Protocol of the Session on March 20, 2002

(Günther Hildebrand)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei aller Kritik an der Justizministerin und stellvertretenden Ministerpräsidentin zu einem Lob kommen, und zwar in Bezug auf die Justizvollzugsanstalten. Seit Sie, Frau Ministerin Lütkes, bei Ihrem Amtsantritt auf die menschenunwürdigen Verhältnisse in den schleswigholsteinischen Vollzugsanstalten hingewiesen haben, haben Sie es nicht bei dieser Feststellung belassen, sondern seitdem kontinuierlich Gelder für Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen im ohne Frage knappen Landeshaushalt locker gemacht. Das ist gut so und das ist vor allem dringend erforderlich. Ich hoffe sehr, dass es mit der Umsetzung der Verpflichtungsermächtigungen bis 2005 auch klappt.

(Beifall bei der FDP)

Gleichwohl müssen wir anerkennen, dass die Belastung des Personals in den Justizvollzugsanstalten sehr hoch ist, auch wenn sie von der Landesregierung als noch vertretbar eingestuft wird. Das Gefangenenklientel wird zunehmend schwieriger.

Nach wie vor die größten Probleme in den Justizvollzugsanstalten bereiten gegenwärtig der Drogenkonsum und der Ausländeranteil. Immerhin 17 % der Insassen im Männervollzug, 25 % im Frauenvollzug und 20 % im Jugendvollzug sind drogenabhängig. Da ist besonders erschreckend, dass die gut gemeinten und geplanten Vorkehrungen zur Verhinderung des Drogenkonsums wegen der Priorität der aktuellen baulichen Innovationsprogramme derzeit zurückgestellt werden müssen.

Deutliche Schwachpunkte sehe ich auch beim Umgang mit ausländischen Insassen, deren Anteil in den JVAs immerhin 24 % beträgt. Leider soll hier nach der Antwort der Landesregierung erst das eine oder andere auf den Weg gebracht werden, sollen beispielsweise die Sprachkenntnisse der Mitarbeiter verbessert werden oder soll ein Dolmetscherpool eingerichtet werden.

Nur, was ist jetzt? Hier klaffen rot-grüner Anspruch und Wirklichkeit stark auseinander.

Zum Schluss nenne ich noch zwei Punkte: Da ist zum einen die erschreckende Beförderungspraxis - insbesondere im mittleren und gehobenen Dienst - der schleswig-holsteinischen Justiz. Durchschnittliche Wartezeiten von bis zu 33 Jahren sprechen Bände. Aber auch ohne diese Spitzenwerte besteht der Eindruck, als ob über das Hinausziehen von Beförderungsverfahren Einsparquoten erbracht werden sollen. An die Einführung der zweigeteilten Laufbahn wird im Bereich des Justizvollzugs überhaupt nicht gedacht. Dass diese Praxis Motivationsprobleme nach sich zieht, dürfte - mit Ausnahme des Justizministeri

ums vielleicht - kaum jemanden überraschen. Auch hier sehen wir deutlichen Änderungsbedarf.

Zur Bewährungshilfe: Was sich in der Antwort der Landesregierung vergleichsweise rund liest, wurde in der Expertenrunde als in vielen Punkten unzutreffend aufgedeckt und - wie ich finde zu Recht - als Missachtung der geleisteten Arbeit empfunden. Tatsächlich ist die Belastungsgrenze mehr als ausgeschöpft. Von den angegebenen Planstellen stehen für praktische Bewährungshilfe nicht alle zur Verfügung.

Wir werden im Einzelnen über diese Punkte in der Diskussion bleiben müssen, und zwar mit allen Beteiligten in der Justiz. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist groß. Auch das hat unsere Fachtagung gezeigt. Jetzt kommt es darauf an, diese Bereitschaft zu nutzen und nicht nur die bestehenden Strukturen auszunutzen. Hierzu ist die Landesregierung - ebenso wie wir alle aufgefordert. Ich nehme in diesem Punkt die kritische Anregung unserer Expertenrunde, Informationsbedarf des Landtags unmittelbar bei der Justiz abzufragen, sehr ernst. Mit unserer Großen Anfrage und der Fachtagung soll dieser Stein ins Rollen gebracht sein. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich unter diesem Tagesordnungspunkt nicht mit Vorgängen in der Staatskanzlei oder mit der offenbar panischen Angst des Justizministeriums vor FDPFachtagungen befassen, sondern zur Sache sprechen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das wäre etwas Neues!)

Eine funktionierende Justiz gehört zum unverzichtbaren Existenzminimum einer demokratischen Gesellschaft. Parlament und Regierung haben dafür zu sorgen, dass die dritte Säule der Staatsgewalt nicht brüchig wird. Dass sie in Schleswig-Holstein nicht brüchig ist, belegt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion. Vielen Dank dafür, insbesondere an die Frau Ministerin und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das justizpolitische Feld in Schleswig-Holstein wird insgesamt gut bestellt. Ich möchte das anhand einiger konkreter Literaturhinweise aus dem Text der Regierungsantwort unterstreichen.

(Klaus-Peter Puls)

Erstens. Zur Geschäftsbelastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften: Den beachtlichen Anstiegen der Eingangszahlen in einigen Bereichen und rückläufigen Eingangszahlen in anderen Bereichen stehen Erledigungszahlen gegenüber, die insgesamt angestiegen sind. Das möchte ich hier festhalten.

Zweitens. Zur Verfahrensdauer: In der ordentlichen Gerichtsbarkeit hat sich die errechnete durchschnittliche Verfahrensdauer der schleswig-holsteinischen Gerichte in den letzten Jahren zum größten Teil verringert.

Drittens. Zum Zeitaufwand der Erledigung nenne ich zwei Beispiele: Bei den Staatsanwaltschaften ist gefragt worden, wie viele Verfahren nicht binnen acht Monaten abgeschlossen worden sind. Im Ergebnis lagen die Acht-Monatsreste bei den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein zwischen einem und zwei Prozent der Gesamtzahl der Verfahren. Zum Zeitaufwand der Erledigung von Verfahren bei den großen Strafkammern der vier Landgerichte wurde nach einem bis mehr als zehn Hauptverhandlungstagen gefragt. Aus der Antwort ergibt sich, dass 43 % aller Verfahren der vier Landgerichte im Jahr 2000 an einem Hauptverhandlungstag und 41 % an zwei bis fünf Tagen erledigt worden sind. Das heißt: 84 % aller Verfahren an der großen Strafkammern unserer Landgerichte sind in einem überschaubaren Zeitraum erledigt worden. Ich füge hinzu, dass die Dauer der Hauptverhandlungen - und damit die Zahl der Verhandlungstage - im Wesentlichen vom Umfang und der Schwierigkeit der Verfahren sowie der Anzahl der Prozessbeteiligten, der Angeklagten, der Prozessvertreter, der Zeugen und Nebenkläger, der Gutachter et cetera abhängt und daher landesgesetzlich oder landesregierungs- und verwaltungstechnisch nicht beeinflussbar ist.

Viertens. Zum Personalbedarf: Der sich aus der tatsächlichen Belastung ergebende Personalbedarf für den richterlichen Dienst in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und für den staatsanwaltschaftlichen Dienst ist mit dem Hauptrichterund Hauptstaatsanwaltsrat einvernehmlich festgesetzt worden. Darauf hat die Ministerin hingewiesen. Diese Zahlen richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort festgesetzt worden sind, sind im jeweiligen Jahresdurchschnitt betrachtet im Wesentlichen auch erreicht worden. Sie wissen aus der Diskussion um das Sicherheitspaket, dass nach dem zuerkannten Personalkostenbudget für 2002 Verstärkungen des strafrichterlichen Bereiches und der Staatsanwaltschaft vorgesehen sind. Im Angestellten- und Beamtenbereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften waren und sind grundsätzlich alle Stellen besetzt. Für die übrigen Gerichtsbarkeiten gilt Ähnliches. Bei der Sozialge

richtsbarkeit konnten die Lücken bis Sommer 1998 wieder geschlossen werden. Seither gelingt es, eine nahezu vollständige Besetzung der Stellen zu gewährleisten. In der Finanzgerichtsbarkeit sind seit Oktober 1999 grundsätzlich alle Stellen wieder besetzt. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind und waren die aktuellen Stellen grundsätzlich besetzt.

Fünftens. Zur Beförderungssituation: Positiv ist anzumerken, dass trotz der beengten Haushaltssituation sämtliche frei werdenden Beförderungsstellen ausgeschrieben und nach Durchführung der Auswahlverfahren auch besetzt werden. Kritisch anzumerken sind allerdings die zum Teil sehr langen Wartezeiten bei den Beförderungen. Darauf hat der Kollege Hildebrand schon hingewiesen. Das gilt nicht nur für den mittleren und gehobenen Dienst, sondern auch für den einfachen Justizdienst, insbesondere den Justizvollzugsdienst. Hier sind in der Antwort Wartezeiten von über 20 Jahren notiert. Da ist Handlungsbedarf für uns alle, sobald die Haushaltssituation es wieder zulässt.

Sechstens. Im Zeitraum 2001 bis 2005 sind Personaleinsparungen ausschließlich in den Bereichen der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgesehen. Diese greifen auch nur dann, wenn durch Modernisierungsmaßnahmen Entlastungen erreicht worden sind. Entlastungen sind insbesondere durch die Einführung des Systems MEGA erreicht worden. Personaleinsparungen in diesen Bereichen betreffen auch nicht den richterlichen Dienst.

Siebtens. Einstellungs- und Beförderungssperren sind nicht vorgesehen.

Achtens. Dies sage ich zur besonderen Aufmerksamkeit aller, die regionalpolitisch aktiv sind: Die Schließung weiterer Amtsgerichte ist nicht beabsichtigt. Diese Planung wird von uns ausdrücklich unterstützt.

Neuntens. Schleswig-Holstein ist bundesweit ein Vorreiter des Täter-Opfer-Ausgleichs und bemüht sich weiterhin nachdrücklich um Intensivierung dieses Instruments. Auch das neue Landesschlichtungsgesetz führt zur Entlastung der Gerichte. Beim Täter-OpferAusgleich ist die Gesamtzahl der Fälle in SchleswigHolstein tendenziell steigend.

Zehntens. Auf den Entlastungseffekt des Landesschlichtungsgesetzes habe ich bereits hingewiesen.

Elftens. EDV-Ausstattung: In der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind - genauso wie in allen anderen Bereichen - bereits erhebliche Entlastungseffekte erzielt worden. Nicht nur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern auch in den Fachgerichtsbarkeiten und bei den Staatsanwaltschaften stehen Komplettausstattungen bevor, sind bereits erfolgt oder werden zeitnah vorgesehen.

(Klaus-Peter Puls)

Zwölftens. Konkrete Planungen für weitere Informationstechnikunterstützung: Die Einführung des elektronischen Grundbuchs ist eine positive Weiterentwicklung, die wir unterstützen. Gleiches gilt für die Einführung des automatisierten Mahnverfahrens. Die Automation des Handelsregisters ist ebenfalls eine positive Weiterentwicklung, die wir unterstützen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten!

13. Zum Justizvollzug enthält die Regierungsantwort generell zwar die Vorbemerkung, dass auch hier angesichts der angespannten Haushaltslage und knapper werdender Haushaltsmittel möglicherweise nicht alles so wie geplant durchgeführt werden kann, sondern möglicherweise zeitlich gestreckt werden muss, gleichwohl - 14. - die Antwort: Die zusätzlich dargestellten erforderlichen Planstellen und Stellen im Justizvollzug sind im Wesentlichen bereits im Haushalt 2002 ausgebracht; die Bereitstellung weiterer Planstellen und Stellen ab 2003 bleibt den jeweiligen Haushalten vorbehalten. Das Thema der inneren Sicherheit - das erklärt die Landesregierung ausdrücklich und da möchten wir Sie als SPD-Landtagsfraktion unterstützen - hat eine hohe Priorität. Wir müssen das belegen und beweisen bei den anstehenden Haushaltsberatungen. Das wird unsere Aufgabe und Verantwortung sein.

15. Das derzeitige Aus- und Fortbildungsprogramm deckt den Bedarf ab.

16. Grundsätzlich werden alle freien Stellen ausgeschrieben. Im Gegensatz zur Bewerbungslage in anderen Ländern stehen für den Justizvollzug des Landes geeignete Nachwuchskräfte für alle Laufbahnen in ausreichender Zahl zur Verfügung.

17. Was die Berücksichtigung der besonderen Situation ausländischer Gefangener angeht, wird auf die kulturellen und religiösen Besonderheiten der ausländischen Gefangenen Rücksicht genommen. Es haben etliche Bedienstete im Strafvollzug Sprachkenntnisse. Die Sprachkenntnisse werden weiter gefördert. Für die Ausländer werden Deutschkurse angeboten und es gibt Angebote zur Gruppenarbeit und Integration der ausländischen Menschen auch im Justizvollzug.

18. Die Schaffung schulischer und beruflicher Qualifikationsmöglichkeiten in den Justizvollzugsanstalten hat auch bei knapper Haushaltslage hohe Priorität und wird konsequent weiterentwickelt.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

19. Erfahrungsgemäß können maximal 90 % der Strafgefangenen in den Arbeits- und Ausbildungsprozess integriert werden.

20. Zum Schluss doch noch ein kleiner Wermutstropfen zur baulichen Situation, zum baulichen Bestand. Der aktuelle Bedarf an Haftplatzkapazitäten ist unverändert hoch. Es sind ja etliche Baumaßnahmen geplant und programmiert. Auch hier werden wir haushaltspolitische Verantwortung nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den Folgejahren übernehmen müssen.

Die Darstellung in den Antworten der Landesregierung wird im Wesentlichen unterstrichen und geteilt durch den Chef des Landgerichts Itzehoe, Geert Mackenroth, den wir ja alle auch als Verbandsvorsitzenden der Richterinnen und Richter, der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf Bundesebene kennen. Herr Mackenroth sagt, dass die Justiz mit der Fülle der Verfahren natürlich überlastet ist. Er sagt auch, gesetzgeberischer Handlungsbedarf sei vorhanden, müsse aber wenn dort etwas geschehen solle - auf Bundesebene bei der Strafprozessordnung ansetzen. Herr Mackenroth bewertet in einem Interview der „Pinneberger Zeitung“ vom 27. Februar 2002 die Personalausstattung ausdrücklich positiv:

„Man muss sagen, dass wir in SchleswigHolstein bezogen auf den Bundesdurchschnitt in Sachen Personal gut bedient werden.“

Herr Mackenroth bewertet die Sachausstattung ausdrücklich positiv, jedenfalls für seinen Bereich. Er ist aber auch flächendeckend in Schleswig-Holstein als gut zu bewerten.

Herr Mackenroth sagt:

„Das Landgericht Itzehoe und die vier Amtsgerichte verfügen über eine EDV-Ausstattung, die ihresgleichen sucht. Wir sind voll vernetzt und internetfähig, haben sofortigen Zugriff auf alle juristischen Datenbanken.“

Was auch Herr Mackenroth kritisch anmerkt, ist die bauliche Situation, die nicht nur für Itzehoe kritisch anzumerken ist, sondern für den gesamten Bereich der Gerichte und Justizvollzugsanstalten im Lande. Hier ist noch Erhebliches zu leisten.

Aber all das - ich komme zum Schluss - hängt natürlich auch von unserer Bereitschaft ab, in Haushaltsberatungen entsprechende Mittel bereitzustellen. Es ist natürlich so, dass nur die finanziellen Möglichkeiten Abhilfe schaffen können. Im Rahmen der Haushaltsbe

(Klaus-Peter Puls)