Protocol of the Session on June 8, 2000

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist ja nun ein schlechtes Argument zu sagen, es sei zu teuer!)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der SSW sieht in der elektronisch-optischen Überwachung öffentlicher Räume kein geeignetes Mittel, um Kriminalität vorzubeugen und die Strafverfolgung zu unterstützen. Die bisherigen Erfahrungen aus dem Ausland und aus dem viel gepriesenen Leipziger Versuch können nicht zuverlässig eine längerfristige Wirkung der Überwachung belegen - weder als Kriminalitätsvorbeugung noch als Mittel zu deren Verfolgung und Aufklärung und auch gerade nicht zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls.

Wir sind der festen Überzeugung, dass die Videoüberwachung allenfalls zur Verdrängung und Verlagerung von Kriminalität dienen kann. Es wäre naiv anzunehmen, eine solche Maßnahme nähme in größerem Umfang den Anreiz und die Gelegenheit, Straftaten zu begehen. Nicht zuletzt in Bezug auf die in Leipzig besonders ins Visier genommenen drogenbezogenen

Delikte wie illegaler Betäubungsmittelhandel oder Beschaffungsdelikte ist es naiv, davon auszugehen, diese ließen sich durch punktuelle Beobachtung ersatzlos unterbinden. Sie werden über kurz oder lang eben woanders verübt.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Der Nutzen der Videoüberwachung ist derart zweifelhaft, dass er keinen solch drastischen Einschnitt in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger rechtfertigen kann. Denn der angeblichen Wirkung der Videoüberwachung stehen noch zweifelhaftere Nebenwirkungen gegenüber.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Erstens meinen wir analog zum Verfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung, dass es grundrechtlich nicht vertretbar ist, dass Menschen öffentliche Räume meiden müssen, wenn sie nicht von Videos überwacht werden wollen. Zweitens kommen erfahrungsgemäß vor allem Minderheiten in das Fadenkreuz solcher Überwachungsmaßnahmen, was auch nicht wünschenswert ist. Und drittens muss auch längerfristig eine negative Entwicklung der Überwachung befürchtet werden. Im „Mutterland“ der Videoüberwachung, nämlich in Großbritannien, wird die großflächige öffentliche Überwachung bereits mit biometrischen Verfahren verknüpft. Das sind Computerprogramme, die Gesichter und Bewegungsabläufe erkennen können. Da reicht bereits eine „unnormale“ Bewegung oder unkonventionelle Kleidung, um in ein Raster zu kommen und weitere Kontrollmaßnahmen auszulösen. Das wünscht sich meiner Meinung nach niemand von uns.

Das mag zwar für uns noch sehr weit entfernt klingen, ist es aber nicht. Denn Sicherheitsmaßnahmen wie die Videoüberwachung können zu einer Aufwärtsspirale führen, weil sie selbst neue, erhöhte Sicherheitsbedürfnisse erzeugen. In den Worten des amerikanischen Professors Robert Sommer lautet das so:

„Anfangs fühlt sich eine Person unwohl bei der Anwesenheit von bewaffneten Polizisten im Busbahnhof oder dem Einkaufszentrum. Später fühlt sie sich unwohl, wenn sie keinen Polizisten sehen kann. Dasselbe geschieht mit den Videokameras im Flur der Postfiliale und in einigen öffentlichen Toilettenanlagen. Zu Beginn werden sie als ein Angriff auf die Privatheit angesehen, aber später fühlt sich

(Silke Hinrichsen)

eine Person unwohl, wenn Big Brother nicht zuschaut.“

Ohne hier amerikanische Verhältnisse heraufbeschwören zu wollen, können wir nicht ignorieren, was mit dem sozialen Miteinander passiert, wenn Sicherheit zur Droge wird. Menschen fühlen sich nicht mehr sicher und rüsten technisch auf.

(Unruhe)

- Vielleicht sollte ich warten, bis alle wieder hereingekommen sind.

Solchen Auswüchsen des Misstrauens und der Abschottung dürfen wir hier keine Chance geben, denn sie sind Gift für unsere Gesellschaft. Dabei wollen auch wir nicht bestehende Ängste ignorieren. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ist wichtig. Gerade deshalb sollte es aber auch nicht zum Spielball für politischen Aktionismus werden.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wir werden nicht akzeptieren, dass Freiheitsrechte, die mit der leidvollen Geschichte dieses Landes erkauft wurden, populistischen Strategien geopfert werden.

(Beifall beim SSW)

Der SSW hat sich in diesem Hause gegen den großen Lauschangriff gewandt und wir wehren uns auch massiv gegen weitere Spähattacken. Sollten in SchleswigHolstein wirklich Brennpunkte vorhanden sein, die beobachtet werden müssen, dann gibt es einmal die Möglichkeiten, die das Landesverwaltungsgesetz bietet, und darüber hinaus halten wir es weiterhin für vernünftiger, durch Präsenz von Polizeibeamten vor Ort tätig zu werden.

(Beifall beim SSW)

Wir erkennen jedoch an, dass der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine differenzierte Darstellung und Stellungnahme enthält. Allerdings können wir dem hierin enthaltenen Verweis auf den Beschluss der Innenministerkonferenz zur Videoüberwachung nicht zustimmen. Dazu heißt es nämlich unter anderem, dass das Sicherheitsgefühl verbessert werden solle. Dies ist die Eingangsbemerkung zu dem Beschluss. Wie ich bereits einleitend erwähnt habe, halten wir die Videoüberwachung gerade nicht für geeignet, die angegebenen Ziele zu erreichen. Daher werden wir uns bei der Abstimmung über den Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Stimme enthalten.

(Beifall beim SSW)

Mir liegen noch zwei Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung vor. Zunächst erteile ich Herrn Abgeordneten Geißler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Puls, ich müsste Ihnen eigentlich dankbar dafür sein, dass Sie meinen Namensartikel aus den „Lübecker Nachrichten“ nahezu vollständig vorgetragen haben.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Aber zur Redlichkeit hätte es gehört, den entscheidenden ersten Absatz mit vorzutragen. Da Sie dies unterlassen haben, Herr Kollege Puls, möchte ich es selbst tun. Darin habe ich nämlich formuliert:

„Aus der Kriminalprävention ist die Videoüberwachung schon lange nicht mehr fortzudenken. Banken, Kaufhäuser, Tankstellen nutzen dieses Mittel, um das Entdeckungsrisiko für potentielle Straftäter zu erhöhen. Auch bei bekannten Kriminalitätsschwerpunkten besteht diesbezüglich kaum Streit. Nicht zuletzt der von einer rot-grünen Landesregierung eingesetzte Generalstaatsanwalt verweist gern auf den Erfolg, den er mit der Anordnung einer Videoüberwachung eines Drogenumschlagplatzes während seiner Tätigkeit in Hannover erzielte.“

(Beifall bei der CDU - Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Guter Satz!)

Das hätte auch dazu gehört, Herr Kollege Puls.

In der Tat setze ich mich im weiteren Artikel sehr kritisch mit den Gefahren einer flächendeckenden Videoüberwachung auseinander.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Zu Recht, Herr Kollege!)

Ich habe davon kein Komma zurückzunehmen.

(Beifall bei CDU, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie dem Beitrag des Kollegen Wadephul aufmerksam zugehört hätten und wenn Sie unseren Antrag nicht missbräuchlich interpretieren würden, könnten Sie feststellen, dass Ihre Skepsis von uns geteilt wird und dass auch wir sehr deutlich die Gefahren sehen, die in einer flächendeckenden Video

(Thorsten Geißler)

überwachung liegen. Diese wird in unserem Antrag ausdrücklich abgelehnt.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie unseren Antrag so interpretieren, wie es beispielsweise der Gesetzentwurf verdient hätte, den die F.D.P. in Hessen gegenwärtig unterstützt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Oh! - Heiterkeit - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Der kommt doch von der CDU!)

- Dies trifft zu, Herr Kollege Kubicki; das müssen Sie einräumen. Sie können ja gleich noch dazu Stellung nehmen und sich kritisch dazu äußern. - Wenn Sie unseren Antrag sehen, werden Sie feststellen: Er bleibt weit hinter dem zurück, was beispielsweise in Hessen derzeit angestrebt wird.

Kollege Wadephul hat völlig zu Recht darauf aufmerksam gemacht: Dies ist kein Allheilmittel. Aber ich sage genauso deutlich: An Stellen, an denen Menschen immer wieder verprügelt oder ausgeraubt werden, kann die Videoüberwachung ein wohldosiertes Mittel der Kriminalprävention sein, und das müssen wir dann auch einsetzen dürfen.

(Beifall bei der CDU)

Selbstverständlich müssen solche Kriminalitätsbrennpunkte klar definiert werden. Das bleibt einem Gesetz vorbehalten. Darüber gibt es überhaupt keinen Streit. Wir wollen die Überwachung auf die Kriminalitätsbrennpunkte begrenzen.

(Klaus-Peter Puls [SPD]: Das haben wir doch alles, Herr Geißler!)

- Nein, das ist eben nicht richtig, Herr Kollege Puls. Wenn wir es schon haben, was ist dann so schrecklich daran? Diese Logik müssen Sie mir erklären. Im Jahre 1992 hat Herr Bull in der Tat einen Entwurf für ein Polizei- und Ordnungsrecht vorgelegt, mit dem die Videoüberwachung zum ersten Mal in der schleswigholsteinischen Landesgeschichte möglich wurde. Aber es kann eben keine Aufzeichnung erfolgen. Das ist der große Unterschied. Der Kollege Dr. Wadephul hat, glaube ich, überzeugend deutlich gemacht: An solchen Kriminalitätsschwerpunkten, wo Menschen immer wieder Opfer schwerer Straftaten werden, kann der präventive Gedanke nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn eine solche Aufzeichnung ermöglicht wird. Selbstverständlich kann das nicht schrankenlos erfolgen und natürlich muss der Datenschutzbeauftragte angehört werden und es kann auch nicht jede Ordnungsbehörde machen, wie dies gegenwärtig der Fall ist, sondern natürlich muss ein solches Mittel der Genehmigung des Innenministers vorbehalten bleiben.

Ich wäre froh und dankbar, wenn wir dieses sehr komplizierte Thema nicht ideologisch schwarz-weiß diskutieren würden, sondern wenn wir die Chance nutzen würden, durch ein hohes Maß an sachlicher Diskussion zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, die die Grundrechte der Bürger in weitesten Bereichen unserer Gesellschaft völlig unangetastet lässt, die aber dort, wo Menschen immer wieder Opfer schwerer Straftaten werden, dieses Mittel auch nicht völlig verteufelt. Denn das ist nicht sachgerecht. Deshalb wären Sie gut beraten, unserem Antrag zuzustimmen oder aber mit uns im Ausschuss noch einmal sachlich und ohne Denktabus und -verbote über diese komplizierte Problematik zu diskutieren.

(Beifall bei der CDU - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das machen wir ohnehin!)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat jetzt der Herr Abgeordnete Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die differenzierten Worte des Kollegen Wadephul haben wir sehr wohl vernommen, Herr Kollege Geißler. Ich bin auch dankbar - das sage ich ausdrücklich -, dass die CDU in Schleswig-Holstein diese Frage durchaus differenzierter diskutiert, als es Unionsfraktionen oder -parteien in anderen Ländern tun. Dies gilt übrigens auch für uns. Meine kritische Haltung zu vielem, was meine hessischen Parteifreunde in der Vergangenheit gemacht haben, ist Ihnen hinlänglich bekannt.