Protocol of the Session on January 25, 2002

Die Osterweiterung birgt aber auch noch auf einem anderen Gebiet große Potenziale: Russland baut seine Ostseehäfen aus und neue Häfen sind geplant. Das bedeutet für die schleswig-holsteinischen Häfen mehr Umschlag und für den Nord-Ostsee-Kanal eine weitere Belebung. Russland hat erkannt, dass die Verschiffung von Waren und Gütern über die Häfen Kaliningrad und St. Petersburg, um nur zwei Beispiele zu

nennen, sehr viel günstiger, schneller und effektiver ist als der Landweg.

(Klaus Schlie [CDU]: Ist das auch ein Erfolg der Landesregierung? - Dr. Heiner Garg [FDP]: Na klar!)

- Noch nicht einmal zuhören können Sie! - Wir werden davon in mannigfacher Hinsicht profitieren. Ich denke dabei besonders an unsere Ostseehäfen.

Die Osterweiterung birgt sehr viel mehr Chancen als Risiken für die Arbeitnehmer und Unternehmen. Die Ängste der Bürger, nach der Osterweiterung würden Millionen von Menschen in den Westen abwandern und hier zu Billiglöhnen arbeiten, sind unbegründet. Diejenigen, die kommen wollen, sind schon lange hier. Ein Blick nach Portugal würde so manches Gemüt beruhigen können.

Die Sichtweise der CDU wird aus der Anfrage deutlich. Dort heißt es zum Beispiel, negative Auswirkungen seien zu befürchten oder Schleswig-Holstein sei in besonderem Maße betroffen. Dies suggeriert ein negatives Bild. Ich empfehle ein Gespräch mit dem Hauptgeschäftsführer der IHK zu Kiel. Herr Janzen wird Sie über die Chancen aufklären. Risiken sieht er nicht. Die gemeinsame Präsenz in den Beitrittsländern mit den Industrie- und Handelskammern stellt ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Exekutive und NGO dar.

Ich rechne auch nicht mit steigender Kriminalität. Zum einen klappt die Zusammenarbeit der Polizeien rund um die Ostsee auch jetzt schon gut, zum anderen sind die Kriminellen, die in den Bereichen Prostitution und organisierte Kriminalität tätig sind, längst hier.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Die ist nach- her nicht mehr zu bewältigen!)

Durch Eurojus, eine verstärkte Europol, und den europaweiten Haftbefehl bekommen wir zudem Instrumente an die Hand, die eine grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung sehr viel effektiver machen.

Natürlich ist hier noch viel zu tun. Unter spanischer Ratspräsidentschaft wird sich die EU in diesen Monaten intensiv mit der inneren Sicherheit beschäftigen. Wir dürfen gespannt sein, welche Vorschläge Herr Aznar vorlegen wird.

Unser Land wird auf dem europäischen Parkett ernst genommen. Schleswig-Holstein hat auf der Ministerpräsidentenkonferenz eine Stellungnahme zur Kompetenzneuordnung abgegeben. Ein Mitarbeiter der Landesregierung hat als Experte in der Europäischen Kommission die Grundlage der Twinning-Strategie konzipiert. Im Ausschuss der Regionen (AdR), in

(Ulrike Rodust)

dem wir permanent vertreten sind, haben wir in dieser Legislaturperiode vier Stellungnahmen erarbeitet.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Oh! - Lothar Hay [SPD]: Den Ausschuss der Regionen sollten Sie einmal kennen lernen, Herr Kollege Garg!)

Im Vergleich zu anderen Regionen ist dies ein sehr hoher Anteil. Zwei unserer Stellungnahmen beschäftigten sich mit der Integration von Flüchtlingen. Eine Stellungnahme hat sich mit der Zukunft der gemeinsamen Fischereipolitik beschäftigt. Ich selber habe eine Stellungnahme zur Überprüfung der Binnenmarktstrategie 2001 vorgelegt. Der Ausschuss der Regionen hat diese Stellungnahme im November einstimmig angenommen.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommission hat schon nach Behandlung der Stellungnahme in der Fachkommission VI im September angekündigt, einzelne Vorschläge zu übernehmen. Am Montag dieser Woche hat die Kommission dem AdR als ersten Schritt ihr neues Datensystem Solvit vorgestellt. Damit sollen Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen transparente Hilfestellung bei Binnenmarktfragen erhalten, um so zum Beispiel zeitaufwendige Rechtsverfahren zu verhindern. An diesem Vorgang wird deutlich, dass wir auch aus SchleswigHolstein Einfluss auf die Kommission nehmen können.

Aufgrund der Zeit kann ich auf weitere Punkte nicht eingehen. Zum Schluss möchte ich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Schleswig-Holstein hat sich gut vorbereitet und spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Die finanziellen Voraussetzungen sind bis zum Jahr 2006 getroffen. Institutionell kann nach Nizza und Laeken die Aufnahme der neuen Partner vollzogen werden. Mit der Einrichtung eines Konvents zur Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz haben die Regierungen die große Chance, die weitere Zukunft Europas nicht mehr allein durch die Amtsstuben der Regierungen gestalten zu lassen. Diesmal werden vielmehr auch die Bürgerinnen und Bürger und die Legislative in allen Ebenen mit einbezogen. Das heißt, auch wir können uns beteiligen und das werden wir auch tun.

In diesem Sinne fordere ich Sie alle auf, tatkräftig am europäischen Haus weiter mitzuarbeiten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Behm das Wort.

Herr Landtagspräsident! Meine Damen! Meine Herren! Ganz so euphorisch, wie das Frau Rodust getan hat, kann ich die Sache natürlich nicht sehen.

(Lothar Hay [SPD]: Das überrascht mich!)

Dennoch einige Anmerkungen von mir.

Die europäische Idee durchdringt unser Leben immer stärker. Politisch, rechtlich, kulturell und vor allen Dingen wirtschaftlich wächst Europa immer stärker zusammen. Die Erweiterung der Europäischen Union beschleunigt diesen Prozess. Mit der EUErweiterung exportiert Westeuropa seinen Erfolg. Der einwohnerstärkste geschlossene Wirtschaftsraum dehnt sich weiter aus. Weitere 100 Millionen Menschen erhalten größere Chancen auf Freiheit und Wohlstand und die jetzigen 320 Millionen EU-Bürger auch.

Das ist das Ziel, dem die Erweiterung der Europäischen Union dient: mehr Freiheit und Wohlstand für den einzelnen Menschen. Deshalb unterstützt die FDP den Erweiterungsprozess.

Meine Damen, meine Herren, die Erweiterung stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten, vor allen Dingen an die Beitrittskandidaten. Schließlich müssen Zehntausende von Rechtsvorschriften übernommen und vor allen Dingen im täglichen Leben auch umgesetzt werden. Dies ist selbstverständlich ohne umfangreiche Hilfestellungen aus der Europäischen Union unmöglich. Gerade für die Umsetzung des EU-Rechts ist es wichtig, dass Hilfestellungen unmittelbar auf der Arbeitsebene gegeben werden. Und wer wäre besser dafür geeignet als diejenigen in der EU, die das EURecht vor Ort umsetzen, nämlich die regionalen und die örtlichen Verwaltungen!

(Beifall der Abgeordneten Dr. Christel Hap- pach-Kasan [FDP] und Rolf Fischer [SPD])

Deshalb begrüße ich die vielfältigen Aktivitäten der Landesregierung auf diesem Gebiet.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Mitarbeiter aus vielen Bereichen unserer Landes- und Kommunalverwaltungen helfen in Polen und in den baltischen Staaten tatkräftig mit, die EU-Erweiterung zu einem Erfolg werden zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Joachim Behm)

Ich denke, der Einsatz dieser Menschen sollte uns einen kräftigeren Beifall wert sein.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber die Unterstützung der Beitrittskandidaten ist nur eine Aufgabe der Landesregierung in der politischen Gestaltung des Erweiterungsprozesses. Der Schwerpunkt der Regierungsarbeit ist selbstverständlich die bestmögliche Vorbereitung Schleswig-Holsteins auf die Anforderungen des Erweiterungsprozesses. Was könnte und sollte die Landesregierung dazu leisten? Das Wichtigste wäre eine vernünftige Landespolitik, um Schleswig-Holstein endlich vom Tabellenende in Westdeutschland nach oben zu führen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Warum? Im Rahmen der Erweiterung und der damit verbundenen dringend notwendigen Veränderungen innerhalb der EU wird der Wettbewerb der Regionen in Europa zunehmen. Und für diesen Wettbewerb gelten die gleichen Grundsätze wie für den innerdeutschen Standortwettbewerb.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!)

Die einzelnen Regionen werden sich noch stärker als bisher darum bemühen müssen, Wirtschaftskraft an sich zu binden. Gleichzeitig werden sich die Gewichte in der EU verschieben. Der relative Einfluss jeder einzelnen Region wird sinken und das zu verteilende Geld wird spärlicher in die einzelnen Regionen der alten EU fließen.

Diese beiden Pole spannen den Rahmen der europäischen Herausforderung für die Landespolitik: einerseits stärkerer Wettbewerb, durch den erfolglose Politikkonzepte härter bestraft werden, und andererseits weniger Unterstützung aus Europa als bisher. Nun gelingt es der Landesregierung schon nicht, SchleswigHolstein in Deutschland nach vorn zu bringen.

(Widerspruch bei der SPD)

Warum sollte sie im europäischen Wettbewerb besser sein?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist eine span- nende Frage!)

Ankündigungspolitik und Konferenztourismus reichen bei weitem nicht aus.

(Beifall bei FDP und CDU)

Deshalb stellen sich aus der Sicht Schleswig-Holsteins zwei Fragen: Erstens, wie wird Schleswig-Holstein von der Erweiterung betroffen? Und zweitens, was sollte die Landesregierung leisten, um den Erfolg für

die Menschen in Schleswig-Holstein möglichst groß werden zu lassen?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Abtreten!)

Die Landesregierung hat die zweite Frage mit der üblichen Bemerkung abgearbeitet, Schleswig-Holstein sei auf einem guten Weg und das sei der Politik der Landesregierung zu verdanken. Das war zu erwarten, stimmt aber trotzdem so nicht.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)