!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Als zweiten Schritt hat die Volksinitiative gefordert, dass dem Landespflegegesetz eine Präambel vorangestellt werden soll. In Abstimmung mit den Beteiligten soll sie - sie ist heute Morgen als Drucksache 15/1981 verteilt worden - wie folgt lauten:

„Die Dienste und Einrichtungen der Pflege sollen am Wohl der Pflegebedürftigen und an den Grundsätzen der Pflegequalität ausgerichtet sein, die den jeweils aktuellen Erkenntnissen der Pflegewissenschaft entsprechen. Sie sollen insbesondere die soziale Integration der pflegebedürftigen Menschen fördern, ihre Lebensqualität nachhaltig verbessern und ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit trotz ihres Hilfebedarfs erhalten.“

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Durch diese Präambel zum Landespflegegesetz sollen Qualitätsziele in der Pflege initiiert beziehungsweise vorangetrieben werden. Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine humane und damit menschenwürdige Pflege von zentraler Bedeutung in unserer Gesellschaft ist.

Damit wird etwas unterstrichen und in seiner Bedeutung hervorgehoben, was wir zwar an anderer Stelle im Landespflegegesetz oder im Qualitätssicherungsgesetz bereits enthalten haben, das dort sonst aber vielleicht untergehen würde.

Mit der Annahme der Änderung unserer Landesverfassung und der Präambel zum Landespflegegesetz können wir heute ein politisches Signal setzen. Wenn es uns dadurch gelingt, die Diskussion um den Stellenwert der Pflegebedürftigen in unserer Gesellschaft voranzubringen, um das Ziel zu erreichen, in ganz Schleswig-Holstein zu einer menschenwürdigen Pflege zu gelangen, haben wir heute viel erreicht. Daher fordere ich Sie auf: Stimmen Sie den vorliegenden Anträgen zu!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zwischenzeitlich haben weitere Gäste auf der Tribüne Platz genommen. Es sind Schülerinnen und Schüler

(Präsident Heinz-Werner Arens)

der Klosterhofschule Lübeck mit ihren Lehrkräften. Auch ihnen: Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kubicki hat ganz Recht: Ich stehe hier eigentlich als Torsten Geerdts. Torsten Geerdts liegt mit großen Bauchschmerzen und Übelkeit im Bett. Es sind möglicherweise auch politische Bauchschmerzen, die man bei diesem Thema haben könnte. - Nein, er ist wirklich richtig krank. Wir sollten ihm von dieser Stelle aus gute Besserung wünschen. Vielleicht ist er morgen wieder da.

(Beifall)

Wir entscheiden heute in zweiter Lesung darüber, ob unsere Landesverfassung um einen Artikel 9 a, Schutz und Versorgung pflegebedürftiger Menschen, ergänzt werden soll. Die Diskussion um diese Verfassungsergänzung findet in einer Zeit statt, in der die Probleme und Missstände in der Pflege durch Prüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen für alle Bürgerinnen und Bürger sehr deutlich geworden ist. Herr Beran hat das eben schon gesagt.

Drei Ausschüsse des Schleswig-Holsteinischen Landtages haben sich mit dem von der Arbeiterwohlfahrt und dem Sozialverband Deutschland in die Diskussion gebrachten Anliegen intensivst auseinander gesetzt.

Die CDU-Landtagsfraktion hat sich gleich zu Beginn der Arbeit der Volksinitiative im Mai 2001 mit der Thematik befasst. Wir sind damals zu einer eindeutigen Positionierung gekommen. Diese Position haben wir bei den zahlreichen Veranstaltungen der beiden Verbände vertreten. Es war eine ablehnende Haltung der CDU-Fraktion.

Die Diskussionen vor Ort waren sachlich und gut und haben zur Meinungsbildung wichtige Impulse gegeben. An dem Diskussionsprozess wurden neben den Vertretern der AWO und des Sozialverbandes Deutschland pflegende Angehörige, das Pflegepersonal, Mitglieder der örtlichen Seniorenbeiräte, aber auch Vertreter der beiden großen Kirchen im Land beteiligt. Diese Diskussionen waren kontrovers und dennoch sachlich.

Schon mit der Durchführung dieser Veranstaltungen ist es den Initiatoren gelungen, auf die Herausforderungen der Pflegeproblematik hinzuweisen.