Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie hatten mir heute freundlicherweise Dispens erteilt, zur Ministerpräsidentenkonferenz zu gehen, um genau über dieses Thema zu reden. Die Tatsache, dass ich hier stehe, bedeutet, dass wir uns im Moment nicht geeinigt haben und heute Abend einen erneuten Anlauf versuchen werden - die Finanzminister auf ihrer Ebene, wir auf unserer. Es ist nämlich doch ein bisschen schwieriger, als mancher von uns gern glauben und hoffen möchte.
Die Bundesrepublik Deutschland ist grundsätzlich ein Bundesstaat. Bund und Länder sind eigenständige Gebilde, die dennoch zusammengehören und dazu verpflichtet sind, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Das ist die Idee des Föderalismus. Ein funktionsfähiges föderales System fußt auf einem ausgewogenen Zusammenspiel der Prinzipien der Eigenständigkeit sowie der Subsidiarität auf der einen Seite und den Grundsätzen der Kooperation und der Solidarität auf der anderen Seite.
Zwischen diesen beiden Prinzipien, denen jeder zustimmen würde, besteht natürlich - wie bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem letzten Urteil sagte -, eine Spannung, bei der es darauf ankomme, die richtige Mitte zu finden. Diese Mitte sieht natürlich jeder aus seinen gegebenen Umständen etwas anders Reiche wiederum etwas anders als Arme. Da nun genau den Weg zu finden, der nicht zu Verletzungen führt und Entwicklungen nicht behindert, ist der entscheidend schwierige Punkt.
Dazu gibt es wirklich unterschiedliche Antworten, die manchmal - wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf - davon abhängig sind, wie die Konstellationen in den jeweiligen Regierungen aussehen. Große Koalitionen reagieren ein bisschen anders als zum Beispiel die absolute Mehrheit der CSU oder zum Beispiel eine rot-rote Koalition in MecklenburgVorpommern. Auch das muss man neben allen ökonomischen und finanziellen Situationen mit bedenken.
Es bestehen nun einmal große regionale und sektorale Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur der Länder der Bundesrepublik Deutschland, und zum Teil bestehen unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie diese beseitigt werden können. Die originären Steuereinnahmen der Länder sind entsprechend unterschiedlich ebenso wie die Ausgabenbelastungen. Die verfügbare Finanzmasse bestimmt, ob und in wieweit ein Land überhaupt noch eigenständig handeln kann.
Seit Bestehen der Bundesrepublik sind Verhandlungen über die Verteilung des Finanzaufkommens zwischen dem Bund und den Ländern immer sehr schwierig gewesen, mit großem Interesse begleitet worden und haben den Zeitungen Schlagzeilen beschert. Weswegen wurde die Finanzverfassung als letzter Teil unseres Grundgesetzes verabschiedet? - Weil hierin natürlich der größte Sprengstoff lag.
Ich darf auf einige Punkte eingehen, die gegenwärtig die Debatte um den Föderalismus prägen. Die heutige Form des Föderalismus, als kooperativer Föderalismus bezeichnet, weist ein außerordentlich hohes Maß an Verflechtung und Abstimmung zwischen Bund und Ländern auf und aufseiten der Länder wird durchaus geseufzt: Muss das alles tatsächlich immer noch einmal auch vom Bund durch die Mühle gedreht werden, muss es Mischfinanzierung sein? Muss es dies oder jenes sein? Mancher und manche, mich eingeschlossen, würde sagen: Nein; gebt uns die Verantwortung, dann müssen wir den Kopf dafür hinhalten und dann wird ein bisschen Bürokratie gespart und die Kompetenz beziehungsweise die Verantwortung ist klarer auszumachen.
Heute sind die wahrzunehmenden Aufgaben sowie die Leistungs- und Kostenstandards der Länder und Gemeinden fast durchgehend durch Bundesrecht und verbindliche Vereinbarungen zwischen den Ländern festgelegt. Bundeseinheitliche Tarife und Besoldungsregelungen lassen wenig Spielraum und die meisten Sozialtransfers sind im Grunde und der Höhe nach bundeseinheitlich geregelt. Die großen Steuern sind Gemeinschaftssteuern und die Länder haben praktische
keine Gesetzgebungskompetenz. Sie haben nicht einmal die Möglichkeit, eine eigenständige Arbeitsmarktpolitik zu betreiben - wie uns dies zum Beispiel unsere Nachbarn, die Dänen, mit sehr großem Erfolg vorführen -, es sei denn, wir würden etwas aus der eigenen Tasche dazu tun.
Dieses System hat sich in der Vergangenheit bewährt. Die Frage ist nur, ob es in Zukunft noch allen Anforderungen standhält. Wenn Sie heute in den fünf neuen Ländern einen Menschen, der mit offenen Augen geschaut und mit offenen Ohren zugehört hat, fragen, ob er das System des Föderalismus gut findet, müsste er ehrlicherweise sagen: Ja, denn wir haben pro Jahr etwa 180 Milliarden DM Transferleistungen von Bund, Ländern und Kommunen bekommen, die diese an uns gegeben haben, damit unser Aufholprozess erfolgreich verläuft.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Mischfinanzierungstatbestände zu einem Zeitpunkt, als die Länder allein noch nicht einmal im Traum hätten daran denken können, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, richtig war. Darüber, ob das aber auch heute noch Gültigkeit hat, insbesondere nachdem - wie ich glaube - die Integration der neuen Länder grundsätzlich gelungen ist, muss diskutiert werden. Natürlich gibt es noch große Defizite, aber die Leistungen der neuen Länder gehören wie die der alten Länder jetzt auf den Prüfstand der Effizienz.
Nun kommt das eigentliche Problem, nämlich sich vorzustellen, wie das Prinzip des kooperativen Föderalismus bei der Ausweitung europäischer Kompetenz übertragen werden kann. Die Geschäftsgrundlage des deutschen Föderalismus muss in dem Maße neu bewertet werden, wie der Bund Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen hat, ohne das Grundgesetz zu ändern. Das heißt: Die uns verbliebenen und garantierten Rechte können nicht ohne Weiteres vom Bund auf Europa übertragen werden, sondern dies muss zunächst nach Artikel 23 GG mit den Ländern besprochen werden.
Das Treffen der Ministerpräsidenten mit Herrn Prodi war durchaus ein interessantes Treffen. Denn die Fragen der Subsidiarität, des Föderalismus in Europa,
der Kompetenzfeststellung bedeutet, wenn man sie bis zum Ende durchdiskutiert, dass kein Mensch weiß, wovon die Deutschen reden. Null Ahnung, und wenn man versucht, es ihnen zu erklären, finden sie es pfiffig, wenn wir an bestimmten Dingen herumnörgeln.
Nun macht es aber wirklich einen Unterschied, ob wir unsere Sparkassen behalten und damit - wie ich gerade heute morgen gelesen habe - in der Lage sind, einem mittelständischen Unternehmer Geld zu geben, wenn er einen Kredit braucht und den Privatbanken ablehnen, oder ob wir durch die europäischen Regelungen unsere Sparkassenrechte abgenommen bekommen. Deswegen sind wir nicht antieuropäisch, sondern wir versuchen, nur das für uns zu behalten, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, und das auf Europa zu übertragen, was unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsföderalismus auch in Zukunft für Europa wichtig ist.
Während der Reise, die ich kürzlich mit dem Herrn Bundeskanzler in die baltischen Staaten machen musste -
- Nein, ich durfte nur mitfahren und habe mich auch anständig benommen. So ist es nicht! - Dort habe ich festgestellt: Sie wissen offenbar mehr vom Föderalismus Deutschland und bewundern das Prinzip, weil vor allem die baltischen Staaten sehr wohl sehen, dass dies ein Prinzip ist, bei dem sie ihre Eigenständigkeit behalten und dennoch als Balten gemeinsam auftreten können.
Unter Marketinggesichtspunkten ist es jedenfalls wichtig, dass die Länder einerseits ihre Wettbewerbsvorteile ausspielen können, andererseits aber nicht durch ein Steuersystem beziehungsweise durch eine Neuordnung des Föderalismus gezwungen werden, ihre Standortvorteile deswegen aufzugeben, weil irgendein anderer großmütig Steuern mehr ausgibt, weil er mehr Einnahmen hat. Die Bayern wären durchaus jederzeit bereit, auf einen Spitzensteuersatz von 25 % zu gehen. Aber das wäre das Ende von SchleswigHolstein, weil wir dann überhaupt nichts mehr in die Kasse bekommen würden.
Ich halte die Behauptung, nivellierende Elemente im Finanzausgleich führten dazu, dass sich Länder und Gemeinden nicht mehr anstrengten, ihre eigene Wirtschaftskraft zu stärken, für falsch und weise sie auch entschieden zurück. Allein das Beispiel des Landes Bayern zeigt, dass dies wirklich ein ungerechter Vorwurf ist. Nachdem es 40 Jahre lang aus dem Länderfinanzausgleich kassiert hat, ist es heute ein wohlblü
(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Im Gegensatz zu Schleswig-Holstein, das auch 40 Jahre lang kassiert hat!)
- Sie haben sich mit dem Geld, das sie bekommen haben, angestrengt, so wie sich die SchleswigHolsteiner auch angestrengt haben.
Denn zusätzlich zum Finanzausgleich sind nach Bayern sämtliche großen Rüstungsaufträge gegangen, die es je in der Bundesrepublik gegeben hat. Deswegen sind die großen Firmen in Bayern einfach auch die größeren Steuerzahler.
Jedenfalls haben die Ministerpräsidenten den Wettbewerbsföderalismus noch nicht ohne Diskussion übernommen. Wir haben uns viel mehr vorgenommen, die bundesstaatlichen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung einschließlich der bestehenden Regelungen der Finanzverfassung und des Länderfinanzausgleichs einer kritischen Prüfung mit dem Ziel der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu unterziehen. In Bund-Länder-Gesprächen wurde die Bildung einer Regierungskommission der Regierungschefs von Bund und Ländern angedacht, die jetzt konstituiert wird. Denn die Beschlüsse standen zu Anfang unter dem ungünstigen Stern der Verfassungsklage von Baden-Württemberg, Hessen und Bayern zum Länderfinanzausgleich. Es lässt sich schlecht verhandeln, wenn man gleichzeitig verklagt wird. Die Verhandlungen gestalten sich zurzeit ausgesprochen zäh.
Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, in der das Wort „Wettbewerbsföderalismus“ nicht ein einziges Mal vorkommt, ist keine Richtlinie dafür, dass man jetzt weiß, wohin man laufen soll, sondern sie bedeutet nach wie vor, dass wir unseren eigenen Kopf anstrengen müssen. Sie ist eine Verhandlungsgrundlage, auf die wir uns einzurichten haben. Wir wissen, dass uns, wenn wir uns nicht einigen können, unter Umständen ein weiterer Gang zum Bundesverfassungsgericht bevorsteht.
neuen Finanzausgleichsgesetze verabschiedet sein. Hier wird sich zeigen, ob die Länder die besondere Hilfen vom Bund bekommen - wie zum Beispiel das Saarland - oder ob zum Beispiel die ostdeutschen Länder, die besondere Hilfe durch ihre Landesfinanzkollegen bekommen, mit uns zusammen in der Lage sind, eine Basis zu finden, mit der sie einerseits anerkennen, dass auch wir eine große Leistung erbringen, wenn wir in den Ländertopf einzahlen, dass sie andererseits aber auch erkennen, dass wir auch Geld zur Entwicklung unseres eigenen Landes brauchen.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat jedenfalls erst einmal eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Verhandlungspositionen der Länder mit dem Bund zu erarbeiten. Seitdem wir einen neuen Finanzminister in Berlin haben, ist dies ausgesprochen schwierig, weil dieser Mann nur ein Wort kennt, nämlich nein, und das ist ein bisschen wenig, um zu einem Ergebnis zu kommen. Jedenfalls werden wir die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in absehbarer Zeit hoffentlich zu Ende gebracht haben und Ihnen vorlegen lassen.
Wir werden uns beim Finanzausgleich einvernehmlich dahin gehend verständigen, dass die vertikalen und horizontalen Fragen gemeinsam mit dem Bund zu verhandeln sind, also nicht auf der einen Seite der Bund und die Länder und auf der anderen Seite die Länder untereinander, weil sonst genommen wird, was auf der anderen Seite gegeben wird, und umgekehrt. Das wollen wir gern vermeiden. Die Eckpunkte, die wir den Finanzministern mitgegeben haben, werden getreulich und sorgfältig in die Diskussion eingebracht. Davon bin ich absolut überzeugt.
Bei den Fragen der Hafenlasten, der Kosten der politischen Führung, der Einwohnerwerte und so weiter sind sich die Länder einig, dass wir grundsätzlich niemanden abwürgen wollen. Aber ob wir jedem alles lassen, was wir ihm vorher zugestanden haben, ist eine andere Frage.
Auf Länderebene besteht ebenfalls Einigkeit darüber, dass die erforderliche Neuregelung des Finanzausgleichs nur gemeinsam mit dem Bund bewältigt werden kann und dann mit in die Diskussion mit der Europäischen Union eingehen muss. In Zukunft muss jedenfalls eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Länder durch den Bund gesichert sein. Nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Einnahmen müssen für uns gesichert sein. Dann übernehmen wir auch gern die Aufgaben.
Die Neuordnung der föderalen Kompetenzordnung und der Finanzverfassung wird jedenfalls einerseits eine grundsätzliche Fragestellung der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern sein, sich andererseits aber auch damit auseinander zu setzen haben, ob es zu einer Grundgesetzänderung kommen muss, denn manches kann nur geändert werden, wenn wir das Grundgesetz ändern. Das gilt übrigens auch für manchen Vorschlag auf europäischer Ebene.
Sobald wir auch im Hinblick auf den Termindruck, den uns das Bundesverfassungsgericht setzt, die neuen Regelungen haben, werden wir Sie - so wie Sie es wünschen - im Juni oder Juli unterrichten. Ich bitte aber jetzt schon um Ihr Verständnis, dass das eher ein Zwischenbericht als ein Endbericht sein wird, denn es wird in Europa noch manches passieren, bis Europa begriffen hat, worin die Vorteile des Föderalismus liegen. Die Vorteile sind jedenfalls nicht das Abkassieren, sondern die Eigenverantwortung und die Solidarität zwischen Ländern unterschiedlicher Wirtschaftskraft, aber gleichen politischen Willens und eines gleichen politischen Wertesystems.