Protocol of the Session on June 8, 2000

Und wie ist es nun bei der Videoüberwachung? In Kaufhäusern, Einkaufspassagen oder an Verkehrsknotenpunkten erwartet man geradezu, dass Überwachungskameras eingesetzt werden. Aber auf öffentlichen Plätzen, in Parks, in einer beliebigen Straße -

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Entschuldigung, ich habe das akustisch nicht wahrgenommen. Niemand bittet die Bürgerinnen und Bürger vorher um Zustimmung. Ja, vielen ist noch nicht einmal bekannt, dass jeder Schritt von Kameras überwacht werden kann.

Diese Tatsache ist für sich genommen weder ein Argument für die Videoüberwachung in öffentlichen Räumen noch dagegen. Aber sie zeigt die Ambivalenz der Diskussion um die öffentliche Variante von „Big Brother“. Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis nach Sicherheit in der Bevölkerung. Dieses können wir Politiker nicht ignorieren. Schafft aber die öffentliche Überwachung tatsächlich mehr Sicherheit? Viele scheinen das zu glauben. Wer wagt es, quasi unter dem Auge des Gesetzes eine Straftat zu begehen? Wer geht das Risiko ein, aufgrund einer Videoaufnahme einer Straftat überführt zu werden? Aber gibt es deshalb weniger Kriminalität? Führt die Videoüberwachung nicht eher dazu, dass sich Kriminalität nur verlagert, nämlich dorthin, wo es keine Überwachung gibt? Und müssen folgerichtig nicht alle Plätze und Straßen überwacht werden, um einer Verlagerung vorzubeugen?

(Unruhe und Zurufe von der CDU)

Müssen da nicht diejenigen Bewohner und Geschäftsinhaber, die in nicht überwachten Straßen wohnen und arbeiten, gleich behandelt werden, egal ob sie es wollen oder nicht?

Die Debatte zu diesem Thema ist sehr schwierig. Es besteht die Gefahr, dass die Grenze zwischen Störern, Verdächtigen und unbescholtenen Dritten immer mehr verwischt wird. Ist es nicht vielmehr so, dass wir es mit einer Symbolpolitik, mit der Beruhigung unseres schlechten Gewissens zu tun haben? Denn die Ausstattung der Polizei hinkt gerade auch in SchleswigHolstein den tatsächlichen Erfordernissen personell wie sächlich hinterher.

Rechtlich darf die Polizei immer mehr, tatsächlich aber kann sie immer weniger. Der Popanz, der um den so genannten großen Lauschangriff aufgebaut wurde, sollte uns allen ein mahnendes Beispiel sein.

(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abgeordne- ten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Er ist so teuer, dass ihn sich die Polizei im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten kann. Nur zur Erinnerung: Insgesamt wurden im Jahre 1999 bundesweit acht Lauschangriffe durchgeführt. Zwei davon hatten teilweise Erfolg. Ich glaube, das sagt alles.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits heute darf deshalb bei allgemein zugänglichen Flächen und Räumen zur Gefahrenabwehr mittels Bildübertragung beobachtet und es dürfen in bestimmten Einzelfällen beispielsweise bei dem Verdacht eines Verbrechens oder gewerbsmäßiger Vergehen Aufzeichnungen gemacht werden. Aber das sind Einzelfälle.

Im vorliegenden Antrag geht es jedoch um etwas völlig anderes. Es geht nicht mehr um den Einzelfall mit konkreten Verdachtsmomenten,

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Doch!)

sondern um eine allgemeine, nicht spezifizierte Überwachung.

(Klaus Schlie [CDU]: Stimmt nicht!)

Eine Kamera kann nicht gezielt erheben; jeder, der in den Bereich einer Videoüberwachung eintritt, ist potentiell verdächtig. Damit aber nicht genug. Was geschieht mit dem Bildmaterial? Wird es überhaupt nicht gespeichert oder wird es erst gesichtet und dann vernichtet? Aber was, wenn sich erst sehr viel später zeigt, dass eine Straftat begangen wurde? Muss das Material nicht sinnvollerweise gespeichert werden?

(Zurufe von der CDU: Nein!)

Einen Tag? Eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Auch hierzu kann man durchaus einen Widerspruch im CDU-Antrag feststellen.

(Klaus Schlie [CDU]: Nein!)

Vorn im Antrag steht, dass aufgezeichnet werden soll, und hinten im Antrag steht - das sagte eben Herr Dr. Wadephul auch -, dass die Aufzeichnungen beispielsweise sieben Tage gespeichert werden könnten.

(Zurufe von der CDU: Gelöscht!)

- Entschuldigung, selbstverständlich gelöscht! Aber was ist, wenn eine Straftat erst nach 14 Tagen oder nach drei Wochen bekannt wird? Dann könnte man gegebenenfalls auf länger gespeichertes Material zurückgreifen.

(Zurufe und Unruhe bei der CDU)

Ich muss sagen - ich schließe hiermit -, dass wir dem CDU-Antrag aus den vorgetragenen Gründen nicht zustimmen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Günther Hildebrand)

Wir stimmen dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu, obwohl dort einige Formulierungen vielleicht etwas unglücklich sind beziehungsweise unpräzise. Ich zitiere nur den Satz:

„Videoüberwachung führt dazu, Gefahren und Straftaten in nicht überwachte Bereiche zu verdrängen.“

Es muss natürlich heißen: Die Überwachung kann dazu führen.

(Beifall bei F.D.P., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Videoüberwachung verspricht zurzeit spannende Debatten. Ich halte eine ernsthafte gesellschaftliche und parlamentarische Auseinandersetzung mit diesem Thema für außerordentlich wünschenswert. Umso enttäuschter bin ich über den Antrag der CDU-Fraktion, weil er aus meiner Sicht weit hinter dem zurückbleibt, was wir bisher von Herrn Geißler gehört haben und gewöhnt waren.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau übernimmt den Vorsitz)

Enttäuscht bin ich nicht über politische Meinungsverschiedenheiten, sondern über sprunghafte Meinungsänderungen und auch im neuen Antrag enthaltene Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten; sie sind ja zum Teil ja schon benannt worden.

Kriminalität umfasst in Ihrem ursprünglichen Antrag beispielsweise nicht nur die öffentliche Sicherheit als Ganzes, sondern auch die öffentliche Ordnung - also umgangssprachlich ausgedrückt - das ordentliche Benehmen oder - feiner ausgedrückt - das sozialkonforme Verhalten.

Dann ist Ihnen offenbar eingefallen, dass der Rechtsbegriff der öffentlichen Ordnung seit einigen Jahren nicht mehr im schleswig-holsteinischen Landesverwaltungsgesetz enthalten ist und dass uns Ihr Anlauf in der letzten Wahlperiode, ihn wieder einzuführen, nicht überzeugen konnte.

Also ein neuer Antrag! Ziel ist nach wie vor die Ausweitung der Videoüberwachung. Es finden sich aus meiner Sicht nach wie vor ein paar äußerst kritische Punkte. So heißt es, auf Veränderungen im Kriminalitätsgeschehen müsse Lagebild orientiert und flexibel

durch Einsatz mobiler Überwachungsanlagen reagiert werden. Das ist zwar folgerichtig - folgt man Ihrem Gedankengang -, macht aber auch deutlich, wie kritisch diese Forderung zu sehen ist. Die Videoaufzeichnung an der einen Straßenecke vertreibt die Szene selbstverständlich an die nächste Straßenecke. Schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass sich wohl kaum jemand vor eine Videokamera stellt, um Stoff zu verkaufen oder Handtaschen zu plündern.

Wenn aber mobile Überwachungskameras durch die Innenstädte rollen, sind wir de facto bei der flächendeckenden Überwachung. Sie können uns gern versichern, dass Sie das nicht wollen. Hier führen Sie es selber ein.

(Thorsten Geißler [CDU]: Nein!)

Es besteht zwar kein Bedarf, aber mit der rollenden und flächendeckenden Überwachung führen Sie sie tatsächlich ein. Wir können aufgrund der Vorgeschichte Ihres Antrages allerdings hoffen, dass der Willensbildungsprozess bei Ihnen noch nicht ganz abgeschlossen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer wesentlicher Punkt Ihrer Forderungen ist die Ausweitung der Möglichkeit, Aufzeichnungen zu machen. Zurzeit sind Aufnahmen zulässig, wenn Tatsachen für die zu erwartende Begehung bestimmter schwerer Straftaten einer Gruppe sprechen.

Sie aber möchten die Zulässigkeit der Aufzeichnungen künftig von den Geschehnissen der Vergangenheit abhängig machen. Das mag vielleicht in vielen Fällen zu ähnlichen Ergebnissen führen. Der Ansatz ist jedoch aus unserer Sicht haarsträubend. Die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zur ordnungsrechtlichen Abwehr von Gefahren kann selbstverständlich nur auf einer Prognose für die Zukunft fußen. Nichts anderes als die Gefahrenabwehr ist im Landesverwaltungsgesetz geregelt.

Wie Sie aus dem rot-grünen Antrag erkennen können, kann die Videoüberwachung ein Mittel sein, das im Einzelfall geeignet ist, die polizeiliche Arbeit zu unterstützen. Insofern gebe ich dem Einwand von Herrn Hildebrand Recht. Wir haben da vielleicht ein bisschen apodiktisch formuliert. Wir sind uns aber im Inhalt einig, dass es okay ist.

Wer in das Landesverwaltungsgesetz schaut, findet in § 184 Abs. 3 Folgendes: Nach der derzeitigen Rechtslage ist die offene Videoüberwachung in allgemein zugänglichen Räumen von drei Bedingungen abhängig. Sie muss im Einzelfall geeignet sein, die konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzu

(Irene Fröhlich)

wehren. Dazu gehört bekanntermaßen gerade die Verhinderung von Straftaten. Sie muss zweitens erforderlich sein, das heißt, es darf keine weniger beeinträchtigende Maßnahme geben. Und schließlich muss die Beeinträchtigung in einem vernünftigen Verhältnis zu dem erwarteten Gewinn für die Sicherheit stehen. Diese drei Punkte nennen die Verwaltungsjuristinnen und -juristen Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Unter diesen Voraussetzungen ist Videoüberwachung zurzeit gesetzlich möglich. Daher sehen wir für eine Änderung der gesetzlichen Grundlage überhaupt keinen Anlass. Wir finden auch, dass die Innenministerkonferenz keinen Anlass dafür geboten hat.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal einen anderen Aspekt ansprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Die Anschaffung einer geeigneten Videokamera kostet nach Angaben der Polizei einige Zehntausend DM. Sie fordern die Installation von Kameras und außerdem eine ständige Überwachung der Live-Übertragung der Bilder durch die Polizei. Haben Sie eigentlich ein Konzept erarbeitet, wie Sie dieses Personal erwirtschaften wollen? Sollen die hohen Kosten für die Anschaffung der Kameras aus den Töpfen der Kriminalitätsprävention genommen werden? Das wüssten wir gern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist ja nun ein schlechtes Argument zu sagen, es sei zu teuer!)