Protocol of the Session on June 8, 2000

(Beifall bei der F.D.P.)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute etwas vertauschte Rollen. Denn im Unterschied zu meinen beiden Vorrednern hat mir die Rede des Oppositionsführers sehr gut gefallen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Uns hat sie auch gut gefal- len!)

Ich empfand sie als einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema „Föderalismus“ aber auch zum Thema „Selbstverständnis des Parlaments“.

Ich hatte eingangs eigentlich eine ironische Vorbemerkung dahin machen wollen, dass man wieder einmal einen Antrag behandeln wolle, bevor der Bericht vorliegt, aber ich halte diese Vorbemerkung zurück und möchte nur fünf Thesen vortragen, die die Position meiner Fraktion, aber zum Teil auch meine persönliche Haltung zum Thema Föderalismus kennzeichnen.

Erstens. Wir halten den Föderalismus für ein hohes Gut. Wer die Situation in Zentralstaaten wie Frankreich kennt, wo es keine Länder, sondern nur Provinzen gibt, die von Präfekten regiert werden, der weiß, dass dort teilweise die Verhältnisse extrem auseinander driften. Was wir hier in Deutschland finden, nämlich eine gleichmäßige Entwicklung der Regionen, wo jede Partei darauf angewiesen ist, sich je nach Region tatsächlich selbstständig zu profilieren und den Gegebenheiten vor Ort Rechnung zu tragen, findet in Frankreich nicht in gleichem Maße statt. Deshalb glaube ich, dass sich der Föderalismus in Deutschland in den letzten 50 Jahren bewährt hat und die gleichmäßige Entwicklung, die wir zum Teil als selbstverständlich empfinden, durchaus ein Ergebnis des Föderalismus ist, das sich sehen lassen kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Zweitens. Wir halten eine Überprüfung des Finanzausgleichs für sinnvoll. Insbesondere ist es ein Nachteil, wenn sich die Bundesländer gar nicht mehr die

Mühe geben können oder dürfen, ihre eigenen Einnahmequellen zu verbessern, weil sowieso alles nivelliert wird. Ich halte trotzdem eine Umlage, die die gleichmäßige Entwicklung der Länder gewährleistet, für sinnvoll. Der Finanzausgleich muss aber so gestaltet werden, dass er an objektiven Strukturkriterien ansetzt und nicht direkt an den Steuereinnahmen.

Drittens. Unabhängig von der Finanzverteilung - da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Kayenburg -, halte ich eine Überprüfung der Kompetenzen der Länder für erforderlich. Ich glaube, dass Landesregierungen nur dann sinnvoll sind, wenn sie klar abgegrenzte eigenständige Kompetenzen haben. Die Vermischung der Kompetenzen von Bund und Ländern, wie wir sie in vielen Bereichen haben, halte ich für schädlich, weil sie die Klarheit der Verantwortung gegenüber dem Bürger verschleiert und weil darüber hinaus der Bundesrat Entscheidungen blockieren kann. Für den Bürger ist damit nicht die Transparenz gegeben, die notwendig ist.

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Damit wird die Demokratie nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Viertens. Ich halte es für sinnvoll, dass jede Ebene Bund, Länder, Kommunen - eigene Steuereinnahmen hat. Da gibt es allerdings in unserer Partei auch andere Meinungen. Es wird zum Teil befürchtet, dass damit die Entwicklung zu sehr auseinander dividiert wird. Das sehe ich auch. Aber meine persönliche Meinung ist, dass eine eigene Steuerbasis für jede demokratische Ebene wichtig und eine gute Grundlage für die Politik ist.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Günter Neugebauer [SPD], Lothar Hay [SPD] und Martin Kayenburg [CDU])

Fünftens. Es stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich immer wieder die Frage, ob die Bundesländer in der jetzigen Größenordnung und Zusammensetzung so richtig gestaltet sind. Für uns bedeutet das das Thema Nordstaat, über das schon seit Ewigkeiten diskutiert wird.

Ich muss in dieser Debatte sagen, dass bei mir persönlich wie bei vielen anderen und in der gesamten

(Karl-Martin Hentschel)

Bevölkerung - so glaube ich - Herz und Verstand etwas auseinander gehen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Bei Ihnen? - Sie haben ein großes Herz!)

Als Verkehrspolitiker sehe ich beispielsweise die Stagnation des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs im Hamburger Umland mit der Konsequenz, dass das Hamburger Umland gegenüber anderen Regionen zurückfällt. Berlin und Brandenburg haben aber gezeigt, dass man es ohne Vereinigung besser machen kann.

Andererseits sehe ich, dass die Schleswig-Holsteiner mit ihrer 614-jährigen Geschichte - vielleicht auch im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern - eine stark eigenständige kulturelle Identität haben.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Schleswig-Holstein war ja das einzige Bundesland, das während der gesamten Zeit - bis auf 78 Jahre unter der preußischen Knute stets ein eigenes Land war, mal im Deutschen Reich, die meiste Zeit unter der dänischen Krone. Deshalb halte ich es für unwahrscheinlich, dass ein Zusammenschluss mit Hamburg oder anderen Ländern von den Menschen hier einfach so akzeptiert wird.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident! SchleswigHolstein ist ein kleines Land. Man kennt sich, man sieht sich

(Heiterkeit bei der CDU)

und das „Schleswig-Holstein Magazin“ ist die beliebteste Sendung im Lande. Deshalb richte ich zum Schluss an Sie alle meinen Appell: Wenn es um den Föderalismus geht, dann geht es auch um SchleswigHolstein. Da sollten wir gemeinsam an einem Strang ziehen, der zum Nutzen unseres Landes ist.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Warum machen Sie das dann nicht?)

So schön schwarze Sirenengesänge aus München oder Stuttgart sind, die auch manchem parteipolitisch näher stehen -, letztlich geht es gerade in der Debatte um den Föderalismus darum, unser Land Schleswig-Holstein zu stärken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für den SSW hat Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlässlich der Veranstaltung „50 Jahre Landessatzung Schleswig-Holstein“ sagte Professor Bender in seiner Festrede unter anderem:

„Das für die Bundesrepublik typische Verbundmodell des Föderalismus ist aufgrund der Überverflechtung in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung nicht zukunftsfähig.“

Weiter sagte er, dass die Ursache der strukturellen Krise, in der sich das politische System der Bundesrepublik befinde, die unnötig dichte Verflechtung der Entscheidungsstrukturen der Länder und des Bundes sei, dass also die Länder keinen eigenen Gestaltungsraum mehr hätten und damit ein fruchtbarer Wettbewerb zwischen ihnen verhindert werde.

Ich lobe daher die CDU ausdrücklich für diese Initiative. Es ist höchste Zeit, dass sich der SchleswigHolsteinische Landtag intensiv mit der Reform des Föderalismus beschäftigt.

(Beifall bei der CDU - Klaus Schlie [CDU]: Gute Rede!)

Wir dürfen die wichtigen Entscheidungen, die im Zuge der Reform der Finanzverfassung und der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung auf uns zukommen, nicht nur den Landesregierungen überlassen. Hier sind gerade auch die Parlamente gefragt. Es geht in dieser Debatte schließlich um nichts weniger als um die Zukunft des Bundeslandes SchleswigHolstein. Ich kann es nicht lassen hinzuzufügen, dass der SSW überhaupt nichts von einer erneuten Debatte über einen Nordstaat hält. Den lehnen wir - wie Sie wissen - entschieden ab.

(Beifall bei SSW, SPD und CDU - Klaus Schlie [CDU]: Sehr gut!)

Im Gegensatz zu vielen zentralistisch organisierten Staaten wie beispielsweise Frankreich oder Großbritannien hat der Föderalismus in Deutschland eine lange und bewegte Geschichte hinter sich: vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation über das Kaiserreich bis zur heutigen Bundesrepublik. Spätestens nach 1945 hat der Föderalismus in Deutschland eine positive Bilanz aufzuweisen, sodass andere Länder wie eben Großbritannien jetzt sogar dabei sind, einige der deutschen Strukturen zu übernehmen.

Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Die Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Bundesländer das ging ja bereits aus dem Zitat von Herrn Professor Bender hervor - sind in den letzten Jahren im Zuge der erweiterten EU-Kompetenzen und vor dem Hintergrund der steigenden finanziellen Probleme der

(Anke Spoorendonk)

öffentlichen Hand stark eingeschränkt worden. Spätestens mit dem Beschluss auf der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten 1998 und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 zum Kernbereich des Föderalismus - des Länderfinanzausgleichs - steht die Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung auf der Tagesordnung. Das Bundesverfassungsgericht hatte damals entschieden, dass die Ausgestaltung der Nachfolgeregelung des heute geltenden Finanzausgleichs spätestens bis zum Ende 2002 rechtsverbindlich und nachvollziehbar konkretisiert werden soll. Hinzu kommt, dass es im letzten Jahr eine unschöne Debatte über Geber- und Nehmerländer gegeben hat. Gerade von Bundesländern wie beispielsweise Bayern, die über Jahre vom Länderfinanzausgleich profitiert haben, hätte man eigentlich etwas mehr Solidarität erwarten können.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Eines ist klar: Um Änderungen im Länderfinanzausgleich und in der Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmeverteilung zwischen Bund, Länder und Kommunen kommen wir nicht umhin. Die entscheidende Frage lautet natürlich, in welche Richtung diese Änderungen gehen sollen.

Der SSW unterstützt dabei die Position der Landesregierung, wonach der Grundpfeiler der Bundesrepublik auch in Zukunft ein solidarischer Föderalismus bleiben muss. Wir brauchen einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen Deutschlands - wie es im Grundgesetz vorgesehen ist - aneinander angeglichen werden. Das gilt gerade auch für die ostdeutschen Länder.

Allerdings ist es sicherlich auch richtig, bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs verstärkt Anreize einzubauen, die die eigenen Bemühungen der Länder um bessere Finanzen belohnt. Die von den Finanzministern im April beschlossenen Eckpunkte sind eine gute Grundlage, um bei dieser Reform weiterzukommen. Insbesondere unterstützt der SSW den Gedanken, dass die Steuerausstattung der Länder gestärkt werden muss. Hier ist es dringend notwendig, dass die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen entrümpelt und stark vereinfacht wird. Der heutige Bürokratismus in diesen Bereichen schädigt den Föderalismus.

Die CDU hat ja Recht, wenn sie in ihrer Pressemitteilung zum Antrag sagt, dass es für die Länder darum gehen müsse, Kompetenzen und Eigenverantwortung wiederzugewinnen. Das ist in den letzten 16 Jahren nicht geschehen. Vor dem Hintergrund der auch von der jetzigen rot-grünen Bundesregierung geführten

Politik wird es sehr schwer werden, diese Entwicklung umzukehren.

Hinzu kommt die Entwicklung in der Europäischen Union. Es muss doch selbst den EU-begeisterten Parteien in der Bundesrepublik zu denken geben, dass gerade durch die in Brüssel geführte Politik viele Kernbereiche des deutschen Föderalismus - von den Landesbanken bis zu den Sparkassen - in Gefahr geraten.

Da nützen all die schönen Worte vom „Europa der Regionen“ sehr wenig. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir als Parlament sind aufgerufen, diese Wirklichkeit zu verändern, wenn wir es mit dem Föderalismus in der Bundesrepublik ernst meinen.

(Beifall bei SSW und SPD)