Protocol of the Session on June 19, 2002

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Lesung des Gesetzentwurfs werden wir ein Gesetz beschließen, das über zwei Jahre im ganzen Land lebhaft, kontrovers und leidenschaftlich diskutiert worden ist. Wir haben eben noch einmal ein Beispiel dafür bekommen. Herr Hopp, ich habe in den vielen Veranstaltungen und Diskussionen, die ich selbst zu diesem Thema mitgemacht oder bestritten habe, die unterschiedlichsten Auffassungen gehört. Ich habe eines festgestellt - das war für mich hochspannend -: Die Auffassungen gingen quer durch alle Parteizugehörigkeiten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu der Frage, die Sie eben angesprochen haben, habe ich Ihre Meinung gehört und ich habe mindestens in gleicher Zahl andere Auffassungen dazu gehört. Es ist sehr schwierig. Insgesamt kann man feststellen: Was heute vorliegt, stellt natürlich - das haben auch einige Redner betont - einen Kompromiss dar. All das, was auch heute in der Debatte noch an Forderungen erhoben worden ist, kann man eben nicht unter einem Dach vereinen. Das müsste uns allen eigentlich klar sein.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Insgesamt darf ich für mich persönlich feststellen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass das, was heute vorliegt und zur Abstimmung gelangen soll, intensiv und breit diskutiert worden ist. Das ist für sich genommen eine sehr gute Sache. Wir haben einen ausgesprochen sorgfältigen demokratischen Entscheidungsprozess hinter uns. Ich glaube, dem wird niemand widersprechen wollen.

Wenn wir den Beschluss heute gefasst haben - wie immer er ausfällt -, sollte - das ist meine Bitte - in Schleswig-Holstein künftig deutlich weniger über das Kommunalverfassungsrecht diskutiert und dafür deutlich mehr wieder mit dem Kommunalverfassungsrecht gelebt und gearbeitet werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich will kurz die Kernpunkte der Kommunalverfassungsreform 1990 bis 1995 anführen. Die Kernpunkte, nämlich die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Abkehr von der Magistrats- und Kreisausschussverfassung und das Prinzip der klaren Zuteilung von Verantwortung, sind im Zuge der aktuellen Novelle diskutiert und im Ergebnis erneut bestätigt worden. Die Bestätigung im Sonderausschuss ist doch sehr deutlich ausgefallen. Das sollten wir bei allen Kontroversen, die geblieben sind, nie vergessen.

Es bestand - so habe ich es immer wahrgenommen parteiübergreifend Einigkeit darüber, dass das Ehrenamt gestärkt werden soll. Ganz überwiegend herrschte auch Einvernehmen, dass die Rolle des Hauptausschusses einer Neuorientierung bedarf. Dem Anspruch wird der Ihnen vorliegende Entwurf ohne Wenn und Aber gerecht - wenn auch vielleicht nicht alle Wünsche erfüllt worden sind. Darüber hinaus enthält der Entwurf zahlreiche Regelungen, die den Abbau von Genehmigungsvorbehalten und anderen Standards zum Gegenstand haben.

Aus meiner Sicht sind die folgenden Punkte des Gesetzentwurfs hervorzuheben. Die Stärkung des Hauptausschusses erfolgt insbesondere durch eine originäre Zuständigkeit für die Beteiligungssteuerung, die Übertragbarkeit weiterer, der Gemeindevertretung grundsätzlich vorbehaltener Aufgaben auf den Hauptausschuss, die Übertragbarkeit von Aufgaben, die bislang von Fachausschüssen wahrzunehmen sind, auf den Hauptausschuss.

Die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger werden verbindlicher ausgestaltet und die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden werden erleichtert. Die Auskunftsrechte der Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter, der bürgerlichen Ausschussmitglieder und der Beiratsmitglieder gegenüber der Verwaltung werden deutlich erweitert.

Die Qualifikationsanforderungen für die Wahl der Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten werden gestrichen. Ich weiß, dass der Punkt sehr kontrovers diskutiert worden ist. Ich bin aber überzeugt, dass die Wählerinnen und Wähler letztlich sehr wohl zwischen

(Minister Klaus Buß)

so genannten Spaßbewerbern und qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten differenzieren können.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Erfahrungen in anderen Ländern und entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen haben das eindeutig bewiesen.

Abzuwarten bleibt, wie sich die Einführung eines Widerspruchsrechts der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten gegen Entscheidungen der Verwaltung entwickeln wird. Von einigen kommunalen Verwaltungen sind Bedenken geäußert worden - das ist auch hier noch einmal zum Ausdruck gekommen -, dass die dabei vorgesehene Einbindung des Hauptausschusses zu erheblichen Verzögerungen des Verwaltungsablaufs führen könne. Zudem bestehe die Gefahr - so ist gesagt worden -, dass einfache Personalentscheidungen zum Gegenstand politischer Diskussion würden. Ich bin aber sicher, dass die Gleichstellungsbeauftragten im Land Schleswig-Holstein mit ihren neuen Rechten verantwortungsbewusst umgehen werden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die erhebliche Ausweitung der Mitgestaltungsrechte von Gemeindevertreterinnen und -vertretern sowie bürgerlichen Mitgliedern in Fachausschüssen erfordert, dass die neuen Möglichkeiten mit dem gebotenen Augenmaß und dem Bewusstsein der Verantwortung für das Ganze wahrgenommen werden. Auch hier bin ich sicher, dass die Verantwortlichkeiten klar sind und auch so empfunden werden.

Soweit der Gesetzentwurf eine Stärkung der Position der Kommunalaufsicht vorsieht, werden die Landräte und ich diese Stärkung engagiert aufnehmen. Gleichwohl werden die Fälle, in denen die Kommunalaufsicht wegen eindeutiger Rechtsverletzungen zu Zwangsmaßnahmen greifen muss, auch weiterhin - so hoffe ich - die Ausnahme bilden.

Aufgrund langjähriger kommunaler Erfahrung steht für mich fest: Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Organen und Funktionsträgern lässt sich weder gesetzlich noch kommunalaufsichtlich anordnen. Nach meiner Beobachtung als oberste Kommunalaufsicht ist sie aber in der ganz überwiegenden Zahl der schleswig-holsteinischen Kommunen gegeben und wird sie auch weiterhin gegeben sein.

Erlauben Sie mir abschließend, kurz auf den Entschließungsantrag der FDP zur Reform des Gemeindeund Kreiswahlrechts und dem Verfahren zur Fünfprozentsperrklausel vor dem Bundesverfassungsgericht

einzugehen. Bezüglich der von der FDP erneut geforderten Aufhebung der Fünfprozentsperrklausel bei Kommunalwahlen sollten wir - das sage ich aus Sicht eines Ministeriums - abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in dem derzeit anhängigen von der PDS initiierten Organstreitverfahren in der Sache entscheidet. Landtag und Landesregierung werden sich an dem Verfahren beteiligen. Nach meiner Ansicht sind in Schleswig-Holstein insbesondere nach der mit der Kommunalverfassungsreform erreichten Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung Gründe für die Beibehaltung der Sperrklausel durchaus vorhanden.

Zum zweiten Punkt des FDP-Entschließungsantrages, das bisherige System einer personalisierten Verhältniswahl durch ein neues Listenwahlsystem zu ersetzen und mit den Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens zu verbinden, verweise ich noch einmal auf die in der Vergangenheit intensiv geführte Diskussion. Bereits 1993 hatte die Enquetekommission Kommunalverfassungsreform dargelegt, dass eine Erweiterung der bereits jetzt schon in Gemeinden unter 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bestehenden Möglichkeit des Panaschierens und die Einführung des Kumulierens nicht zu empfehlen sei. Ich selbst bin der Auffassung, dass die Gründe, die schon damals gegen eine solche Veränderung des Wahlsystems sprachen, weiterhin bestehen.

Ich hoffe, dass die kommunalpolitisch Tätigen ein wenig mehr Erfolgserlebnisse in ihrer ehrenamtlichen Arbeit mit dem neuen Kommunalverfassungsrecht verspüren werden, dass die Kommunen ihre Arbeit weiter professionell erledigen können und alle Seiten ein wenig mehr Geduld im Umgang mit der neuen Kommunalverfassung haben werden.

Herr Schlie, zum Schluss ein Wort zu Ihnen: Wenn ich denke und einen Gedanken zu etwas äußere, von dem ich weiß, dass in allen Fraktionen, auch in Ihrer, diskutiert wird - jedenfalls erfahre ich das in vielen Einzelgesprächen;

(Klaus Schlie [CDU]: Dann mal los!)

ich könnte ein paar Namen nennen, tue ich hier aber natürlich nicht -, dann habe ich noch lange nicht irgendwo die Finger drin.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Ich werde jetzt über die Empfehlungen des Ausschusses im Einzelnen abstimmen lassen, zunächst zum Tagesordnungspunkt 2, also

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Beschlüsse zum ersten Teil. Ich lasse zunächst über den Gesetzentwurf mit der Überschrift „Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung insgesamt abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen.

(Widerspruch)

- Hat der SSW mit Enthaltung gestimmt?

(Zuruf: Nein!)

Ich muss die Abstimmung wiederholen. Das war kein klares Bild.

(Zurufe)

Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ändert an meiner Feststellung nichts: Das Gesetz ist angenommen, aber mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen von CDU, FDP und SSW.

Ich lasse über die Empfehlung des Ausschusses zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU, Drucksache 15/657 (neu), abstimmen. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wer dieser Ausschussempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.

Ich lasse jetzt über die Empfehlung des Ausschusses abstimmen, den Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW abzulehnen. Wer dieser Ablehnungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen des SSW und bei Enthaltung des Abgeordneten Steenblock abgelehnt. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der FDP.

(Wortmeldung der Abgeordneten Silke Hin- richsen [SSW])

Frau Abgeordnete Hinrichsen!

Wir haben zwei Gesetzentwürfe eingebracht, über die jeweils abgestimmt werden muss.

Sie haben Recht, ich habe nicht über die Drucksache 15/1425 abstimmen lassen. Es liegt die Ausschussempfehlung vor, den Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW, Drucksache 15/1425, abzulehnen. Wer dieser Ablehnungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen des SSW abgelehnt.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der FDP, Drucksache 15/966. Wer der Empfehlung des Ausschusses, diesen Antrag abzulehnen, folgen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der CDU abgelehnt. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüße ich auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrkräften der Jürgen-Fuhlendorf-Schule, Bad Bramstedt, und der Christopherus-Hauptschule, Kappeln. - Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Haus)

Ebenfalls heiße ich Mitglieder der Volksinitiative für eine menschenwürdige Pflege herzlich willkommen, die in der Loge Platz genommen haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes SchleswigHolstein und des Landespflegegesetzes