Protocol of the Session on January 25, 2002

Die CDU-Landtagsfraktion will mit ihrer Großen Anfrage zum Thema „Schleswig-Holstein und Europa“ deutlich machen, dass die CDU als Partei der Wiedervereinigung Deutschlands auch die Wiedervereinigung Europas energisch vorantreiben will. Die Landesregierung schmort europapolitisch seit Jahren im eigenen Saft. So darf es auch nicht verwundern, wenn sich eine Reihe von Fragen aufdrängen, für die wir eigentlich Antworten der Regierung erwartet hätten: Wie sieht die Zukunft Europas aus? Welche Auswirkungen hat die EU-Erweiterung konkret auf Schleswig-Holstein? Welche Chancen und Risiken bringt sie für die Menschen in unserem Land? Welche eigenen Ziele bringen wir in diesen Prozess der europäischen Wiedervereinigung ein? Nehmen wir die Menschen mit ihren Sorgen und Befürchtungen wirklich mit auf diesem Weg?

Mit der Einführung des Euro ist für alle sichtbar, dass Europa weiter zusammenwächst. Dieser Prozess bringt für viele Menschen ganz konkrete Vorteile. Aber wir müssen auch die Kehrseite der Medaille betrachten: Viele Menschen fühlen sich den Veränderungen, die mit weltweit wachsender Geschwindigkeit stattfinden, nicht mehr gewachsen. Aus Unsicherheit wird Angst, aus Angst wird Ablehnung. Diese Entwicklung ist deswegen für uns so gefährlich, weil gerade wir Europäer noch einen entscheidenden Schritt vor uns haben: die Wiedervereinigung Europas. Wenn die bisherigen Beitrittsverhandlungen weiterhin so positiv verlaufen, besteht die realistische Möglichkeit, ab dem Jahre 2004 zehn neue Mitgliedstaaten in die Europäische Union aufzunehmen.

Ich glaube, dass wir für diese einmalige historische Chance nur ein schmales Zeitfenster zur Verfügung haben. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung in den Beitrittsstaaten für diesen Prozess zu gewinnen, sondern auch die Menschen im eigenen Land mitzunehmen. Wenn uns das gelingen soll, ist es notwendig, Ängste abzubauen und den Menschen Chancen und Risiken aufzuzeigen. Dazu bedarf es aber auch einer eigenen Perspektive des Schleswig-Holsteinischen Landtages und vor allem der Landesregierung. Unsere Große Anfrage sollte deshalb den Anstoß geben zu einer Debatte, von der ein deutliches Signal in unser Land ausgeht.

(Beifall bei der CDU)

Die Antworten der Landesregierung auf unsere Fragen sind leider nicht geeignet, dieses deutliche Signal zu setzen. Dies ist keinesfalls den Mitarbeitern anzulasten, bei denen ich mich an dieser Stelle ausdrücklich für die geleistete Fleißarbeit bedanken möchte.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist durchaus bewundernswert, wenn es ihnen gelingt, aus so wenig politischer Substanz eine Drucksache mit so vielen Seiten zu fertigen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Eine Vision der schleswig-holsteinischen Landesregierung für die Zukunft ist in den Antworten leider nicht zu erkennen. Da denkt man fast mit Wehmut an Björn Engholm, Peer Steinbrück und Gerd Walter zurück.

(Klaus Schlie [CDU]: Das hält sich in Gren- zen!)

- Fast, habe ich gesagt.

(Klaus Schlie [CDU]: Ach so!)

Zumindest haben diese in deren aktiven Dienstzeiten deutlich gemacht, dass Defizite in der Ostseepolitik Schleswig-Holsteins sichtbar sind und neue Strategien, Handlungsfelder und Maßnahmen definiert werden müssten.

(Klaus Schlie [CDU]: Das stimmt!)

Zumindest haben Steinbrück und Walter den Finger in die Wunden gelegt, die durch Nichtstun der Landesregierung entstanden sind. Ob Steinbrück und Walter deshalb dem Kabinett nicht mehr angehören, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis. Spekulationen darüber bringen uns substanziell allerdings nicht weiter. Festzuhalten bleibt, dass Frau Simonis die Europapolitik zwar verbal zur „Chefsache" gemacht hat, aber dabei nur lustlos und ohne eigene Impulse vor sich hin plaudert.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Zusammenhang möchte ich unseren Präsidenten aufgrund seiner Aktivitäten im Rahmen der Ostseeparlamentarier-Konferenz ausdrücklich von dieser Kritik ausnehmen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Besonders enttäuschend finde ich in der Antwort auf unsere Große Anfrage die Perspektivlosigkeit, mit der auf wichtige Zukunftsfragen Schleswig-Holsteins reagiert wurde. Gerade die Antworten auf die besonders wichtigen Fragen der Zukunft der ländlichen Räume und der strukturschwachen Gebiete in unserem Land zeigen keine klaren Vorstellungen auf.

(Zuruf von der CDU: Haben die auch nicht!)

Das ist deswegen so gefährlich, weil es durch den baldigen Beitritt von zehn weiteren Staaten in diesen Bereichen zu weit reichenden Veränderungen kommen

(Peter Lehnert)

wird. Weite Landesteile in Schleswig-Holstein könnten dabei sehr schnell ins Hintertreffen geraten. Es ist dringend an der Zeit, sich regional, aber auch national auf diese Vorgänge vorzubereiten und mit einem eigenen Konzept die entsprechenden Gespräche zu führen. Dies ist auch deshalb wichtig, um den betroffenen Menschen in unserem Land eine klare Handlungsperspektive aufzuzeigen. So können sie sich gegebenenfalls auf anstehende Strukturveränderungen frühzeitig einstellen und mögliche Alternativen erwägen. Diese Ehrlichkeit sind wir den Menschen in unserem Land schuldig.

Die Landesregierung führt zu den anstehenden Veränderungen aus, dass die Osterweiterung und die WTOVerhandlungen ab 2002 eine weitere Reform der EUAgrarpolitik erforderten. Dabei müssen nach Ansicht der Landesregierung das europäische Agrarmodell einer nachhaltigen, multifunktionalen und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft und das Modell ländlicher Räume auch Leitbild für die Beitrittsländer sein. Und weiter wird ausgeführt, dass derzeit noch nicht absehbar sei, in welchem Umfang Deutschland beziehungsweise Schleswig-Holstein nach 2006 Anspruch auf EU-Fördermittel habe. Die Landesregierung sei bestrebt, einen fairen Anteil an den Fördermitteln zu sichern. Für die jetzt anlaufende Diskussion auf deutscher beziehungsweise EU-Ebene bereite sie eine Positionierung vor. Diese Antwort ist symptomatisch für den Bericht: nichts Konkretes, keine Perspektive, keine eigenen Ideen.

Das gleiche Problem gibt es bei der Strukturpolitik: Es wird ausgeführt, dass die EU-Kommission im Jahre 2003 den dritten Kohäsionsbericht vorlegen wird. Die konkrete Diskussion über die Zukunft und die Ziele der Strukturfonds auf nationaler und europäischer Ebene hat allerdings schon mit der Vorlage des zweiten Berichtes am 31. Januar 2001 begonnen; das ist bereits mehr als ein Jahr her. Wie allerdings die Einflussnahme der Landesregierung dabei aussehen soll, bleibt weiterhin ihr Geheimnis. Dies ist besonders deshalb gefährlich, weil sie selber in ihrem Bericht ausführt, dass im Zuge der Erweiterung der Union eine große Reform der Strukturpolitik unabdingbar erscheine.

Da die erwarteten zehn neuen Mitgliedstaaten mit ihrer Wirtschaftskraft deutlich unter dem heutigen EUDurchschnitt liegen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich ab 2006 die Strukturhilfemittel auf diese Länder konzentrieren werden. Für Schleswig-Holstein stellt sich damit die Frage, ob nicht zumindest eine Übergangsregelung ab 2006 für unsere strukturschwachen Gebiete erreicht werden muss. Zumindest wäre dies ein konkretes Ziel, für das es

lohnen würde, sich einzusetzen - aber auch hier Fehlanzeige!

(Beifall bei der CDU)

Wie sieht das Fazit aus? Ich stelle fest, dass trotz der Fleißarbeit vieler Mitarbeiter Ihre Antworten konkrete Inhalte und wirklich Perspektiven vermissen lassen. Nach wie vor bleibt viel zu tun. Es gibt dringenden Handlungsbedarf der Landesregierung. Frau Simonis, packen Sie endlich die Chefsache Europa an und verschlafen Sie die Entwicklung nicht!

(Klaus Schlie [CDU]: Sie ist zumindest auf- gewacht! - Thorsten Geißler [CDU]: Jeden- falls hat sie das aufgeweckt!)

- Nein, ich wollte sie nicht aufwecken. Das war nicht meine Intention. - Wir als Landtag müssen die Regierung zu entsprechenden Initiativen auffordern. Unser wichtigstes Ziel muss es sein, die Menschen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europa mitzunehmen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Ich erteile der Frau Abgeordneten Rodust das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke der Ministerpräsidentin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage.

(Beifall bei der SPD)

Wäre ich zynisch, müsste mein Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen der CDU gehen. Sie haben der Landesregierung eine Steilvorlage präsentiert, wie sie besser nicht hätte sein können, um ihre durchgängig hervorragende Europapolitik zu präsentieren.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist nicht zynisch, das ist lächerlich!)

Nun bin ich mir natürlich sicher, dass dies bei der Formulierung Ihrer Fragen nicht die Absicht war, meine Damen und Herren der CDU. Doch was steckte dahinter? Ich habe die Anwort nicht gefunden. Allerdings stellten sich mir etliche Fragen.

Haben Sie in der Vergangenheit im Europaausschuss nicht zugehört? Die Rede von Herrn Lehnert macht dies sehr deutlich.

(Klaus Schlie [CDU]: Gute Rede!)

(Ulrike Rodust)

Dort ist ein Europabericht der Regierung für Februar schon lange angekündigt.

Dienen Ihnen die unzähligen Papiere, die es zu diesem Thema gibt, zum Füllen Ihrer Papierkörbe?

(Klaus Schlie [CDU]: Sie meinen: Mehr sind sie nicht wert?)

Zahlreiche Veröffentlichungen der Landesregierung und ebenso zahlreiche Broschüren haben schon einen großen Anteil der Fragen beantwortet. Man brauchte nur nachzulesen.

(Peter Lehnert [CDU]: Keine Perspektiven!)

Da wundert es nicht, dass die Große Anfrage auch Fragen enthält, die heute beim besten Willen noch nicht zu beantworten sind, etwa die Frage nach der Förderkulisse nach 2006. Hierzu kann man, wie es auch in der Antwort steht, nur Vorstellungen und Wünsche formulieren. Wir können aber davon ausgehen, dass der Geldsegen aus Brüssel nach 2006 nicht mehr so reichlich fließen wird wie zurzeit. Daher müssen die vorhandenen Mittel des größten Konjunkturprogramms, das das Land jemals erlebt hat, sinnvoll ausgegeben werden. „Sinnvoll“ heißt, die Strukturen des Landes nachhaltig zu verbessern und zu optimieren. Gefragt sind pfiffige, zukunftweisende Ideen. Vor Ort ist ein Brainstorming der Kommunalpolitiker, aber auch der Bürger in Vereinen und Verbänden angesagt: die kommunale Denkfabrik; denn Geld bekommen diejenigen, die mit ihren Ideen am besten und am schnellsten sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Kommen Sie auch einmal zur Europapolitik? - Zuruf des Abge- ordneten Klaus Schlie [CDU])

- Nur Geduld! - Dies ist bis zum Jahre 2005 zu leisten. Danach kommen die Beitrittsländer in die Europäische Union.

Die Voraussetzungen für die EU-Erweiterung sind gewährleistet. Das bedeutet in der Ostseekooperation, deren Motor Schleswig-Holstein nach wie vor ist: Wir werden ein Wirtschaftsraum unter gleichen Rahmenbedingungen. Was den Handel betrifft, so ist er heute schon weitgehend liberalisiert. Die von der Landesregierung genannten Zahlen belegen dies.

Die Osterweiterung birgt aber auch noch auf einem anderen Gebiet große Potenziale: Russland baut seine Ostseehäfen aus und neue Häfen sind geplant. Das bedeutet für die schleswig-holsteinischen Häfen mehr Umschlag und für den Nord-Ostsee-Kanal eine weitere Belebung. Russland hat erkannt, dass die Verschiffung von Waren und Gütern über die Häfen Kaliningrad und St. Petersburg, um nur zwei Beispiele zu